
Warum ist Bio besser, Herr Lampert?
Ohne Werner Lampert wäre die Bio-Branche nicht dort, wo sie heute steht. Auf den Lorbeeren ausruhen will sich der Nachhaltigkeitspionier aber nicht. Im "Nachhaltigen Interview" sagt Lampert: „Bio muss den nächsten Schritt gehen.“
ZUR PERSON
Werner Lampert wurde 1946 geboren und verbrachte einen Großteil seiner Kindheit auf einem Bauernhof in Vorarlberg. Schon früh entdeckte er seine Faszination für die Bio-Bewegung. Anfang der 80er-Jahre öffnete Lampert einen Großhandel für Bio-Lebensmittel in Wien. 1994 entwickelt er die Bio-Marke „Ja! Natürlich“ (Rewe), 2006 „Zurück zum Ursprung“ (Hofer). Auch im Ausland ist Lampert mit seinem Beratungsunternehmen aktiv, 2022 war die Geburtsstunde der Bio-Marke „Retour aux Sources“ für Aldi Schweiz. Seit 2019 trägt Lampert den Titel Professor, der ihm vom Bundespräsidenten verliehen wurde. Lampert ist zudem Autor mehrerer Bücher.
Herr Lampert, Sie haben in den 90ern den Schritt ins „Big Business“ gewagt, Ja! Natürlich entwickelt. Auch zum Diskonter Hofer gabs mit Zurück zum Ursprung keine Berührungsängste. Wie ist das: Rümpfen da die Bio-Puristen in der Branche die Nase?
Werner Lampert: Das gibt es natürlich. Bio ist etwas Ideelles. Und da kann man schon die Vorstellung haben, dass das einen anderen Weg gehen muss. Natürlich wäre es schön, wenn alle neun Millionen Österreicher ihre eigenen Gärten hätten und selber anbauen würden. Wir hätten eine völlig andere Gesellschaft!
Was war die Motivation den Weg zu gehen, den Sie eingeschlagen haben?
Als ich die ersten Schritte gewagt habe, also in den 70er-und 80er-Jahren, da gab es Bio im Übermaß. Aber keine Absatzmärkte. Das Bioladen-Geschäft, zu dem ich ja auch gezählt habe, war mühsam. Egal, was du draufgeschlagen hast, du hast immer ein Minus gemacht. Es gab einfach zu wenig Kundschaft. Als dann die integrierte Landwirtschaft aufgekommen ist, war meine Sorge groß, dass Bio verschwinden könnte. Das war mein Beweggrund zum Lebensmitteleinzelhandel (LEH) zu gehen. Meine Vorstellung war, dass es Bio überall dort geben muss, wo Menschen ihren täglichen Bedarf abdecken. Da muss Bio sein! Ich bereue das keine Sekunde! Auf der anderen Seite kann ich jeden eingefleischten Bio-Menschen verstehen, der sagt: Also, was du da gemacht hast, das würde ich nie machen.
Auch wenn diese Menschen Profiteure vom Strukturwandel sind…
Letztlich sind sie alle Profiteure, das ist ganz klar.
Faktum ist, dass Bio zu einem lukrativen Geschäft geworden ist. Wie idealistisch geht es hinter den Kulissen denn noch zu bzw. kann es überhaupt noch zugehen?
Es hat eine Phase gegeben, in der Leute, die besser rechnen konnten, zu Bio gekommen sind. Manche sind dort zu Idealisten geworden. Manche haben sich wieder verabschiedet. Aber im Prinzip ist es ein idealistisches Tun. Ein Tun, das du mit deinem Herzen, deiner Seele und deinem Verstand verbinden musst. Nur dann wirst du Erfolg haben.
Sehen Sie sich als Idealist?
Das ist nicht wesentlich. Ich war ein Vermittler. Das war meine Position.

Manche in der Branche bemängeln einen angeblichen Rückgang der Bio-Qualität. Können Sie das nachvollziehen?
