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Ein Mann prüft seinen Einkauf
Bild: Gorodenkoff/Shutterstock

Gütesiegel – zweckmäßig oder sinnlos?

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Aufgrund von Vorwürfen gegen AMA und FSC stehen Labels insgesamt in der Kritik. Pauschalverurteilungen sind aber nicht unbedingt zielführend.  Gütesiegel können sinnvolle Orientierungs- und Hilfsmittel sein. 

Skandal? Skandal!

Die Aufregung um verschiedene Gütesiegel kocht wieder einmal hoch. Anlass sind aufgedeckte Missstände in einem AMA-zertifizierten Schlachtbetrieb für Geflügel und betrügerische Verdachtsmomente gegen die Holzzertifizierung FSC.

Im Zuge der sehr berechtigten Kritik in diesen beiden konkreten Fällen, wurden auch Stimmen laut, die Gütesiegel insgesamt in ein dubioses Eck stellen. „Mit Gütesiegeln werden wir getäuscht“ betitelt der STANDARD etwa den Kommentar einer Journalistin.

Differenzierung statt Diffamierung

Als Reaktion erscheint ein solcher, rundumschlagender Kommentar verständlich. Als Ansatz aber nicht zielführend. Aus Sicht der Konsument:innen sogar kontraproduktiv. Was jetzt Not tut, ist Differenzierung – nicht Diffamierung. Auf Gütesiegel sei kein Verlass, so der Tenor. Labels würden tricksen. Der Schein trügen. Alles ein Etikettenschwindel sein. Fünf Argumente gegen diese Sichtweise.

1. Kritik: unbedingt – aber keine Pauschalverurteilungen

Es lassen sich nicht alle Gütesiegel in einen Topf werfen. Nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. So gibt es unabhängige Gütesiegel, bei denen die Zertifizierung durch externe Dritte auf Basis von Kriterien erfolgt, die wissenschaftlich und methodisch fundiert zustande kommen - sowie transparent einsehbar sind. Solche sogenannten ISO Typ 1 Label, die oftmals seitens unabhängiger Stellen wie Staaten vergeben werden (wie etwa das vom VKI betreute Österreichische Umweltzeichen), können schwerlich mit unglaubwürdigen Selbstzertifizierungen, mit völlig intransparenten Auszeichnungen oder mit von Unternehmen für sich selbst erfundenen Logos, die sich Labels nennen, verglichen werden. Auch gesetzliche Zertifizierungen wie „bio“ fallen nicht in die Kategorie „unglaubwürdig“ – stehen doch strengen Anforderungen regelmäßige Kontrollen gegenüber. Es braucht also Differenzierung. Die Bandbreite im Hinblick auf Anspruchsniveau, Kontrolle und Glaubwürdigkeit ist riesig. 

2. Weniger ist mehr

Konsument:innen sehen sich demnach – leider! –  mit einer Vielzahl an Siegeln konfrontiert. Der Labeldschungel ist ein wahres Dickicht. Orientierung darin zu finden, ist für Konsument:innen nicht nur schwierig, sondern eine absolute Zumutung. Schließlich kann nicht jede:r Nachhaltigkeitsexpert:in sein. Nicht jede:r hat die Zeit und Kompetenz, die Funktionsweise und Glaubwürdigkeit eines jeden Gütesiegels zu prüfen. Das Ziel sollte daher in einem ersten Schritt sein, dass nur mehr solche Siegel am Markt sind, die erstens von unabhängiger Stelle (z.B. der Republik Österreich) und/oder zweitens durch unabhängige Dritte (externe Prüfstellen) kontrolliert werden. Die Kriterien, auf denen die jeweilige Zertifizierung beruht, müssen transparent veröffentlicht sein, das ist glasklar. Nur so können sich Konsument:innen ein Bild machen, ob die Zertifizierung den eigenen Nachhaltigkeitsansprüchen genügt. Und: die Kriterien freiwilliger Zertifizierungssysteme müssen klarerweise mehr sein als de facto die Einhaltung gesetzlicher Anforderungen (wie z.B. im Wesentlichen beim Holzlabel PEFC der Fall). Vom Markt entfernt gehören jedenfalls alle intransparenten, erfundenen oder auf Eigenzertifizierung basierenden „Labels“. Daran arbeitet übrigens aktuell die Europäische Kommission mittels zweier Gesetzesvorschläge (siehe dazu meinen Blogeintrag namens Bye Bye Greenwashing). Durch Anforderungen an Siegel wird sich die Situation für Konsument:innen in hoffentlich naher Zukunft verbessern. Auch wenn damit nicht alle Probleme im Bereich Labelling gelöst sein werden: es ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, nämlich in Richtung seriöse Glaubwürdigkeit. 

