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Bisphenol A: Kassabons - Unter die Haut

, aktualisiert am

Die Chemikalie Bisphenol A steckt in vielen Gegenständen für den Alltagsgebrauch. Und sie steckt in Produkten, wo man sie nie vermuten würde, zum Beispiel in Kassabons von Lebensmittelketten. Wir haben diese erstmals untersucht.

Waren in den Einkaufswagen legen, dann bei der Kassa anstellen, mit echtem oder mit Plastikgeld bezahlen und schon hat man ihn in der Hand: den Kassabon. Dieses kleine Stück Papier, dessen Schrift meist rasch verblasst, kam in unserem Nachbarland Deutschland vor einigen Monaten ins Gerede. Untersuchungen hatten ergeben, dass Bons aus Thermopapieren, die überwiegend für diese Belege eingesetzt werden, die umstrittene Chemikalie Bisphenol A (BPA) enthalten können.

Belastete Bons

Und was ist mit den Kassazetteln in Österreich? Steckt auch in ihnen BPA und wenn ja, in welchen Mengen? Das fragten auch wir uns und steckten nach dem Einkauf im Supermarkt, beim Bäcker und beim Fleischer die Kassabons ein. Quittungen von insgesamt 12 Unternehmen landeten schließlich zur Untersuchung in unserem Labor. Ergebnis der Analyse: Jeder Kassabeleg enthielt BPA! Kein einziger kam ohne diese umstrittene Chemikalie aus.

Unterschiede gab es trotzdem, und zwar bei den enthaltenen Mengen. Während manche Bons kaum belastet waren, steckte in jenen von Billa, dem Wiener Bäcker Felber, Hofer und Spar relativ viel Bisphenol A: Zwischen 1,7 bis 2,0 Prozent BPA (bezogen auf das Gewicht der untersuchten Quittungen) fanden wir hier als Maximalwerte.

Bisphenol A: praktisch überall

Bisphenol A wird vom deutschen Umweltbundesamt als "Massenchemikalie mit unerwünschten Nebenwirkungen" bezeichnet. Es kommt in vielen Alltagsgegenständen vor, wird aber auch als Zusatzstoff bei der Beschichtung von Thermopapier verwendet. Thermopapiere sind Spezialpapiere, bei denen die direkte Übertragung von Hitze während des Drucks zu einer chemischen Reaktion und dadurch zu einer Schwärzung des Papiers führt.

Das zugesetzte BPA dient dabei als Entwicklersubstanz neben dem eigentlichen Farbstoff. Es steckt in der dünnen, wärmeempfindlichen Oberfläche des Papiers und ist in diesem Segment die häufigste Farbentwicklungskomponente weltweit. Da BPA hier chemisch nicht gebunden ist, wird es auch leichter freigesetzt. Verkaufspersonal wie Konsumenten kommen also tagtäglich damit in Berührung. Und das geht im wahrsten Sinn des Wortes unter die Haut.

Über die Finger in den Körper

Über die Finger in den Körper

Studien des Kantonalen Labors Zürich (KLZH) haben ergeben, dass sich beim Hantieren mit Kassabons BPA in geringen Mengen auf der Haut ablagert. Sind die Finger trocken, bleibt weniger Substanz haften als bei schweißigen oder eingecremten Händen. Was dann passiert, zeigen Untersuchungen aus Frankreich. Eine Forschergruppe des Nationalen Instituts für Agrarforschung (INRA) konnte im Herbst des Vorjahres nachweisen, dass Bisphenol A über die Haut aufgenommen wird, also hautgängig ist. Als Modell dafür dienten Schweineohren, die in ihrer Zellbeschaffenheit menschlicher Haut ähneln.

Wie viel BPA auf diesem Weg tatsächlich in den menschlichen Körper gelangt, ist noch unklar. Schätzungen gehen davon aus, dass die Mengen im Vergleich zu jenen, die wir mit der Nahrung aufnehmen (übers Essen nehmen wir das meiste Bisphenol A auf), verschwindend gering sind. Selbst bei ständigem Hantieren mit Kassabons – Alltag für viele Handelsangestellte – sehen die Wissenschaftler keine Gefahr.

Langzeiteffekte unklar

Also alles paletti? Keineswegs! Was Langzeiteffekte, aber auch was die Dosis anlangt, bei der Wirkungen auf den menschlichen Organismus auftreten, tappt die Wissenschaft nach wie vor im Dunkeln. Solange man nichts Genaues weiß, gibt es nur einen vernünftigen Weg – das Vorsorgeprinzip.

KONSUMENT fordert daher: Weg mit BPA aus Kassabons! Seit Ende vorigen Jahres bieten Papiererzeuger auch BPA-freie Thermopapiere an. Aufgrund ihrer aufwendigeren Produktion sind sie momentan noch deutlich teurer als herkömmliche Ware. Gleichzeitig wird am Einsatz von verkapselten Farbstoffen gearbeitet. Es gibt also schon Möglichkeiten, BPA in Kassabelegen zu vermeiden.

Massenhaft verbreitet

Bisphenol A (BPA) ist eine Industriechemikalie, die als Ausgangsprodukt für die Herstellung von stabilen Kunststoffen (Polykarbonate) und Kunstharzen (Epoxidharze) verwendet wird.

Viele der daraus gefertigten Alltagsgegenstände kommen auch mit Lebensmitteln in Kontakt. Dazu zählen z.B. Babyfläschchen, Trinkbecher, Plastikgeschirr, Wasserkocher, aber auch die Innenbeschichtung von Getränke- und Konservendosen.

