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Musikberieselung - Mitten ins Ohr

In der angeblich stillsten Zeit des Jahres nerven die „Jingle Bells“-Endlosschleifen. Auch sonst werden wir Tag für Tag an den verschiedensten Orten mit Musik zwangsbeglückt.

An die Berieselung mit speziell designter Musik haben wir uns längst gewöhnt (lesen Sie auch unseren Kommentar [ Musikberieselung in "Kunde König" ] ]. Die dezent arrangierten Melodien sollen in der Zahnarztpraxis die Angst vor dem Bohrer nehmen, im Kaufhaus zum Verweilen und Kaufen anregen und in der Telefonwarteschleife die Anrufer davon ablenken, dass eigentlich niemand da ist, der abhebt und sich um sie kümmert. Es ist also Musik, die etwas bewirken soll und daher auch funktionelle Musik oder F-Musik (im Gegensatz zu E- und U-Musik) genannt wird.

Musik beeinflusst

Die Funktion dieser Musik kann von denen, die sie produzieren, genau auf die Wünsche des Auftraggebers, der wiederum seine Kunden damit beeinflussen will, abgestimmt werden. So soll Musik im Kaufhaus die Grundgeräusche (Rolltreppen, Klimaanlage, Stimmengewirr etc.) übertönen und eine angenehme Atmosphäre schaffen, wo eigentlich keine ist. Das Verbreiten von Wohlbefinden soll Nachdenken verhindern und die Kaufbereitschaft und damit den Umsatz erhöhen.

Aber auch eine gezielte Steuerung des Verhaltens der Kunden ist möglich. In einem Restaurant essen Gäste bei langsamer Musik langsamer und trinken mehr als bei schneller Musik. In einer Bar wiederum führt schnelle Musik zu rascherem Trinken. Und sogar der Weinhandel weiß: Bei klassischer Musik kaufen die Kunden zwar nicht mehr, aber teurere Weine.

„Psychoakustische Raumgestaltung“

„Psychoakustische Raumgestaltung“ nennt das Musikwissenschaftler Heiko Maus, der sein Wissen als Musikberater für die Wirtschaft einsetzt und damit auf seiner Homepage ( www.musikberater.com ) wirbt: „Ihre Kunden werden positiv gestimmt, verweilen länger bei Ihnen und sind empfänglicher für externe Beeinflussungen (etwa Verkaufsgespräche). Auf der anderen Seite könnten unliebsame Gäste vertrieben werden.“ Der Musikberater führt auch gleich das drastische Beispiel dafür an: Durch die Beschallung mit klassischer Musik hat man die Drogenszene vom Hamburger Hauptbahnhof vertrieben.

 

Damit die funktionelle Musik auch so wirkt, wie es deren Anbieter versprechen, muss sie bestimmte Merkmale aufweisen. Ein klassisches Beispiel ist James Last, der mit seiner Big Band gängige Schlager und Melodien in einen Kuschelsound verpackt hat. Das alleine ist aber für einen gezielten Einsatz von F-Musik zu wenig. Zwar werden oft bekannte Nummern verwendet, diese sind aber so arrangiert und abgemischt, dass damit eine zu starke Konzentration des Hörers auf den Titel vermieden wird.

Einfache Harmonien

Die Grundstruktur der Nummer muss ebenso einfach sein wie die Harmonien. Das Tempo entspricht meist dem menschlichen Puls von 70 Schlägen pro Minute. Die Gesangstimme wird durch ein Solo-Instrument ersetzt, die Instrumentierung gezielt ausgewählt. Nicht nur dadurch werden schrille Töne vermieden, auch durch die Beschneidung der Bandbreite der Frequenzen auf 40 bis 8000 Hz. Die ausgewählten Räume werden mit ausgeklügelten Lautsprechersystemen von verschiedenen Punkten aus indirekt beschallt, sodass ein gleichmäßiger Klang entsteht, der 3 dB über dem allgemeinen Geräuschpegel liegt.

Musik-Multi Muzak

Keine Frage, dass hinter diesem ausgefeilten Angebot ein eigener Industriezweig steckt. Der US-amerikanische
General a. D. George Owen Squier hatte in den 1920er-Jahren das Potenzial der Übertragung von Musik über Telefonleitungen als Erster kommerziell genutzt. Er prägte gleich zwei Begriffe, die untrennbar mit den designten Klangtapeten verbunden sind. Seine ursprüngliche Firma „Wired Radio“ benannte er bald in „Muzak“ um, eine Kombination der Worte „Musik“ und „Kodak“. Muzak ist bis heute das Synonym für diese Art von Musik, die auch „Fahrstuhlmusik“ genannt wird. Denn Squier hatte erkannt, dass die Menschen weniger Angst in den Fahrstühlen der damals aus dem Boden schießenden Wolkenkratzer hatten, wenn sie mit entspannender Musik berieselt wurden.