3. Anstoß einer positiven Marktdynamik

Eine Frage ist bei Zertifizierungen zentral: Sollen die Kriterien, die zu einer Zertifizierung führen, so sehr der reinen (Nachhaltigkeits-)Lehre entsprechen, dass dem Label kein Vorwurf des Greenwashings gemacht werden kann? Das birgt das Risiko, dass (fast) niemand diese Anforderungen erfüllen kann. In Schönheit gestorben, ist bekanntlich auch tot.  Oder sollten die Anforderungen derart sein, dass sie ein gewisses Segment, z.B. die Top zehn bis zwanzig Prozent des Marktes aus Nachhaltigkeitssicht, adressieren - und dadurch im besten Fall eine positive Marktdynamik auslösen? Das ist der Ansatz von Gütesiegeln wie dem Österreichischen oder Europäischen Umweltzeichen. 

Ein konkretes Praxisbeispiel: in der Vergangenheit gab es zwischen der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 und REWE mit PRO PLANET ein – mittlerweile eingestelltes - Projekt im Lebensmittelbereich. Dieses stand durchaus in der Kritik, weil der Anspruch, konventionell erzeugte Lebensmittel nachhaltiger zu machen, nicht unkritisch ist. Im Rahmen dieses Projekts wurde jedoch durchgesetzt, dass zur Erzeugung von PRO PLANET-Eiern kein gentechnisch verändertes Soja (aus Südamerika) mehr zur Erzeugung herangezogen werden darf. Im Anschluss rollte REWE diese Anforderung auf das gesamte Frische-Eier-Sortiment - unabhängig von PRO PLANET - aus. Kurz darauf folgten die anderen Lebensmitteleinzelhändler in Österreich. Ein Erfolg, denn gleich, ob biozertifizierte oder konventionelle frische Eier: kein gentechnisch verändertes Soja mehr. Kleiner Exkurs: Trotzdem importiert Österreich jährlich nach wie vor rund 550.000t gentechnisch verändertes Soja für die Nutztieraufzucht von z.B. Schweinen. Fakt ist aber auch: der Einsatz gentechnisch veränderten Sojas ist im Bio-Bereich verboten. Insofern ist "bio" hier ein sehr verlässliches und sinnvolles Gütesiegel, das große Orientierung bietet - im Gegensatz z.B. zum AMA-Gütesiegel, bei dem der Einsatz von gentechnisch verändertem Soja nicht über alle Produktgruppen hinweg so dezidiert ausgeschlossen ist und Konsument:innen, denen gentechnikfreie Fütterung und die Erhaltung des Regenwalds in Südamerika ein Anliegen ist, sich erst durch diverse AMA-Richtlinien ackern müssen. Womit wir wieder bei Äpfel und Birnen angelangt wären. 

4. Eine Welt ohne Labels

Es wäre sehr wünschenswert, auf Gütesiegel völlig zu verzichten. Das wäre denkbar, wenn strenge Gesetze alle globalen Nachhaltigkeitsprobleme, Lieferkettenherausforderungen sowie sozialen und ökologischen Aspekte adressieren und regulieren würden - von Klimaauswirkungen und Erhalt der Artenvielfalt über Schadstoffeinsatz und Ökotoxizität, Gesundheitsgefährdung und Gebrauchstauglichkeit, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit bis hin zur Berücksichtigung sozialer Aspekte. Eine Weltwirtschaft, die ohne Gütesiegel wie z.B. „bio“ auskommt - weil sie nicht mehr notwendig sind. Weil freiwillige Anforderungen in allgemein gültige Gesetze gegossen worden sind. Weil alle Lebensmittel biologisch unter Einhaltung aller Nachhaltigkeits- und Tierwohlstandards erzeugt werden. Weil konventionelle Produkte durch Internalisierung externer Kosten so teuer geworden sind, dass deren Erzeugung unrentabel geworden ist. Das wäre schön.  

Fakt ist: davon sind wir leider meilenweit entfernt. Aus Gründen, deren An- und Ausführung hier den Rahmen sprengen würde. Daran werden auch die oben erwähnten beiden Gesetzesinitiativen, ein Waldschutzgesetz oder ein Lieferkettengesetz nur wenig ändern. Was es dafür bräuchte, ist schlichtweg eine öko-soziale Transformation der globalen Wirtschaft mit gänzlich veränderten Lebensstilen und verändertem Konsumverhalten eines jeden Einzelnen, ohne Wohlstandsgewinne, z.B. im globalen Süden, zu verhindern. Wobei Wohlstand nicht mehr rein ökonomisch definiert werden dürfte, sondern vermehrt über Zufriedenheit, Gesundheit, Gerechtigkeit und Lebensqualität. Schwierig - und vor allem langwierig. Aktuell sind wir jedenfalls noch nicht so weit. 

5. Gütesiegel als Hilfsmittel

Bis es so weit ist, dass uns als Menschheit die öko-soziale Transformation inklusive Bewältigung von Klimakrise und Artensterben gelungen ist, bleiben glaubwürdige Gütesiegel eine näherungsweise gute Möglichkeit, die Spreu vom Weizen zu trennen. Gleichzeitig muss natürlich, in viel höherem Tempo als bisher und mit viel höherem Einsatz, an strengeren Gesetzen gearbeitet werden!

Anzuerkennen ist dennoch, dass beispielsweise manche Unternehmen in puncto Nachhaltigkeitsbestrebungen fortgeschrittener sind als andere. Und es nicht unlauter ist, mit Nachhaltigkeit zu werben - sofern auch wirklich Substanzielles im Wirkungsbereich des Unternehmens passiert. Gütesiegel zu verwenden, um diese begonnene Transformation oder die erreichten Umwelt- oder Nachhaltigkeitsziele auch nach außen glaubwürdig abzusichern, ist per se kein Unding. Sondern eine legitime Krücke in einem hinkenden System. 

Nachhaltige Produkte in einer nicht-nachhaltigen Welt

Sind Siegel also die Lösung? Wohl kaum. Es ist zu hinterfragen, inwieweit nachhaltiger Konsum in einem auf permanenten Wachstum sowie der Ausbeutung von natürlichen Ressourcen und Menschen basierenden Wirtschaftssystem überhaupt möglich ist. Fakt ist: In einem nachhaltigen Gesellschafts- oder Wirtschaftssystem kann es keine nicht-nachhaltigen Produkte und Dienstleistungen geben. Das liegt auf der Hand. Daran ist nicht zu rütteln. An dieser Tatsache kann auch kein Gütesiegel etwas ändern. 

Wäre die Welt aktuell aber eine bessere ohne Gütesiegel? Auch das ist fraglich - wie oben zu skizzieren versucht wurde, können Gütesiegel durchaus positive Anstöße mit sich bringen und dabei helfen, Nachhaltigkeit z.B. in Produktionsprozessen glaubwürdig zu untermauern. 

Klar ist: es braucht strengere Regeln und gesetzliche Anforderungen. Sowohl für auf Freiwilligkeit basierende Gütesiegel als auch für alle nicht zertifizierten Produkte, Dienstleistungen und Unternehmen.

Kontraproduktive Kritik

Was es eher nicht braucht: undifferenziertes Label-Bashing, eine Rundumkritik ohne Nuancen, bei der alles in einen Topf geworfen wird. Das erscheint aus Sicht der Information von Verbraucher:innen bis zu einem gewissen Grad fahrlässig: So bleibt bei durchschnittlichen Verbraucher:innen hängen, es sei eh alles wurscht, weil alles ein Schmarrn, alles gleich schlecht ist. Genau das stimmt aber nicht.

Deshalb sei an dieser Stelle für einen nuancierten Blick geworben. Klar: Nicht jeder Skandal ist ein Einzelfall, manchmal steckt dahinter tatsächlich auch ein zu bemängelndes (Zertifizierungs-)System. Daher ist die Kritik durch Medien, NGOs und kritische Konsument:innen auch so wichtig – Gütesiegel müssen sich dieser Kritik auch stellen und gegebenenfalls Kriterien und Kontrollsysteme nachschärfen. Was jedoch nicht unwidersprochen bleiben kann, ist eine Pauschalverurteilung. Jedes System kann missbraucht werden – so wie jedes Gesetz gebrochen werden kann. Doch weil Gesetze von Einzelnen gebrochen werden, käme man auch nicht auf die Idee, für Anarchie und Gesetzlosigkeit zu plädieren.

Die Forderung sollte daher auf strengere, weitgehendere Gesetze abzielen. Es braucht keine Abwälzung der Verantwortung auf Einzelne, auf Konsument:innen, denen die Tragweite ihrer Kaufentscheidung, egal ob sie dabei auf Gütesiegel setzen oder nicht, letztlich nur in geringem Maße bekannt ist - was angesichts von komplexen Lieferketten, eingeschränkten Informationen und verschiedensten Nachhaltigkeitsaspekten nicht verwundern kann! Stattdessen braucht es - neben einem neuen Verständnis von Konsum - auch bessere gesetzliche Anforderungen, die Strukturen schaffen, dass Nachhaltigkeit zum Standard, zur Norm, zum Normalen wird. Genau das ist das, was es im Gütesiegelbereich jetzt dringend braucht: gesetzlich geforderte Transparenz, Trennung der Spreu vom Weizen, verbesserte Klarheit für Konsument:innen, konstruktive Kritik – und strengere regulatorische Anforderungen im Hinblick auf ökologische und soziale Aspekte für alle Produkte und Dienstleistungen.

Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen
Mag. Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen Bild: VKI

Im VKI-Blog schreibe ich über verschiedene Themen rund um Nachhaltigkeit. Außerdem betreue ich das Österreichische Umweltzeichen und bin Projektleiter des VKI Greenwashing-Checks. 

Raphael Fink, Nachhaltigkeitsexperte

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1 Kommentar

klimaneutral - the great CO2 swindle

arno1, 7. März 2023, 21:03

Lieber Raphael,
Danke für die differenzierte Argumentation.
Ergänzen möchte ich noch "the great CO2 swindle", sehr anschaulich beschrieben von Ralf Stork:
www.spektrum.de/kolumne/storks-spezialfutter-keine-kohle-aber-konsumieren/2112558?utm
Nachdem eh schon (fast) alles "klimaneutral" ist, frage ich mich, warum wir überhaupt noch eine Klimakrise haben ☹

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