Wenn ich vergleiche, wie die Bio-Kontrollen funktioniert haben, als ich begonnen habe, und wie sie jetzt funktionieren … Das sind inzwischen wirklich professionellste Kontrollen, auf die man sich verlassen kann. Also nein, das kann ich nicht nachvollziehen. Aber natürlich: Ich bin ein Anhänger davon, Bio stets weiterzuentwickeln und zu verbessern. Nur so wird Bio eine Zukunft haben. Beispielsweise benötigt es noch mehr Transparenz. Wenn Konsument:innen wissen, wo ihre Produkte herkommen, haben sie auch eine andere Beziehung dazu. Also raus aus der Anonymität!
No-Name-Bioprodukte, White Label wie sie in der Fachsprache genannt werden, die unter ökonomisch günstigeren Rahmenbedingungen im Ausland hergestellt wurden, drängen auf den Markt. Der steigende Absatz im Bio-Bereich ist zu einem Gutteil darauf zurückzuführen. Inwieweit gefährden Importe bzw. international produzierte Bio-Produkte die heimischen Bio-Betriebe?
Nun ja, das sind Lifestyleprodukte. Die kommen so wie Schmetterlinge dahergeflogen und verschwinden wieder. Man darf sie aber natürlich nicht negieren – und gezielt auch von ihnen lernen.
Aus Sicht der Konsument:innen ist ein größeres, günstigeres Angebot doch begrüßenswert?
Alles, was Interesse weckt, ist gut. So beginnt es ja, mit einem kleinen, schnöden Interesse: Was könnt’ ich heute essen? Und wie könnte es beschaffen sein? Beim Essen können Konsument:innen geradewegs, ohne Zeitverzögerung etwas bewirken – auch in Hinblick auf Nachhaltigkeit und Klimawandel. Darum sind Lebensmittel so unglaublich interessant. Nichts spricht unsere Sinne so unmittelbar und beständig an.

Es hat ein wenig den Anschein, als ob Vegan das neue Bio ist. Zumindest was die Aufmerksamkeit der Konsument:innen betrifft. Hat man da in der Bio-Branche etwas verschlafen? Oder gibt es ohnedies Synergien?
Die Vegan-Bewegung hat meine Sympathien, das ist definitiv eine noble Sache. Im Produktbereich gibt’s immer Trends. Doch viel wichtiger sind Innovationen in der Landwirtschaft. Wunderbar, wenn sich’s verbinden lässt.
Auch auf die Gefahr hin, dass es vielleicht zu spezifisch wird: Können Sie ein Beispiel von solchen Synergien nennen?
Sehr gerne. Zum Beispiel die Hülsenfrucht Lupine. Sie ist ein Tiefwurzler und kann stark verdichtete Böden gut auflockern. Und an den Wurzeln sitzen Bakterien, die mit der Pflanze eine Symbiose eingehen: Mit der Folge, dass die Pflanze in der Lage ist, Luftstickstoff zu fixieren. Zerfallen die Pflanzen irgendwann, setzen sie Stickstoff frei für nachfolgende Pflanzen. Sie düngen den Boden also auf natürliche Weise, was gut für den Humusaufbau ist. Und: Lupinen sind ein sehr guter Proteinlieferant, sie können zu Fleischersatzprodukten verwertet werden.
Wie ist Ihre Meinung zu Plant-Based-Produkten?
Am Beginn waren vegane Ersatzprodukte sehr stark verarbeitet. Ich habe mir die Rezepturen angeschaut und mir gedacht: Was da drinnen ist – das möchte ich nicht im Essen haben! Hier tut sich aber einiges, der Weg geht hin zu schlankeren Rezepturen. Und ich denke, es wäre hoch an der Zeit, dass wir noch mehr vegane Bio-Lebensmittel produzieren.
"Ich habe großen Respekt vor Großbetrieben, die solide und professionell arbeiten"
Eine Grundsatzfrage: Ist Bio gleich Bio? Hier der idealistische, kleine Demeter-Betrieb, dort die industriell skalierte Bio-Landwirtschaft. Macht es Sinn, die beiden zu vergleichen? Sind die Unterschiede für die Kundschaft relevant?
