Falsche Versuchungen
Ich habe an dieser Stelle schon länger nichts mehr geschrieben – zu sehr war ich mit dem VKI Greenwashing-Check beschäftigt, grünen Werbeversprechen auf den Grund zu gehen. Im VKI beschäftigt uns Werbung von Unternehmen generell sehr stark: im KONSUMENT 12/2021 wurden etwa die Lebensmittelangebote in Flugblättern heimischer Supermärkte mit den Empfehlungen der österreichischen Ernährungspyramide verschnitten. Die Ergebnisse waren ernüchternd, die Angebote vor allem ungesund: im Zentrum der Werbung stehen Süßigkeiten, Snacks, Fleisch und Wurstwaren sowie Fette und Öle. 70% der beworbenen Produkte fielen in diese Kategorien, wiewohl sie nur gut 20 Prozent unserer Ernährung ausmachen sollten. So weit, so schlecht. Und das nicht nur aus ernährungsphysiologischer Perspektive einer gesunden, vollwertigen Ernährung. Denn besonders Fleisch und Fleischerzeugnisse, aber auch verarbeitete Produkte wie Süßigkeiten, sind mit einer Reihe an Nachhaltigkeitsproblemen verbunden.
Essen ist politisch
Klar – auch der Getreide-, Gemüse- und Obstbau hat Umweltauswirkungen, etwa durch Dünge- oder Pflanzenschutzmitteleinsatz. Klar ist aber auch, dass es Anbauweisen und Erzeugungsstandards gibt, welche die Umweltauswirkungen der Lebensmittelproduktion drastisch reduzieren – wie etwa der Biolandbau, wo zum Beispiel eine weite Reihe chemisch-synthetischer Pflanzenschutz- sowie mineralischer Düngemittel verboten sind. Damit wird im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft ein positiver Beitrag im Hinblick auf Verlust der Artenvielfalt und Klimakrise geleistet.
Natürlich gibt es auch möglichst nachhaltig erzeugte Snacks oder Süßigkeiten. Aber generell kann festgehalten werden, dass verarbeitete Produkte, die zudem in engem Zusammenhang mit globalen Lieferketten stehen, oft eine Reihe wiederkehrender Probleme mit sich führen. Man denke zum Beispiel an Palmöl, das sich oft in Süßigkeiten findet. Zum Anbau der Ölpalmen wird Regenwald gerodet. Damit schreitet nicht nur der Verlust der Artenvielfalt voran und wird oft die lokale indigene Bevölkerung ihrer Lebensgrundlage beraubt, sondern durch die Brandrodung werden immense Mengen an CO2 freigesetzt. Auch der Anbau alternativer Pflanzen wie etwa Kokospalmen löst das Problem nicht – infolge eines niedrigeren Ertrags pro Fläche würde für deren Anbau noch mehr Regenwald gerodet werden müssen. Die Lösung: weniger hochverarbeitete Lebensmittel, wie etwa gewisse Süßigkeiten und Snacks, essen.
Oder man denke an die Fleischproduktion. Die steht nicht nur infolge ihrer Treibhausgasemissionen in Verruf, die sich je nach Fleischart unterscheiden - so hat etwa Rindfleisch eine besonders schlechte Treibhausgasbilanz. Die konventionelle Massentierhaltung ist auch wegen der Haltungs- und Tierwohlbedingungen in der Kritik, Stichwort Vollspaltenböden in der Schweinezucht. Durch die Ammoniakfreisetzung ist die Fleischproduktion zudem relevant im Hinblick auf Feinstaubemissionen. Auch Bodenerosion und der hohe Wasserverbrauch sind Thema. Für die Fütterung der Nutztiere wird im konventionellen Bereich oft gentechnisch verändertes Soja aus Südamerika verwendet, Regenwaldrodung inklusive. Übrigens auch in Österreich: 500.000 Tonnen Sojaschrot werden jährlich zur Tierfütterung importiert (LKO). Eine biologische Erzeugung reduziert hier durch gewisse Verbote und Haltungsbedingungen die Umweltauswirkungen zwar deutlich – aber auch Biofleisch kann deshalb nicht einfach automatisch als nachhaltig und ökologisch völlig unbedenklich bezeichnet werden. Denn gerade die Fleischproduktion verdeutlicht, dass der Konsum eine zentrale Größe ist. Ein Fleischverbrauch von über 1 Kilogramm pro Kopf und Woche, wie in Österreich, ist zwangsläufig mit negativen Umweltauswirkungen assoziiert, mal mehr (konventionelle Erzeugung), mal weniger (bio). Das liegt auch daran, dass 71% der globalen Ackerflächen zum Anbau von Futtermitteln zur Nutztierhaltung dienen (z.B. Soja oder Mais) - zum Vergleich: nur 18% sind dem Anbau von Lebensmitteln zuzuordnen (Quelle). Der Flächenverbrauch der Nutztierhaltung und somit zur Erzeugung tierischer Produkte ist demnach grob gesprochen mehr als drei Mal so hoch als der Anbau von Reis, Getreide, Gemüse und Obst zum menschlichen Verzehr (Hinweis: bei diesen Zahlen geht es um Ackerflächen - Weidehaltung, bei der z.B. Rinder für den Menschen nicht verwertbares Grünland beweiden und in verzehrbare Produkte (Milch, Fleisch, etc.) "umwandeln", stellt wieder einen anders gelagerten Fall dar - mit anderen Vorteilen, Potenzialen und Risiken).
