KONSUMENT: Herr Sawetz, Sie erforschen seit vielen Jahren die Konsumpsychologie und geben Ihr Wissen an der Universität Wien den Studierenden weiter. Welche Abläufe führen dazu, dass wir überhaupt konsumieren?
Die Abläufe greifen tief in die Psychologie, Soziologie und Biologie ein. Biologisch gesehen sind wir ein Mängelwesen: in uns wird immer alles weniger. Wir müssen nachtanken, wir brauchen Flüssigkeit, Nahrung, Schlaf, wir haben sexuelle Bedürfnisse, Bewegungsdrang. Wir haben eine Reihe von inneren Soll-Werten, die wir erreichen müssen, um uns wohlzufühlen. Und wir müssen ständig messen, ob unsere Ist-Werte unseren Soll-Werten entsprechen. Wenn dem nicht so ist, empfinden wir Unbehagen.
Auf der psychologischen und soziologischen Ebene sind wir ebenfalls ein Mängelwesen – und zwar als offenes System, das ständig auf „Empfang“ ist. Wir nehmen laufend Informationen unserer Umgebung auf – bewusst und unbewusst. Von Freunden, Leuten auf der Straße, aber auch im medialen Raum. Und während wir alle Informationen aufnehmen, sickern in uns neue Soll-Werte ein, denn wir sind ein Social Animal, ein soziales Tier. Als solches sind wir sehr darauf gedrillt, uns mit anderen zu vergleichen. Sind wir unzufrieden mit unserem Ist-Zustand, ist das konsumpsychologisch der Beginn des Wunsches, etwas zu konsumieren und uns dadurch zu verändern und so zu optimieren, indem wir uns unseren Soll-Werten annähern.
Welche Altersgruppe ist am meisten davon betroffen?
Am meisten fragen sich Heranwachsende, ob sie ihrem Ideal entsprechen oder nicht. Entsprechen sie dem nicht, gibt es ein negatives Selbstbild und die Motivation, etwas dagegen zu unternehmen. Wer profitiert davon? Fitnesscenter, Personal Trainer, Coaches. Aber auch die Kosmetik- und Schönheitsindustrie. Unsere Welt wird immer oberflächlicher, wodurch die Verpackung immer mehr zählt. Wie sehe ich aus? Wie gebe ich mich? Wie kleide ich mich? In der Hinsicht gibt es im Raum der sozialen Medien eine Reihe von Influencern, die bestimmte Idealbilder propagieren. Wenn sie sehr populär werden, fließen diese Idealbilder in uns als neue Sollwerte ein. Diese machen uns unzufrieden mit unserem Istzustand.
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