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Gendermarketing - Klischees machen Kasse

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Eine pinke Nabelschnurschere oder doch eine blaue? Viele Hersteller unterscheiden früh zwischen den Geschlechtern. Statt den Kindern beizubringen, welchem Rollenbild sie entsprechen sollen, wäre gendersensible Werbung gefragt.

Mit 52 Jahren wird ein grün-oranger Klassiker großer Bruder: Im Frühjahr 2020 hat Twinni mit Twinna eine kleine Schwester bekommen. Diese Doppeleishälften mit Schoko-Überzug sind rot-gelb, Erdbeere und Orange-Passionsfrucht. Eskimo bewirbt seine Limited Edition als weibliches Eis, das zeigen soll, dass „die“ genauso wichtig ist wie „der“ oder „das“. Gefeiert werden sollen alle Frauen. Aber braucht es dafür eine eigene Sorte?

Viele Hersteller unterscheiden früh zwischen den Geschlechtern. Statt den Kindern beizubringen, welchem Rollenbild sie entsprechen sollen, wäre gendersensible Werbung gefragt. (Bild: Firn/Shutterstock.com)

Geschlechterbilder

Nassrasierer, Schultüten, Suppeneinlagen: Es gibt kaum einen Bereich, in dem Produkte nicht geschlechtsspezifisch angeboten und beworben werden. Düfte für Frauen etwa als verführerisch und lieblich, jene für Männer mit Attributen wie „wild“ und „ unbeugsam“. „Männerprodukte“ sind oft blau und schwarz, bei Frauen dominieren Pastell- und Rosatöne. Nassrasierer für Frauen heißen Angel oder Venus, die Rasierer für Männer etwa „Mach 2 Turbo“.

Marketing verfestigt Stereotypen

„Solche Marketingstrategien verfestigen Geschlechterstereotypen und geben vor, wie Männer und Frauen aussehen, wofür sie sich interessieren und wie sich verhalten sollen“, sagt Elisabeth Holzleithner, Leiterin des Instituts für Rechtsphilosophie an der Universität Wien. Für viele stünden die Werbebilder im Einklang mit der Eigenwahrnehmung, bei anderen rege sich Widerstand. Holzleithner erwartet sich von der Werbung mehr Kreativität statt Stereotypen. Doch das Differenzieren liegt im Trend, auch bei Süßigkeiten.

Süße Versuchung

So findet man Schokoschirme im Einhorn-Design und rosa Überraschungseier. Auch Merci gibt es in der Limited Edition „Thank Pink“, beworben als „Mitbringsel zur Gartenparty“ oder als „Dankeschön für die Kollegin“. Chocolatier Josef Zotter geht einen anderen Weg. „Eine Schokolade nur für Frauen würde ich nie machen. Diese würden sich fragen ,Warum?‘ und die Männer ,Warum wir nicht?‘. Segmente nur für Frauen hält er für überholt. Dass Frauen süße Vollmilchschokolade und Männer dunklere, herbe Schokolade bevorzugen, stimme nicht mehr.

Bei Verkostungen alkoholhaltiger Schokolade würden Frauen zwar eher zu Sorten mit Champagner und Männer zu jenen mit Whisky oder Bier greifen, es gebe aber auch Frauen, die Letztere mögen. Zotter hat anlassbezogene Schokoladen im Sortiment. Der Muttertag schmeckte heuer nach Rosenmarzipan und Mandelnougat, der Vatertag nach Whisky. Schokolade sei aber etwas für alle, so Zotter: „Kakao wird eine aphrodisierende Wirkung nachgesagt, was für Frauen und Männer passt.“

Mehr als Bauchgefühl

Eva Koban-Röß, Koordinatorin des Fachbereichs Marketing bei der Studienrichtung International Marketing & Sales Management FH Campus 02, forscht zu Gendermarketing und geschlechtergerechter Werbung. Für sie hat Gendermarketing das Ziel, die Sensibilität für Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu stärken und zu berücksichtigen, nicht aber, stereotype Rollenklischees zu fördern: „Es geht keinesfalls darum, Kundinnen und Kunden vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu führen haben.“ Die Marketingexpertin hat beobachtet, dass Gendermarketing noch selten als bewusstes Instrument eingesetzt wird. Dabei wäre es wichtig, sich intensiv mit der Zielgruppe auseinanderzusetzen und festzustellen, warum Männer und Frauen ein Produkt verwenden und was sie sich erwarten. „Das umfasst Ausgestaltung, Ansprache, Vertrieb, Farbe und Preis“, so Koban-Röß.

Frühe Entstehung der Rollenbilder

Unterschiede bei der Kaufentscheidung

Unterschiede zwischen den Geschlechtern gebe es etwa bei der Kaufentscheidung. So suchten Frauen bei Problemen des Alltags nach der besten Lösung und bräuchten eine Auswahl. Männern ginge es um Zahlen, Daten und Fakten und eine effiziente Problemlösung. Ergebe die Analyse keine großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern, brauche es keine Strategie mit der Brechstange.

Tee für die Frau

Der Waldviertler Kräuterspezialist Sonnentor erhebt regelmäßig die Bedürfnisse der Kundschaft. Dazu zählt die Beobachtung von Markttrends. Anregungen über Soziale Medien sind ebenfalls wichtig. Ungefähr zwei Drittel der Kundschaft sind Frauen. „Wir haben unsere Zielgruppe im Kopf, wenn wir Produkte planen, aber sie sind so gestaltet, dass sie niemanden ausschließen. Wir wissen, dass auch Männer unsere Teesorten kaufen, einige für ihre Partnerinnen“, erklärt Marketingleiterin Kristina Hummel.

Einige Tees entwickeln sie trotzdem gezielt für ihre Hauptzielgruppe. „Happiness is … Frau sein“ zum Beispiel besteht unter anderem aus Frauenmantel, Rosmarin und Preiselbeeren. Die Verpackung ist rot und lila. Die Erfahrung als Kräuterexperten habe bei der Entwicklung dieses Tees geholfen, sagt die Leiterin der Produktentwicklung, Maria Bianca Papst: „Wir lassen uns von der Kräuterheilkunde inspirieren.“ Bei der Vermarktung sei es wichtig, nicht in Klischees zu verfallen. Wenn jedes Produkt rosa wäre und nach Rosenblättern schmecken würde, so würde das auf Protest stoßen. Es gelte, variantenreich zu sein.

Prinzessin vs. Feuerwehrmann

Frauen, die für ihre Rechte einstehen, Männer, die sich neben dem Job auch um ihre Kinder kümmern – das erwarten sich viele, doch die bunte Spielzeugwelt ist konservativ. Rosa vs. Hellblau, Barbie vs. Bauklötze: Das vermittelte Bild vom lieblichen, braven Mädchen und dem wilden, kämpfenden Buben prägt Kinder, denn mit Spielzeug erproben sie die Welt. „Die Spielzeugwelt der Mädchen ist zu Hause, die der Buben draußen“, sagt Bildungspsychologin Marlene Kollmayer von der Uni Wien. Mädchen ahmen mit Spielzeug Haushaltstätigkeiten nach, kümmern sich um andere oder machen sich hübsch. Buben wachsen mit Konstruktionsspielen, Fahrzeugen und Waffen auf und erproben räumliches Denken.

Rollen verfestigen sich

Die Rollen verfestigen sich: „Wenn Mädchen nur Perlenketten basteln und sich um ihre Babypuppe kümmern, haben sie das Gefühl: Kümmern ist etwas, das ich immer schon konnte.“ Buben, die mit Experimentierkästen hantieren, erleben oft eine höhere Selbstwirksamkeit. Auch bei geschlechtsneutralem Spielzeug wirken gesellschaftliche Normen: „Ein Mädchen wird nicht so angestarrt, wenn es mit einem Auto spielt, wie ein Bub mit einer Puppe.“ Mädchen wird Bubenspielzeug oft als kleinere Version in Rosa schmackhaft gemacht. Für die Hersteller macht sich das Differenzieren bezahlt: Buben wie Mädchen wollen ihr eigenes Spielzeug.

Gendersensible Werbung

Spielzeugwelten

Spielwarenproduzent Lego beschreibt seine Bausteine als seit über 60 Jahren genderneutral. Dennoch gibt es sehr verschiedene Welten. Da wäre etwa „Lego Friends“ mit Figuren wie Olivia, Emma oder Mia, die ein Cupcake-Geschäft und eine mobile Strandbar betreiben oder sich für die Tierrettung einsetzen. In „Lego City“ baut man eine Küstenwache, eine Polizeistation oder ein Rettungsflugzeug zusammen. Das Unternehmen schreibt, dass auch diese Sets Buben wie Mädchen offenstehen. Beim Spielverhalten wurden bei Studien aber unterschiedliche Präferenzen festgestellt: Viele Mädchen bauen zum Beispiel gerne, wollen aber in der Regel schnell ins Rollenspiel einsteigen und wünschen sich gleichzeitig viele realistische Details in der Spielwelt.