Man muss sie vergleichen, ja. Wie ich begonnen habe, war ich fasziniert von kleinen Demeter-Betrieben – die perfekte Idylle! Im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit aber habe ich festgestellt, dass nicht die Größe des Betriebs das Entscheidende ist. Es kommt auf die innere Haltung der Bauernfamilie an. Ich habe großen Respekt vor Großbetrieben, die solide und professionell arbeiten.
Werden durch die Hinwendung zum Massenprodukt die Standards im Bio-Bereich aufgeweicht?
Wenn ich mir die 50 Jahre, die ich mich mit Bio beschäftige, anschaue, dann sehe ich jetzt eine viel stabilere Qualität, die zu den Konsumenten:innen kommt. Als ich begonnen habe, war es eine zufällige Qualität. Die beste Qualität, die man sich vorstellen kann! Aber ein einmaliges Erlebnis, sie war nicht wiederholbar. Und jetzt haben wir in der Bio-Landwirtschaft wirklich beständig hohe Qualität. Die Bäuerinnen und Bauern haben enorm dazugelernt. Abgesehen davon: Die EU als Standardhalter im Biobereich hat ein sehr hohes und verlässliches Niveau – die nationalen Standards hatten ordentlich zu schnaufen, um mitzuhalten. Teilweise ist das immer noch so. Sie dürfen nicht vergessen: Bio-Lebensmittel sind die einzigen, die vom Urproduzenten, vom Bauern, über die Ernte, die Verarbeitung und Lagerung kontrolliert werden. Und das regelmäßig von staatlich anerkannten Kontrollstellen.

Auf welcher Strecke des Weges befindet sich Bio Ihrer Meinung nach?
Die Bio-Geschichte ist eine Erfolgsgeschichte. Aber Bio muss den nächsten Schritt gehen – und zwar in die Nachhaltigkeit hinein. Warum? Wegen den großen, drängenden Herausforderungen des Klimawandels. Bio muss eine noch stärkere Klimaresilienz entwickeln.
Wie kann das gelingen?
In der konventionellen Landwirtschaft sehe ich sehr viel Schnappatmung, Eskalationsstufen. Düngemittel und Pestizide reichen nicht mehr, da steht man an. Deshalb braucht es Gentechnik. Und die digitalisierte Landwirtschaft. Das ist das Ende des freien Bauerntums. Industrielle werden die Eigentümer der Daten sein, des digitalen Wissens. Nachhaltiges Bio versucht die Erfahrung, das standortangepasste Wissen der Landwirt:innen zu erfassen, zu durchdringen und von da heraus zu gestalten. Es geht darum, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Praxis zu übersetzen, und zwar gemeinsam mit den Bäuerinnen und Bauern.
"Wir wollen keine bäuerlichen Industriearbeiter"
Aber auch Bio kann von der Digitalisierung profitieren, oder sind Sie da skeptisch?
Nein, ich habe natürlich nichts gegen eine Modernisierung. Aber Landwirtschaft muss etwas sein, dass der Bauer aus seiner Freiheit heraus betreibt, mit seinem Willen und Wissen und seiner Erfahrung. Und nichts Übergestülptes. Wir wollen keine bäuerlichen Industriearbeiter.
Bio wird gemeinhin mit Nachhaltigkeit gleichgesetzt – aber offensichtlich sind da doch noch ein paar Meter zu gehen?
Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir sehen, dass wir Verbesserungen machen müssen. Zurück zur Klimaresilienz, was sind die Probleme? Zum Beispiel Bodenverdichtung und Starkregenereignisse, wo es zu riesigen Überschwemmungen kommen kann. Bodenerosion ist ein großes Problem. Wir brauchen poröse, durchlüftete Erde, wir müssen an der Bodenqualität arbeiten. Zum Beispiel mit optimierter Bewässerung oder der gezielten Förderung von Bodenlebewesen. Auch die teilweise pfluglose Bodenbearbeitung gehört dazu. Eine höhere Pflanzendiversität auf den Anbauflächen hilft den Betrieben zudem flexibler gegenüber den Wetterextremen zu werden.
