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Lederschuhhersteller - Blut ist im Schuh

, aktualisiert am

Schuhe aus Leder: Sklavenähnliche Arbeits­beziehungen in Brasilien, grausame Misshandlung von Rindern in Indien – wer ein Paar Lederschuhe kauft, das zeigt unser Test der Unternehmens-Ethik, muss damit rechnen, dass sie unter skandalösen Bedingungen produziert wurden.

Bild: danwatch.dk
"Ihr habt den Gewinn,
wir sind die Verlierer"

1.500 Real könne er in zwei Wochen als Forstarbeiter verdienen – ein verlockendes Angebot für Daniel Moraes Fereira, 27, in einem Land, in dem man normalerweise die Hälfte in einem Monat verdient. Als er nach einigen Wochen Schwerarbeit unter menschen­unwürdigen Bedingungen keinen Lohn erhalten hatte, sprach er den Gato (die Katze) – so werden die Farm-Aufseher in Brasilien genannt – darauf an. Dieser packte ihn da­raufhin und fesselte ihn an einen Baum.

Test zeigt: Schläge und Nahrungsentzug

Vom frühen Morgen bis abends wurde er immer wieder getreten und geschlagen, er bekam weder zu essen noch zu trinken ... Als einige Tage später die weißen Autos der Aufsichtsbehörde auftauchten, wurde den Arbeitern aufgetragen, im Wald zu verschwinden. Dies nutzten Daniel und einige seiner Leidgenossen zur Flucht. Das wenige, was sie hatten, mussten sie zurücklassen.

Aus den ärmsten Gegenden rekrutiert ...

Im brasilianischen Amazonasgebiet wird die Abholzung des Regenwaldes am inten­sivsten betrieben. Alle 28 Sekunden geht ein Hektar Wald verloren, zu 80 Prozent sind die Viehzüchter dafür verantwortlich, die immer neues Grasland für ihre Rinderherden benö­tigen. Jene, die diese schwere Arbeit machen, sind Männer zwischen 18 und 40 Jahren, ­rekrutiert in den ärmsten Gegenden des ­Landes. Sie werden in den Dschungel transportiert, weit weg von jeder Zivilisation, ohne dass sie wissen, wo sie sind.

... und in die Schuldknechtschaft getrieben

 Bild: danwatch.dk 
Ein Ruhelager im Amazonasgebiet

Sie müssen in schmutzigen, kahlen Baracken schlafen oder gar ihr Schlaflager selbst zusammenbauen; zu essen gibt es, was sie im Wald erjagen können. Keine Kleidung, keine Ausrüstung, nichts wird ihnen zur Verfügung gestellt, sie müssen alles beim Gato zu überhöhten Preisen kaufen, was sie in die Schuldknechtschaft treibt: Die Schulden beim Gato übersteigen oft ihren Lohn.

Sparen bei Menschen und Tieren

"Ich brauche das Geld"

Bild: danwatch.dk
Transport: zusammen-
gepfercht und gefesselt

Die Rinder stehen so dicht gedrängt auf der Ladefläche des Lastwagens, dass sie nicht angebunden zu werden brauchen, sie können gar nicht umfallen. Eine kleinere Kuh hat ­Mühe, ihren Kopf über den Leibern der anderen zu halten. "Ich weiß, dass es illegal ist, 21 Rinder zu laden, aber ich brauche das Geld", rechtfertigt sich der Fahrer. Auf einem Lkw dieser Größe dürften maximal sechs ­Rinder transportiert werden. Er fährt in der Nacht, um nicht die Aufmerksamkeit der ­Polizei zu wecken.

Bei Tierschutz und Personal wird gespart

Sowohl Viehzucht als auch Weiterverarbeitung sind in Indien klein strukturiert, ein beträchtlicher Wettbewerbsnachteil gegenüber Ländern wie Brasilien oder auch China; die Produktivität der chinesischen Arbeitskräfte ist um 33 Prozent höher. Als Ausgleich wird beim Tierschutz und beim Personal gespart: Die Lohnstückkosten liegen um 41 Prozent unter denen des Niedriglohnlandes China.