Keine bewusste Entscheidung

Die deutsche Design-Expertin Uta Brandes weist darauf hin, dass Kinder bei Produktbefragungen oft zu den Spielzeugen greifen, die sie bereits kennen. Dabei beeinflussen Bilder: „Wenn ich eine rosa Prinzessin hinstelle und einen Bauwagen, werden sich Buben selten für das andere entscheiden“, so Brandes. Wenn die Produktwelten vorgegeben seien, sei es nicht verwunderlich, wenn die Befragung lediglich eine Bestätigung der vom Spielzeughersteller erhofften Ergebnisse sei. Ein Bub, der sich für das andere Spielzeug interessiere, könnte von seinen Freunden gemobbt werden, so Brandes. Besser wäre es, nach Erfahrungen zu fragen statt nach Wertungen. Die Angebote müssten offener gestaltet werden; etwa, indem man Kinder die Farben zum Anmalen selbst aussuchen lasse. Dann könnten auch Buben zu einem kräftigen Rot greifen, Mädchen zu Grau oder Schwarz. Diversität klinge super, aber wer es ernst meine, müsse alles, was als typisch für Mädchen und Buben erscheine, weglassen. Doch noch tragen selbst viele Kuscheltiere ein rosa Kleid oder eine blaue Hose.

Gendersensible Gestaltung

Gänzlich genderneutrale Werbung gibt es laut Brandes nicht, gendersensible hingegen schon. Diese muss Männer und Frauen in ihrer Vielfalt ansprechen. Vorreiter sind Branchen wie Sport, Fashion und Lifestyle. Einige Unternehmen brechen mit alten Bildern, so wie Gillette in einem Spot aus dem Jahr 2019. Anfangs sind Buben und Männer zu sehen, die andere mobben oder Frauen gönnerhaft behandeln. Die vermeintliche Rechtfertigung: „Boys will be boys.“ Dann wird gezeigt, was unter „The best a man can get“ zu verstehen ist: Männer schlichten Streit und kümmern sich um Kinder. Die Reaktionen im Netz waren gemischt: Neben positiven Rückmeldungen gab es auch Boykottaufrufe. Anders erging es Mercedes-Benz, wo man 2019 in einem Werbefilm Bertha Benz und ihre Fähigkeiten im Umgang mit dem Automobil in den Fokus rückte. Der Spot wurde mit dem „Pinken Pudel“ ausgezeichnet, einem deutschen Preis für gendergerechte Werbung. Mit Stereotypen zu brechen wäre für Bildungspsychologin Kollmayer auch in der Spielzeugwelt spannend; etwa, wenn Mädchen mit einem Chemiekasten oder Buben mit der Puppenküche gezeigt würden. Schön wäre es, zu sehen, wie beide zusammen spielen.

Zurück zum Eis: Bei der Vorstellung von Twinna fragten sich viele, was am Twinni männlich sei. Eine Kommentarschreiberin nahm das Ganze pragmatisch: Gebe es männliches und weibliches Eis, sei sie bi und vernasche beide.

Leserreaktionen

Feminines und maskulines Design

Es geht ja nicht nur um die Werbung. Es geht um das Design und auch um die Produkte selbst – und es wird immer schlimmer. Es ist z.B. kaum möglich, bei den großen Ketten Kleidung für kleine Mädchen zu kaufen, die nicht pastellfarben ist oder sonst eindeutig „weiblich“, mit Herzchen, Pünktchen oder Rüscherln. Mädchen-Jeans waren darüber hinaus jahrelang so eng geschnitten, dass ich manchmal eine Buben-Jeans unter das zu probierende Gewand schummelte, um was Passendes zu finden – dabei ist meine Tochter spindeldürr (sie hasst es aber, wenn es am Knie eng ist).

Lego ist auch ein gutes Beispiel: Alles, was nach Abenteuer aussieht, ist vom Design her eindeutig maskulin. Mädchen, die von klein auf gewohnt sind, dass es Buben-Spielzeug gibt und Mädchen-Spielzeug, lassen sich dann von diesem maskulinen Design abschrecken. Und „wünschen“ sich das Lego-Friends-Zeug, das dann aber schnell langweilig ist und nach dem Aufbauen unterm Bett oder im Regal verstaubt.

User "spock1"
(aus KONSUMENT 12/2020)

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