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Fleischtomaten auf Holz
Fleischtomaten Bild: goffkein

Heimische Tomaten im Winter

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Immer mehr Supermärkte bieten nun auch im Winter Tomaten aus Österreich an und werben mit Regionalität und Nachhaltigkeit. Aber kann ein Gemüse, das zum Wachsen Wärme und Licht benötigt, im Winter in Österreich überhaupt nachhaltig produziert werden? Ein Plädoyer für echten Hausverstand.

Verkehrte Welt?

Winterzeit ist Tomatenzeit. Zumindest wenn man den Werbungen und Imagefilmen der drei großen Handelsketten hierzulande (Rewe, Spar, Hofer) Glauben schenken darf. Hier sind es die Tomaten aus dem Wiener Umland, dort die Paradeiser aus dem steirischen Bad Blumau. Und auch Hofer steigt jetzt in den Ring und wirbt, vorerst nur auf Facebook und sehr vage, mit österreichischen Tomaten im Winter. Allgemein wird mit Nachhaltigkeit geworben, von Geothermie ist die Rede, von Regionalität sowieso. Was für ein Wintermärchen! Klingt gut? Zu schön, um wahr zu sein? 

Tomatenanbau einfach erklärt

Folientunnel von Innen
Folientunnel von Innen Bild: Serhii

Tomaten brauchen zum Wachsen vor allem zwei Dinge: Wärme und Licht. In Österreich ist es für den Tomatenanbau im Winter prinzipiell zu kühl und wegen der kurzen Tageslänge zu dunkel. Deshalb werden Tomaten im Freiland auch nur im Sommer geerntet. Freilandanbau spielt in Österreich, außer in Privatgärten und auf Balkonen, aber sowieso keine Rolle. 

Heimische Tomaten in den Supermärkten kommen entweder aus Folientunneln (siehe Bild) oder Glashäusern. Letztere werden in den kühleren Monaten zwischen März und November beheizt. So wird die Saison bereits um mehrere Monate ausgedehnt. Tomaten aus Folientunneln werden zwischen Juni und September geerntet. Wer aber Tomaten zwischen November und März, also im tiefsten Winter, ernten möchte, muss neben der Temperatur vor allem ein weiteres Problem lösen: den Lichtmangel. 

Es werde Licht... 

Dafür werden Hochleistungslampen installiert, um die Pflanzen mit Licht und Wärme bestrahlen. Das ist sehr kosten- und energieintensiv. Klar kann die Energie mittels Geothermie und Ökostrom bereitgestellt werden. Nur stellt sich die Frage, ob es da nicht doch z.B. sinnvoller wäre, diese ökologisch gewonnene Energie an Privathaushalte zu liefern. Anstatt sie dafür zu nutzen, damit wir bei Minusgraden heimische Tomaten ernten und so auch im Winter ein Sommergemüse essen können. 

Diese Form der Produktion ist entsprechend teuer. Dadurch erst ab einer gewissen Größe rentabel. Daher werden sehr große Glashäuser errichtet - mit mehreren zehn Hektar Fläche. Diese Größe braucht es auch, um eine österreichweite Belieferung der Handelskette(n) zu gewährleisten. Dementsprechend viele Hochleistungslampen sind notwendig. Dementsprechend viel Energie wird benötigt. Auch zu Anrainerprotesten führte diese Art der Glashäuser in der Vergangenheit. Etwa, weil sie mehr Verkehr mit sich bringen, da die Tomaten ja abtransportiert werden müssen. Oder wegen lokaler Lichtverschmutzung, da ein derartiges Glashaus in der Dunkelheit eben beleuchtet werden muss. An vorderster Front laufen dabei oft die Bauern Sturm.

Wer Wind sät...

Die Bauern? Aber kaufen wir ja nicht oft genau deshalb regionale Tomaten? Um die heimische Landwirtschaft zu stärken? Österreich hat im Vergleich zu Deutschland (noch) eine relativ kleinbäuerliche Struktur. Die gerät aber gerade auch durch derartige Projekte stark unter Druck. Warum? 

Die bisherigen Produzenten liefern exklusiv an je eine Handelskette (Zeiler an Rewe, Frutura an Spar). So weit, so gut. Nur führt das dazu, dass die anderen Tomatenbauern (die kleineren, die wir mit unserem Einkauf eigentlich unterstützen möchten) durch die Finger schauen. Für deren Gemüse besteht kein Bedarf mehr. Oder nur mehr zur Überbrückung sporadischer Lieferengpässe. Da die eingangs genannten Handelsketten mehr als vier Fünftel des österreichischen Markts abdecken, bleiben jedoch kaum alternative Abnehmer, an die Produzenten ihre Tomaten liefern können. Da bleiben oft nur drei Optionen: Nischen zu besetzen und zum Beispiel Gemüseraritäten anzubauen. Den Betrieb schließen. Oder selbst in den Ring steigen und ein derartiges Glashaus bauen. (Pläne anderer Tomatenproduzenten gab es bereits, diese wurden aber, auch aufgrund von Bürgerprotesten, wieder aufgegeben). Solche exklusiven Handelsverträge führen zusätzlich dazu, dass der Handel, der durch die in Österreich herrschende Marktkonzentration ohnehin so viel Macht hat, noch mehr Einfluss auf die Produktion ausüben kann. Das hat Folgen. Für die Landwirte, die immer stärker unter Druck geraten.

