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Wurstverpackung - Papiergram

Ein Dauerbrenner in unserer Leserpost: das Mitwiegen und -verrechnen der Verpackung bei offen verkauften Lebensmitteln. Die Kunden sind verärgert, der Handel beruft sich auf „branchenübliche Praktiken“.

Da stehe ich“, berichtet Leser Karl W. per E-Mail, „wieder einmal in einem dieser megatollen Supermärkte mit Wursttheke und wähle einen dieser wirklich köstlichen Schinken aus Italien um 22 Euro pro Kilo. Die Verkäuferin legt schon ein Papierblatt auf die Waage… 2 g … Diese Schinken liegen natürlich auf diesen wirklich praktischen Plastikfolien, wo die Verkäuferin nur die Folie nehmen muss und schon hat sie genau 97 g Schinken + 3 g … Sie legt oben noch einmal eine Folie drauf … + 3 g …, drückt die Preistaste, verpackt alles und kommt auf mich zu. Ich: ,Ich möchte die Verpackung aber nicht mitbezahlen.‘ Sie: ,Na hörn’S mal, wir müssen die Verpackung ja auch bezahlen.‘Ich: ,Tschuldigung, aber verkauft man Ihnen das Papier auch zum Kilopreis von einem Prosciutto?‘ Die Verkäuferin hat schon diesen bösen Blick, genau wie die Leute in der Warteschlange hinter mir, also winke ich ab und gehe weiter.

Muß ich das zahlen?

Als normaler Konsument frage ich mich natürlich – muss ich diese 25 Cent wirklich bezahlen?“ Die Antwort: nein. Wenn er in Wien  zum italophilen Spezialitätenladen Piccini geht und sich dabei beeilt, zahlt Karl W. für die Verpackung (so gut wie) nichts. Dort wird nämlich die Ware auf eine 0,05 g schwere Plastikfolie gelegt, abgewogen, abgerechnet und dann erst in Papier eingepackt. Allerdings kündigt Piccini-Geschäftsführerin Juditha Schindl an: „Lange werden wir diese Praxis nicht mehr aufrechterhalten können. Wenn ich am Ende eines Jahres schaue, was Papier kostet, wird mir schlecht!“

Branchenüblich und ärgerlich

Ansonsten ist es in der Branche Usus, die Verpackung mitzurechnen. Das ist die Kernaussage einer Befragung, die wir unter etwa 60 kleineren und größeren heimischen Fleischerei- und Lebensmittelbetrieben durchführten.
Der Rücklauf hielt sich in bescheidenen Grenzen. Über einen Mangel an Reaktionen konnten wir uns dennoch nicht beklagen. Sie kamen hauptsächlich telefonisch, zeugten von bemerkenswertem Adrenalinausstoß und liefen mit überwältigender Mehrheit auf zwei Argumentationen hinaus: Habt Ihr keine anderen Sorgen? Was wollen Sie, in der Parfümerie zahlen Sie auch die Verpackung mit! Die Anzahl derer zu zählen, die wirklich detailliert unsere Fragen beantworteten, benötigt hingegen nicht einmal alle zehn Finger: Es waren insgesamt acht Betriebe. Spar, Merkur, Billa Feinkost, Berger, Nah & Frisch, Radatz, Aibler und Piccini haben sich der Mühe unterzogen.

Das Ergebnis aus ihren Antworten:

Es hat sich manches behutsam zum Besseren gewendet. Im Vergleich zum Wachspapier, das bis vor wenigen Jahren noch gängig war, sind heutige Papiere – eine Lage Papier und eine Kunststoff, einfach zu trennen – wesentlich leichter, wobei auffällige Unterschiede zwischen den einzelnen Händlern bestehen. Während etwa Schirnhofer (der unseren Fragebogen nicht beantwortete, aber einer ergänzenden Stichprobe unterzogen wurde) und Aibler immerhin doch 6 g für den üblichen Achtelbogen (375 x 250 mm) auf die Waage bringen, Spar sogar 7,5 g angibt, bescheidet sich Radatz mit 4 g. Auf 4 g kam bei einer Nachrecherche auch Billa-Feinkost, dessen Organisationsabteilung das Verpackungsgewicht als „vernachlässigbar gering“ bezeichnet. Merkur kommt gar mit 2 g aus. Das nicht allein aus Kundenfreundlichkeit, son- dern auch in eigenem Interesse: „Bei unseren Umsatzmengen spielt das Gewicht des Papiers, das wir einkaufen, schon ein Rolle“, erklärt DI Alfred Matousek, Merkurs Mann für Umwelt und Kommunikation.

Papier zum Preis von Prosciutto

Fakt bleibt: Außer bei Piccini wird die Verpackung den Kunden verrechnet. Und zwar zum Preis der darin eingewickelten Ware. Die gleiche Menge Papier ist also für Räucherlachs erheblich teurer als für Extrawurst. Zwar sind seit Jahren fast alle Geschäfte mit einer Tara-Waage ausgestattet, doch wird diese nur bei Wurstsemmeln (wo die Wurst in die fix gepreiste Semmel gelegt wird) und den Behältern für Aufstriche oder Salate betätigt.

Mögliche Möglichkeiten hat der Konsument?

