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Produktfälschungen - Bestellt, bezahlt, vernichtet

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Vom Zoll beschlagnahmte gefälschte Produkte erreichten 2015 EU-weit einen Warenwert von 642 Millionen Euro. In Österreich hat sich die Anzahl der Produktpiraterie-Aufgriffe gegenüber 2014 verdoppelt, rund 39.000 Artikel wurden vernichtet.

Hauptgeschädigte sind die Verbraucher: Ihr Geld ist weg und die Ware auch. Handelte es sich um Arzneimittel, kommt noch eine Verwaltungsstrafe von mindestens 70 Euro dazu. Wir haben die jüngsten Berichte von Interpol, EU-Plagiatsbehörde und Finanzministerium zum riskanten Interneteinkauf analysiert.

Nur die Spitze des Eisbergs

Die genannten Zahlen umfassen nur, was die europäischen Zollbehörden unter dem Rechtstitel „Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums“ entdeckt und beschlagnahmt haben. Zum geistigen Eigentum – Intellectual Property/IP – gehören Patente, Marken, Geschmacksmuster (eingetragenes Design), Urheberrechte (Copyright) und geografische Herkunftsangaben (Champagner etc.).

Nichts, was es nicht als Fälschung gibt

Als zur Ware gewordener Gesetzesbruch kommt für uns Konsumenten das abstrakt scheinende „geistige Eigentum“ in Form von Luxusuhr und Reisewecker, Sportschlapfen und High Heels, Herrenanzug und Damendessous, Haarwuchsmittel und Viagra-Pille, Nobelhandtasche und Designerbrille, Tonerkartusche und Tintentank, Smartphone und Autoersatzteil daher. Nichts, was nicht als Fälschung angeboten und auch gekauft wird. Oft unwissentlich, manchmal wider alle Vernunft.

Für den damit verbundenen Ärger macht das keinen Unterschied: Die meist per Post oder Kurierdienst eintrudelnde Ware wird vom Zoll „aufgegriffen“ und letztlich zum Großteil vernichtet. 2.771 Sendungen mit 44.832 Produkten verfingen sich 2015 in den Maschen der österreichischen Verteidiger geistigen Eigentums. Das sind einerseits doppelt so viele Sendungen wie im Jahr davor, jedoch nur ein Viertel aller gefälschten Produkte: Ein Hinweis darauf, dass die Schmuggel-Profis andere Wege als den Postversand gefunden haben. Die Zahl der Einzelbesteller nahm aber drastisch zu. Sie mussten 2015 einen Handelswert von 10,7 Millionen Euro in den Wind schreiben. Geld gibt es vom Händler nicht zurück. Der hat auch vom Zoll nichts zu befürchten. Die Verantwortung liegt immer beim Käufer.

Ein Report, den keiner kennt?

Ein Report, den keiner kennt?

Diese und weitere interessante Fakten zum Thema finden sich im „Produktpirateriebericht 2015“. Der erblickte bereits im März 2016 im Bundesministerium für Finanzen das Licht der Welt und richtet sich an den Nationalrat. Auf der Website des Parlaments (parlament.gv.at) wurde er bis Redaktionsschluss freilich nicht einmal in einer Fußnote erwähnt. Bleibt zu hoffen, dass er lediglich ins Sommerloch gefallen ist. Denn die Alternative – Ignoranz der Volksvertreter gegenüber der Produktpiraterie – wäre fatal. Warum, das machen die folgenden Zahlen auf EU-Ebene deutlich:

Auf Schutz angewiesen

77 Millionen Jobs – 4,7 Billionen Euro Wirtschaftsleistung. Das sind laut der Europäischen Beobachtungsstelle für Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums und dem Europäischen Patentamt (EPA) die Kennzahlen der „schutzrechtintensiven Wirtschaftszweige“ in der EU. Also von Bereichen, die besonders auf den Schutz ihrer Patente, Marken, Urheberrechte etc. angewiesen sind, wollen sie überleben und prosperieren. Sie sind gleichzeitig jene, die im Vergleich zu anderen Unternehmen einen höheren Umsatz pro Mitarbeiter erzielen und höhere Löhne bezahlen. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) finden sich in dieser Gruppe, in der 35 Prozent der Beschäftigten in der EU arbeiten.

Da kann es aber auf ein paar gefälschte Handtaschen, Smartphones oder Solarleuchten doch nicht ankommen? Oder?

Volkswirtschaftlicher Schaden

670.000 Arbeitsplatzverluste

Die Beobachtungsstelle (angesiedelt beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum – EUIPO) hat zusammen mit dem EPA im Jahr 2015 Einzelstudien zu den Bereichen Kosmetika und Körperpflegeprodukte, Bekleidung und Schuhe, Sportgeräte, Spielzeug, Schmuck und Uhren sowie Taschen und Koffer veröffentlicht. Danach ergeben sich allein in den genannten Branchen durch Fälschungen

  • 670.408 Arbeitsplatzverluste (doppelt so viele, wie Österreich Arbeitslose hat);
  • 36,4 Milliarden Euro Einnahmenverluste (zum Teil sind Groß- und Einzelhandel hier noch gar nicht mit enthalten);
  • 26,2 Milliarden Euro Umsatzeinbußen in verwandten Wirtschaftszweigen (Zulieferer, Dienstleister);
  • das entspricht je nach Branche 6,5 bis 13,5 Prozent vom Umsatz und bedeutet
  • 11 Milliarden Euro Einnahmenverluste des Staates (Sozialabgaben und Steuern).