Anzahl Fleischereien von 2005 bis 2016
Anzahl Fleischereien von 2005 bis 2016 Bild: WKO, KMU Forschung Austria

Der Effekt ist, dass sich die heimische Landwirtschaft verändern wird. Langfristig ein Strukturwandel erfolgt. Hier lohnt sich ein Blick in den Fleischbereich. Gab es 2005 österreichweit noch 1.019 Fleischereibetriebe, waren es 2016 nur mehr 719 - also ein Rückgang um knapp 30 Prozent innerhalb von 11 Jahren. 

Selbst große Produzenten mussten zusperren. Unter anderem, weil der Handel in die Produktion eingestiegen ist. Und für seine Eigenmarken wie z.B. Tann (Spar) selbst Fleisch- und Wurstwaren produziert. Das spart Kosten. Die Kleinen und nicht ganz so Großen haben und hatten allerdings das Nachsehen. Das ist die Kehrseite von: Hauptsache billig, Hauptsache bequem, Hauptsache immer alles verfügbar.

In der Werbung lieben wir die heimische Landwirtschaft mit Almen, saftig grünen Wiesen, Kühen und sprechenden Schweinderln, wo der hemdsärmelige Bauer uns an der Hand in die Idylle mitnimmt. In der Realität kaufen wir unsere Produkte aber von hochmodernen Industriebetrieben. Das spricht freilich nicht prinzipiell gegen die so erzeugten Produkte. Sehr oft aber gegen die vermittelten Werbebotschaften (Konsument 11/2012). Und manchmal eben doch auch gegen das beworbene Produkt. So wie bei den heimischen Paradeisern im Winter. Denn jeder, der im Winter Tomaten aus Österreich kauft, trägt ein Stück weit dazu bei, dass die kleinstrukturierte, heimische Landwirtschaft unter Druck gerät. Und nebenbei auch riesige Mengen an Energie dafür aufgewendet werden. Weil wir für vier Monate nicht auf unserer Lieblingsgemüse verzichten wollen?

Das sagt der Handel

Wir haben die drei großen Lebensmitteleinzelhändler zu dem Thema befragt - nach deren Lieferanten, den Vorteilen, die sie im Vertrieb heimischer Tomaten im Winter sehen und den spezifischen Produktionsbedingungen, insbesondere bezüglich Energieaufwand und -bereitstellung inklusive der Bitte um Bekanntgabe von Energiekennzahlen. Die vollständigen Stellungnahmen finden sich in voller Länge am Ende des Beitrags verlinkt. 

Spar hat lediglich auf eine Infoseite verwiesen, in deren Titel das Gemüse als klimaschonend bezeichnet wird. Die Produktionsweise (Beheizung mittels Geothermie) wird knapp erläutert. Die Beleuchtung findet auf der Infoseite keine Erwähnung, Angaben zum Energieverbrauch finden sich keine. Stattdessen wird auf eingesparte LKW-Kilometer und darauf verwiesen, dass laut einer Berechnung des Umweltbundesamts "die Thermalproduktion in Bad Blumau um rund 28.000 Tonnen weniger CO2 im Jahr als vergleichbare gasbeheizte Gewächshäuser" verursacht. Zumindest im Umkehrschluss ist die hohe Menge der "eingesparten" CO2-Emissionen ein Indiz dafür, dass die Produktion von Tomaten im Winter sehr, sehr energieintensiv ist. Und das ist sie natürlich auch bei der Frutura in Bad Blumau - auch wenn die Energie mittels Geothermie bereitgestellt wird. 

Auch Hofer verweist auf kürzere Transportwege, den Einsatz von Ökostrom, die moderne Bauweise der Glashäuser und die Reduzierung der Importabhängigkeit ausländischer Tomaten. Aber auch hier findet die Beleuchtung keine Erwähnung, die Frage nach den Energiekennzahlen bleibt ohne Kommentar unbeantwortet. 

REWE argumentiert ähnlich. Insgesamt wird aber, im Verhältnis zu den anderen Stellungnahmen, ausführlicher zur Produktionsweise und der Energiebereitsstellung Stellung genommen. Die Wärme wird etwa von einer Biogasanlage bereitgestellt. Das Problem der Nutzungskonkurrenz (also die Frage, ob diese ökologisch erzeugte Wärme zur Produktion von Tomaten im Winter oder z.B. zur Beheizung von Wohnbauten genutzt werden sollte) stellt sich aber auch hier. Die Beleuchtung wird hier im Rahmen der Klimasteuerung zumindest nebenher erwähnt. 

