Zum Inhalt

Klimawandel: "Wir müssen Druck auf die Politik machen" - Nachhaltiges Interview

Wie wir es schaffen können, das Ruder beim Klimawandel noch herumzureißen.

Die Journalisten Susanne Wolf und Peter Blazek im Interview. (Foto: VKI)

Die beiden Journalisten Susanne Wolf und Peter Blazek sind untrennbar mit der KONSUMENT-Berichterstattung zum Thema Nachhaltigkeit verbunden. Blazek war zudem 22 Jahre KONSUMENT-Redakteur und federführend dafür verantwortlich, dass der VKI als eine der ersten Verbraucherschutzorganisationen weltweit ethische Beurteilungen von Unternehmen vorgenommen hat. Im Interview sprachen wir mit ihnen über mehr Mut beim Thema Nachhaltigkeit, über Fridays for Future und politische Weichenstellungen.


KONSUMENT: Dem VKI war und ist das Thema Nachhaltigkeit ein großes Anliegen. Das äußert sich auch in unserer Rolle als Herausgeber von Büchern zum Thema. Das dritte aus der Reihe, allesamt von dir, Susanne, verfasst, trägt den sehr starken Titel „Zukunft wird mit Mut gemacht“. Was ist die Kernbotschaft?

Wolf. Die Kernbotschaft ist, dass wir alle etwas beitragen können für mehr Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz. Und ich will, wie der Titel schon sagt, Mut machen. Und dazu motivieren oder eigentlich sogar auffordern, selbst aktiv zu werden. Es geht darum, nicht nur nachhaltig zu leben – das war der Fokus in meinen ersten beiden Büchern –, sondern wirklich auch Druck auf die Politik zu machen. Das wird immer wichtiger.

Ist politischer Protest wichtiger als privater Konsumverzicht?

Wolf. Es ist beides gleich wichtig. Es ist wichtig, dass jeder Einzelne bei sich beginnt und sich Gedanken über seine Konsumgewohnheiten macht. Aber es kann nicht sein, dass nur wir Konsumenten für die Weltrettung verantwortlich gemacht werden – und die Politik putzt sich ab und die großen Konzerne produzieren weiter ungeniert so, wie sie wollen.

y

Öko kann nur zur Norm werden, wenn die Politik uns das oktroyiert, uns diese Entscheidung abnimmt?

Blazek. Das ist kein Oktroyieren, eher das Gegenteil. Es ist der Druck der Bevölkerung, der die Politik zwingt, aktiv zu werden. Und die Wirtschaft nötigt, entsprechende Angebote zu machen. Nur der Konsument allein kann gar nichts machen. Der ist ja von den Angeboten abhängig. Nur dann kann er nachhaltig einkaufen. Die Unternehmen müssen durch Anreize oder Zwang dazu gebracht werden.

Vom Konsumenten zum mündigen Bürger

Der mündige Konsument, der mit seinen Kaufentscheidungen das Zünglein an der Waage ist, ist also eine Mär?

Blazek. Der mündige Konsument … Der muss immer als Ausrede herhalten: „Was sollen wir machen? Die Konsumenten spielen halt nicht mit.“ Aber es kommt nicht auf den Konsumenten an. Wir leben in einer Wirtschaft, die von den Unternehmen diktiert wird.
Wolf. Es geht darum, dass wir wieder mündige Bürger werden sollten – und nicht nur Konsumenten sind.

Es ist also nicht verlogen, für den Klimaschutz zu demonstrieren, wenn man regelmäßig in ein Flugzeug steigt? Oder konventionelles Fleisch zu essen und trotzdem mehr Tierwohl einzufordern?

Wolf. Doch, das finde ich schon etwas verlogen.
(Peter Blazek lächelt nicht ganz zustimmend.)

Aber alles mit schlechtem Gewissen zu machen – Fliegen, Autofahren, Fleischessen – kann auch nicht die Lösung sein, oder?

Wolf. Nein, natürlich nicht. Ein schlechtes Gewissen bringt uns auch nicht weiter. Oder aufeinander loszugehen, mit dem Finger auf andere zu zeigen, wie das in Social Media oftmals der Fall ist.

Wie muss sich unser Wirtschaftssystem ändern, damit es enkeltauglich wird?

Wolf. Wir müssen weg vom Wachstumsdenken.
Blazek. Dieser Wachstumsfetischismus ist wirklich so etwas von überholt und jenseitig. Und Politiker und Sozialpartner, wenn man denen teilweise bei Reden zuhört, die argumentieren wie in den 1950er-Jahren. Da muss ein Umdenken her!