Umweltauswirkungen von Ernährungsweisen
Unsere Ernährungsweise hat also massive Auswirkungen – positiv wie negativ. Die globale Nahrungsmittelproduktion hat maßgeblichen Anteil an jenen Herausforderungen, mit denen wir uns heute konfrontiert sehen: Klimakrise, Verlust der Artenvielfalt oder Übernutzung natürlicher Ressourcen, eine hohe Nitratbelastung von Gewässern. Global betrachtet verursacht die Herstellung von Lebensmitteln 30% der weltweiten Treibhausgasemissionen und ist für 70% des Frischwasserverbrauchs verantwortlich (TheLancet 1). Daher ist Lebensmittelverschwendung auch ein so großes Problem (siehe dazu meinen Blogbeitrag).
Jedenfalls hat die Art und Weise wie wir uns ernähren, große negative Effekte – bietet aber auch großes Potenzial für Verbesserungen. Eine Vielzahl von Studien geht der Frage nach, welche Potenziale verschiedene Ernährungsstile im Hinblick auf positive Nachhaltigkeitseffekte aufweisen. Allgemein kann festgehalten werden (TheLancet 2):
- Negative Umwelteffekte reduzieren sich durch einen Ersatz tierischer Produkte (Fleisch, Wurstwaren, Milchprodukte) durch pflanzliche und pflanzenbasierte Lebensmittelangebote
- Ernährungsstile, die Fleisch von Wiederkäuern (z.B. Rindern, Schafe, Ziege) durch Fisch, Schweine- oder Hühnerfleisch ersetzen, zeigen ebenfalls Verbesserungen bezüglich der negativen Umweltauswirkungen – wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß als vegetarische oder vegane Ernährungsweisen
- Ökologische Alternativen bringen eine Verringerung der Umweltbelastung mit sich, zum Beispiel ist Milch aus biologischer Weidehaltung deutlich weniger ressourcenintensiv als Milch aus intensiver, konventioneller Stallhaltung (Quelle: Ernährungsumschau)
- Ein Mensch isst durchschnittlich 500 Kilogramm Lebensmittel im Jahr und verursacht damit rund zwei Tonnen Treibhausgasemissionen – rund 40% der Emissionen gehen dabei nur zulasten von Fleisch und Fleischerzeugnissen (Quelle).
Eine Studie der Johns-Hopkins Universität (Quelle) in Baltimore aus dem Jahr 2019 vergleicht die Reduktionspotenziale alternativer Ernährungsweisen im Vergleich zu durchschnittlichen Ernährungsstilen wohlhabender OECD-Länder: Dabei zeigt sich (wie in anderen ähnlichen Studien auch), dass bereits ein fleischfreier Tag pro Woche sowohl den Wasserverbrauch als auch die Treibhausgasemissionen um 4 Prozent im Jahr reduziert. Generell gilt: Je pflanzenbasierter die Ernährung, desto höher die Reduktionspotenziale im Hinblick auf negative Umweltauswirkungen. Wer seine Ernährung etwa zu zwei Drittel vegan gestaltet, reduziert die ernährungsbedingten Treibhausgasemissionen um beinahe die Hälfte. Ein rein veganer Ernährungsstil bringt sogar eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um bis zu vier Fünftel mit sich. Aber auch wer auf Fleisch verzichtet, auf Fisch aber nicht, kann seinen persönlichen CO2-Fußabdruck noch um 40 Prozent reduzieren.
Resümee
Zurück zu den vom VKI untersuchten Flugblättern: eine überproportionale Bewerbung von Fleisch und Fleischprodukten ist nicht nur aus ernährungsphysiologischer Perspektive kritisch zu sehen. Mit derlei Angeboten wird auch eine nachhaltige oder nachhaltigere Ernährungsweise in keinster Weise gefördert. Und dementsprechend die Klimakrise befeuert – und auch andere negative Umweltauswirkungen wie das Voranschreiten des Artenverlusts beschleunigt.
In unserer ganz persönlichen Ernährungsweise liegt viel Potenzial zur Lösung globaler Herausforderungen. Jeder Beitrag zählt – niemand muss von heute auf morgen vegan leben. Bereits eine Reduktion von Fleisch und Milchprodukten bewirkt etwas – und tut nicht nur der Umwelt gut, sondern ist auch der eigenen Gesundheit zuträglich. Wer zudem zu biologisch erzeugten Produkten greift, verstärkt diesen positiven Nachhaltigkeitsaspekt maßgeblich.
Also am besten: die Flugblätter der Supermärkte links liegen lassen und ignorieren – oder aus Nachhaltigkeitssicht natürlich noch besser: Ressourcen schonen und erst gar nicht zulassen, dass sie im eigenen Postkasten landen (siehe dazu diesen Blogbeitrag).
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