Den Stellungnahmen ist also gemein, dass auf ökologisch erzeugte Energie verwiesen wird - aber konkrete Energiekennzahlen nicht bereitgestellt werden. Stellt sich die Frage: warum, wenn angeblich alles so nachhaltig ist? Hier wäre volle Transparenz im Sinne der Konsumenteninformation wünschenswert. Stattdessen wird auf den reduzierten Transportaufwand und die heimische Wirtschaft verwiesen, ganz allgemein die Modernität der Glashäuser betont oder der Einsatz von Nützlingen erwähnt - eine Praxis, die im österreichischen Gewächshausanbau ohnehin gängige Praxis ist, um den Pflanzenschutzmitteleinsatz zu reduzieren. Das heikle Thema Energieaufwand wird also gekonnt umschifft.

Mehr Hintergrundinformationen zum Thema Tomaten im Winter (inklusive Video) finden sich vonseiten der Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000 hier

Die obligatorische Frage

Tomatenanbau in Almeria, Spanien
Tomatenanbau in Almeria, Spanien Bild: OMCARRENO

Nein. Tomaten aus Spanien sind nicht besser. Nur anders schlecht. Da sie aus trockenen Regionen stammen, in denen Menschen unter arbeitsrechtlich kritischen Bedingungen arbeiten und leben, sind diese Tomaten problematisch im Hinblick auf ihren hohen Wasserverbrauch, intensiven Pestizideinsatz und ihre mit der Produktion verbundenen sozialen Aspekte. Mehr dazu sehr ausführlich im VKI-Ethiktest, der zwar schon eine Weile her ist - aber leider immer noch sehr aktuell (Konsument 7/2006).

Die Lösung ist simpel

Einfach keine Tomaten im Winter kaufen. Aus Österreich nicht. Aus Spanien, Italien, Marokko nicht. Regionalität macht aus ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsperspektive nur im Zusammenspiel mit Saisonalität und bio Sinn. 

Wer nicht regional kauft, verlagert Probleme in andere Länder und verschiebt sie (z.B. hoher Wasser- statt Energieverbrauch). Wer nicht bio kauft, heimst sich Schwierigkeiten ein, die mit verschiedenen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln zusammenhängen. Und wer nicht saisonal kauft, unterstützt einen ungeheuren Energieaufwand und den Strukturwandel der heimischen Landwirtschaft: weg von vielen kleinen Betrieben hin zu wenigen großen. Deshalb: immer am besten alle drei Aspekte (regional, saisonal, bio) zusammendenken, um auf der sicheren Seite sein. Es muss im Winter kein Tomatensalat sein: Krautsuppe, Lauch-Blauschimmelkäse-Pasta oder Rote-Rüben-Carpaccio wären etwa Beispiele für regionale und saisonale Gerichte. 

Wie es anders geht, zeigt auch die BIO AUSTRIA mit einem Projekt, bei dem es darum geht, die Bio-Gemüsevielfalt im Winter aus unbeheizten Kulturen zu erforschen und auszuweiten - das macht ökologisch jedenfalls Sinn.

Andernfalls trägt jeder Kauf von frischen Tomaten im Winter dazu bei, dass wir heimischen Kleinbauern die Existenzgrundlage entziehen, uns von einer Handvoll Produzenten abhängig machen und wertvolle Energie für derartige Projekte verschleudern. Anstatt sie für wirklich sinnvolle Zwecke zu nutzen. Bitte schenken Sie dem Wort nachhaltig deshalb in diesem Zusammenhang keinen Glauben. Heimische Tomaten im Winter sind eine ökologische Unsinnigkeit - und nicht nachhaltig. Auch nicht aus sozialer Perspektive. 

Wer das nicht glaubt, soll sich, zum Beispiel auf Facebook, bei der Handelskette seines/ihres Vertrauens (oder direkt bei den Produzenten) explizit nach dem konkreten Strom- und Heizbedarf eines solchen Glashauses zur Produktion heimischer Wintertomaten erkundigen - und fragen Sie sich, wenn Sie keine klaren Antworten erhalten sollten, ob wirklich alles so nachhaltig ist, wie behauptet wird: echte Nachhaltigkeit geht Hand in Hand mit Transparenz!

Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen
Mag. Raphael Fink - Experte: Umweltzeichen Bild: VKI

Im VKI-Blog schreibe ich über verschiedene Themen rund um Nachhaltigkeit. Außerdem betreue ich das Österreichische Umweltzeichen und bin Projektleiter des VKI Greenwashing-Checks. 

Raphael Fink, Nachhaltigkeitsexperte

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