Von Datenbank zu Festplatte

Die US-Firma Muzak ist der weltweit größte Anbieter von – Muzak. Sie besitzt in den USA eine Musikbibliothek mit 1,5 Mio. Titeln, die europäischen Tochterunternehmen verfügen über 400.000. Zusammengestellt werden die Musikberieselungsprogramme von sogenannten „Audio-Architekten“, die aber im Wesentlichen auch nur mehr Computer füttern: Aus einer Vier-Terabyte-Datenbank im holländischen Naarden wählen diese nach festgelegten Mustern die Titel für die Musikprogramme aus, die heute via Satellit oder Datenleitung von der Computerfestplatte direkt an die Muzak-Kunden überspielt werden.

 

Diese können aus mehreren Basisprogrammen auswählen: „Klassik“, „Instrumental“, „Easy Listening“, „Soulful“, „Middle of the Road“, „Pop-Dance“, „Britpop“ und „French“. Innerhalb dieser Programme werden einzelne Titel nach einer ausgeklügelten 15-Minuten-Dramaturgie aneinandergereiht. Damit die Endlosberieselung nie versiegt, werden bei Muzak pro Woche bis zu 300 Titel neu arrangiert und produziert.

Quotenhit Radio Max

Der Rewe-Konzern hat in Österreich diese Art der funktionalen Beschallung mit Radio Max weiter perfektioniert. Radio Max ist ein eigener Radiosender nach dem Muzak-Muster für Billa, Merkur und Bipa. Es ist mit Moderatoren und Nachrichten so perfekt als wirkliches Radio getarnt, dass die wenigsten Kunden es als Werberadio der Handelsketten wahrnehmen. Radio Max hat mit täglich 800.000 Billa-, 200.000 Merkur- und 150.000 Bipa-Kunden eine Reichweite, von der viele Privatradios nur träumen können. Und hat mittlerweile eigene Stationen in den Ländern mit Euro-Billa-Filialen (Kroatien, Rumänien, Bulgarien, Tschechien, Ukraine und Slowakei), die in der jeweiligen Landessprache senden.

Kampagnen gegen Berieselung

Es gibt auch Zeitgenossen die das, was Muzak und ähnliche Unternehmen anbieten, als akustische Lärmbelästigung empfinden. So heißt ein Buch zu diesem Thema „Die Vertreibung der Stille. Leben mit der akustischen Umweltverschmutzung“. Hier werden für die Faserschmeichler-Musik Begriffe wie „Die Pest der Musik“, „stille Volksdroge“ oder „süße Folter“ verwendet. Nicht nur für Autor Rüdiger Liedtke ist die Zwangsbeglückung durch Musikberieselung in unserer sehr lauten Welt eher Qual als Labsal. So gibt es eine Bewegung, die von England ausgehend Kampagnen gegen die Dauerberieselung an öffentlichen Orten gestartet hat: „Pipedown“ (etwa: Lautsprecher aus) hat zumindest erreicht, den Flughafen London-Gatwick musikfrei zu bekommen.

Die Schwesterorganisationen in Deutschland und Österreich fordern das Recht auf Stille und sammeln Unterschriften und Geld. Erfolg und Echo sind – im Lärm der Dauerbeschallung – eher gering. Die Stille muss man sich wohl selbst suchen. 

Ist Ihre Stille zu laut?

Das fragt Alcas Muzak, die Europazentrale des Unternehmens, auf der Homepage seine potenziellen Kunden. „Alcas Muzak berät, kreiert und unterstützt. Wir schaffen Atmosphäre. Mit Musik, Bildern und Instore-Advertising. Wir nutzen die modernste Technologie, damit Sie Ihre Zielgruppe treffen: direkt ins Ohr, genau ins Auge und mitten ins Herz“, ist da zu lesen. Ins Herz mag diese Musik treffen – dass sie die versprochene Umsatzsteigerung bewirkt, kann indes bezweifelt werden. Ein Experiment in einem deutschen Kaufhaus, in dem 40 Tage lang Kunden abwechselnd beschallt oder musikfrei einkaufen gingen, hat nämlich ergeben, dass die Kunden ohne Musikberieselung sogar mehr einkauften als jene, deren Aufenthalt musikalisch untermalt wurde.

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