Die Gelbwestenproteste in Frankreich haben gezeigt, wie schnell politisch recht ambitionierte „grüne“ Weichenstellungen zum Rohrkrepierer werden können – wenn sie von der Bevölkerung nicht mitgetragen werden. Wie kann man Menschen für den Klimaund Umweltschutz sensibilisieren? Es hat den Anschein, dass viele zwar das Problem erkennen und wissen, was zu tun ist. Den Anfang bei sich selbst zu machen, fällt aber vielen schwer.

Wolf. Ich denke, da sind auch die Medien in der Pflicht, entsprechend konstruktiv zu berichten und über die Zusammenhänge aufzuklären. Dass die Klima- und Umweltkrise, in der wir uns befinden, letztlich untrennbar mit unserem Konsum zusammenhängt.
Blazek. Die jungen Leute holen sich die Informationen aber ohnedies woanders. Heutzutage gibt es so viele andere Informationsquellen. Auch wenn in den klassischen Medien etwas anderes stehen würde, die Jugend lässt sich nicht mehr so leicht manipulieren.
Wolf. Jeder sollte einmal in sich gehen und sich fragen: Was will ich eigentlich und was brauche ich? Ich bin überzeugt, nur wenn es einem selbst gut geht, kann man Teil des Wandels werden, nur dann kann man etwas beitragen zu einer besseren Welt. Zum Beispiel: Ich wollte schon immer einmal nach Australien. Aber was passiert, wenn ich’s nicht mache? Bricht dann meine Welt zusammen? Wohl kaum. Ich bin schon seit einem Jahr nicht mehr geflogen – und es geht mir gut dabei. Zum Glück fahre ich auch sehr gerne mit der Bahn.
Blazek. Man muss doch nicht jedes Jahr für einen Strandurlaub in die Karibik fliegen. Bei Fernreisen geht es wenn dann doch darum, dass man neue Ländern kennenlernt. Aber nur, damit man 14 Tage im Sand liegt? Das kann man auch an der Adria haben.

"Es geht darum das Schlimmste zu verhindern"

Stichwort Wandel: Viele sagen, Fridays for Future hat binnen kurzer Zeit viel mehr bewirkt als diejenigen, die jahrelang nur bio gekauft haben und kein Auto benutzen. Stimmt ihr dem zu?

Wolf. Das ist tatsächlich eine sehr starke Bewegung. Und sie wird immer stärker, jetzt auch in den USA.
Blazek. Es war offenbar die Zeit reif für so eine Protestbewegung, sie hat eine neue Qualität. Auch in der Politik ist es mittlerweile so, dass sich eigentlich keiner mehr erlauben kann, da dagegen zu stehen. Das war vor 10 oder 20 Jahren anders.

Die Revolution frisst ihre Kinder. Ist die Fridays-for-Future-Generation nachhaltig nachhaltig? Werden die Jugendlichen auch in 10, 20 Jahren noch nach Öko-Maximen leben?

Blazek. Sein kann es natürlich, dass das wieder einschläft. Das ist in der Vergangenheit so mancher Bewegung passiert.
Wolf. Ich glaube nicht, dass das passiert. Weil die Situation zu ernst ist, weil es letztendlich ums Überleben der Menschheit geht!
Blazek. Es wird ja immer sichtbarer: die Veränderung, der Klimawandel. Eigentlich geht’s nur noch darum, das Schlimmste zu verhindern. Zurück in die gute alte Zeit kommen wir ohnehin nicht mehr.

Ist das Glas bei euch halb voll oder halb leer? Sprich: Ist es frustrierend, wie wenig in den vergangenen Jahren beim Thema Nachhaltigkeit weitergegangen ist? Oder super, welch breite Bevölkerungsschichten sich inzwischen für das Thema interessieren?

Blazek. Anhand der Bio-Lebensmittel zeigt sich, dass es eine Veränderung gegeben hat. Vor 20 Jahren hätte man noch nicht erahnen können, dass sie heute einen so großen Marktanteil haben. Hier sieht man zudem sehr gut, dass es die große Veränderung nur geben kann, wenn die Unternehmen aufspringen und das entsprechende Angebot bereitstellen.
Wolf. Mir geht’s zu langsam, die Zeit rennt uns davon. Ich bin aber auch ein ungeduldiger Mensch. Es ist natürlich schwierig, global gesehen etwas zu verändern. Aber ich bin auch ein Optimist und ich lass mir das nicht nehmen. Ohne Optimismus geht’s nicht. Wir müssen alle daran glauben, dass wir das schaffen können!
Blazek. Im Bereich der sozialen Missstände, z.B. in der Bekleidungsindustrie, gibt es leider auch noch viel zu tun. Es sind zwar alle Konzerne umgestiegen, es gibt überall einen Nachhaltigkeitsmanager. Die Frage ist, ob sich tatsächlich dadurch substanziell etwas verbessert hat

