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Eine Straße mit Autos, Fußgängern, Radfahrern. Eine sogenannte "Begegnungszone".
Begegnungszone: Alle haben Platz! Bild: Dermutz/VKI

Private Elektroautos schränken die Mobilität ein

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Es wäre so schön - wir tauschen den Motor und alles wird gut. Leider, leider - mit der massiven Nutzung von e-Autos alleine werden wir weder die Klimaziele im Verkehr erreichen noch die Umwelt- und Gesundheitskrise lösen. Der einseitige Blick auf die (private) Elektromobilität verstellt die Sicht auf eine bessere Zukunft. Ideen für mehr Lebensqualität in Stadt und Land.

Die Ursachen für die massive Automobilität sind vielfältig 

Der Straßenausbau (Österreich hat eines der dichtesten Straßennetze in Europa), Förderungen von Einfamilienhäusern plus Pendlerpauschale, Einkaufszentren am Ortsrand, das „Zusperren des Landes“ (Lebensmittelhändler, Wirtshäuser, Gerichte …), Freizeitverkehr, die Übernahme von „externen Kosten“ durch die Allgemeinheit (u.a. Luftschadstoffe, Lärm, Unfallkosten, Bodenversiegelung) und nicht zuletzt das Wirtschaftswachstum sind wesentliche Ursachen für immer mehr KFZ-Verkehr.

Im Gegenzug wurde der öffentliche Verkehr lange Zeit ausgedünnt und das Parken war gratis (Kurzparkzonen gab es in Wien ab 1993), ja Fußgänger mussten manchmal durch Unterführungen sogar unter die Erde, um Platz für Autos zu schaffen. Inflationsbereinigt wurde z.B. Benzin im Lauf der Jahrzehnte kaum teurer (Anmerkung 2022: heuer ist das anders) - allerdings wurden für Viele die Löhne geringer, daher müssen Umweltschutz und Soziales gemeinsam gedacht werden!

Die Reize verschiedener Mobilitätsarten

Arno Dermutz auf einem Fahrrad
Das schönste Cabrio der Welt. 😉 Bild: Celina Lanc, Dermutz/VKI

Und schließlich ist das Automobil mitunter praktisch - ein Fahrrad allerdings auch: gesund, flexibel, schnell bei kurzen Wegen, die Einkaufstasche trägt das Rad. Ich radle im Alltag meistens mit dem „Cabrio“ zur Arbeit oder zum Einkaufen, in der Freizeit oder öfters auch im Urlaub. Manchmal bin ich zu Fuß und/oder mit den Öffis unterwegs – dennoch als Mitfahrer erliege ich hin und wieder den Reizen der automobilen Fortbewegung.

Über den Sinn von Mobilität und die Folgen nachdenken

Durch immer mehr Konsum sowie den Versandhandel wächst zudem der Wirtschaftsverkehr - insbesondere auf der Straße. Der Verkehr trägt in Österreich etwa zu einem Drittel zur negativen CO2 -Bilanz bei und hier gab es bisher keine Erfolge. Und jetzt brennt quasi der Hut (wie wir in Österreich sagen) oder das Haus (wie Greta Thunberg meint).

Wenn wir eine bessere Zukunft für alle wollen, müssen wir darüber nachdenken, was der Zweck von Mobilität ist und, ob es andere Lösungen gibt anstatt das „fossile KFZ“ zu ersetzen und damit alte Gewohnheiten um jeden Preis zu retten. Und wir sollten u.a. Biodiversität, Gesundheitsvorsorge und soziale Aspekte mit bedenken, z.B. den Beschäftigten in der Auto(zuliefer)industrie andere Arbeit ermöglichen.

Sie haben sicher jede Menge weitere Ideen dazu und schreiben mir diese per Kommentar …

Gerade am Land …

müssen Verkehrsplaner auch die Perspektive von Menschen ohne KFZ einnehmen, die kein Auto haben, weil sie zu alt oder zu jung sind oder kein Geld dafür haben, oder die einfach keines wollen.

Ein Mix intelligenter Lösungen kann eine zukunftsorientierte Mobilität unterstützen, u.a.:

  • Mikro-ÖV ausbauen für eine bedarfsorientierte Mobilität wie „Gmoabus“, Ruf- oder Sammeltaxis.
  • Multimodale Sharing-Angebote ausbauen, also Schnittstellen, an denen Öffentlicher Verkehr und Mobilitätsdienstleistungen wie etwa Car- und Bikesharing oder Taxi zusammentreffen.
  • Die Kombination von Bahn und Rad fördern (Stellplätze an Bahnhöfen und in den Zügen, einfaches Ticketing).
  • Taktverkehr für Bus und Bahn österreichweit einführen.
  • Fahrgemeinschaften unterstützen (nach der Pandemie).

