An einem frühen Nachmittag in der „Schülerhilfe“ in Wien Rudolfsheim-Fünfhaus. Noch ist es ruhig. Eine Angestellte des Nachhilfeinstituts sitzt an ihrem Schreibtisch und erledigt organisatorische Dinge. Alle Unterrichtsräume bieten das gleiche Bild: ein Tisch in der Mitte, drumherum mehrere Stühle. Noch sind die Räume verwaist, doch schon in wenigen Stunden werden sie sich füllen. Dann wird es an dem einen Tisch um Mathematikformeln gehen und an dem anderen um Englischvokabeln. Starke Nachfrage besteht auch für Deutsch, weniger für Biologie oder Geografie. Den Nachhilfeunterricht geben Studierende ebenso wie pensionierte Lehrkräfte.
Warum bekommt man Nachhilfe?
Am Vormittag Schule, Mittagessen zu Hause, Hausaufgaben machen und dann hinaus an die frische Luft zum Spielen. So sah einmal der Tagesablauf der Kinder und Jugendlichen aus. Heute nimmt sie die Schule viel mehr in Beschlag. Zum einen über Förderstunden und Nachmittagsbetreuung, zum anderen über bezahlte Nachhilfe. Nach der Schule ist vor der Schule.
Viele Schüler:innen kommen mit dem Unterrichtsstoff nicht allein zurecht. Immer seltener kommt auch von den Eltern Hilfe. Zum einen fehlt die Zeit, zum anderen das Wissen. Und manchmal soll einfach der familiäre Frieden nicht durch Schulprobleme gestört werden. Diese werden lieber ausgelagert, sprich in professionelle Hände gegeben. In Privatnachhilfe, in Nachhilfeinstitute, in Gruppennachhilfe, in Internet Tutoring. Aber das beschreibt längst nicht das gesamte Phänomen.
Ab wann macht Nachhilfe Sinn?
Der Fachbegriff für die außerschulischen Komplementärangebote lautet „Shadow Education“. „Bezahlte Nachhilfe gehört zu den weltweit am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren“, sagt der Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Stefan Hopmann. Traditionell nehmen Schüler:innen Nachhilfe in Anspruch, wenn sie Defizite in einem oder mehreren Fächern aufweisen.
Nun kommen allerdings immer mehr gute Schüler:innen dazu, die sich weiter verbessern wollen. Die also schon früh an ihrer Karriere arbeiten. Besser gesagt: Oft sind es deren Eltern, die Druck machen. In Südkorea, sagt Hopmann, sei für den beruflichen Erfolg schon weniger die schulische Laufbahn entscheidend als die Nachhilfeschule, die man besucht hat.
So weit sind wir noch nicht. Doch auch bei uns hat Nachhilfe ihr schlechtes Image abgelegt. Früher war das nur etwas für schwache Schüler:innen. Heute ist sie schon so weit verbreitet (geschätzt nimmt sie jede:r Zweite in Anspruch), dass man sich inzwischen ohne jegliches Schamgefühl zu ihr bekennen kann.
Schätzungen zufolge werden in Österreich jährlich rund 100 Millionen Euro für Nachhilfe ausgegeben. Der Betrag kann aber auch gut doppelt so hoch sein, denn mit den Privatlehrer:innen, die rund drei Viertel dieses Marktes abdecken, besteht ein großer Graubereich.
Wie teuer ist Nachhilfe?
Die Tatsache, dass die Nachhilfebranche blüht, zeigt freilich, dass in unserem Bildungssystem manches schiefläuft. Der Lehrkräftemangel ist zweifellos ein Thema. Gesellschaftlich wächst aber auch die Kluft zwischen Arm und Reich, die oft zugleich eine Kluft zwischen sogenannten lernunerfahrenen und lernerfahrenen Familien ist (der oft verwendete Begriff „bildungsfern“ wird als diskriminierend angesehen).
Die außerschulische Hilfe verstärkt diese Kluft erst einmal, denn man muss für sie zahlen. Mit gut 1.000 Euro Kosten pro Schuljahr muss rechnen, wer sich bei einem Nachhilfeinstitut einschreibt. Damit droht die Schulnote des Kindes immer mehr von der Finanzkraft der Eltern abhängig zu werden.
Fallweise gibt es finanzielle Unterstützung aus der öffentlichen Hand. In Oberösterreich etwa in Form eines Bildungsgutscheins für Familien. Einen radikaleren Schritt ist Wien im Jahr 2015 gegangen. Damals begann die Stadt, im Rahmen der Wiener Lernhilfe allen 10- bis 14-Jährigen kostenlose Nachhilfe in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und Englisch anzubieten. Jedes Kind sollte, unabhängig vom Einkommen der Eltern, die gleichen Startchancen in ein erfolgreiches Erwachsenenleben erhalten. Mittlerweile wurde dieses Projekt, durchgeführt von den Wiener Volkshochschulen, auf die Volksschulkinder ausgeweitet.