Das sind nur einige Ergebnisse einer Vor-Ort-Untersuchung der dänischen Organisation DanWatch in Rinderfarmen und Lederindus­triebetrieben Brasiliens und Indiens.

Bild: danwatch.dk
Die Rinder sehen zu, wie ihre Artgenossen sterben.

400.000 Tonnen im Jahr

Indien ist einer der fünf größten Hersteller von Rinderhäuten, die Produktion beläuft sich auf 400.000 Tonnen (2009). Und das in einem Land, in dem Kühe als heilig ange­sehen werden. Hindus töten sie nicht und würden sie auch nicht essen. Daher werden in den Schlachthäusern hauptsächlich Moslems beschäftigt.

Gesetze: "Die Umsetzung ist gleich Null"

Der Vizepräsident der indischen Tierschutz­organisation Animal Welfare Board of India, Chinny Krishna, meint, dass Indien wahrscheinlich die besten Tierschutzbestimmungen der Welt habe, "aber die Umsetzung ist gleich null; ich garantiere, dass nicht ein Viehtransporter die Gesetze einhält". Schuld daran sei verbreitete Korruption in den Behörden und das geringe Interesse, das die Regierung dem Tierschutz im Vergleich zu ökonomischen Interessen einräume.

Chrombelastung in den Schuhen, Arbeiter werden krank

Korruption

Paradox: Auch Brasilien hat strenge Gesetze. Die Definition von Sklaverei geht sogar über die Bestimmungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO hinaus. Es gibt eine schwarze Liste von Betrieben, denen Sklaverei nachgewiesen wurde. Aber: Die unter Verdacht stehenden Betriebe werden von korrupten ­Beamten vorgewarnt, wenn die staatlichen Kontrollore im Anmarsch sind.

      Bild: danwatch.dk
Arbeiter stehen knöcheltief im Gift,
ohne Schuhe oder Handschuhe.

40 % der Arbeiter werden krank

Die Missstände gehen in den folgenden Stufen der Wertschöpfungskette weiter: Das Gerben von Leder zählt überhaupt zu den schmutzigsten Industriezweigen der Welt. Zu 80 bis 85 Prozent wird noch immer mit Chrom gegerbt, obwohl es weniger umweltschädliche Methoden gäbe.

Am schlimmsten ist es in Indien, Bangladesch und Nepal. 40 Prozent der Gerbereiarbeiter haben Hautkrankheiten, Asthma oder andere durch Chemikalien bedingte Leiden.

Chrom im Schuh

In der Umgebung von indischen Gerbereien wurden sowohl im Grundwasser als auch im Boden starke Konzentrationen von Chrom (auch des hochgiftigen Chrom(VI) – es verursacht Krebs und schädigt das Erbgut) nachgewiesen. Im Endprodukt, den Schuhen, befindet sich ebenfalls Chrom in teilweise hohen Konzentrationen, neben Arsen, Blei und Quecksilber.

Konzerne wissen nicht, wo ihr Leder herkommt

16 Markenfirmen auf dem Prüfstand

Wie gehen die Hersteller von Markenschuhen damit um? In einer Kooperation europäischer Verbraucherorganisationen (darunter der VKI) wurden international tätige Unternehmen auf ihre gesellschaftliche Verant­wortung hin geprüft, der Schwerpunkt lag in der Lederbeschaffung. Die vergleichsweise kleinen österreichischen Produzenten (wie Humanic) finden sich ebenso wenig darunter wie Diskontmarken (z.B. Deichmann). Grundlage der Untersuchung waren ein umfang­reicher Fragebogen sowie alle verfügbaren Sekundärquellen (von der internen Dokumentation der Unternehmen bis zu Experteninterviews).

Bis auf eine Ausnahme (eine indische Großgerberei, die Clarks und Timberland beliefert) konnten die Ergebnisse der Vor-Ort-Unter­suchung keiner einzigen Schuhmarke zugeordnet werden. Daher können sie auch nicht wie sonst üblich in die Beurteilung einbe­zogen werden.