Und wer sagt denn, dass die Leute am Land zum nächsten Supermarkt, zum nächsten Buchladen oder ins Wirtshaus drei Orte weiterfahren müssen, um ihre Bedürfnisse erfüllen zu können? Wie wäre es denn mit einem fahrenden Greißler, einem Schuster mit „Pickup-Service“, einem Bezirksgerichtstag vor Ort, mit einem Bücherbus, einer rollenden Rock- und Theaterbühne, einem Pop-Up Heurigen oder Streetfood mit Schanigarten?

Solche Aktivitäten, die ganzen Dörfern und Gemeinden dienen, sollten eher gefördert werden als die individuelle Mobilität. Und wer weiß, vielleicht wird das Interesse an manchen Angeboten so groß, dass sich wieder Händler oder Gastgewerbe im Ort ansiedeln. So wie man Flüsse renaturiert werden quasi auch Gemeinden oder Grätzeln wieder reanimiert, ein Leben wie früher - mit kurzen Wegen.

In der Stadt braucht es

ebenso aus sozialen Gründen platzsparende Mobilitätsarten. Damit im öffentlichen Raum ein „zweites, klimatisiertes Wohnzimmer“ entstehen kann, für Leute, die in engen stickigen Wohnungen leben müssen, die keinen Balkon, keinen Garten, kein Haus am Land haben, das sich nicht leisten können.

Mobilitätsgutscheine oder Steuergutschriften als Bonus 

Für eine zukunftstaugliche Mobilität könnte es Gutscheine geben (z.B. in der Gesamthöhe einer Öffi-Jahreskarte oder eines Österreich-Tickets), die je nach persönlichem Gusto für Wanderschuhe, Schuhreparatur oder Fahrräder und deren Reparatur, für Öffis, e-Taxis oder e-Carsharing verwendet werden können. Oder man bekommt durch Einreichen von Rechnungen für o.g. Zwecke eine Steuergutschrift bis zu einer gewissen Höhe.

Das Elektroauto als Beschleuniger der Klimaerhitzung?

Die Diskussion über das e-Auto beginnt meist beim Stromverbrauch und wie sauber dieser ist (siehe weiter unten). Mit Kohle- oder Atomstrom ist das eher nix. Allerdings haben die Fahrzeuge schon jede Menge Energie bei der Produktion verbraucht ehe auch nur ein einziger km gefahren wurde! – das inklusive den Material- und Ressourcenverbrauch (z.B. auch Frischwasser) nennt man „ökologischer Rucksack“.

Je nach Größe des Fahrzeugs, der Nutzungsdauer und des Besetzungsgrades kann bis zu einem Drittel der CO2-Äquivalente pro Personenkilometer aus der Herstellung stammen (Ökobilanz der UNI Trier 2020, Grafik Seite 23 – diese Grafik zeigt auch, dass die Benutzung eines Busses meist klimaschonender ist als die Benutzung eines PKWs).

Im aktuellen Konsument-Artikel zur Ökobilanz von e-Autos und von Batterien erfahren Sie weitere Details zu diesem Thema.

Es sind außerdem Bumerang-Effekte („Rebound“) zu befürchten, welche die schönen Prognosen der „Klimarettung“ im Verkehrsbereich trüben (siehe auch: „Mit dem Elektroauto in die Sackgasse“):

  1. Finanzieller Bumerang: weil der Betrieb so günstig ist fahre ich gleich „ein paar“ km mehr – das könnte bis zu zwei- oder dreimal so viel sein.
  2. Funktionaler Bumerang: wegen der geringeren Reichweite werden e-Autos gerne auch als Zweitwagen und nicht immer als Ersatz angeschafft oder für den Alltag überdimensioniert gekauft.
  3. Mentaler Bumerang: das E-Auto fährt so sauber, dass ich keine Öffis mehr brauche (in Norwegen kann man diesen Verlagerungseffekt von Öffis retour zum e-Auto gut beobachten).
  4. Regulatorischer Bumerang: weil e-Autos als „Null-Emissionsfahrzeuge“ gelten, können dadurch mehr SUVs gebaut werden (mit fossilem oder elektrischem Antrieb).

Probier´s mal mit Gemütlichkeit

Gemäß dem Autor des oben zitieren Buches, Winfried Wolf, könnte man mit 2 Maßnahmen mit der bestehen Fahrzeugflotte (!) denselben CO2-Einspareffekt erreichen:
Tempo 80/100 (auf Landstraße/Autobahn) und windschlüpfrige Autos. Erinnern Sie sich noch an die Zeit als Autos mit niedrigen CW-Wert (Luftwiderstandsbeiwert) unterwegs waren und nicht möbelkastenähnliche Gefährte. Tempo 30 in der Stadt spart außerdem bis zu 50% Platz für Fahrbahnen und es hilft, Unfallfolgen und Lärm zu verringern.