Wie Nachhilfe geben?
Lernbetreuer:innen müssen selbstverständlich fachliches Wissen mitbringen. Allerdings ist jedes Kind anders, und das gilt es zu berücksichtigen. Eine wichtige Voraussetzung für erfolgreiche Nachhilfe ist das gegenseitige Vertrauensverhältnis. Wenn die Lehrperson es schafft, bei den Schüler:innen das Interesse für die ungeliebte Materie zu wecken, hat sie Großes geleistet.
Wie das gelingen kann? Die Fachdidaktik bietet dazu keine direkte Anleitung. Vor allem kommt es auf so schwer fassbare Qualitäten wie Einfühlungsvermögen, Fantasie und Engagement an. Für ein gelingendes Miteinander ist wichtig, dass auch die Schüler:innen ihren Teil dazu beitragen. Gut, wenn sie freiwillig, noch besser, gerne in die Nachhilfe kommen. Schlechter sind die Voraussetzungen, wenn sie eigentlich gar nicht wollen und das nur auf Druck der Eltern tun.
Welche Nachhilfe ist besser: Online vs. Präsenz
Gute Lernbetreuer:innen machen sich mit der Zeit überflüssig. Zu ihren zentralen Aufgaben gehört, den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, wie sie zu selbstständigem Lernen finden. Dabei geht es nicht nur um bestimmte Lernstrategien, sondern auch und vor allem um die richtige Balance von Anstrengung und Erholung, um Selbstbewusstsein und die erfolgreiche Bewältigung von Stresssituationen wie etwa Schularbeiten. Kurz: um die Reifung einer Person.
So gesehen handelt es sich bei dem, was wir kurz mit „Nachhilfe“ bezeichnen, auch um Persönlichkeitsentwicklung. Eine gewaltige Aufgabe. Wer bewältigt die besser, Privatlehrer:innen oder Nachhilfeinstitute? Pauschal lässt sich die Frage nicht beantworten. Denn es kommt, wie gesagt, in erster Linie auf das individuelle Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden an. Zumindest lässt sich sagen, dass sich diese wichtige Beziehung eher in einem Präsenz- als in einem Onlineunterricht aufbauen lässt.
Welche Nachhilfe ist die beste?
Private Angebote gibt es wie Sand am Meer. Überschaubarer ist die Anzahl der Nachhilfeinstitute. Da gibt es zum einen die Platzhirsche wie etwa die Schülerhilfe, die nächstes Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feiert und aktuell in Deutschland und Österreich 1.100 Standorte aufweist, und zum anderen die kleineren Häuser, die noch nicht so lange bestehen, wie etwa Team plus.
Preise vergleichen
Ein direkter Vergleich zwischen den Instituten lässt sich nur hinsichtlich weniger Punkte ziehen, zum Beispiel den Preis betreffend. Dazu genügt ein Blick auf die Internetseiten, wobei zu beachten ist, dass die Bezugsgröße jeweils eine Unterrichtseinheit ist, und die kann von Institut zu Institut variieren.
Unterrichtsräume erkunden
Wie sind die Unterrichtsräume? Einladend oder eher abschreckend? Dazu empfiehlt sich ein Besuch des Nachhilfeinstituts.
Vertragsbindung beachten
Wer sich einschreibt, muss sich, anders als bei der privaten Nachhilfe, in der Regel für eine längere Zeit binden. Fragen Sie nach den Modalitäten, insbesondere auch hinsichtlich der Vertragskündigung bzw. einer allfälligen automatischen Vertragsverlängerung.
Nachhilfe, so argumentieren die Institute, brauche Zeit, sei ein längerer Prozess. Damit haben sie gewiss recht, aber bei ihnen kommt hinzu, dass sie langfristig planen wollen (und müssen). Man darf nicht vergessen, dass es sich hier um Wirtschaftsbetriebe handelt, und als solche sind sie auf Gewinn ausgerichtet.
Ein Beispiel: Wir haben die Vertragsklauseln des Nachhilfe-Start-ups GoStudent eingeklagt. Das Oberlandesgericht Wien bestätigte die Gesetzeswidrigkeit von mehr als 20 Klauseln, etwa die automatische Vertragsverlängerung. Mehr zu dem – noch nicht rechtskräftigen Urteil – ist hier zu finden.
Kostenlose Probestunde vereinbaren
Kennzeichen eines seriösen Nachhilfeinstituts ist, dass es potenziellen Neukund:innen zu Beginn kostenlose Probestunden einräumt. So können Sie sehen, ob Sie und vor allem Ihr Kind mit der Lernbetreuung gut zurechtkommen. Passt die Chemie? Wenn ja, spricht nichts gegen eine weitere Zusammenarbeit. Wenn nein, sollten Sie einen Rückzieher machen.
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