Konzerne wissen nicht, wo ihr Leder herkommt

Die Markenkonzerne wissen tatsächlich nicht, wo das Leder für ihre Schuhe herkommt. Sie haben vielleicht noch einen Überblick über die Schuhfabriken, die sie be­liefern, aber woher diese die Vorfabrikate beziehen, bleibt im Dunkeln. Das trifft vor ­allem in Indien zu, wo Tausende von Klein­betrieben Leder für den Weltmarkt erzeugen.

Zulieferer: Zustände bleiben im Dunkeln

So konnte zwar beurteilt werden, wie streng die Auflagen an die Zulieferer sind, ob Leder nur von geprüften Betrieben bezogen wird, ob schwarze Listen berücksichtigt werden oder beispielsweise überhaupt auf Leder aus dem Amazonasgebiet wegen der Bedrohung des Regenwaldes verzichtet wird. Wie es in den Zulieferbetrieben von Timberland & Co aber tatsächlich aussieht, wissen auch wir leider nicht.

Das Ergebnis wird dadurch ­klarerweise relativiert und kann daher etwa nicht mit Ethik-Tests anderer Branchen verglichen werden. Generell sei daran erinnert: Ein sehr gutes oder gutes Ergebnis (A bzw. B) im Ethik-Test bedeutet, dass das betreffende Unternehmen zu den Besten in der Branche zählt, aber nicht, dass es dort keine Miss­stände gibt.

Zusammenarbeit verweigert

Drei Viertel wenig engagiert

Das soll das Abschneiden der am weitesten fortgeschrittenen Unternehmen nicht schmälern: Timberland erfüllt die überprüfbaren Kriterien am besten und konnte sogar die Bestnote A erzielen (Kriterien zu 81 % erfüllt). Die US-Marke, die vor allem in der Hip-Hop-Szene beliebt ist, hebt sich damit sehr ­deutlich vom Feld der Mitbewerber ab – drei Viertel der Kandidaten haben nicht einmal 50 Prozent erreicht.

Kooperation verweigert

Mehr als die Hälfte der Markenfirmen hat ­eine Kooperation verweigert und keinen ­Fragebogen ausgefüllt. Darunter ausgerechnet auch Branchenprimus Timberland. Da das Unternehmen recht umfangreich über seine ökologischen und sozialen Aktivitäten berichtet (Nachhaltigkeitsreport, Homepage), konnte es dennoch positiv bewertet werden. Üblicherweise schneiden Verweigerer schlecht ab, weil auch auf anderem Weg ­keine Informationen über sie erhältlich sind.

Auch die am meisten fortgeschrittenen Hersteller sind nicht ohne Schwächen, es gibt mit Ausnahme von Clarks kein Unternehmen, das nicht in zumindest einem Teilbereich sehr schwach (Note E) abschneidet.

Zwangsarbeit: keine Bestimmungen

Was die Unternehmenspolitik anlangt, können andererseits auch viele Nachzügler mit guten Noten aufwarten. Scholl und Gabor verdienen für ihre Maßnahmen im Sozial­bereich die Note A. Wie generell die Sozial­politik noch am besten abgesichert ist. Wobei der Schwerpunkt bei Maßnahmen für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeit­nehmer liegt. Nur sechs Unternehmen haben spezifische Bestimmungen gegen Kinder­arbeit in ihrem Verhaltenskodex vorgesehen, kein einziges geht explizit auf das Problem Zwangsarbeit oder Sklaverei ein.

Umweltpolitik verbesserungswürdig

Punkto Umweltpolitik haben fast alle Unternehmen Anforderungen zum Einsatz von ­Chemikalien definiert, bestimmte Substanzen dürfen nur eingeschränkt Verwendung finden. Auch auf Abfallvermeidung wird großer Wert gelegt. Eine grundsätzliche Beschäftigung mit nachhaltiger Produktion steht aber aus. Nur wenige Unternehmen haben bereits eine Lebenszyklus-Analyse durchgeführt, um die Materialien mit den geringsten negativen ­Auswirkungen auf die Umwelt herauszu­finden. Auch im Recycling wurden bestenfalls erste Schritte gesetzt. Zwar verwenden einige Unternehmen teilweise recycliertes Material in der Schuhproduktion, aber die Wiederver­wertung von Abfall aus der Produktion oder gar von gebrauchten Schuhen (dafür müsste es ein Sammelsystem geben) ist nirgends ­zufriedenstellend gelöst.