Ohne Anpassung an die fortschreitende Veränderung des Klimas steigt das Risiko von Ernteausfällen und Produktionsrückgängen?
Ganz genau. Bio in Kombination mit authentischer Regionalität und Nachhaltigkeit kann da nachweislich punkten. „Zurück zum Ursprung“-Viehbetriebe wurden wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Das Ergebnis: Sie sind besser auf Wetterextreme vorbeireitet und damit klimaresilienter als andere Betriebe.
Bio ist also krisensicherer als konventionelle Landwirtschaft?
Nehmen wir die Corona-Pandemie. Bio konnte viel stabiler und besser liefern, weil man nicht so abhängig ist von globalen Lieferketten. Auch im Ukraine-Krieg zeigt sich das. Konventionelle Landwirtschaft braucht Kunstdünger, und der weltgrößte Düngerexporteur ist Russland …

Die Zahl der Bio-Bauern in Österreich ist rückläufig. Was ist da los?
Für mich kommt das nicht ganz überraschend, leider. Die Bundesregierung hat das Ziel ausgegeben, den Bio-Anteil in der Gemeinschaftsverpflegung zu erhöhen. Das ist begrüßenswert. Aber gleichzeitig muss dann für die Weiterentwicklung von Bio etwas gemacht werden, die Rahmenbedingungen müssen passen! Und da steht man schon länger auf der Bremse, Bio ist leider nicht im Förder-Vordergrund momentan. Österreich ist genau dann zum Bio-Land geworden, als es Landwirtschaftsminister gab, die sich wirklich für Bio eingesetzt haben, ein Fördersystem geschaffen haben, das eine unglaubliche Dynamik bei Bio erzeugt hat.
Wo in Österreich wünschen Sie sich mehr Bio? Wo sehen Sie brach liegende Potenziale?
Vor 30, 35 Jahren war ich überzeugt, dass wir in Österreich um die Jahrtausendwende bei 40 – 50 Prozent Bio-Absatz im LEH sein werden. Davon sind wir ein ganzes Stück weit entfernt. In manchen Warenkörben sind wir zwar schon da, zum Beispiel bei Molkereiprodukten. Unterm Strich liegen wir aber bei nur rund 12 Prozent. Wenn wir für die Fragen, die sich durch Klimawandel, Biodiversitätskrise usw. ergeben, Antworten finden wollen, wird die Landwirtschaft aber einen Ruck hin zu Bio machen müssen. Dabei geht es auch um Ernährungssouveränität.
„Wir müssen zur Kostenwahrheit kommen“
Welche Rolle soll Bio in der Ernährung der breiten Bevölkerung spielen? Massenprodukt oder Nischenangebot?
Bio muss Normalität sein. Alle Sünden der konventionellen Landwirtschaft gleichen wir mit unseren Steuern aus. Alle! Bio hat in dem System keinen Vorteil, sondern nur den höheren Preis. Wenn wir damit beginnen würden, das, was in der konventionellen Landwirtschaft passiert, tatsächlich geltend zu machen, dann haben wir Bio schnell bei 50 – 60 Prozent Marktanteil. Wir müssen zur Kostenwahrheit kommen.
Wie hoch ist das Wachstum von Bio im heimischen LEH in den nächsten zehn Jahren?
Konservativ würde ich ein Plus um 20 Prozent für realistisch halten. Ambitionierter betrachtet könnten es aber auch 50 Prozent sein. Dafür müssten alle mitziehen und auch die Förderungen entsprechend klarer definiert werden.
Und der Bio-Anteil an den landwirtschaftlichen Flächen muss ebenfalls wachsen? Oder geht’s hier mehr um Effizienzsteigerungen?
Die werden auch wachsen müssen. Schon allein deshalb, weil der Klimawandel es mit sich bringt, dass man größere landwirtschaftliche Einheiten braucht – um regionale Ernteausfälle besser abfedern zu können.
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