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Lebensmittelabfall (Gemüse und Brot)
Zu viele noch essbare Lebensmittel landen im Abfall. Bild: Fink/VKI

Teller statt Tonne

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Lebensmittel im Wert von über einer Milliarde Euro landen hierzulande Jahr für Jahr im Müll. Ein Schlüssel zur Reduktion sind Haushalte und Konsumenten – aber nicht nur. Ein Plädoyer für verwendeten statt verschwenden. 

Tag der Lebensmittelverschwendung

Am 2. Mai ist Tag der Lebensmittelverschwendung – rein rechnerisch wandern alle bis zu diesem Tag erzeugten Lebensmittel in den Abfall. Jährlich landen in jedem österreichischen Haushalt Lebensmittel im Wert von 300 € bis 400 € im Müll (Quelle: BOKU).

Essen wegwerfen – das sehen wohl viele von uns gerade in Zeiten wie diesen vielleicht noch kritischer als zuvor. Wenn das Gefühl des Überflusses und der permanenten Verfügbarkeit infolge Geschäftsschließungen, Ausgangsbeschränkungen und Hamsterkäufen bedroht ist, sinkt wahrscheinlich auch die Achtlosigkeit, mit der Essbares in den Müll geworfen wird.

Haushalte als Schlüssel zur Reduktion

Rund die Hälfte aller vermeidbaren Lebensmittelabfälle fällt in Haushalten an (WWF Infoblatt). Aus diesem Grund gibt es eine Reihe von Tipps, wie die jährliche Menge von österreichweit rund 600.000 Tonnen an Lebensmittelabfällen reduziert werden kann (KONSUMENT 8/2019), darunter zum Beispiel:

  • Einkaufsliste schreiben – nicht hungrig einkaufen gehen
  • Mengenrabatt-Aktionen wie „1+1 gratis“ meiden, sofern kein tatsächlicher Bedarf an erhöhter Menge besteht
  • Menüplan erstellen – im Zuge dessen prüfen, was noch an Lebensmitteln vorhanden ist und wie diese verarbeitet oder haltbar gemacht werden können
  • Auf die prinzipiell richtige Lagerung achten (siehe Übersicht der Umweltberatung)
  • Beim Einräumen: nach Mindesthaltbarkeit und allgemeinen Kriterien (z.B. Obst oder Gemüse) schlichten; Credo: first in, first out
  • Kreativ werden und „Restlessen“ kochen (z.B. mit Unterstützung von Online-Tools der Umweltberatung oder von Restegourmet)

Selbes Problem – verschiedene Ursachen

Lebensmittelverschwendung ist jedoch nicht nur das verdorbene Gemüse im Eiskasten zu Hause. Oder das trockene Brot, das achtlos in den Müll wandert. Das nicht gänzlich aufgegessene Mittagsmahl von vorgestern. In Industrieländern werden Lebensmittel tatsächlich eher verschwendet, indem sie in den Müll geworfen werden. Oder gar nicht erst in den Handel gelangen, weil sie „der Norm“ nicht entsprechen. In ärmeren Regionen der Welt fallen die Verluste eher in der Produktion an, etwa infolge von Dürren – oder wegen Problemen bei der Lagerung. Global betrachtet braucht es also sehr unterschiedliche Lösungen.

Hierzulande geht es jedenfalls auch darum, wie es um unsere Wissen bestellt ist – und um unser Bewusstsein, was es in einer Welt mit über 800 Millionen Hungernden bedeutet, Essbares in den Abfall zu werfen. Aus diesem Grund ist der im aktuellen Regierungsprogramm angekündigte Schulversuch mit dem Schulfach Lebensmittelkompetenz sowie die Absicht, dieses Thema auch in der Ausbildung der Lehrkräfte zu verankern, sehr sinnvoll.

Ein Blick auf die Wertschöpfungskette

Wenngleich Haushalte eine tragende Rolle beim Thema Lebensmittelverschwendung in Österreich haben, spielen auch Faktoren eine Rolle, die über die Verantwortung des Einzelnen hinausgehen.