Ledererzeugung im Dunkeln

Unabhängige Kontrollen sind selten

Eine systematische Überwachung bleibt auf die erste Wertschöpfungsstufe (die Schuh­erzeugung) beschränkt, nur Timberland und zum Teil Clarks überprüfen auch die Ger­bereien (allerdings nur die Einhaltung der Umweltstandards). Externe, unabhängige Kontrollen haben überhaupt Seltenheitswert. Kickers gibt zwar an, dass solche Überprü­fungen stattfinden, bleibt aber einen Beweis schuldig. Timberland hat ein diesbezügliches Pilotprojekt laufen.

Ledererzeugung im Dunkeln

Deutlich schlechter als um die Umwelt- und Sozialpolitik ist es um die konkreten Schritte zur Verbesserung in der Ledererzeugung bestellt. Vor allem für die Viehzucht sind An­forderungen der Markenartikler noch sehr ungewöhnlich. Einigermaßen fair sind sie bei Timberland und Clarks. Da geht es aber eher um Maßnahmen zur Rettung der ­Regen­wälder, bezüglich Tierschutz kann kein Unternehmen auf besonderes Engagement verweisen, ganz zu schweigen von einer ­kon­sequenten Kontrolle. Nur Clarks zeigt Bemühen: Der britische Hersteller verzichtet großteils auf Rinderhäute aus Indien – wegen der dort branchenüblichen Tierquälerei.

Wenig Transparenz

Schlecht ist es schließlich auch um die Transparenz bestellt, also die Informationsoffenheit. Nur Timberland veröffentlicht regelmäßig Nachhaltigkeitsreports und berichtet auch sehr offen über die Bedingungen in den Zulieferbetrieben.

Testtabelle: Lederschuhhersteller

Steckbriefe

Reihung nach Testergebnis

Timberland: Die Kultmarke aus den USA beweist auch Verantwortungs­bewusstsein (im Gegensatz zur Muttergesellschaft VF Corporation). Umweltziele sind traditionell in die Unternehmenspolitik integriert, überzeugend auch die praktische Umsetzung. Kennzeichnet seine Schuhe mit dem „Green index rating“ und scheut sich nicht, dem Modell „Earthkeepers“ eine schlechte Note zu verpassen.

Ecco: Das dänische Unternehmen besitzt ausschließlich eigene Schuhfab­riken und einige Gerbereien, dadurch kann die Einhaltung der Ethik-Kriterien leichter überprüft werden. Eines der besten Umweltmanagementsysteme. Einer der wenigen Hersteller, der über die Herkunft der Lederhäute informiert: großteils aus den Niederlanden, den USA und Dänemark, aber nicht aus ­Brasilien.

Clarks: Im Vergleich zu Timberland und Ecco schon deutlich weniger engagiert. Beteiligt sich an Aktionen der Branchen, zeigt aber wenig Eigeninitiative – siehe die schwach bewerteten Leitlinien in Sozial- und Umweltpolitik. Dafür durchaus positive Schritte in der Praxis, so punktet Clarks als einziger bei artgerechter Tierhaltung (keine Tierhäute aus Indien).

Kickers: Gegründet 1970, beruft sich die französische Marke auf den „libertären Geist“ der Flower-Power-Zeit. Im Sozialbereich als BSCI-Mitglied relativ gut aufgestellt, im Bereich Umwelt fallen vor allem die Schritte in der Praxis auf: Latex-Sohle aus erneuerbaren Ressourcen, Experimente mit „Sanotan“-Leder aus Titan-Gerbung, Projekt zu Öko-Kennzeichnung seiner Schuhe.

Geox: Hat einen großen Namen, im Vergleich dazu ist die Verantwortung, die das italienische Unternehmen übernimmt, sehr bescheiden. Nur die Maßnahmen im Sozialbereich sind okay, aber ökologische Anforderungen finden in das Design der Schuhe keinen Eingang. Geox findet ethisches Verhalten offenbar auch nicht gesellschaftsfähig – man spricht nicht darüber.