Jeder ist betroffen

Das meiste Bisphenol A nehmen wir über die Nahrung auf. Die Substanz kann aus der Innenbeschichtung von Konserven auf den Doseninhalt übergehen. Sie löst sich mit der Zeit aus Kunststoffgefäßen und gelangt so in verschiedene Lebensmittel. Aufgrund der weiten Verbreitung kommt praktisch jeder Mensch mit diesem Stoff in Kontakt.

Hormonähnliche Wirkung

Besonders heikel in diesem Zusammenhang ist: BPA und dessen Abbauprodukte gehören zu einer Gruppe von Substanzen, die hormonähnlich (östrogen) wirken. Aufgrund dieser Wirkung könnte nach Ansicht von Dr. Hans-Peter Hutter vom Institut für Umwelthygiene an der Medizinischen Universität Wien die Zahl der Prostata- und Brustkrebserkrankungen steigen.

"Ausreichendes Besorgnispotential"

Da inzwischen ebenso zahlreiche wie widersprüchliche Untersuchungen vorliegen, wird in der Fachwelt über die Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit von BPA nach wie vor heftig gestritten. Fakt ist: Seit März 2011 dürfen EU-weit keine Kinderfläschchen mehr hergestellt werden, die Bisphenol A enthalten. Ab Juni 2011 sind auch Import und Verkauf solcher Produkte verboten. (Quelle: European Commission)

Im Gegensatz zur Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde (EFSA), die davon ausgeht, dass Bisphenol A kein gesundheitliches Risiko darstellt, ergibt sich für das deutsche Umweltbundesamt (UBA) ein "ausreichendes Besorgnispotenzial": Der Gehalt von BPA in Produkten sollte weiter begrenzt werden und stattdessen sollten gesundheits- und umweltfreundlichere Alternativen zur Anwendung kommen, so die deutschen Umweltexperten. Dem können wir uns nur anschließen.

Unternehmen reagieren: Spar, Rewe, Hofer, Felber

Tut sich diesbezüglich etwas in den Chefetagen der großen Lebensmittelverkäufer? Wie halten sie es künftig mit Bisphenol A in ihren Kassabons?

Spar bereits ohne BPA

Nach Abschluss unserer Untersuchung fragten wir bei jenen Handelsketten nach, bei denen wir im Vergleich zur Konkurrenz höhere BPA-Werte gefunden hatten:

  • Bei Spar wurde erst gar nicht lange herumgeredet. Im Reich der grünen Tanne, so teilte man uns mit, werden seit Anfang dieses Jahres alle Kassen auf BPA-freies Kassabon-Papier umgestellt. – Na bitte, geht doch!
  • Rewe (Merkur, Billa, Penny) hat in Deutschland bereits zu BPA-freiem Bonpapier gewechselt. In Österreich, so die Auskunft, spricht man noch mit dem Papierlieferanten. – Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis es auch hier BPA-freies Papier in die Kassen schafft.
  • Hofer ist dem Vernehmen nach noch auf der Suche nach Alternativen. Im Übergangszeitraum setzt man weiterhin auf Kassabons mit BPA. – Wie wir den Diskonter kennen, wird er bald eine Lösung für dieses Problem haben.
  • Die Wiener Bäckerei-Kette Felber schickte uns mit freundlichen Grüßen eine Stellungnahme ihres Papierlieferanten, in welcher ausgerechnet der Europäische Verband der Thermopapierhersteller die "Sicherheit von Thermopapieren" wortreich bekräftigt. – In den Bons von Felber fanden wir vergleichsweise das meiste BPA. Die Vorstellung, dass dieses Tag für Tag nicht nur auf den Fingern des Verkaufspersonals, sondern auch auf der Ware landet, ist ziemlich unangenehm. Bitte Papiereinkauf schnellstens überdenken!

Zusammenfassung

  • Überall drin. Alle von uns untersuchten Kassabons enthielten die Massenchemikalie Bisphenol A (BPA). In Österreich stellt derzeit nur Spar die Kassen auf BPA-freies Papier um.
  • Besser vorsichtig. Auch wenn die Aufnahme von BPA durch die Haut nach heutigem Wissensstand minimal ist: Waschen Sie sich gründlich die Hände, wenn Sie längere Zeit mit Quittungen hantiert haben.
  • Lieber kopieren. Haben Sie auf einem Kassabon eine Gutschrift bekommen, kopieren Sie den Beleg vorsorglich. Die Schrift verblasst oft so schnell, dass der Text häufig schon nach wenigen Monaten nicht mehr zu entziffern ist.
  • Nicht zum Altpapier: Geben Sie Kassabons keinesfalls zum Altpapier, sondern entsorgen Sie Belege mit dem Restmüll. Das verhindert die Verbreitung von BPA über die Papierherstellung.

Leserreaktionen

Zum Restmüll

Bei der Diskussion in Deutschland wurde – soweit ich mich erinnere – darauf hingewiesen, Thermopapier (Kassabons) NICHT zum Altpapier zu geben. Ein Hinweis zu diesem Problem fehlte mir in dem Artikel.

User: canisrivo
(aus KONSUMENT 6/2011)

Danke für den wichtigen Hinweis: Kassabons gehören tatsächlich nicht zum Altpapier. Am besten entsorgt man die Belege mit dem Restmüll. Das verhindert die Verbreitung von Bisphenol A (BPA) durch die Papierherstellung.

Die Redaktion

Leserreaktionen

Positives Beispiel

Zu der im vergangenen Jahr von Ihnen angestoßenen Problematik von Bisphenol A in Kassenbons ein aktuelles Beispiel aus Frankreich. Dort wird darauf hingewiesen, dass das Papier frei von Bisphenol A ist.

Josef Haas
E-Mail
(aus KONSUMENT 9/2012)

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