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Skitourengeher an sonnigem Tag durch schneebedecktes, bergiges Gelände.
Skitouren. Wie nachhaltig ist Tourengehen wirklich? Bild: Roberto Caucino/Shutterstock.com

Skitouren: Boom zulasten der Umwelt 2/2022

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Skitourengehen liegt im Trend und gilt als umweltverträgl­icher als das alpine Skifahren. Doch wie nachhaltig ist Tourengehen wirklich?

Rund 600.000  Tourengeher sind in Österreichs Bergen unterwegs. Skitouren scheinen eine umweltfreundliche Alternative zum alpinen Skifahren zu sein. Was gibt es dabei zu beachten? Und handelt es sich um einen Sport, der wirklich so nachhaltig ist, wie man vermuten möchte?

Auswirkungen eines Trends

Das hölzerne Gipfelkreuz des Kreuz­schobers im oberen Mürztal lugt auf 1.400 Metern nur knapp über den dichten Fichtenwald. In Zeiten der Pandemie verheißt es Einsamkeit und Freiheit. Der Schnee ist kompakt, schon auf der Forststraße klacken die Tourenski- Bindungen. Eine Stunde später wird klar: Viele Menschen suchen hier einen Platz zum Durchatmen. An Tagen mit guten Schneeverhältnissen steigen mehr als 50 Menschen auf.

Das hinterlässt Spuren: Die Piste unterhalb des Gipfels ist zerfurcht, erdig-braune Stellen schimmern durch. Der Kreuzschober ist diesen Winter einer von vielen Bergen, die die Auswirkungen des Skitouren-Trends spüren.

Attraktive Alternative

Österreich ist ein Eldorado für Wintersportler. Viele haben die Alpen quasi vor der Haustür, für zahlreiche andere sind sie im Rahmen eines Tagesausflugs erreichbar. Was liegt da näher, als Skifahren zu gehen? Jeder dritte Österreicher macht das auch jedes Jahr. Die Umwelt leidet jedoch unter den Alpinsportlern. Schneekanonen verbrauchen täglich mehrere Hektoliter Wasser. Gondeln, Beleuchtungsanlagen und Gasthäuser fressen Strom.

Für Parkplätze wird planiert und betoniert, für Pisten gerodet und gesprengt, für Speicherteiche gebaggert. Skitourengehen scheint da eine attraktive, weil umweltfreundliche Alternative zu sein. Doch was gibt es dabei zu beachten? Und ist der Sport wirklich so nachhaltig, wie sein guter Ruf ­vermuten lässt?

600.000 Tourengeher und mehr

Rund 600.000 Österreicher gehen Ski­touren, titelten im vergangenen Jahr viele Zeitungen. Die Zahl basiert auf einer Potenzialanalyse bei 1.000 Alpenvereins-Mit­gliedern aus dem Jahr 2018. Gernot Kellermayr, Präsident des Verbandes der Sportartikel­erzeuger und Sportausrüster Österreichs, geht persönlich von einer noch höheren Zahl aus – als Folge der Pandemie. Apps, mit denen man seine Skitour planen kann, verzeichnen Download-Rekorde. ­Online kursieren Videos: Scharen von Touren­gehern, die im Gänsemarsch zum Gipfel aufsteigen.

Anstieg an Tourengehern in der Nähe von Ballungsräumen

Aber ist das schon ein Skitouren-Boom? „Im Schnitt kann man nicht sagen, dass es in den vergangenen Saison zu einer dramatischen Zunahme an Tourengehern gekommen ist”, sagt Dieter Stöhr. Zumindest in Tirol nicht. Stöhr misst für die Landesforstdirektion Tirol, wie viele Menschen im Winter mit Skiern auf die ­Berge gehen. „Im Brixental waren im vergangenen Winter pandemiebedingt viel weniger Menschen unterwegs. Im Sellraintal, wo die Innsbrucker zum Tourengehen an­reisen, war allerdings mehr los”, differenziert Stöhr. Viele Gebiete nahe der Ballungs­räume verzeichneten einen Anstieg.

Am Patscherkofel, Hausberg der Innsbrucker, schätzt man auf rund 25.000 Tourengeher in der vergangenen Saison. Auch am Semmering, eine knappe Auto­stunde von Wien, waren mehr Tourengeher unterwegs. Doch diese Menschen müssen erst zu ihrer Einstiegsstelle kommen. Schon hier beginnen die ersten Probleme für die Umwelt.