Pikolinos: Die spanische Marke profiliert sich vor allem im Umweltbereich, im Sozialbereich schwach. Öko-Kennzeichnung für zwei Schuhmodelle, hohe Anforderungen an die Haltbarkeit. „Null-Papier“-Strategie in Buchhaltung, Lager etc. dank spezieller Software. Wie Ecco besitzt die Firma eigene Gerbereien. Minus: Anders als beworben, finden Kunststoffsohlen Verwendung.

Vagabond: Das Unternehmen mit Sitz in Schweden wurde in den späten 1960er-Jahren gegründet, es beschwört den damaligen Zeitgeist: „Als alles möglich war.“ Strikte Beschränkung des Einsatzes von Chemikalien. Es gibt laufende Überprüfungen der Produktion, aber kein formales Monitoring. Für die Lederbeschaffung existieren keinerlei Auflagen oder Kontrollen.

El Naturalista: Der spanische Hersteller setzt sein Umweltengagement im Marketing gezielt ein. Verwendung von Recycling-Materialien für die Sohle, Teil-Ersatz von Chrom in der Gerberei. Vieles bleibt aber vage: Bekenntnis, nur spanisches Leder zu verwenden – ohne nähere Angaben. Die Verpflichtung, nur Leder als Nebenprodukt der Fleisch­produktion zu verwenden, ist nichts­sagend.

Scholl: "Erfinder der Fußpflege." Mittlerweile im Eigentum des britischen Reinigungsmittel-Multis Reckitt Benckiser. Einigermaßen stark in Sozialpolitik, sonst eher schwach.

Gabor: Das Familienunternehmen mit Stammsitz in Rosenheim setzt im Sozialbereich sehr engagierte Maßnahmen, sonst eher schwach.

Birkenstock: Der Produzent der legendären Sandalen kann nur im Umweltbereich mit relativ strikten Maßnahmen punkten. Da nur in Deutschland produziert wird, gilt die dortige strenge Gesetzgebung.

Bata: Gegründet in der Tschechoslowakei, sitzt heute in der Schweiz. Firmeneigene Schuhfabriken; Ablehnung von Kinderarbeit, aber keine konkreten Informationen.

Tod‘s: Italienisches Unternehmen, bekannt für seine handgemachten Mokassins. Ein Beispiel mehr dafür, dass die Schöpfer von Nobelmarken Ethik als Nebensache abtun.

Camper: Das einzige, was man von dem spanischen Schuhproduzenten weiß, ist, dass er eine Studie über Abfallmanagement verfasst haben soll. Sonst keinerlei Informationen.

Hush Puppies: Die US-Marke (stand einst für besonders bequeme Freizeitschuhe) ist in die Jahre gekommen. Das belegt auch die nahezu vollständige Absenz von Verantwortungsbewusstsein.

Mephisto: Die französische Marke fühlt sich ob ihrer manuellen Endfertigung einzigartig. Was soziale Verantwortung betrifft, ein einziges schwarzes Loch.

Zusammenfassung

  • Schmutziges Leder. In den Vorstufen der Schuherzeugung herrschen unbeschreibliche Zustände, kein Markenschuh-Hersteller kann – mangels Kontrolle – nachweisen, dass seine Produkte frei von Sklaverei und Tierquälerei sind.
  • Branchenführer. Was man aber verlangen kann, ist, dass die Hersteller geeignete Vorkehrungen treffen, um im eigenen Einflussbereich faire Verhältnisse zu schaffen. In nennenswertem Ausmaß tun dies nur Timberland, Ecco und Clarks.
  • Billige Sprüche. Lassen Sie sich nicht von einfachen Werbesprüchen blenden. Die Verpflichtung z.B. von El Naturalista: "Wir verwenden nur Leder als Nebenprodukt der Fleischindus­trie", ist nichtssagend. Mit der Ausnahme von Krokodilleder trifft das auf jedes Leder zu. Nur wer ausführliche und ungeschminkte Informationen bietet, meint es ernst.
  • Was kann ich selbst tun. Woher das Leder kommt, kann man keinem Schuh ansehen. Vermeiden Sie jedenfalls Billigprodukte, die schnell verschleißen. Es gibt mehrere kleinere Anbieter, die sich wenigstens in Teilbereichen zu Fairness und Nachhaltigkeit verpflichten, etwa indem sie auf Chromgerbung verzichten: z.B. www.hessnatur.com, www.veja.fr.

Testkriterien

Die Untersuchung wurde im Rahmen einer internationalen Kooperation von einer branchenkundigen Audit-Organisation durchgeführt. Fokus sind soziale, ökologische und Tierhaltungs-Aspekte bei der Ledergewinnung und bei Gerbereiprozessen. Ausgewählt wurden große, international tätige Markenfirmen.

Fragebogen, Unterlagen, Field-Studies

Die Untersuchung basiert auf einer Erhebung mittels Fragebogen und einer Analyse von Sekundärmaterial. Im Fragebogen wurden rund 40 Kriterien zur gesellschaftlichen Unternehmensverantwortung (CSR) abgefragt, jedes davon unterteilt in eine Reihe von Subkriterien. Sekundäre Quellen bildeten die interne Dokumentation der Unternehmen, Jahresberichte, Untersuchungsberichte sowie Interviews mit Experten und Stakeholdern.
Außerdem führten zwei Reporterteams Field-Studies (Vor-Ort-Untersuchungen) in Rinderzuchtbetrieben, Schlachthäusern und Gerbereien durch, jeweils in Brasilien und in Indien. Eine direkte Zuordnung von Zulieferfirmen zu bestimmten Marken war (von einer Ausnahme abgesehen) nicht möglich.
Erhebungszeitraum: September bis Dezember 2011, Nacherhebungen bis Februar 2012.

So wird beurteilt

Die Erfüllung jedes einzelnen Kriteriums wird in 5 Abstufungen beurteilt – von umfassend bis unzureichend erfüllt.
Zusätzlich wird eine Gewichtung durchgeführt: Je nach Nachweisbarkeit der zur Verfügung stehenden Informationen werden die Beurteilungen der Einzelkriterien mit einem Faktor zwischen 0 und 1 gewichtet. Gibt es seriöse Quellen, die den Angaben klar widersprechen, so wird mit Faktor 0 gewichtet, d.h. das Kriterium gilt als nicht erfüllt. Gibt es keine Belege (Dokumentation, Reports, Experteninterviews) für die eigenen Angaben des Unternehmens, wird mit Faktor 0,5 gewichtet. Nur wenn die Angaben zur Gänze bestätigt werden können, gehen sie mit vollem Gewicht (Faktor 1) in die Bewertung ein.

Dargestellt werden die Gruppenurteile und das Gesamturteil in einer fünfstufigen Skala von A bis E. Stufe A bedeutet, dass zumindest 80 Prozent aller Kriterien erfüllt sein müssen; E am anderen Ende der Skala steht für ein Ergebnis, bei dem unter 20 Prozent der Kriterien erfüllt wurden.

Die Kriterien im Einzelnen:

Sozialpolitik

Leitlinien: Gibt es eine veröffentlichte Sozialpolitik? Grundsätze, öffentliche Bekenntnisse, Leitlinien für die Wertschöpfungskette, Managementsysteme, quantitative und qualitative Ziele.

Standards und Maßnahmen: Bewertet wurden soziale Mindeststandards für die Fertigung – die Definition von Anforderungen (betreffend z.B. Mindestlohn, Überstundenregelung, Gesundheit, Sicherheit) sowie Maßnahmen auf Grundlage dieser Standards.

Monitoring: Kontrolle in der Schuhproduktion und in Gerbereien, Anmeldung der Arbeitnehmer, laufende interne und externe Überwachung, Hilfestellung der Zulieferer, konkrete Maßnahmen und Aktivitäten.

