Zum Inhalt
Schatten von Flugreisenden vor Abflug-Monitoren
Was ist schädlicher fürs Klima? Die unzähligen Kurz- und Mittelstreckenflüge oder die im vergleich seltener stattfindenden Langstreckenflüge? Bild: Rawpixel/Shutterstock

Werbung für Flugreisen? Widersinnig!

BLOG

ÖKO.LOGISCH

Warum ich kurz Bedenken hatte, ob nicht womöglich ein Seilbahn-Lobbyist in mir schlummert. Und was eine Studie zum Thema Flugreisen damit zu tun hat.

Zwischen mich und den Hörl Franz, da passt kein Blatt Papier. Eigentlich müssten der streitbare Tiroler Seilbahn-Obmann und ich uns wöchentlich auf einen Jaga-Tee zusammensetzen. Zum Ideenaustausch. Oder zumindest einmal im Monat zur Après-Ski-Gaudi in der Zillertal Arena. Zwecks ergebnisoffenen Brainstormings. Mal ehrlich, wer hätte das gedacht. Ich und der Hörl Franz. Vereint im Geiste. Und das kommt so:

Gewinnspiel mit Städtetrip

Zum Jahreswechsel, ein Newsletter. Wenn ich mich recht erinnere, von einer Versicherung. Der Hauptpreis: drei Flugreisen für einen Städtetrip in eine europäische Hauptstadt. Ich sagte spontan zu meiner Frau, dass so ein Gewinnspiel anno 2023 jenseitig sei. Oder sein müsste. Eigentlich sollten wir gesamtgesellschaftlich schon so weit sein, sinnierte ich, dass das Verlosen von Flugreisen ähnlich abwegig ist wie zehn Stangen Zigaretten als Hauptgewinn. Müssten wir nicht schleunigst dorthin kommen, dass Flugreisen einfach nichts sind, womit man die breite Masse via Gewinnspiel beglücken kann? Dass so eine Aktion einen PR-Schatten werfen würde, den man nicht so schnell losbekäme. Meine Frau nickte etwas abgelenkt.

Und dann der Hörl Franz...

Seilbahn in Tirol. Im Tal ist das apere Innsbruck zu erkennen.
Skifahren gegen Flugreisen: Das ist Brutalität. Bild: Winds/Shutterstock

... ein paar Tage später. Statt auf die Seilbahnen „hinzuhauen“, die am wenigsten CO2 verursachen, solle man eine Sondersteuer für die Bewerbung „besonders umweltschädlicher Urlaubsformen“ wie Flugreisen, etwa für Städtetrips, sowie Kreuzfahrten verhängen oder gleich ein Werbeverbot dafür einführen, forderte Hörl im APA-Gespräch. Auch könne er sich vorstellen, diese „besonders CO2-relevanten Urlaubsformen“ – „wie bei der Tabakwerbung“ – mit einer Kennzeichnung zu versehen und deutlich darauf hinzuweisen, wie umweltschädlich sie seien.

Verblüffend. Ich, der Öko-Fuzzi aus Wien, und der Seilbahn-Lobbyist aus dem Tiroler Gerlostal. Fast deckungsgleich.

Fliegen ≠ Fliegen sagt die Wissenschaft

Wobei uns die Wissenschaft wieder mal einen Strich durch die Simplifikationsrechnung macht. Eh klar. Beim Thema Flugreisen sollte man sich nicht so sehr, wie Herr Hörl und ich, auf die Städtetrips, also Kurzstreckenflüge, einschießen, lautet das Ergebnis einer aktuellen Forschungsarbeit, veröffentlicht im Fachjournal Journal of Transport Geography. Vergleiche man sie mit den Auswirkungen von Langstreckenflügen, falle die Kurz- und Mittelstrecke kaum ins Gewicht. Die Forschungsgruppe analysierte auf 31 europäischen Flughäfen mehr als sieben Millionen Flugbewegungen aus dem Jahr 2018. Das Ergebnis: Für Flugdistanzen unter 500 Kilometer gingen lediglich sechs Prozent des insgesamt verbrauchten Kerosins drauf. Langstreckenflüge ab 4.000 Kilometer hingegen waren für 47 Prozent des Kerosinverbrauchs verantwortlich. Die Rechnung ist simpel: Je mehr Kerosin, desto schlechter fürs Weltklima. Wer es also politisch wirklich ernst meine mit dem Klimaschutz, so die Studienautor:innen, sollte die heiße Kartoffel Langstreckenflüge angreifen. Und das pronto!

Einmal von Wien nach Bangkok

Zur Veranschaulichung, wie groß der Hebel wäre, ein Vergleich mit dem motorisierten Individualverkehr: Einmal von Wien nach Bangkok im Jumbojet geflogen, setzt pro Person in etwa gleich viel Treibhausgase frei wie ein ganzes Jahr Autofahren in einem Durchschnitts-Pkw.

Ich finde, dass diese Forschungsarbeit ein sehr gutes Beispiel dafür ist, dass einfache Antworten rund ums Thema Nachhaltigkeit bisweilen zu kurz greifen. Die Forschungsarbeit wird für mich trotzdem keine Legitimation sein, die innereuropäische Fliegerei wieder neu zu entdecken.

Denn wie heißt es schließlich: Kleinvieh macht auch Mist.

Markus Stingl - Redakteur: Nachhaltigkeit, Finanzthemen
Markus Stingl, Bakk. phil. | Redakteur: Nachhaltigkeit, Finanzthemen Bild: VKI

Im KONSUMENT-Magazin und -Blog schreibe ich über Themen im weiten Feld der Nachhaltigkeit. Die Kolumne nennt sich ÖKO.LOGISCH.

Markus Stingl, Redakteur

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Genormte Mehrwegflasche: Ein Prost aufs Wiederverwenden BLOG

Genormte Mehrwegflasche: Ein Prost aufs Wiederverwenden

Unser Nachhaltigkeits-Redakteur Markus Stingl vermisst das kleine Bier in der Mehrwegflasche schon lange. Jetzt gib es sie endlich: Eine österreichweite Branchenlösung für 0,33er-Mehrwegflaschen. Lesen Sie mehr im VKI-Blog.

Wie die Klimakrise die Inflation anheizt BLOG

Wie die Klimakrise die Inflation anheizt

... und das Olivenöl ranzig macht. Diese beiden Themen versucht unser Nachhaltigkeits-Redakteur Markus Stingl in seinem neuesten VKI-Blogbeitrag zu verbinden.

Reaktionen auf Veggie-Selbstversuch BLOG

Reaktionen auf Veggie-Selbstversuch

"Ein Monat Vegetarier", bloggte KONSUMENT-Redakteur Markus Stingl. Lesen Sie zwei inspirierende Reaktionen auf seinen Veggie-Selbstversuch.

Balkonkraftwerk und Stromausbeute - Resümee BLOG

Balkonkraftwerk und Stromausbeute - Resümee

Das Balkonkraftwerk unseres Nachhaltigkeits-Redakteurs Markus Stingl hat geliefert. Und zwar ziemlich genau jene Menge an Strom, die er für realistisch gehalten hatte.

Kommentieren

Sie können den Text nach dem Abschicken nicht nachträglich bearbeiten, Länge: maximal 3000 Zeichen. Bitte beachten Sie auch unsere Netiquette-Regeln.

Neue Kommentare können nur von angemeldeten Benutzern veröffentlicht werden.

Anmelden

0 Kommentare

Keine Kommentare verfügbar.

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang