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Interview mit Nunu Kaller: "Kleine Schritte bewirken schon etwas"

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Die Wienerin Nunu Kaller ist Buchautorin, Konsumkritikerin und Nachhaltigkeitsberaterin. Während des ersten Corona-Lockdowns wurde sie mit ihrer Liste von Einzelhändlern, die Online-Einkaufsmöglichkeiten anboten, überregional bekannt. Mit uns sprach Nunu Kaller über ethische Konsumentscheidungen und darüber, wo die Verantwortung von Konsument:innen endet und die von Konzernen beginnt.

KONSUMENT: Der Titel Ihres Buches ist „Kauf mich! Auf der Suche nach dem guten Konsum“. Was war der Auslöser, dass Sie sich auf die Suche gemacht haben?

Ich war sechs Jahre lang Konsumentensprecherin bei Greenpeace und hatte das Gefühl, dass ich irgendwann in fast jedes Journalistenmikro in Österreich reingeredet hatte, was nachhaltiger Konsum ist. Dass wir regional, saisonal und biologisch kaufen sollen, keine Fast Fashion und was die tollen Alternativen sind. Trotzdem habe ich immer noch jede Wette gewonnen, wenn auf der Mariahilfer Straße ein Geschäft zugesperrt hat, dass ein Fetzenladen reinkommt. Da habe ich mich gefragt, wieso das so ist.

Die andere Initialzündung: Bei Greenpeace hatte ich eine Dame am Telefon, die mir erzählt hat, dass sie ihre ganze Küche plastikfrei gemacht hat. Sie wollte von mir wissen, ob sie die Produkte mit Glas oder Stahl ersetzen soll. Und ich habe mir gedacht: Wirklich ökologisch hast du gerade nicht gehandelt, weil du funktionale Dinge weggeworfen hast. Auch der Konsum von „nachhaltigen“ Produkten ist immer noch der Konsum neuer Produkte. Das ist eigentlich nur die andere Seite des Konsumismus – da soll uns genau so viel verkauft werden.

Was ist dann der gute Konsum?

Weniger Konsum. Wir konsumieren schlicht und einfach zu viel. Die Zauberfrage ist immer: Brauche ich es wirklich? Dann ist es ganz wichtig, sich selbst zu reflektieren, warum man konsumieren möchte und dabei ehrlich zu sich zu sein. Mein Jahr hat etwas anstrengend angefangen, viele Streits und Diskussionen. Ich habe ganz viel zu Hause, mit dem ich mich beschäftigen und ablenken kann, viele ungelesene Bücher, Möglichkeiten für meine Do-it-yourself-Hobbys, einen Heimtrainer und auch das Netflix-Abo. Und trotzdem bin ich dagesessen und habe mir gedacht: Ich mag mir was kaufen, ich brauch irgendwas Neues.

Da war mir klar: Ich will nur was kaufen, weil ich die guten Gefühle haben möchte, weil ich mich einfach besser, zufriedener fühlen will. Da muss man ganz ehrlich mit sich sein. Ich wollte definitiv nichts kaufen, weil mir zu Hause so fad ist – ich habe einen Pandemieerlebnispark aus meiner Wohnung gemacht, Bücher, Fitnessgeräte, Wolle zum Stricken, alles da.

Laut Konsumpyramide steht etwas Neues zu kaufen ganz oben an der Spitze …

Ja genau, die letzte Instanz. Das finde ich einen sehr pragmatischen und annehmbaren Rat für guten Konsum. Wir können uns abschminken, dass wir in dieser Welt alles richtig konsumieren – das wird nie passieren. Weil – und die Theorie hat eine Freundin aufgestellt – würde auf diesem Planeten von jetzt auf gleich alles ökologisch absolut korrekt laufen, würde er wirtschaftlich und sozial auf der Stelle krachen gehen. Das macht mich natürlich sehr nachdenklich, weil man sich das Heile-Welt-Denken abschminken kann. Es ist immer ein komplexes Abwägen, das natürlich nicht rasend optimistisch macht.

Nunu Kaller im KONSUMENT-Interview

Nachfolgende Themen werden u. a. angesprochen:

  • Welche Verantwortung haben Konsument:innen? Welche die Konzerne?
  • Wo sollen wir anfangen, um "gut" zu konsumieren?
  • Was wäre vonseiten der Politik notwendig?
  • Welche Rolle spielt Greenwashing beim guten Konsum?
  • Was ist schlecht am Minimalismus?

Wie machen Sie es dann, wenn Sie wirklich etwas Neues benötigen?

Mir ist meine weiße Sommerhose nach langem Tragen in die einzelnen Fasern zerfallen. Ich bin am Überlegen – schaue ich Second Hand in Läden oder online, da gibt es auch schon recht gute Portale. Kann ich sie vielleicht selber nähen oder mache ich ein Tauschgeschäft mit einer Freundin, die mir das näht? Der Neukauf eines konventionellen Produktes steht immer an letzter Stelle bei mir. Ich habe kürzlich was erlebt, das passt wahnsinnig gut in diese Überlegung hinein. Es war Samstag, 16 Uhr, ich war im Supermarkt und habe gesehen, dass noch drei Sträuße Blumen im Kübel standen, um 50 Prozent reduziert. Ich habe einen Strauß mitgenommen, weil ich Tulpen liebe. Eine meiner Freundinnen hat gefragt: DU kaufst Blumen aus dem Supermarkt? Bist du wahnsinnig, das ist das unökologischste, was du machen kannst.

Und da stehe ich dann auch vor der Frage: Soll ich es ganz boykottieren, ändere ich damit eigentlich was? Oder rette ich wenigstens noch die Blumen um einen Preis, wo der Supermarkt keine Gewinnmarge mehr hat? Auch wenn ich dadurch die Bestellpolitik des Supermarktes nicht ändere? Es ist ein zweischneidiges Schwert und es gibt keine eindeutige Antwort. Aber es ist wichtig, sich diese Fragen zu stellen und zu versuchen, möglichst gut zu handeln, und auch wenn es mal nicht ganz eindeutig ist, zu versuchen, eine sinnvolle Entscheidung zu treffen.

Konsumpyramide
Bild: VKI

"Du musst dir bewusst sein, wie klein dieser Beitrag ist"

Wir müssen also nicht 100 Prozent ethisch entschieden, weil kleine Schritte schon etwas bewirken?

Genau. Ich habe das an einer Freundin beobachtet, die hat später als ich ihr eigenes Handeln an das Klimathema geknüpft und man hat gesehen, wie sich binnen weniger Wochen die gesamte Last und Verantwortung des Klimawandels an ihre Schultern gehängt hat. Du kannst deinen Beitrag leisten, aber du musst dir bewusst sein, wie klein dieser Beitrag ist. Diese Verantwortungsverschiebung auf die Einzelnen ist etwas total Schwieriges, erlebe ich da draußen aber ständig. Irgendwann warb ein Textilkonzern mit „Du entscheidest, wo dein Geld hingeht.“ Ich dachte mir nur: Wollt ihr mir verarschen? IHR habt doch viel mehr Entscheidungskraft. Ihr, die Fast Fashion produziert, gebt mir die Verantwortung dafür?

Porträt von Nunu Kaller
Bild: Stefan Csaky

Die Verantwortung wird auf die Leute geschoben, sie sollen alles richtig machen, sonst werden sie öffentlich auf ihr Verhalten hingewiesen. Nein, fang irgendwo an, kauf faire Mode, aber iss weiterhin Fleisch oder mach es umgekehrt, Hauptsache, du fängst irgendwo an. Sich gegenseitig dann aber Vorwürfe zu machen, weil man entweder noch Fleisch isst oder Fast Fashion kauft, ist so sinnlos wie ein Loch im Knie. Aber dieses gegenseitige Fingerzeigen erlebe ich seit zehn Jahren. Lasst doch die Leute ihren Weg gehen und stellt Informationen, positive Motivation zur Verfügung. Sonst kommt es zu Trotz- und Abwehrreaktionen. Die müssen wir vermeiden. Wenn wir wollen, dass Leute ihr Verhalten ändern, müssen wir aufhören, sie zu beschämen, ihnen etwas vorzuwerfen, aufhören uns über sie zu stellen. Ich habe noch niemanden erlebt, der sich in besseren Konsum hineinschämen hat lassen.

"Ich habe noch niemanden erlebt, der sich in besseren Konsum hineinschämen hat lassen"

Sie nehmen also eher die Unternehmen in die Pflicht und nicht die Konsument:innen?

So schwarz-weiß ist es nicht. Es haben natürlich auch die Konsument:innen eine verantwortungsvolle Rolle. Sie sollten sich überlegen, ob sie Dinge brauchen und wenn ja, wie sie diese am sozial und umweltverträglichsten kriegen können. Da müssen sich die Konsument:innen selber an der Nase nehmen. Aber am größeren Hebel sitzen die Konzerne und die nutzen diesen Hebel nicht, stattdessen erklären sie uns, wie wir uns zu verhalten haben.