Anreise per PKW

Im Frühjahr wird der Alpenverein eine neue Mobilitätsstudie vorlegen. Aktuell zeigt eine Leserbefragung in dessen Mitglieder-­Magazin „Bergauf”: 87 Prozent der Wintersportler reisen mit dem Pkw an. Dabei kommt man in viele Gebiete auch mit den Öffis, wie alpine Vereine immer wieder ­betonen. Denn mehr Autos heißt auch mehr CO2-Ausstoß und überfüllte Parkplätze. Ein Negativbeispiel ist die Gnadenalm nahe Untertauern, wo am Wochenende Hun­derte Autos stehen, auch neben der Bundesstraße.  Deshalb fordert der Bürger­meister den Bau von 80 neuen Parkmöglich­keiten. Gegenwind kommt von Umweltschützern. Sie argumentieren, mehr Parkplätze bedeuteten auch mehr Bodenver­siegelung. Man solle nicht noch mehr in die fragile Natur eingreifen. Zur Gnadenalm fahre außerdem, wie in viele Gebiete, ein Bus.

Unberührte Abfahrten – Gefahr für Wildtiere

Nicht nur bei der Anreise, auch beim Weg zum Gipfel können Tourengeher die Natur schädigen, weiß Gerald Plattner. Er ist Forstingenieur und Referent für Natur und Umweltschutz der Naturfreunde. Das Hauptproblem sind Abfahrten auf unberührten Routen. Denn egal ob an offenen Hängen, am Waldrand oder im Wald: Überall leben Wildtiere. Diese fahren im Winter ihren Stoffwechsel herunter, um mit ihrer wertvollen Energie hauszuhalten. Wenn der Schnee hoch liegt, achten Schneehase, Schalenwild oder Schneehuhn darauf, sich nicht mehr als nötig zu bewegen.  

Wedelt man durch ihre Habitate, signalisiert das den Tieren: Gefahr – Flucht! Ein tragisches Beispiel ist das Birkhuhn, das auf der roten Liste der bedrohten Tierarten steht. Auf­gescheucht durch abfahrende Tourengeher flüchtet es talwärts. Von dort muss es durch den Schnee wieder zu seinem Habitat an der Waldgrenze zurückkehren – ein Kraftakt. „Das kann sich in Hunger oder Mangelerscheinungen äußern. Oft kommt es auch zu einem schlechteren Bruterfolg“, so Gerald Plattner.  

Ganze Jungwälder bedroht  

Unachtsame Tourengeher können ganze Jungwälder zerstören. Bei der Abfahrt durch Aufforstungsgebiete können sie junge Bäume niederdrücken und deren Wipfel mit den Skikanten abschneiden. Das führe zu Konflikten, erklärt der Forstinge­nieur: „Das wilde Abfahren hat Auswirkungen auf den Wald, aber auch auf das Schalenwild. Die Förster und Jäger müssen Schädigungen in Kauf nehmen. Damit zerstören Touren­geher auch Einnahmequellen.”

Apps für Skitourenlenkung

Immer mehr Regionen kommen zu dem Schluss: Um Flora und Fauna zu schützen und Konflikten vorzubeugen, muss man Tourengeher steuern – mit der Skitourenlenkung. Wie das funktioniert, erklärt ­Dieter Stöhr. Er wickelt für das Land Tirol Projekte in 14 Gebieten ab. Dort will er ­Skitourengeher um Schutzzonen für Gams, Birkhuhn und Steinbock herumführen. Diese Zonen sind markiert: im Gelände mit orangen Schildern, auf denen ein schwarzer Tourengeher prangt. In den entsprechenden Outdoor-Apps sieht man die Zonen als gelb unterlegte Flächen mit einem kleinen grünen Blatt. Ein Klick darauf zeigt, ob hier ein Objektschutzwald, Gams oder Birkhuhn umgangen werden soll.

Mobilitätsdaten und Trends

Doch kann das funktionieren? Schließlich basiert die Skitourenlenkung auf Freiwilligkeit. Strafen gibt es, von solchen für Abfahrten durch Jungwald abgesehen, keine. Dieter Stöhr evaluiert die Einhaltung seiner Routen mit einer App. Mit der kann etwa der lokale Förster einen stark verspurten Waldabschnitt eintragen. Auch Mobilitätsdaten der Sport-Tracking-App „Strava” zeigen Trends auf: „Wir haben etwa die Tour auf die Schöntalspitze im Sellraintal um 500 Meter verlegt. Aufgrund der Daten können wir nachweisen, dass mehr als 95 Prozent sich an die neue Route halten“, so Stöhr.