Ethik-Tests des VKI

Der VKI war eine der ersten Verbraucherorganisationen weltweit, die eine ethische Beurteilung von Unternehmen vorgenommen haben. Der Startschuss für die Ethik-Tests fiel im Oktober 2000, als KONSUMENT einen Laufschuhtest veröffentlichte, bei dem die Hersteller gleichzeitig auf die Einhaltung sozialer Mindeststandards in den Produktionsstätten der Dritten Welt überprüft wurden. Peter, wie kam es dazu?

Blazek. Nachdem in den Jahrzehnten davor die Erzeugung unterschiedlichster Produkte nach Asien ausgelagert wurde, war es unsere Überzeugung, dass es nicht mehr ausreicht, nur die Produktqualität zu überprüfen. Sondern es galt, auch die Produktionsbedingungen zu beleuchten. Es ist immer klarer geworden, dass die Bedingungen dort katastrophal sind.

Wie war die Reaktion der KONSUMENT-Leserschaft auf die Ethik-Tests?

Blazek. Wir bekamen viel Feedback, größtenteils positiv. Auch kritische Stimmen haben grundsätzlich positiv reagiert. Man muss schon sagen: Es war ein ehrgeiziges Unterfangen. Insbesondere die Überprüfung der Bedingungen vor Ort in den Fabriken. Aber es war sinnvoll. Dennoch sind wir mit der Zeit davon abgekommen, solche Ethik-Test zu machen, da es bisweilen eine heikle Angelegenheit ist, von einer oder zwei besichtigten Fabriken auf die Gesamtheit aller Produktionsstätten eines Unternehmens zu schlussfolgern. Inzwischen nähert sich KONSUMENT dem Thema auf einer allgemeineren Ebene. Der Fokus liegt auf der generellen Schilderung von Problemen in der Produktion bzw. decken wir Missstände auf, die ganze Branchen betreffen.

Buchtipp: Zukunft wird mit Mut gemacht

Klimawandel, Umweltzerstörung, Artensterben – zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass wir nicht mehr viel Zeit haben, das Ruder herum­zureißen. Als Grundübel für den Zustand unseres Planeten gilt unser ausbeuterisches Wirtschaftssystem, das weiterhin grenzenloses Wachstum predigt – auf Kosten der Umwelt und von Arbeitskräften in den Herstellerländern.

Nachhaltiger Konsum und Lebensstil werden nicht ausreichen, um die Welt zu retten. Was also ist zu tun? Dieses Buch will aufrütteln und mobilisieren. Es zeigt auf, was schiefläuft in unserer Gesellschaft, aber auch welche Möglichkeiten es gibt, Teil des dringend notwendigen Wandels zu werden.

Leseprobe und Buch finden Sie in unserem Shop.

Aus dem Inhalt

  • Nackte Tatsachen
  • Nachhaltigkeit ad absurdum geführt
  • Shoppst du noch oder lebst du schon?
  • Schmeckt nicht? Weg damit!
  • Alles im Wandel
  • Alternative Modelle
  • Achtsamkeit oder: eins mit der Natur
  • Die Zukunft beginnt jetzt
  • Helden des Alltags: Lehrer

144 Seiten, 19,90 € + Versand

 

 

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

Das neue Einwegpfandsystem ab 2025

Das neue Einwegpfandsystem ab 2025

Ab dem 1. Jänner 2025 muss für jede geschlossene Einweg-Getränkeverpackung aus Kunststoff oder Metall mit einer Füllmenge von 0,1 bis 3 Liter ein Pfand von 25 Cent gezahlt werden.

ePrämie: Eine Prämie fürs Stromtanken premium

ePrämie: Eine Prämie fürs Stromtanken

Besitzer:innen von Elektroautos können für ihre umweltfreundliche Art der Fortbewegung eine jährliche Prämie kassieren. Aber was ist der Sinn und Zweck dieses Anreizsystems?

Was ist eine Energiegemeinschaft?

Was ist eine Energiegemeinschaft?

Energiegemeinschaften sind eine Möglichkeit, sich direkt an der Energiewende zu beteiligen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang