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Weichen auf dem Bahnhof St. Petersburg
Die Weichen im Bahnverkehr müssen gestellt werden in Richtung Transparenz und Praktikabilität Bild: VMC-Group/Shutterstock

Weichenstellung im Bahnverkehr

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Anstatt über den neuerdings direkt verkehrenden Nachtzug zwischen Wien und Brüssel aus eigener Erfahrung zu berichten, musste ich mich infolge einer kurzfristigen Terminverschiebung über die Preisgestaltung und die Erschwernisse bei Zugbuchungen im internationalen Bahnverkehr sehr wundern. Ein Plädoyer für mehr Transparenz und Praktikabilität.

Zeit hat man nicht – Zeit nimmt man sich!

Was habe ich mich nicht gefreut, als ich das Einzelabteil im Schlafwagen von Brüssel nach Wien zu einem Schnäppchenpreis von 115 € gekauft habe. Leider wurde die Konferenz in Brüssel danach kurzfristig um zwei Monate verschoben. Auf einen anderen Wochentag. An dem der direkte Nachtzug nicht fährt – der bedient die Strecke nämlich in jede Richtung nur zwei Mal pro Woche. Pech? Oder Raum für Verbesserungsbedarf?

Mein Vorsatz für 2020 lautete: keine Flüge. Stichwort: Klimakrise. Also fahre ich nun von Brüssel nach Köln, damit ich dort um 22 Uhr in den Nachtzug nach Wien steigen kann. Das ist machbar. Ich trauerte lediglich dem Schlafwagenabteil nach, weil der Nachtzug aus Köln nur Liegewagen führt. Jedoch staunte ich nicht schlecht, dass das Vierer-Abteil im Liegewagen teurer war als die Fahrt im Einzelabteil im Schlafwagen. Trotzdem war die Reise hin und retour immer noch günstiger als vernünftige Flüge. Vernünftig heißt in diesem Fall: Flüge nach Brüssel und nicht zu dem über eine Stunde entfernt gelegenen Flughafen Charleroi. Ich steige ja auch mitten in Brüssel in den Zug nach Wien. Und nicht in Antwerpen.

Sicher: Um 22 Uhr könnte ich anstatt erst in Köln auch schon in Wien-Schwechat gelandet sein. In meinem burgenländischen Zuhause wäre ich dann trotzdem erst gegen Mitternacht. Was bedeutet, dass ich nach ein paar Stunden Schlaf in aller Früh schon wieder nach Wien zum nächsten Meeting zurückpendeln müsste. Da bevorzuge ich den Nachtzug, mit dem ich am nächsten Tag in der Früh in Wien ankomme. Um danach ausgeruht direkt zur Besprechung zu gehen. Die Dauer der Reise sehe ich nicht negativ. Schließlich kann ich die Zeit zum Arbeiten (z.B. Vor- oder Nachbereitung der Konferenz, Mails abarbeiten, bloggen) oder zum Entspannen bzw. Schlafen nutzen. Auch wenn es in puncto Schnelligkeit, Pünktlichkeit und Ausfallssicherheit im internationalen Reiseverkehr klarerweise noch Verbesserungen gibt, liegt meines Erachtens das primäre Problem anderswo. Nämlich im Buchungssystem. Das macht den internationalen Zugverkehr deutlich unattraktiver, als er in Wahrheit ist. Ein internationales Flugticket ist in wenigen Minuten gekauft. Für ein vergleichbares Zugticket braucht es da deutlich mehr Zeit. Und Nerven. 

Buchst du noch oder fliegst du schon?

Flugreisende kennen sie und haben die Qual der Wahl: Buchungsplattformen. Man mag sich im Tarifdschungel verlieren oder über versteckte Gebühren ärgern (KONSUMENT 10/2019). Aber zwei Vorteile bieten Buchungsplattformen: einen Überblick. Und die Möglichkeit der Direktbuchung. Wien–Brüssel via Frankfurt? Klick und gekauft. Wie erfolgreich wäre der Flugverkehr wohl, wenn dort stünde: „Ticket nur bis Frankfurt buchbar“?

Zugreisende hingegen kämpfen mit diesem Problem sehr regelmäßig. Die Info „Ticket nur für Teilstrecke“ prangt drohend neben sehr vielen internationalen Verbindungen. Im Jahr 2020 an den Schalter am Bahnhof pilgern, um ein Zugticket zu kaufen? Danke, nein. Ich gehe ja auch nicht zur Bank, um eine Auslandsüberweisung zu tätigen. Oder rufe die Vermittlung für ein Telefonat mit meiner französischen Großmutter an. Hier braucht es dringend einen Ausbau. Und zwar bitte direkt ins einundzwanzigste Jahrhundert. Europaweit, mehrsprachig, unkompliziert, transparent. Ansonsten bleibt der internationale Fernverkehr auch weiterhin ein Spielfeld für idealistische Bahnfreaks oder Hartgesottene mit einem Hang zum langen Atem. 

Gerade Transparenz ist wichtig. VielfahrerInnen haben bestimmt schon bemerkt, dass Zugtickets, z.B. nach Deutschland, in verschiedenen nationalen Ticketshops unterschiedlich viel kosten (KONSUMENT 4/2017). Für denselben Zug. Da kostet ein Ticket auf der Seite der Deutschen Bahn gleich mal zehn, zwanzig Euro weniger als auf der Seite der ÖBB. Oder umgekehrt. Es ist kein System erkennbar, im Gegenteil: Es herrscht völlige Undurchschaubarkeit. Das kann einem nur sauer aufstoßen. Hier braucht es Plattformen, die Übersicht über verschiedene Verbindungsmöglichkeiten und Tarife bieten. Inklusive direkter Buchungsmöglichkeit. Mit dem Anspruch, dass diese Plattformen auch tatsächlich die günstigsten Varianten anzeigen können. Denn jene wenigen, die es gibt, machen das augenscheinlich nicht immer.

Konkreter Preisvergleich

Hier eine Übersicht über die Preisunterschiede (Stand 21.1.2020) in verschiedenen Ticketshops für die Strecke Wien–Brüssel und retour:

Die Fahrt von Wien nach Brüssel am 24.3.2020 (Abfahrt 9:15, Ankunft: 19:26) kostet bei der ÖBB 72 €, bei der Deutschen Bahn wie auch auf einer Buchungsplattform 59,90 €.

Die Rückreise von Brüssel nach Wien am 25.3.2020 (Abfahrt um 18:34, Ankunft am nächsten Tag um 8:27) im 4er-Liegewagen kostet bei der ÖBB 130,20 €, bei der Deutschen Bahn 119,80 € und bei der Buchungsplattform 133,70 €.

Folglich wären für die Hin- und Rückfahrt bei der ÖBB ingesamt 202,20 €, bei der Deutschen Bahn 179,70 € und bei der Buchungsplattform 193,60 € zu bezahlen. 

Macht also einen Preisunterschied von 22,50 € zwischen DB und ÖBB. Die Deutsche Bahn bietet in diesem Vergleich für denselben Zug und dieselbe Leistung zwar durchwegs günstigere Preise als die ÖBB an. Das gilt aber auch nicht für jede Strecke oder Verbindung (KONSUMENT 4/2017). Und: Die Buchungsplattform bietet zwar für die Hinfahrt den günstigsten Preis – nicht aber für die Rückfahrt. Da soll also mal jemand durchblicken.

Nowhere train?

In puncto Praktikabilität und Anreiz zum Zugfahren ist im internationalen Fernverkehr doch noch sehr viel Luft nach oben. Klar, es mangelt auch an attraktiven Verbindungen - um die sich die ÖBB wie zuletzt mit dem direkten Nachtzug nach Brüssel oder dem noch kommenden nach Amsterdam jedoch bemüht. Auch sind durchaus noch Optimierungen bei der Fahrtzeit im internationalen Fernverkehr wünschenswert. Doch damit die Leute am Boden bleiben und nicht ins Flugzeug steigen, muss definitiv auch auf das Thema Tarifvereinheitlichung beim internationalen Ticketkauf gesetzt werden. Das derzeitige Buchungssystem ist ineffizient, unübersichtlich, undurchschaubar, frustrierend und zeitraubend. Kurz gesagt: ein Hemmnis.  Wer hat schon die Zeit, verschiedene Anbieter zu checken? Außerdem braucht es die Sicherheit, dass auch tatsächlich die günstigsten Tarife angezeigt werden. Und natürlich keine versteckten Gebühren lauern. Andernfalls wird der Umstieg vom Flugzeug auf die Bahn im internationalen Fernverkehr wohl ziemlich mühsam und schleppend verlaufen. Einfach deshalb, weil die Bahn nicht als das wahrgenommen wird, was sie manchmal ist - manchmal leider nur sein könnte: eine attraktive Alternative. 

Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen
Mag. Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen Bild: VKI

Im VKI-Blog schreibe ich über verschiedene Themen rund um Nachhaltigkeit. Außerdem betreue ich das Österreichische Umweltzeichen und bin Projektleiter des VKI Greenwashing-Checks. 

Raphael Fink, Nachhaltigkeitsexperte

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