Es ist das eine, wenn Unternehmen bei Marketing-Kampagnen die Wahrheit beugen. Schlimm genug. Wenn das Ganze auf Kinder abzielt, bekommt es aber noch einmal eine andere Dimension. Letzteres wirft eine Konsumentin Wien Energie vor. Das kommt so: Die Leserin, die lieber anonym bleiben will, schreibt mir: „Wir haben ein Kinder-Pixi-Buch von Wien Energie, in dem ein freundlicher Mitarbeiter den Kindern erklärt, dass die Fernwärme in Wien durch Müllverbrennung in der Spittelau entsteht.“
Fernwärme: Märchenstunde bei Wien Energie
ÖKO.LOGISCH
Mit einem Pixi-Buch versucht Wien Energie, die Müllverbrennungsanlage Spittelau kindgerecht zu beschreiben. Was nach der Lektüre aber ebenfalls hängen bleibt: Das Wiener Fernwärmesystem wird falsch erklärt. Von Gas als Haupt-Wärmequelle ist im Pixi-Buch nichts zu lesen. Das ärgert nicht nur mich.
Im KONSUMENT-Magazin und -Blog schreibe ich über Themen im weiten Feld der Nachhaltigkeit. Die Kolumne nennt sich ÖKO.LOGISCH.
Markus Stingl, Redakteur
Bei Ista und Wien Energie nachgefragt
Dieses „Märchen“ würde sie ihren Kindern immer noch erzählen, wenn sie nicht im Zusammenhang mit einer Fernwärme-Preiserhöhung nachgefragt hätte. Und zwar bei ihrer Hausverwaltung, bei dem für ihr Haus zuständigen Dienstleister Ista und bei Wien Energie selbst. Die Konsumentin wollte mit ihrem Pixi-Buch-Wissen auftrumpfen und nachbohren, wie es denn zusammenpasse, dass mit gestiegenen Preisen am Energie-Beschaffungsmarkt argumentiert werde, wo doch Fernwärme in Wien ausschließlich aus der Verbrennung von Müll gewonnen werde.
Tja, stimmt nicht, wurde sie belehrt. Und tatsächlich – wie KONSUMENT von Wien Energie bestätigt bekam, wird die Fernwärme in Wien zu rund 50 Prozent unter Einsatz von Erdgas produziert. Die andere Hälfte stammt aus industrieller Abwärme (also im Wesentlichen wieder aus Gas) und aus Müllverbrennung.
Mit Halbwahrheiten abgespeist
Die Leserin hat nun das Gefühl, mit Halbwahrheiten abgespeist zu werden. Das ist, aus meiner Sicht, noch vornehm formuliert. Es ist schon mehr als dreist, Kinder mittels Pixi-Buch so eine Fake-News-Geschichte aufzutischen. Es erinnert mich ein wenig an ein von der AMA herausgebrachtes Kinderbuch, das 2017 die Emotionen hochkochen ließ. Weil es die Fleischproduktion an sich und die Schlachtung im Speziellen verharmloste, stoppte der Werberat die weitere Verbreitung des Buches.
Stellungnahme von Wien Energie
Ich habe Wien Energie um eine Stellungnahme gebeten. Die Müllverbrennungsanlage Spittelau leiste einen wesentlichen Anteil zur Fernwärmeerzeugung, heißt es da. Aber die Spittelau sei, wie ich richtig anmerke, nur eine von mehreren Wärmequellen, die ins Wiener Fernwärmenetz einspeisen. Eigentlich müsste man, so auch die Einsicht von Wien Energie, zwischen „Was passiert in der Spittelau?“ und „Wie erzeugen wir Fernwärme?“ unterscheiden. Das werde man bei einer Neuproduktion des Pixi-Buches im Hinterkopf behalten.
Immerhin. Leider schwenkt das Unternehmen in weiterer Folge wieder etwas um, wenn es mir schreibt: „Wobei wir das nicht als Irreführung sehen, denn wir wollten mit dem Buch ja einen Blick hinter die Fassade der Müllverbrennungslage Spittelau bieten und eigentlich nicht das komplette Funktionieren der Fernwärme erklären. Auf 24 Seiten-Pixi-Buch ist es nicht möglich, einen so komplexen Prozess komplett und kindgerecht darzustellen.“ Ganz ehrlich, liebes Wien-Energie-Team: Doch, ist es. Indem man mit offenen Karten spielt und nicht verklausuliert behauptet: Fernwärme in Wien = Spittelau.
Transparenz, bitte!
Faktum ist, dass nicht nur Kinder beim Thema Fernwärme von Wien Energie mit Halbwahrheiten abgespeist werden. Auch der interessierte Erwachsene bekommt auf der Unternehmenshomepage wenig Erhellendes geliefert. Mehrfach liest man im Zusammenhang mit der Fernwärme Wien das Wort „umweltfreundlich“. Von jährlichen CO2-Einsparungen in Millionenhöhe ist die Rede – im Vergleich womit, wird aber nicht verraten. Immerhin wird nicht gänzlich verschwiegen, dass Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zur Anwendung kommen. Wie diese Anlagen funktionieren, darüber schweigt man sich wiederum aus.
„Grüne Wärme Fernwärme“
Den Begriff Gas, diesen Game Changer von einem Wort, sucht man vergeblich. Klar, Gas steht dem seit Jahren gepflegten grünen Image der Fernwärme Wien entgegen. „Grüne Wärme Fernwärme“ ist ein zwar älterer, aber immer noch präsenter Werbeslogan, den man auch heute auf Plaketten, angebracht auf vielen Häusern in Wien, lesen kann.
Den Kunden die Wahrheit zumuten
Also bitte, liebes Team von Wien Energie: Gerade in Zeiten wie diesen muss den Konsumentinnen und Konsumenten die Wahrheit zugemutet und klar kommuniziert werden, welche Primärenergiequellen für die Produktion der Fernwärme in Wien verwendet werden. So viel Transparenz muss sein, nicht nur beim Kinderbuch.
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