Lebensmittelverschwendung hat auch damit zu tun, wie unser Alltag organisiert ist und wie viel Zeit wir zur Verfügung haben. Wie unsere Lebensweise aussieht (z.B. eine steigende Zahl an Single-Haushalten) – und wie der Handel darauf reagiert (Stichwort Portionsgrößen). Welche Bedürfnisse gestillt werden wollen – die wir ohne Werbung vielleicht gar nicht gehabt hätten.

Ein zentraler Akteur in diesem Gefüge ist jedenfalls der Lebensmitteleinzelhandel. Dieser hat nicht nur Einfluss auf das, was in der Herstellung geschieht, sondern auch auf das Geschehen bei den Konsumenten zu Hause.

Lebensmittelverschwendung beginnt am Feld des Bauern. Der zum Beispiel einen Teil seines Obstes, seines Gemüses nicht an die großen Lebensmittelhändler verkaufen kann – weil es deren „Qualitätsstandards“ nicht erfüllt. Weil also der Krautkopf zu groß, der Apfel zu klein, die Karotte zu krumm ist. Das hat viel weniger mit Qualität zu tun als vielmehr mit Marketing.

Der Effekt: Tonnen genießbarer Lebensmitteln wandern Jahr für Jahr in Biogas- oder Kompostanlagen, in die Tierverfütterung oder werden wieder eingeackert – weil der Lebensmitteleinzelhandel deren Annahme mit der Argumentation, diese würden in Form und Aussehen nicht den Erwartungen entsprechen, verweigert.

Auf der Ware – und den Kosten – bleiben die Landwirte sitzen. Daran ändern übrigens auch Aktionen nichts, bei denen Lebensmittelhändler derartige Ware preisgünstig zum Verkauf bringen – solche Aktionen sind weniger eine Lösung des hausgemachten Problems als vielmehr der Versuch, das Image öko-sozialer Unternehmensverantwortung aufzupolieren. Offensichtlich, wer die „besonders günstigen Preise“ tragen muss. 

Im Handel direkt fallen nur wenige Prozent der landesweiten Lebensmittelabfälle an – doch auch hier stellt sich die Frage, ob es wirklich bis Ladenschluss mit frischem Obst, Gemüse und Gebäck prall gefüllte Regale braucht.

Auch für die Zeit nach dem Einkauf trägt der Lebensmitteleinzelhandel Mitverantwortung: Mittels Aktionen (z.B. „1+1 gratis“) wird man animiert, mehr zu kaufen als man tatsächlich braucht. Viele Produktgrößen sind zudem nicht angepasst an die Lebensrealität vieler Menschen – Singles würden sich über kleine Krautköpfe vielleicht freuen. Aber: Das heißt nicht, dass Kleinverpackungen wünschenswert sind, die aus Ressourcenperspektive viele Nachteile mit sich bringen (siehe: Das Gackerl mit dem Sackerl).

Das MHD oder: in drei Tagen bist du tot

Offen bleibt auch die Frage, inwieweit das Mindeshaltbarkeitsdatum (MHD) einen Beitrag zu Lebensmittelverschwendung leistet. Das MHD ist kein „Ablaufdatum“, kein Verfallsdatum und erst recht kein Wegwerfdatum (BMLRT). Es bedeutet lediglich, dass ein ungeöffnetes Produkt bei sachgemäßer Lagerung seine spezifischen Eigenschaften bis zu diesem Datum beibehält – also bei sachgemäßer Lagerung in Ordnung sein muss. Letztlich ist das MHD wie eine Garantie bei Gebrauchsgütern zu sehen – und wer entsorgt etwa schon sein TV-Gerät, nur weil die Garantie erloschen ist?