Umweltpolitik

Leitlinien: Gibt es eine veröffentlichte Umweltpolitik? Grundsätze, öffentliche Bekenntnisse, Leitlinien für die Wertschöpfungskette, Managementsysteme, Öko-Design der Produkte, quantitative und qualitative Ziele.

Standards und Maßnahmen: Bewertet wurden das Chemikalienmanagement, das Abfallmanagement, Maßnahmen gegen den Klimawandel, die Beschaffung von Rohhäuten und Komponenten usw.

Monitoring: Kontrolle in der Schuhproduktion und in Gerbereien, interne und externe laufende Überwachung, Hilfestellung für Zulieferer, konkrete Maßnahmen und Aktivitäten.

Beschaffung Leder

Anforderungen an Viehzucht und Rohmaterialgewinnung: Einhaltung bestimmter Grundsätze, z.B. der SCPS für Nachhaltige Landwirtschaft, kein Kahlschlag von Regenwäldern, keine Belieferung durch Rinderfarmen im Amazonas-Gebiet oder solche, die auf der IBAMA-Liste für Sklavenarbeit stehen ...

Gerbereien: Einhaltung der Leitlinien für Umweltmaßnahmen der Leather Working Group (LWG), Belieferung durch Gerbereien, die ein LWG-Audit vorweisen können und/oder solchen, die ein Umweltmanagementsystem eingerichtet haben ...

Artgerechte Tierhaltung: Eine entsprechende Unternehmenspolitik ist vorhanden, die Einhaltung der Verpflichtungen wird laufend überprüft.

Transparenz

Teilnahme an der Untersuchung: Bewertung der retournierten Fragebögen auf Vollständigkeit, Zusatzangaben, Unterlagen ...

Öffentliches Berichtswesen: Vorliegen von Nachhaltigkeitsreports, regelmäßiges Erscheinen, Informationstiefe, Informationsbreite.

Konsumenteninformation (auf der Homepage): Ausgewertet wurden Informationen zum Thema CSR (soziales und ökologisches Engagement) auf den internationalen Websites der Unternehmen (in der Regel in englischer Sprache).

Leserreaktionen

Eine Schande

Nach wie vor ist die tierische Haut ein Abfallprodukt der Fleischerzeugung. Das Gewicht der Haut beträgt etwa 12 % des Schlachtgewichtes, daher wird kein Rind wegen der Haut, sondern nur wegen des Fleisches geschlachtet. Ich finde es daher nicht richtig, Viehtransport- und Schlachtungsmissstände der Ledererzeugung anzulasten.

Österreich war bis Ende der 80er-Jahre ein Schuhexportland, es gab eine relativ bedeutende inländische Schuhledererzeugung. Die Schuhfabriken begannen bald, ihre lohnintensive Produktion auszulagern. Portugal, Slowakei, Slowenien, Tschechien, dann immer weiter weg, Indien, China usw. Die Schuhledererzeugung kam in Österreich zum Erliegen und ist der Schuherzeugung hinterhergewandert.

Die in Europa verbliebenen Lederfabriken erzeugen praktisch nur mehr Leder für die Möbel-, Flugzeug- und Autoindustrie. Die Haupt-Lederproduzenten sind Indien und Südamerika. Dass es bei den dortigen Betrieben mit den Umweltstandards nicht weit her ist, kann man sich vorstellen.

Aber wir haben es ja mit unserer „Geiz ist Geil“- Mentalität so gewollt! Dass sich namhafte Schuhhersteller nicht mehr darum kümmern, wie das von ihnen verwendete Material hergestellt wird, ist eine Schande. Dass es bei den ausgesprochenen Billigschuhen noch ärger ist, kann sich jeder vorstellen.

Gottfried Köberl
Windischgarsten
(aus KONSUMENT 6/2012)

Ansporn

Die skandalösen Bedingungen, unter denen heutzutage teilweise renommierte Schuhhersteller ihre Waren herstellen lassen, sind uns nicht unbekannt und erst recht ein Ansporn, unsere Art der ökologischen Herstellungsweise weiter zu verfolgen, ständig weiter zu entwickeln und zertifizieren zu lassen. Infos dazu unter: www.ricosta.de/ruf.

