Gespräch mit Univ.Prof. Dr. Helmut Gruber, Vorstand des Zentrums für Anatomie und Zellbiologie, Medizinische Universität Wien
Das Anatomische Institut erhält Körperspenden. Was machen Sie damit?
Gruber: Zunächst schauen wir, in welchem Zustand der Leichnam ist. Wurde er vielleicht längere Zeit ohne Kühlung aufbewahrt? In dem Fall kann es sein, dass wichtige Organsysteme schon zerstört sind. Diese Körperspende ist für uns dann nicht mehr wertvoll. Wir müssen weiters prüfen: Liegt auch keine ansteckende Infektionskrankheit vor wie Aids oder Hepatitis? Wenn doch, können wir aus Gründen der gesundheitlichen Sicherheit den Leichnam nicht annehmen.
Trifft keiner der Ausschließungsgründe zu, konservieren wir die Leiche zunächst. Wir injizieren über das arterielle System eine Konservierungslösung, das dauert mehrere Stunden. Anschließend kommt die Leiche in ein Konservierungsbad, für etwa ein halbes Jahr.
Ist die Leiche präpariert, kommt sie auf den Seziertisch. Warum ist diese Arbeit am Objekt so wichtig für Medizinstudenten?
Gruber: Die Studenten lernen den Aufbau des menschlichen Körpers kennen, von den oberflächlichen bis in die tieferen Schichten. Und vor allem lernen sie, dass nicht alles so ist, wie im Lehrbuch beschrieben, dass Varietäten, Abweichungen von der Norm, ganz selbstverständlich vorkommen. Hier kann sich der angehende Chirurg einen Überblick verschaffen, wie die Bauchhöhle schichtweise aufgebaut ist – später kann er das nie wieder. Denn am lebenden Menschen lässt sich nicht experimentieren.
Was darf im Seziersaal gemacht werden – und was gerade nicht?
Gruber: Die Studenten dürfen während des Sezierens nicht essen und nicht trinken. Sie dürfen auch keine Musik hören oder Witze machen. Der achtsame Umgang mit dem Leichnam ist uns sehr wichtig.
Vor wenigen Jahren hat ein Fall in Graz Aufsehen erregt: Leichen wurden bei Autocrashversuchen eingesetzt. Deckt sich das mit dem wissenschaftlichen Auftrag?
Gruber: Ich wurde damals auch von dem Versuchsunternehmen gefragt, ob ich Leichen zur Verfügung stellen könnte. Meine klare Antwort: Nein! Ein Mensch spendet seinen Leichnam nicht dem Anatomischen Institut, damit er gegen eine Betonwand gefahren wird!
Wie lange bleiben die Körperspenden im Anatomischen Institut?
Gruber: Das kann man nicht pauschal sagen. Manchmal einen Monat, manchmal ein Jahr. Ist das Praktikum vorüber, wird der Leichnam ins Krematorium überführt und seine Asche auf dem Gräberfeld des Anatomischen Instituts auf dem Zentralfriedhof beigesetzt. Es sei denn, Angehörige wünschen eine andere Beisetzung, beispielsweise im Familiengrab. Dann kommen wir diesem Wunsch nach. Einmal im Jahr führen wir eine Gedenkfeier in der Luegerkirche am Wiener Zentralfriedhof zu Ehren jener Verstorbenen durch, die uns ihren Körper zur Verfügung gestellt haben.