Weltweit schätzen OECD und EUIPO-Beobachtungsstelle den volkswirtschaftlichen Schaden auf 338 Milliarden Euro oder 2,5 Prozent des Welthandels. Davon 85 Milliarden in der EU, das sind 5 Prozent aller Importe (2013). Die Top 3 der Faker sind demnach China, Hongkong und der EU-Beitrittskandidat Türkei.

Riesige Gewinnspannen

In keinem anderen Kriminalitätsbereich lässt sich bei so kleinem Risiko so viel Geld verdienen. „1.000 US-Dollar, in den Handel mit Heroin investiert, bringen 20.000 US-Dollar Gewinn; oder beim Handel mit illegalen Zigaretten 43.000 US-Dollar. Dieselbe Investition lässt beim Geschäft mit gefälschten Arzneimitteln einen Gewinn von 500.000 US-Dollar erwarten“, heißt es im „Situation Report on Counterfeiting in the European Union“ von Interpol und dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt der EU.

Heimische Gesetzeslücken

Freihandelszonen – ein Eldorado für Schmuggler

Es wird den Fälschern aber auch recht leicht gemacht. Während Drogen eine „heiße Ware“ sind und bleiben, läuft das Geschäft mit Fake-Produkten weitgehend gefahrlos, sind die Waren erst einmal in der EU. Obwohl viele Fälscherwaren per Schiff nach Europa kommen, erfolgen hier die wenigsten Kontrollen: Nur zwei bis fünf von 100 Containern werden gecheckt (andere Quellen sprechen von jedem Tausendsten). Eine zentrale Rolle spielen die weltweit über 3.000 Freihandelszonen (FTZ), 82 davon in der EU, in denen die Schmuggler bei weitgehender Abwesenheit staatlicher Autorität nach Herzenslust die wahre Herkunft von Produkten verschleiern oder in aller Ruhe bekannte Markenlabels auf Geräte, Textilien etc. aufbringen, ja sogar ihre Fake-Produkte komplett dort produzieren.

Heimische Gesetzeslücken

In Österreich werden Waren, die aus einem anderen EU-Land eingeführt werden, nicht systematisch kontrolliert.

Der Zoll hat die Aufgabe, die Einfuhr gefälschter Waren zu stoppen. Doch was, wenn in einem heimischen Geschäftslokal gefälschte Produkte entdeckt werden? „Befinden sich die Fälschungen bereits auf dem Markt und sind sie aufgeteilt und an Einzelhändler geliefert, wären mehrere getrennte Verfahren notwendig“, erläutert der „Produktpirateriebericht 2015“. Deshalb passiert in der Regel gar nichts. Bedeutet für den Konsumenten: Ein absoluter Schutz vor Fakes besteht auch beim Kauf im Geschäft nicht, und selbst der „fliegende Händler in der Fußgängerzone“ muss den Zoll nicht fürchten.

Man darf zwar kein gefälschtes Produkt via Internetbestellung importieren, kann dasselbe gefälschte Produkt aber ruhigen Gewissens im Köfferchen selbst über die Grenze bringen. Denn dabei handelt es sich um „Waren ohne gewerblichen Charakter“ (Artikel 1 Abs. 4 der EU-Produktpiraterie-Verordnung 2014).

Worauf Sie achten sollten

  • Vorsicht bei Super-Preisen: 2015 fielen Hunderte Besteller auf Facebook-Werbung herein. Dort wurden Designer-Taschen und -Brillen von „Louis Vuitton“ und „Michael Kors“ um 85 Prozent verbilligt beworben. Trotz Warnung durch User und Löschung der Werbung bestellten sie. Die Ware wurde vom Zoll vernichtet.
  • Webshops kritisch betrachten: Finden sich dort kein Impressum und keine (deutschen) AGB und Widerrufsbedingungen, strotzen sie aber vor sprachlichen Mängeln – Finger weg.
  • "Lieferung erfolgt aus Deutschland" und ähnliche Aussagen stellen keinerlei Garantie für die Echtheit dar. Die Hersteller/Händler lassen lediglich durch einen Dienstleister (Fulfillment-Center) versenden; das sagt nichts über die Herkunft und Echtheit des Produkts aus.
  • Lieferzeiträume beachten: Lieferzeiten von zwei bis drei Wochen sollten stutzig machen. Dann ist die Ware noch am anderen Ende der Welt. Unbedingt die Seite „Händlerdetails“ an­sehen und die dortigen Daten kritisch sichten. Nicht von positiven „Händlerbewertungen“ täuschen lassen!
  • Rezensionen beachten: Gibt es mehr als 20 Prozent 1-Stern-Bewertungen im Vergleich zu den 5-Sterne-Bewertungen, stimmt möglicherweise etwas mit der Ware nicht.
  • Kein Kontakt außerhalb der Plattform: Fake-Händler fordern dazu auf, vor Bestell­­aufgabe Kontakt über eine bereitgestellte E-Mail-Adresse herzustellen. Als Antwort erhalten Sie täuschend echte Anleitungen zur Zahlungsabwicklung. Die angebotene Ware gibt es nicht, das Geld ist weg.
  • 1.084 Produkte auf der Watchlist des Zolls: Vor allem bekannte Marken. Ihr Wunschartikel ist mit einiger Wahrscheinlichkeit dabei.
  • Keine rezeptpflichtigen Medikamente bestellen: Schon die Bestellung ist strafbar. Es droht eine Ver­waltungsstrafe zwischen 70 und 100 Euro nach Arzneiwareneinfuhrgesetz. Österreichs Zoll ist Europameister im Abfangen von Viagra & Co: Bis zu 37 Prozent aller Auf­griffe gefälschter Medikamente in der EU gehen auf das Konto heimischer Zöllner.

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