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Vegetarische Lebensmittel - Tierisch unterwegs

Schildlaus, Schellack, Schweinegelatine: Kaum zu glauben, aber auch in vegetarischen Produkten finden sich oft tierische Bestandteile. Nicht immer steht davon etwas in der Zutatenliste.

Vegetarier hatten noch vor einigen Jahren ein schweres Leben. Die Supermärkte ignorierten Kunden, die auf Fleisch & Co verzichten wollten, und es gab – falls überhaupt – kaum vegetarische Restaurants. Das hat sich inzwischen gründlich geändert. Essen ohne Fleisch ist schick geworden. Man kann dafür in stylishen Lokalen ein Vermögen ausgeben und im Handel aus einem immer breiteren Angebot an pflanzlichen Produkten wählen.

Vegetarismus im Vormarsch

Gerade einmal 3 Prozent der Österreicher bezeichneten sich im Jahr 2005 als Vege­tarier. Inzwischen geben bereits 9 Prozent der Bevölkerung an, sich vegetarisch bzw. vegan zu ernähren, wie eine repräsentative IFES-Studie (IFES = Institut für empirische Sozialforschung) vor einigen Monaten feststellte.

Und die "Körndlfresser" von heute sind nicht nur überwiegend weiblich, ge­bildet, jung, sondern sie verfügen auch über ein mittleres Einkommen von 1.500 bis 2.500 Euro pro Monat. Kein Wunder, dass inzwischen jede Handelskette diese attrak­tive Käuferschicht umwirbt.

Von vegetarisch bis vegan

Bei einer vegetarischen Ernährungsweise wird auf Lebensmittel verzichtet, die von einem toten Tier stammen. Damit ist nicht nur Fleisch tabu, sondern betroffen sind auch sämtliche Zutaten, deren Rohstoffe aus Tierkörpern gewonnen werden. Menschen, die vegan leben, kommen überhaupt ganz ohne tierische Lebensmittel aus. Hier sind selbst Eier, Milch und Milchprodukte, also auch alles, was von einem lebenden Tier stammt, verpönt.

Auslobungen sind nur Orientierungshilfe

In den Regalen der Geschäfte stapeln sich immer öfter Produkte, die mit Bezeichnungen wie "rein pflanzlich", "vegetarisch", "vegan" oder "veggie" werben. Solche Auslobungen – egal, wie gut sie klingen – sind bestenfalls eine Orientierungshilfe beim Einkauf. Blind verlassen kann man sich darauf nicht, denn derzeit sind Begriffe wie "vegetarisch" bzw. "vegan" juristisch nicht definiert.

Zutatenliste genau studieren

Ein kritischer Blick auf die Zutatenliste bleibt deshalb auch hier niemandem erspart. Und selbst bei Produkten, in denen man niemals tierische Zutaten vermuten würde, ist Misstrauen angebracht. Oder denkt irgendjemand bei einer Punschglasur an Schild­läuse? Eben! An einem genauen Studium der Inhaltsstoffe führt kein Weg vorbei.

Was nicht deklariert werden muss

Zutatenliste richtig lesen

Leider ist es mit Lesen allein nicht immer getan. Die nächste Hürde für Konsumenten ist, zu verstehen, was das Kleingedruckte tatsächlich bedeutet. Natürlich steht auf der erwähnten rosa Glasur nicht Schildlaus, sondern Farbstoff E 120 – Echtes Karmin, was doch gleich viel besser klingt, aber trotzdem dasselbe ist.

Was nicht auf der Liste stehen muss

Und dann gibt es noch eine Unzahl von Stoffen, die auf den Zutatenlisten erst gar nicht aufgeführt werden müssen. Dazu zählen z.B. Verarbeitungshilfsstoffe, die bei der Herstellung eines Lebensmittels eingesetzt und anschließend wieder entfernt werden. Unbeabsichtigte oder technisch unvermeidbare Spuren können trotzdem im Enderzeugnis enthalten sein.

Beispiel Gelatine

Ein für viele Verbraucher frappierendes und auch ärger­liches Beispiel ist hier Gelatine. Sie wird z.B. bei vielen Fruchtsäften zur Klärung von trüben Stoffen eingesetzt. Der Käufer des Saftes erfährt davon aber nichts.

Nicht für Vegetarier oder Veganer geeignet

16 ausgewählte Produkte getestet

Um einen Überblick zu bekommen, welche tierischen Bestandteile in pflanzlichen Lebensmitteln vorkommen können, haben wir eine Tour durch die Supermärkte gemacht. In unserer Übersicht "Beispiele: Tierische Inhaltsstoffe in vegetarischen Lebensmitteln" finden Sie 16 ausgewählte Produkte.

Informationen nur auf Nachfrage

Sie haben vor allem Beispielcharakter und stehen deshalb stellvertretend für andere. Aus den meisten Zutatenlisten lässt sich für gut informierte Konsumenten herauslesen, dass auch tierische Stoffe enthalten sind. Bei anderen, wie zum Beispiel bei den Fruchtsäften, erfährt man aber nur auf Nachfrage, was Sache ist. Wir haben uns deshalb bei allen Erzeugern erkundigt, welche Stoffe sie einsetzen.

Nicht für Vegetarier oder Veganer geeignet

Ergebnis: Vieles, was auf den ersten Blick völlig unproblematisch wirkt, ist weder für Vegetarier noch für Veganer geeignet. Im Folgenden finden Sie eine kurze Beschreibung jener tierischen Zusätze, die wir am häufigsten gefunden haben:

  • Kälberlab
  • Gelatine
  • Karmin und
  • Schellack

Kälberlab

Kälberlab

Lab ist ein Gerinnungsenzym. Es wird bei der Käseerzeugung zur Dicklegung der Milch eingesetzt und stammt nicht immer aus einem Kälbermagen. Es kann auch mithilfe gezüchteter oder gentechnisch veränderter Mikro­organismen hergestellt werden. Auch Lab aus pflanzlichen Quellen (Labkräuter) ist möglich. Auf verpacktem Käse erkennt man den Zusatz von Lab nicht.

Nur freiwillige Herkunfts- und Gentechnikangaben

Wo das Enzym herkommt und wie es hergestellt wurde, erfährt man nur, wenn der Hersteller es freiwillig angibt. Auch der Einsatz gentechnisch veränderter Mikro­organismen bei der Labgewinnung ist nicht kennzeichnungpflichtig. Kälberlab findet sich im Parmesan von Billa Corso, wo es nur als Lab in der Zutatenliste vorkommt.

"Lab", "Molkenpulver" und "Laktose"

Es steckt außerdem – undeklariert – im Obstgarten Erdbeere von Danone und im Sun Snack Mix, einer Knabberei von Sunsnacks, wo es sich in den Milchbestandteilen Molkenpulver und Laktose versteckt. Auf diese Idee muss man erst einmal kommen.

Gelatine

Gelatine

Die in der Industrie verwendete Gelatine wird vor allem aus Haut und Knochen von Rindern und Schweinen erzeugt. Produkte wie Fruchtsäfte enthalten Trübstoffe. Gelatine bindet diese Partikel und sinkt mit ihnen zu Boden. Dadurch erhält man rasch einen klaren Saft, ohne lange auf das natürliche Absinken der Trübstoffe warten zu müssen.

Bei Säften von Spitz und Clever

Inzwischen kommen bei einigen Firmen wie Pago, Pfanner und Rauch auch modernste Filtrationstechniken zum Einsatz, die Gelatine überflüssig machen. Spitz dagegen klärt seinen Apfelsaft noch mit Gelatine, wie auch Clever im Bedarfsfall seinen Multivitaminsaft. Alle anderen Säfte von Clever kommen dagegen ohne Gelatine aus, was die Sache für Kunden vollkommen unübersichtlich macht. Hinweise dazu finden sich auf keiner Saftpackung.

Brunch, Casali, Haribo, NÖM

Speisegelatine stammt überwiegend aus Schweineschwarten und sorgt für eine cremige bis feste Konsistenz. Im Kräuter Brotaufstrich von Brunch ist sie ebenso zu finden wie in den Schokobananen von Casali, den Gummibären von Haribo und dem Joghurt Dessert von NÖM. Nur die niederösterreichische Molkerei informiert in der Zutatenliste darüber, dass ihre Speisegelatine vom Schwein kommt.

Karmin, Schellack

Karmin

Unter den Lebensmittelzusatzstoffen ist echtes Karmin (E 120) der einzige Farbstoff tierischer Herkunft. Er wird aus den befruchteten und getrockneten Weibchen der Scharlachschildlaus gewonnen, die auf einer bestimmten Kaktusart vor allem in Mexiko und Peru leben. Karmin färbt Lebensmittel leicht bis leuchtend rot und darf nur in bestimmten Lebensmitteln wie z.B. Käse, Wurst und Süßigkeiten eingesetzt werden.