Ricosta Schuhfabriken GmbH
Donaueschingen, Deutschland
(aus KONSUMENT 6/2012)

Dankbar

Neben der Qualität der Produkte liegt mir auch der gesamte Herstellungsprozess am Herzen. Im Sinne der Nachhaltigkeit bewerte ich daher Produkte unter sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Diesen umfassenden Blick ermöglichen Sie mir durch Beiträge wie jenen über die Schuhindustrie.

Johannes Brossmann
Wien
(aus KONSUMENT 6/2012)

Heimischer Hersteller

Wir fertigen aus natürlichen Materialien (neben Leder auch Walkloden, Lammfell und Naturkautschuk) in Oberösterreich mit modernsten Technologien eine breite Palette von hochwertigen Schuhen. Nachhaltigkeit spielt dabei eine wichtige Rolle. 98 % der verwendeten Rohmaterialien (Leder) werden aus Europa bezogen.

Das Hartjes-Tochterunternehmen Mucos, das die Leichtfußbetten aus Naturkork fertigt, trägt als weltweit erster Fußbetthersteller das renommierte ECO-Zertifikat. Wir beachten strengste Umweltauflagen, das Firmengebäude wird mittels Pyrolyse beheizt. Nachhaltigkeit bedeutet für uns aber auch soziale Verantwortung durch faire Zukunftsperspektiven für Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter und Lieferanten.

Hartjes Ges.m.b.H.
Pramet
(aus KONSUMENT 6/2012)

Schockiert

Ich war schockiert. Ich habe nie gedacht, dass in Indien, wo die Kühe doch heilig sind(?), so mit den Tieren umgegangen wird. Beim nächsten Schuhkauf weiß ich, was zu tun ist, die KONSUMENT-Zeitschrift nehme ich sicher mit. Hier sieht man wieder den Nachteil der Globalisierung: Als Konsument ist kaum mehr nachvollziehbar, wo alle Teile herkommen und wie sie entstanden sind.

Mag. Hans Bretbacher
St. Marienkirchen a.H.
(aus KONSUMENT 6/2012)

Keine heimischen Hersteller

Warum sind in Ihrem Vergleich keine österreichischen Unternehmen (zum Beispiel Waldviertler Schuhe) vertreten?

Name der Redaktion bekannt
(aus KONSUMENT 5/2012)

Diese Untersuchung wurde im Rahmen einer Kooperation mehrerer europäischer Verbraucherorganisationen durchgeführt, nur große, international bekannte Marken wurden berücksichtigt. Leider können aus Kostengründen nicht alle für den heimischen Markt interessanten Marken untersucht werden.

Kleinere Firmen wie Waldviertler würden im direkten Vergleich mit Konzernen unter ihrem Wert abschneiden, weil sich kleinere Unternehmen in der Regel keine eigene CSR-Abteilung (zuständig für soziale Verantwortung in der Produktion und bei der Beschaffung von Vorprodukten) und ausführliche Information der Öffentlichkeit (auf der Homepage oder durch Nachhaltigkeitsreports) leisten könnten.

Auch die Beantwortung des umfangreichen Fragebogens ist für kleinere Unternehmen sicher schwieriger zu bewerkstelligen als für einen Konzern.

Die Redaktion

Buchtipp: "Nachhaltig leben"

Durch das eigene Konsumverhalten einen Beitrag zu einer "besseren" Welt zu leisten, ist der Wunsch vieler Verbraucher. Doch welche Möglichkeiten hat der Einzelne, dies im Alltag umzusetzen? Unser Buch gibt Tipps und Anregungen für all jene, die ganz individuell zu einem verantwortungsvollen Lebensstil finden wollen.

www.konsument.at/nachhaltig-leben

Aus dem Inhalt

  • Lebensmittel: fair und natürlich
  • Lifestyle: modisch, aber ökologisch
  • Mobilität, Tourismus, Freizeit
  • Nachhaltigkeit im Haushalt
  • Abfall vermeiden, Ressourcen schonen
  • Trend: gemeinsam nutzen statt besitzen

160 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Nachhaltig leben (Bild:VKI)

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