Ein Beispiel dafür ist H&M auf der Mariahilfer Straße mit seinem Conscious Corner: Da gab es ein großes Regal mit Guppyfriend-Mikroplastikwaschsäcken. In die kannst du als Endkonsument:in deine Polyesterkleidung reingeben und dafür sorgen, dass sie zumindest ein bisschen weniger fasert. Die Lösung aller Fragen ist es nicht, aber es ist ein Anfang, der Konsument:innen Handlungsspielraum gibt. Dahinter sehe ich eine 2-Meter-Kleiderstange mit Polyesterblusen, alle gleicher Schnitt, verschiedene Größen, Farben. Was spielen wir jetzt? Ich soll H&M also eine Bluse abkaufen. Und ich soll ihnen auch einen Guppyfriend abkaufen, weil ich muss ja die Umwelt schützen. H&M macht mit beidem Geschäft, aber produziert den Polyesterdreck in einem riesigen Ausmaß. Geht’s noch? Genau da endet die Verantwortung der Konsument:innen. Da geht’s darum, dass sich die Unternehmen an der Nase nehmen und das Richtige tun und nicht nur das wirtschaftlich Profitabelste. Und es geht darum, dass die Politik ihre Rahmenvorgaben massiv strenger gestalten muss.

"Wir sind keine losen Machwerke der Konzerne"

Die Macht der Geldbörse ist also endenwollend. Was erwarten Sie sich von den politischen Entscheidungsträger:innen?

Ich erwarte, dass es bald mal ein gescheites Klimaschutzgesetz gibt. Ich erwarte in Richtung Greenwashing ganz strenge Rahmenbedingungen, zum Beispiel, dass bestimmte Formulierungen nicht mehr verwendet werden dürfen. Ich erwarte mir weitere strenge Grenzwerte in Sachen Wasserverbrauch, CO₂-Belastung, Chemikalienmanagement, Transport. Wir müssen schleunigst anfangen, dieses ganze System neu zu denken, weil was wir gerade in Sachen Kapitalismus spielen, hat ein Ablaufdatum. Die globalisierten Transporte, die Lieferketten, sie krachen jetzt schon. Da sieht man doch, auf welchen gläsernen Beinen das alles steht.

Ist Konsum überhaupt eine bewusste Entscheidung?

Nein, der Weg zur Konsumentscheidung ist ein unbewusster. Lange bevor wir an der Kassa stehen, haben wir unbewusst schon entschieden, ob wir es kaufen oder nicht. Aber wir sind auch keine losen Machwerke der Konzerne, die ferngesteuert zur Kasse gehen und die Karte zücken – das ist immer noch eine bewusste Entscheidung. Ganz unschuldig sind wir fix alle nicht.

"Sehe dieses radikale Kampfausmisten kritisch"

Sind Sie der Meinung, dass uns Verzicht auch mal guttut und wir nicht alles neu brauchen. Was halten Sie von Minimalismus?

Als Trend wenig. Minimalismus wurde eine Zeit lang eben als Trend wie die Sau durchs Dorf getrieben und ja, rein psychologisch erklärt ist es ein angenehmes, erleichterndes Gefühl, wenn du wenig Besitz hast, der dich erdrückt. Das Gefühl kennt jeder, der schon einmal ausgemistet hat. Das hat aber auch viel mit dem Gefühl der Kontrolle zu tun. Da ist Minimalismus sicher ein guter Weg, diese Kontrolle zu erhalten. Aber was mich wirklich befremdet hat, ist, wie gefühlt 100.000 YouTuberinnen ganz stolz ihre leeren Regale gezeigt haben und das zum Lifestyle erkoren haben. Diese Regale sind inzwischen wieder voll, also ist es de facto nur ein Platzschaffen für neuen Konsum gewesen.

Und da sehe ich den Minimalismus kritisch. Ich sehe auch Marie Kondo wahnsinnig kritisch. Dieses radikale Kampfausmisten – es hat die Leute glücklich gemacht, sie hat 7 Millionen Bücher damit verkauft. Aber mit ihrem eigenen Online-Shop hat sie mich verloren. Größere Sinnlosigkeiten in teuer habe ich noch nicht gesehen. Das soll ich mir dann doch in die Wohnung stellen. Etwa Baumwolltaschen um 55 US-Dollar, mit denen man die Blumen vom Markt transportiert.

Die nächsten Konsumdialoge widmen sich dem Thema Textilien und finden Ende Juni in Hallein statt. Sie kuratieren das Programm. Was wird uns erwarten?

Es geht darum, dass man Raum zum Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft schafft – und zwar niederschwellig. Weder mit teurem Eintritt, noch mit geschwollener Sprache. Wir gehen bewusst aus Wien raus und wir haben zwei Schwerpunkte gesetzt: heimische Produktion – wie es ihr geht, was es nicht mehr gibt und was es braucht. Und auf der anderen Seite beleuchten wir technologische Neuerungen. Welche Systeme kann es geben und gibt es schon, etwa die der Tausch- und Leih-Apps. Wir bieten auch Workshops für eine junge Zielgruppe an, wir haben ein sehr buntes Rahmenprogramm.

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