Hier zahlt es sich aus, sich auf seine Sinne zu verlassen. Sehen, riechen, schmecken – die meisten verdorbenen Lebensmittel erkennt man, wenn man seinen Hausverstand einschaltet.

Anders gelagert ist dies beim Verbrauchsdatum („zu verbrauchen bis“) für sehr leicht verderbliche Ware (KONSUMENT 4/2016) wie Frischfleisch oder -fisch. Hier gilt, dass ein Produkt, dessen Verbrauchsdatum überschritten wurde, nicht mehr als sicher anzusehen ist und nicht mehr verzehrt werden sollte.

Lebensmittelverschwendung = Umweltsünde

Auf jeden Fall ist Lebensmittelverschwendung für Umwelt und Klima schlecht – weil mit jedem weggeworfenen Lebensmittel Treibhausgase, die bei Produktion und Transport anfallen, sinnlos in die Atmosphäre gelangt sind. Und unnötigerweise Ressourcen (wie Wasser, Dünger, Pestizide, Energie etc.) eingesetzt wurden. Das ist umso problematischer, je treibhausgas- oder ressourcenintensiver die Herstellung eines Produkts ist. Besonders schlecht ist die „Wegwerfbilanz“ etwa bei Fleisch sowie Fleisch- und Milchprodukten (Umweltberatung). Auch energieintensiv erzeugtes asaisonales Gemüse (wie z.B. Tomaten im Winter) sollte daher nicht achtlos weggeworfen werden.

Wäre Lebensmittelverschwendung übrigens ein Land, so wäre es nach China und den USA der drittgrößte Klimasünder der Welt - 3,3 Milliarden Tonnen Treibhausgase gehen weltweit auf das Konto verlustig gegangener Lebensmittel.

Lebensmittelrettung als Ausweg

Die eingangs genannten Tipps zu berücksichtigen, ist sicher ein guter Ansatz, um Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Umsicht an den Tag zu legen, sowohl bei der Planung als auch beim Einkauf und bei der Lagerung der Lebensmittel, kann sowieso nie schaden. Seinen Sinnen zu vertrauen, ist auch kein Fehler.

Vielleicht kann man sich auch überlegen, den Lebensmitteleinzelhandel ein Stück weit zu umgehen – und zum Beispiel sein Obst und Gemüse direkt von Landwirten kaufen (z.B. ab Hof oder via Gemüse-/Biokistl). So bekommt man auch einmal eine krumme Karotte zu Gesicht – und erlebt, dass auch eine solche schmeckt.

Auch könnte man selbst aktive/r LebensmittelretterIn werden, indem man bei Foodsharing-Initiativen mitmacht – mittlerweile gibt es hier auch Apps wie z.B. Too Good to Go (siehe dazu den Erfahrungsbericht meiner Kollegin), die einem das Essenretten deutlich erleichtern.

Klarerweise braucht es aber die Tatkraft vonseiten Politik und Wirtschaft, damit Lebensmittelverschwendung reduziert und somit ein wesentlicher Beitrag zu Umweltschutz geleistet wird. Daher ist der im aktuellen Regierungsprogramm genannte „Aktionsplan gegen Lebensmittelverschwendung über die gesamte Wertschöpfungskette“ hinweg in Verbindung mit einem Entsorgungsverbot genusstauglicher Lebensmittel (wie in Frankreich) ausdrücklich zu begrüßen. Aber erst die Zeit wird zeigen, ob Maßnahmen umgesetzt werden – und diese die erhoffte Reduktion von Lebensmittelabfall mit sich bringen. Damit der Tag der Lebensmittelverschwendung in Zukunft nicht mehr im Mai ist – sondern viel früher im Jahr.

Weiterführende Links

Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen
Mag. Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen Bild: VKI

Im VKI-Blog schreibe ich über verschiedene Themen rund um Nachhaltigkeit. Außerdem betreue ich das Österreichische Umweltzeichen und bin Projektleiter des VKI Greenwashing-Checks. 

Raphael Fink, Nachhaltigkeitsexperte

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