7 weitere Probleme mit einer Automobilität ohne Verbrennungsmotor

Elektro- oder Wasserstoffautos helfen insbesondere in der Stadt Luftschadstoffe wie Stickstoffdioxid (siehe auch Gesundheitsgefahr Luftschadstoffe) sowie bis etwa 30 km/h Lärmemissionen zu vermeiden – das ist gut und wichtig. Da die meisten gesundheitlichen, ökologischen und sozialen Probleme bestehen bleiben, sollten wir keinesfalls alle Autos 1:1 durch KFZ ohne Verbrennungsmotor ersetzen:

  1. Der Feinstaubanteil des Autoverkehrs bleibt nahezu unverändert, obwohl der Anteil aus Verbrennungsmotoren gesunken ist. Der Anteil des Verkehrs am Feinstaub macht etwa 25% aus und entsteht vor allem durch Reifen- und Bremsabrieb.
    Autoreifen sind zudem eine Hauptquelle für Mikroplastik und das Abbauprodukt einer derzeit für Reifen eingesetzten Chemikalie ist hochgiftig für Fische.
  2. Ab etwa 30 km/h wird das Reifen-Fahrbahn-Geräusch dominant: Die Wohnbevölkerung an stark befahrenden Straßen mit höherem Tempo leidet weiterhin an den Lärmemissionen.
  3. Wir bewegen uns zu wenig! Das „Gewicht der Bevölkerung“, der „kollektive Body-Mass-Index“ steigt (auch durch Überernährung und wegen Corona). Dabei bietet „aktive Mobilität“ viele Vorteile gerade für Schüler oder Büromenschen. Wer zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs ist, entlastet außerdem den öffentlichen Verkehr.
  4. Sollten nicht weitere Maßnahmen gesetzt werden, gibt es weiterhin zu viele Verletzte und Unfalltote (siehe auch Vision Zero).
  5. Etwa 13 % mehr Strombedarf wird für 100% e-Autos in Österreich geschätzt. Für die Energiewende bis 2040 müssen wir Strom sparen – oder wollen wir u.a. noch die letzten Flüsse Österreichs verbauen und damit weiter Biodiversität zerstören? 
  6. Ein e-Auto braucht genauso viel Platz wie ein herkömmliches (wobei die Autos immer größer und schwerer werden). Im öffentlichen Raum verstellen parkende Autos den Platz für Fußgänger, Radfahrer, spielende Kinder oder Gärten (mit und ohne Schani). Die Stadt Barcelona hat mit dem Konzept des Superblocks in den entsprechenden Bezirken viel Lebensqualität gewonnen und die Stadt Wien denkt über Supergrätzln nach.
  7. Das Auto ist eine teure Mobilitätsform, die monatlichen Kosten werden meist unterschätzt. Insbesondere vom Wohlstand weniger verwöhnte Menschen können sich nur selten ein Auto leisten. Und sie können den Belastungen des KFZ-Verkehrs kaum entkommen, weil dieser in günstigen Wohngegenden meist stärker ist.

Was tun, wenn Sie trotzdem ein Auto brauchen?

Falls Sie ohne Auto nicht leben können oder z.B. mobilitätseingeschränkte Menschen betreuen oder es beruflich brauchen, weil Sie z.B. mit schwierig zu transportierenden Waren handeln (z.B. Floristen), können Sie dennoch vieles besser machen.

Wenn ihr Auto nicht der größte Benzinschlucker auf Erden ist und auch noch einigermaßen durch den TÜV kommt behalten Sie es eventuell – aber: fahren Sie nur, wenn es unbedingt notwendig ist, fahren Sie zu mehreren und fahren Sie bewusst, um Sprit zu sparen und Verschleißteile zu schonen.

Ab und zu ein Taxi (hier oder am Urlaubsort), Mietauto oder Leihrad, zu Fuß, mit dem Rad oder mit Öffis – es gibt – je nach Situation – oft mehr und bessere Alternativen, als Sie denken.

Small is Beautiful

Wenn Sie ein neues Auto kaufen müssen, dann bitte ein zweckdienliches e-Auto. Müssen in der Stadt, am flachen Land wirklich immer mehr Pseudogeländewagen herumfahren? In Großbritannien sind – ähnlich wie bei uns - die KFZ-Emissionen kaum gesunken, weil zu viele Menschen SUVs anstatt sinnvollerer Fahrzeuge kaufen und, weil mehr gefahren wird.

Nicht ohne „meinen“ Umweltzeichen-Strom

Tun Sie – wenn immer möglich, zumindest aber zu Hause – Umweltzeichen-Strom in den „Tank“. Umweltzeichen-Stromprodukte nach UZ  46 haben im Gegensatz zu „Ökostrom“ eine zertifizierte Herkunft, das heißt die gekaufte Menge wird garantiert aus erneuerbaren Quellen produziert (auch wenn der Strom dann in der Steckdose kein „Mascherl“ mehr hat). Außerdem investieren Anbieter in erneuerbare Energien oder bei Wasserkraft z.B. in Aufstiegshilfen für Fische.

Dieser Blog ist eine Ergänzung und Aktualisierung zu meinem Beitrag zur Elektromobilität vom September 2018.

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