Was können Konsumenten tun, die sich das nicht leisten wollen? Eine Möglichkeit, diese Kosten zu minimieren ist, größere Mengen zu kaufen. Wer alleine lebt, wird das wohl nicht tun können. Möglichkeit Nummer zwei wäre, eine eigene Verpackung mitzubringen. Das ist übrigens auch umweltfreundlicher und wird fast überall akzeptiert. Ausnahmen: Aibler gibt an, dies wegen eines möglichen Gesundheitsrisikos nicht gern zu sehen; ins gleiche Horn stößt Radatz und beruft sich dabei auf einen Hinweis der Lebensmitteluntersuchungsanstalt der Stadt Wien, dass über die mitgebrachten Verpackungsmittel von Kunden Erreger wie Salmonellen oder Colibakterien eingeschleppt werden können. „Wir sind grundsätzlich für die Anliegen unserer Kunden aufgeschlossen, geben aber in diesem Fall natürlich der Produktsicherheit den Vorrang“, so Dr. Franz Radatz.

Eine weitere Möglichkeit ist, zu reklamieren, sofern man die Nerven (und nicht zuletzt auch die Zeit) dazu hat. Eine Erfolgsgarantie ist dafür keineswegs gegeben, da das Mitverrechnen der Verpackung in Österreich (wie auch in Deutschland) legal und eine Neuregelung nicht in Sicht ist. Gesetzlich verankert sind nur die Eichvorschriften für die Waagen, die eine Fehlergrenze von 2 g festlegen.

Wenn Kunden reklamieren

Ein einziges Unternehmen, nämlich Nah & Frisch, erklärt sich bereit, dem Kunden auf eine Reklamation hin die Verpackung vom Preis abzuziehen. Jedoch kann sich Friedrich Stifsohn vom Nah & Frisch-Marketing einen sarkastischen Einwurf nicht verkneifen: „Sie sollten Beschwerdeführer fragen, ,Wie hätten Sie’s denn gerne?‘ Ich wäre sehr neugierig auf die Antworten!“ Die Mehrzahl der Händler versucht, verärgerte Kunden argumentativ zu „beruhigen“. Mag. Heidi Wigger von Spar: „Wir erklären ihnen in solchen Fällen, dass das Verpackungsmaterial bei jedem Produkt Teil der Preiskalkulation ist. So bezahlt man zum Beispiel auch bei Cornflakes einen gewissen Prozentsatz des Kaufpreises für die Schachtel, beim Jogurt für den Becher, bei den Gurkerln für das Glas oder bei einem exquisiten Konfekt für die aufwendige Verpackung.“ Dem ist rein sachlich nichts entgegenzusetzen, ebenso wenig wie anderen Einwänden, die uns im Zuge der Recherchen begegneten:

Es gibt brisantere Themen, das stimmt. Und wer sich öfter mal Lebensmittel mit einem Kilopreis jenseits der 20 Euro gönnt, wird am Mitwiegen und -verrechnen des Verpackungspapiers auch nicht zu Grunde gehen. Aber: Für jene Konsumenten – nehmen wir etwa Mindestrentner – die sich (buchstäblich) nur alle heiligen Zeiten etwas Teureres leisten können, sind Kosten von rund einem viertel Euro für die Verpackung, wie sie schnell einmal anfallen, nicht wirklich eine Bagatelle. Übrigens berichten Konsumenten von Erfahrungen aus dem gar nicht so fernen Italien, wo die Waagen nach Auflegen des Papiers auf null gestellt werden oder so programmiert sind, dass das Gewicht der Verpackung von vornherein abgezogen wird. Ist es Zufall, dass gerade der „Italiener“ Piccini (derzeit noch) die rühmliche Ausnahme von einer Regel ist?

Wir haben an die 60 Fleischerei- und Lebensmittelbetriebe befragt, wie sie die Verrechnung der Verpackung bei Frischwaren in der Praxis handhaben.
Die Verrechnung ist branchenüblich und legal, stößt aber bei vielen Konsumenten auf Unverständnis.

Fragen: Wird die Verpackung verrechnet? Wird die Verpackung fix verrechnet oder der gekauften Ware hinzugerechnet? Sind Ihre Waagen  mit Tara-Taste ausgestattet? Wenn ja: Wird sie auch gedrückt, obwohl dazu keineswegs eine gesetzliche Verpflichtung besteht?
Aibler ja zur Ware hinzugerechnet ja wird verwendet bei Aufstrichsem-meln und Tellern  mit warmenSpeisen
Merkur ja zur Ware hinzugerechnet ja wird verwendet bei Kunststoff-bechern für Auf-striche und Salate; auch für vom Kunden selbst mitgebrachte Verpackungen
Piccini nein nein ja Verpackung wird nicht mitgewogen
Nah & Frisch ja zur Ware hinzugerechnet nein -
Billa Feinkost ja zur Ware hinzugerechnet keine Antwort nein, da Gewicht zu vernachläs-sigen ist
Radatz ja zur Ware hinzugerechnet ja keine Antwort
Spar ja zur Ware hinzugerechnet ja nein
Berger ja zur Ware hinzu-gerechnet ja bei Papierverpackung: nein; wenn Platten belegtwerden oder der Kunde die Verpackung mitbringt:ja

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