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Neue Wohnformen - Gemeinsam statt einsam

Die Sehnsucht nach einem Leben in Verbundenheit mit anderen Menschen wächst. Das Wohnen in Gemeinschaft könnte ein Modell für die Zukunft sein.

Neue Wohnformen wie das Wohnprojekt Wien sorgen für ein solidarisches und nachhaltiges Miteinander. (Bild: Susanne Wolf/VKI)

Viel Grün, bunte Sonnenschirme, eine Fassade aus Holz: In der Betonwüste im Wiener Nordbahnhofviertel bildet das Wohnprojekt Wien eine wohltuende Ausnahme. Es wurde von den Bewohnern – rund 65 Erwachsene mit 35 Kindern – gemeinsam mit dem Architekturbüro einszueins geplant und gestaltet. Heute wohnen viele Familien in dem Haus am Rudolf-Bednar-Park, darunter auch Nadine Hilmar. Sie war von Anfang an in das Projekt eingebunden. „Wir verwalten das Wohnprojekt gemeinsam in Gruppen, ich bin Mitglied der Finanzgruppe.“

Gemeinschaftsgefühl

Die Bewohner sind aufgerufen, sich durchschnittlich zehn Stunden pro Monat einzubringen. Jeden Tag wird in der Gemeinschaftsküche gekocht: „Man kann sich täglich bis 10 Uhr für den Mittagstisch anmelden.“ Die Grafikdesignerin und Mutter dreier Kinder schätzt das Gemeinschaftsgefühl im Wohnprojekt. „Wenn den Kindern langweilig ist, gehen sie ihre Freunde im Haus besuchen. Falls ich schnell einkaufen gehen möchte, bitte ich Nachbarn, auf die Kinder zu schauen.“

Nachhaltigkeit im Fokus

Alle Bewohner sind Mitglieder des „Vereins für nachhaltiges Leben“, der auch Eigentümer der Immobilie ist – individuelles (Wohnungs-)Eigentum ist nicht möglich. Auf Nachhaltigkeit wird besonders großer Wert gelegt: Hauseigenes Carsharing, ein großer Fahrradraum sowie ein Lastenrad stehen allen Bewohnern zur Verfügung. Die Foodcoop „Krakarotte“ bezieht Lebensmittel von regionalen Bauern und die hauseigene Bio-Greißlerei „Salon am Park“, die von acht Bewohnern des Hauses geführt wird, bietet regionale und biologische Produkte an.

Gemeinschaftsflächen und Solidarität

Zum Wohnprojekt gehören außerdem rund 700 Quadratmeter Gemeinschaftsflächen: Küche, Kinderspielraum, Dachgarten, Sauna, Bibliothek, Werkstatt, Waschsalon, Veranstaltungsräume und Gäste-Apartments. Dazu kommen ein Gemeinschaftsgarten und ein Spielplatz. „Zudem gibt es zwei geförderte Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen“, ergänzt Hilmar. Von den Bewohnern wird dafür ein Soli-Beitrag eingehoben. „Jeder zahlt, so viel er möchte und kann.“ Das Wohnprojekt Wien wurde 2014 mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet.

 

Cohousing: Plattform "Wohnbuddy"

"Cohousing" gewinnt an Bedeutung

Zusammen ist man weniger allein, so könnte das Motto von gemeinschaftlichen Wohnprojekten, auch Cohousing genannt, lauten. Während in Großstädten die Anonymität wächst und die Zahl der Single-Wohnungen ansteigt, zeichnet sich schon seit einigen Jahren ein Gegentrend ab.

Interessante Alternative für SeniorInnen

„Neben pragmatischen Aspekten wie dem Teilen von Ressourcen und Räumen zählen die Bildung von Interessengemeinschaften oder Unterstützung im Alltag zu den Beweggründen, sich einem Wohnprojekt anzuschließen“, weiß Ernst Gruber von wohnbund:consult - Büro für Stadt.Raum.Gestaltung. Vor allem auch Seniorinnen und Senioren wünschten sich vermehrt Alternativen zum Alleinwohnen, aber auch zum klassischen Pensionistenheim. „Eine große Hürde für den Umzug älterer Personen ist die damit verbundene Aufgabe des bisherigen Wohnumfeldes, besonders aber eine damit einhergehende Kostensteigerung“, meint Gruber.

Jung und Alt

Die Wiener Plattform Wohnbuddy: Wohn-Plattform für Jung & Alt hat dafür eine Lösung: Sie vermittelt private Wohngemeinschaften für Jung und Alt; ältere Menschen stellen jungen Menschen erschwinglichen Wohnraum zur Verfügung. Dahinter steht mit WGE! ein Unternehmen, das Wohnraum nachhaltig und über Generationen hinweg nutzen möchte.

Valentin, Masterstudent an der Universität für Bodenkultur, lebt bereits seit mehr als eineinhalb Jahren beim Ehepaar Vondrak. „Wir lachen viel gemeinsam – das ist wichtig im Leben und hält jung“, erzählt Frau Vondrak, die aufgrund einer Krankheit im Rollstuhl sitzt und für die Unterstützung im Alltag dankbar ist. „Es ist auch eine Entlastung für meinen Mann, wenn noch jemand im Haus und einfach da ist, wenn die eine oder andere Kleinigkeit erledigt werden muss.“ Valentin kocht gern für seine Mitbewohner und schätzt die gemeinsamen Aktivitäten, aber auch den eigenen Rückzugsort im Haus.

Wohngruppen 

Zusätzlich ermöglicht Wohnbuddy neue Formen des Zusammenlebens in Wiener Senioren-und Pflegewohnhäusern. Freistehende Zimmer werden für junge Menschen günstig zur Verfügung gestellt. „Ebenfalls für Senioren geeignet sind Wohngruppen, in denen es zusätzlich zur eigenen Wohnung einen Gemeinschaftsbereich gibt“, so Gruber.

BELEhof: soziokratischer Bio-Gemeinschaftshof

Naturverbunden am BELEhof 

Im oberösterreichischen Rutzenmoos bei Regau haben sich einige Familien den Traum vom naturverbundenen Leben erfüllt: Im September 2017 übernahm das Ehepaar Sibylle und Michael Chiari gemeinsam mit Freunden einen Hof und die dazugehörige Landwirtschaft. Zugleich wurde der Verein BELE Cohousing gegründet. Der BELEhof: Bio-Gemeinschaftshof, ein Bio-Gemeinschaftshof, umfasst zwei Gebäude, einen Stall, ein Gemüsefeld sowie ein Glashaus. 

BEwusst LEben

BELE, das steht für „bewusst leben“. Sechs Kinder leben heute hier mit ihren Eltern; insgesamt sind es 16 Personen, die den BELEhof bewirtschaften. Hinter dem Haus warten eine Rutsche und ein großes Trampolin auf die Kinder, Sybille Chiaris Töchter Ronja (9) und Ilvy (7) klettern gerade auf einen Baum. „Früher haben wir mit unseren Töchtern in Wien gelebt und wollten raus aus der Stadt“, erzählt die Klimaforscherin. „Die Kinder waren von Anfang an begeistert vom Leben am Bauernhof.“ Chiaris Mann Michael ist ausgebildeter Forstwirt und für die Tiere am Hof zuständig: Galloway-Rinder und Schafe.

Solidarische Landwirtschaft

Ein gelebtes Prinzip am BELEhof ist die solidarische Landwirtschaft: Interessierte können sich zu Beginn der landwirtschaftlichen Saison einen Ernteanteil kaufen, wobei die Kosten für Anbau, Ernte und Verarbeitung gedeckt sein müssen. „Den Ernteanteil kann man sich ein Mal wöchentlich abholen; in diesem Jahr haben wir 15 Ernteteile zu vergeben.“ Gleich neben dem Stall befindet sich das Gemeinschaftsbüro, in dem Klimaforscherin Chiari Seite an Seite mit ihrem Mann und anderen Bewohnern des BELEhofs arbeitet. Zu Mittag treffen sich alle in der Gemeinschaftsküche. Wer lieber alleine isst, zieht sich in den eigenen Wohnbereich zurück, der jeder Familie zur Verfügung steht.

Soziokratische Gemeinschaft

Die Gemeinschaft am BELEhof ist soziokratisch organisiert, alle wichtigen Entscheidungen werden gemeinschaftlich getroffen. „Einmal im Monat treffen wir uns zu einem Plenum“, erzählt Michael Chiari. „Natürlich gibt es hin und wieder auch Konflikte, aber die Basis stimmt.“ Jeder bringt sich mit seinen Talenten ein. Philipp Stromer etwa, im Hauptberuf Architekt, ist für bauliche Veränderungen am Hof zuständig. Er zimmert gerade eine neue Terrasse.

Nachhaltigkeit konsequent umgesetzt

Auch am BELEhof wird Nachhaltigkeit konsequent umgesetzt: Ein Elektroauto wird gemeinschaftlich genutzt. Das langfristige Ziel ist, auch die alten landwirtschaftlichen Fahrzeuge zu ersetzen. Ein Vermögenspool wurde für alle Interessierten angelegt: Wer Kapital hat, das er in ein nachhaltiges, ökologisches und soziales Projekt investieren möchte, kann es wertgesichert anlegen und so die Vision von einem gemeinschaftlichen Miteinander unterstützen.

Neue Wohnformen wie der Bio-Gemeinschaftshof BELEhof sorgen für ein solidarisches und nachhaltiges Miteinander. (Bild: Susanne Wolf/VKI)

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