Konflikten vorbeugen und umweltverträgliche Maßnahmen vermarkten

Um solche Projekte umzusetzen, kooperieren in vielen Gebieten Seilbahnbetreiber, Tourismus- und Naturschutzverbände, alpine Vereine und die Jägerschaft. Dafür nehmen Gebiete wie „KitzSki” für das Aufstellen und Warten von Schildern auch Geld in die Hand. Denn Lenkungsprojekte beugen nicht nur Konflikten vor. Sie lassen sich auch gut als umweltverträgliche Maßnahme vermarkten. Ein Vorteil für Ski­gebiete, die immer häufiger als Natur­zerstörer kritisiert werden. Bei populären Touren, etwa jener auf die Lampsenspitze in den Stubaier Alpen, ist eine Skitouren­lenkung aber nicht möglich. Dabei lebt auch dort das Birkhuhn. „Aber das ist eine so beliebte Skitour, die bekommen wir nicht mehr weg“, erklärt Dieter Stöhr.

Aufsteigen neben der Piste

In Fahrdistanz zu den Ballungsräumen weiter östlich steigen viele Menschen neben Pisten auf. Unter anderem, um nach einer anstrengenden Arbeitswoche den Kopf freizubekommen. Das weiß auch Helmut Holzinger. Er ist Vorstandsvorsitzender des Skigebiets Hinterstoder-Wurzeralm, das seit zehn Jahren „Pistengehen” an­bietet. Auch Holzinger verzeichnete pandemie­bedingt einen Anstieg – in der vergangenen Saison kamen im Durchschnitt täglich 1.000 Menschen. Sie reisen aus den Großräumen Linz und Wels über die A9 an. Für eine Pistentour auf die Wurzeralm zahlen sie zwischen 12 und 16 Euro, je nachdem, ob und wie viele Lifte sie benutzen. Pistentouren können nicht gratis sein, meint ­Holzinger.

Schließlich haben die Betreiber Ausgaben. „Wir müssen Lawinen absprengen, Schnee produzieren und präparieren, den Parkplatz räumen und Toi­letten warten. Das ist ein volles Service­paket. Reich wird man damit nicht,” fasst Holzinger ­zusammen. Die Wurzeralm ist außerdem ein Beispiel für die Regel: je mehr Nach­frage, desto mehr Infrastruktur. Helmut Holzinger überlegt, einen neuen Parkplatz für Tourengeher zu bauen.

Viele Pistentouren gratis

Auch wenn immer mehr Gebiete umschwenken: Meist sind Pistentouren noch gratis. Auf den Semmering etwa kann man noch unentgeltlich aufsteigen. Sollte die Nachfrage so zunehmen, dass Pistengeher den regulären Betrieb stören, überlegt man dort allerdings Verbote. Denn sie können Alpinskifahrer oder sich selbst in Gefahr bringen. Risiken auf Pisten und Skirouten sind etwa vereiste Bereiche rund um Schneekanonen, frei laufende Hunde und die Windenseile von Schneeraupen. Im so­genannten „freien Skiraum” ist die Zahl der Unfälle zwar niedriger, aber es gibt dennoch Verletzte und Tote. Eine aktuelle Unfallstatistik finden Sie in unserem Artikel "Haftung bei Skitouren" 2/2022.

Rücksicht nehmen

Auch diesen Winter glitzert der Schnee auf den Berghängen. Am schönsten ist er abseits von Asphalt, Bergstationen und Gondeln. Aber auch das Tourenskigehen hat Auswirkungen auf die Natur – Wälder werden geschädigt, Boden wird versiegelt und Wildtiere werden gestört. Bei der Anreise kann deshalb ein Umstieg auf Zug und Bus, im Gelände eine große Portion Rücksicht nicht schaden – auf Bäume, Birkhühner und alles, was Österreichs Bergwelt sonst noch bevölkert.

MEHR ZUM THEMA

Wie bei allen Sportarten stellt sich auch beim Skitourengehen die Frage, wer haftet, wenn am Berg etwas passiert. Antworten darauf finden Sie in unserem Artikel "Haftung bei Skitouren" 2/2022.

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