Für eine ansprechende Farbe sorgt Karmin beim Obstgarten Erdbeere von Danone, der Punsch­glasur von Dr. Oetker, den Soft Bärchen von Haribo, dem Joghurt Dessert von NÖM und den Kokos Rollen von Salzburg Schokolade. Immerhin wird in allen Zutatenlisten darauf hingewiesen.

Schellack

Die harzartigen Ausscheidungen der weiblichen Gummilackschildlaus, mit denen sie ihre Brut schützt, werden als Schellack bezeichnet. Durch Zerkleinern, Trocknen, Ausschmelzen und Reinigen wird Schellack direkt von den Ästen und Zweigen der Bäume gewonnen, auf denen die Lackschildlaus lebt. Das spröde, gelblich transparente Harz diente früher als Schutzlack für Möbel und war das Material für die ersten Schallplatten.

In der Lebensmittelindustrie wird es meist in Kombination mit Bienenwachs (E 901) als Überzugsmittel verwendet. Schellack fanden wir übrigens zusammen mit Gelatine in den Dragee Keksi von Napoli, wo das Harz für den schön glänzenden Überzug der Kekse sorgt.

Beispiele: Tierische Stoffe in vegetarischen Lebensmitteln

Womit bei manchen Produkten zu rechnen ist:

Vegetarische Lebensmittel mit tierischen Inhaltsstoffen (Bild: VKI) 

Wir haben uns folgende Produkte angesehen:

Casali Schokobananen, Billa Corso Parmiggiano Reggiano DOP, Dr. Oetker Glasur mit Punsch-Geschmack, Brunch Kräuter-Brotaufstrich, Clever Multivitaminsaft, Danone Obstgarten Erdbeere, Lorenz Crunchips Stackers Paprika, Napoli Dragee Keksi, Haribo Soft Bärchen, Maggi Tomatencremesuppe mit extra vielen Teigwaren, Spar Premium Gemüsefond, Sunsnacks Sun Snack Mix, funny frisch Ofen Chips Paprika, Spitz Apfelsaft

Backwaren: Cystein (E 920)

Bei unserer beispielhaften Übersicht über Lebensmittel, die auf den ersten Blick für Vegetarier bzw. Veganer geeignet erscheinen, findet sich kein Brot. Das heißt im Umkehrschluss leider nicht, dass Produkte aus der Backstube keine tierischen Zutaten enthalten – von Speckweckerl und Käsestangerl einmal abgesehen. Ein Inhaltstoff, der sich häufig auch in Brot und Gebäck findet, ist das Mehl­behandlungsmittel Cystein (E 920).

Aus Haaren, Schweineborsten oder Federn

Darunter versteht man eine schwefelhaltige Aminosäure, die aus Haaren, Schweineborsten und Federn hergestellt werden kann. Auch eine Gewinnung mithilfe gentechnisch veränderter Mikroorganismen ist inzwischen möglich.

Cystein macht Teige elastischer und leichter knetbar. Die Aminosäre verbessert darüber hinaus die Fähigkeit von Teigen, Gas zu halten, und sorgt mit dieser Eigenschaft für luftiges Gebäck, das seine Konsistenz lange behält. Außerdem kann Cystein den Geschmack herzhafter Lebensmittel verstärken und wird daher häufig zur Abrundung von Aromen eingesetzt.

Interview: Felix Hnat, Vegane Gesellschaft Österreich

 KONSUMENT sprach mit Mag. Felix Hnat, Geschäftsführer der Veganen Gesellschaft Österreich, die 1999 gegründet wurde.

Mag. Felix Hnat
Mag. Felix Hnat

KONSUMENT: Wie viele Österreicher ernähren sich vegan?
Hnat: Etwa 80.000 Menschen, das sind rund 1 Prozent der Bevölkerung. Dazu kommen noch 700.000 Vegetarier. Außerdem gibt es eine immer größere Anzahl von Konsumenten, die ihren Fleischkonsum bewusst reduzieren möchten. Während Vegetarier nichts essen, was von einem toten Tier stammt, also etwa Fleisch, ernähren sich Veganer rein pflanzlich, also z.B. auch ohne Milch und Eier.

Was ist in puncto Essen anders geworden?
Das Mensch-Tier-Verhältnis hat sich in den letzten Jahren verändert. Eine Nutzung von Tieren um jeden Preis wird von vielen Menschen nicht mehr widerspruchslos akzeptiert. Ein Huhn, das um 4 Euro pro Kilogramm verschleudert wird, hat einfach Nachteile – für alle. Dazu kommen noch die vielen Lebensmittelskandale. Und das Bewusstsein, dass der Klimawandel auch mit unserem Hunger nach Fleisch zu tun hat: 18 Prozent aller Treibhausgase werden durch die Viehzucht verursacht.

Ist es schwierig, vegane Lebensmittel zu bekommen?
Ende der 1990er-Jahre war es noch mühselig. Inzwischen hat sich das Angebot stark verbessert. Es ist heute ohne Weiteres möglich, sich ohne großen Aufwand vegan zu ernähren. Es muss sich bei dieser Ernährungsweise auch niemand vor Mangelerscheinungen fürchten, im Gegenteil: Sie ist z.B. komplett cholesterinfrei und arm an gesättigten Fetten. Vor 20 Jahren hat die Bio-Revolution begonnen. Inzwischen ist vegan das neue Bio.

In vielen pflanzlichen Produkten stecken aber tierische Bestandteile.
Ja, und davon haben die meisten Kunden keine Ahnung. Mineralwasser, Fruchtsäfte, Wein oder Essig werden nach wie vor mit Schweinegelatine geklärt. Beim Guiness-Bier wird zum Klären des Biers Fischblase eingesetzt. Und auch im Käse findet sich ein tierisches Schlachtprodukt, nämlich Lab, mit dem die verarbeitete Milch dickgelegt wird.

Warum erfahren die Konsumenten nichts davon?
Weil derzeit die gesetzliche Verpflichtung zu einer genauen Kennzeichnung fehlt. Jede Firma kann auf ihr Produkt draufschreiben, was sie will. Wir verlangen eine vollständige Deklaration, die neben den Zutaten auch sämtliche während der Produktion verwendeten Hilfsstoffe nennt. Wo „vegan“ oder „vegetarisch“ draufsteht, muss es auch drin sein.

Was bringen die einschlägigen Gütesiegel?
Genau genommen gibt es diese Gütesiegel nur, weil eine gesetzliche Definition für die Begriffe vegan bzw. vegetarisch fehlt. Derzeit können Firmen ihre Produkte mit dem Europäischen Vegetarismus-Gütesiegel und der Veganblume kennzeichnen. Wir sind hier Ansprechpartner für die Unternehmen und prüfen, ob ihre Erzeugnisse den Kriterien entsprechen. Derzeit herrscht, auch vonseiten der Industrie, viel Unsicherheit.

Keine toten Tiere essen, okay. Was ist mit Leder?
Leder erzielt inzwischen 30 Prozent des Schlachtpreises, von Abfall kann da keine Rede sein. Da es gegerbt und gefärbt wird, ist es ein hochgiftiges Produkt, genau genommen Sondermüll. Ein Leben ohne Leder ist leicht möglich. Nicht alle sich vegan ernährenden Menschen werfen jedoch gleich ihre Lederschuhe weg. Manche tragen sie, bis sie kaputt sind, und steigen dann auf Kunstleder um.

Warum leben Sie vegan?
In meiner Familie wurde immer sehr viel Fleisch gegessen. Nach der Matura habe ich Volkswirtschaft mit Schwerpunkt Umweltökonomie studiert und anschließend für einen Tierschutzverein gearbeitet. Die Bilder aus der Massentierhaltung, den Legebatterien, die ich damals gesehen habe, bekam ich nicht mehr aus dem Kopf. Ich bin seit 12 Jahren Veganer und lebe rein pflanzlich. Das ist heutzutage kein Verzicht mehr, im Gegenteil, ich habe eine neue Geschmacksvielfalt kennengelernt.

Link: www.vegan.at - Vegane Gesellschaft Österreichs

Leserreaktionen

Karmin ist nicht „veggie“

Vielen Dank dass sie sich des Problems „vegetarische Deklaration“ ohne vegetarischen Inhalt angenommen haben. Ich war sehr entsetzt über das echte Karmin in einer als vegetarisch deklarierten Aufschnittwurst und finde, das müsste man vom Gesetz her verbieten. Denn vegetarisch ist und bleibt vegetarisch, wenn der Inhalt dementsprechend hinzupasst.

Karmin in echter Form ist in keinster Weise „veggie“ und daher ist das für mich eine grobe Verbrauchertäuschung. Mich wundert, dass auf der Verpackung ganz oben jetzt nicht mehr Gutessa steht sondern Landhof. Wurde der Name geändert um die Kunden aufgrund dieses Artikels abzulenken? Zu hoffen bleibt jedenfalls dass diese Irreführung ein Ende hat.

Fortmüller
E-Mail
(aus KONSUMENT 4/2014)

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