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Selen in Lebensmitteln - Gefährliche Gratwanderung

Unser Körper braucht Selen. Geben wir ihm zu viel, schlägt die positive Wirkung aber rasch ins Gegenteil um.

Geht es Ihnen auch so? So sehr Sie sich bemühen, den Speisezettel abwechslungsreich zu gestalten, irgendwie scheint es nie genug zu sein. Andauernd hört und liest man, dass unsere Nahrung zu wenig von diesem oder jenem lebenswichtigen Vitamin oder Mineralstoff (Mengen- und Spurenelemente) enthalte, weshalb alle möglichen Mangelerkrankungen drohen. Die Rettung sollen Nahrungsergänzungen, so genannte Supplemente, sein. Sie verheißen, dass wir gesund und leistungsfähig bleiben. Und wer wollte das nicht? Also werden fleißig Vitaminpillen geschluckt beziehungsweise Lebensmittel gegessen, die mit verschiedensten Zusätzen angereichert wurden.

Unnötig, meinen Ernährungswissenschafter. Auch sei es unrichtig, dass der Nährstoffgehalt der Böden – wie behauptet – abnimmt. Dennoch: Viele schwören auf ihren täglichen Vitamincocktail. Bliebe es dabei nur bei einem „Nützt’s nichts, dann schadet’s nichts!“ Genau das ist aber nicht immer der Fall. Einige Spurenelemente können – überdosiert – regelrecht giftig sein. Selen ist eines davon.

Lebensnotwendiges Spurenelement

Der Körper eines Erwachsenen enthält 10 bis 15 mg (Milligramm) Selen. Hauptlieferant ist pflanzliches und tierisches Eiweiß. Wobei der Anteil in Pflanzen vom Selengehalt des Bodens abhängt. Fleisch enthält meist mehr Selen, weil Tiere das Spurenelement sogar aus selenarmem Futter anreichern können. In Form von Aminosäuren ist Selen in elf Enzymen (Selenoproteinen) eingebaut und erfüllt dort lebensnotwendige Funktionen, etwa für den Schilddrüsenhormon-Stoffwechsel oder um die Bildung reaktionsfreudiger, aggressiver Sauerstoffpartikel, so genannter Freier Radikaler, zu verhindern. Von den antioxidativen Eigenschaften des Selens leiten einige Wissenschafter die krankheitsvorbeugende Wirkung ab. Herzerkrankungen, Schlaganfall, Rheuma oder Tumore soll das Spurenelement verhüten und sogar das Wachstum bereits bestehender Krebserkrankungen stoppen können.

Allerdings sind solche Aussagen umstritten. Desgleichen verallgemeinernde Feststellungen über Selendefizite in Nahrungsmitteln. Der Selengehalt des Bodens ist weltweit recht unterschiedlich: Eher hoch ist er in Kanada, den USA und Teilen Südamerikas, in Mitteleuropa niedrig. Echte Selenmangelerkrankungen sind jedoch nur aus bestimmten Regionen Chinas bekannt.

Schmaler Grat von ausreichend zu giftig

Bislang herrscht auch keine Übereinstimmung darüber, wie hoch der Bedarf an Selen für eine optimale oder ausreichende Versorgung ist. Die DACH-Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr (diese gelten für Deutschland, Österreich und die Schweiz) gehen von einem Schätzwert zwischen 30 und 70 µg pro Tag aus (1 µg = ein Mikrogramm = ein Millionstel Gramm). Herr und Frau Österreicher nehmen laut neueren Studien mit dem Essen durchschnittlich 35 µg Selen pro Tag zu sich. Eine Ergänzung, der Fachbegriff dafür ist Supplementierung, halten angesehene Wissenschafter, darunter auch die Österreichische Gesellschaft für Ernährung, gegenwärtig nicht nur für unnötig, sondern sogar für riskant. Bei höheren Selendosen über einen längeren Zeitraum hinweg wäre mit etlichen Nebenwirkungen zu rechnen. Ab 800 µg Selen pro Tag wurden chronische Vergiftungen beobachtet – es kommt unter anderem zu Haarausfall, Herzmuskelschwäche oder Leberzirrhose. Erstes Anzeichen für eine solche Vergiftung ist übrigens ein nach Knoblauch riechender Atem. Eine weitere Gefahr sehen Ernährungswissenschafter im generellen Jodmangel. Dieser und gleichzeitig ein Mehr an Selen bewirken ein Ungleichgewicht zwischen den Hormonen T4 und T3 und in der Folge eine Unterfunktion der Schilddrüse.

Fisch, Fleisch und Wurst enthalten das meiste Selen. Mit Nüssen und Pilzen kommen Vegetarier auf ihre Rechnung. Heimisches Getreide liefert im Allgemeinen zwar nicht besonders viel Selen, doch hier bringt es die Menge: Enthält Ihr Speisezettel nämlich oft Getreideerzeugnisse, lässt sich damit ein wesentlicher Anteil der täglichen Selenzufuhr abdecken.

Wo eine Extraportion Selen drin ist

Um aufzuzeigen, wie schnell man die oben genannte Grenze überschreitet, haben wir uns auf die Suche nach Selenpräparaten und Getreideprodukten begeben, die mit Selen angereichert wurden. Während wir in Westösterreich nicht fündig wurden, konnten wir in Wien spezielle Selenbrote und -mehl erstehen und haben den Selengehalt gemessen. Der ist – verglichen mit normalen Lebensmitteln – erheblich höher: zwischen 88 und 153 µg/kg bei Selenbroten; zwischen 18 und 50 µg/kg beträgt er bei herkömmlichem Vollkornbrot. Doch selbst wenn Sie nun größere Mengen eines Selenbrotes essen, wird das allein vermutlich noch keinen Schaden anrichten. Vorsicht ist hingegen angebracht, wenn Sie zusätzlich Selenkapseln schlucken. Elf solcher Präparate haben wir uns angeschaut. Hält man sich an die auf den Packungen empfohlene Tageszufuhr, nimmt man zwischen 9 und 275 µg Selen auf. Was man nicht ausschließen kann, ist, dass der eine oder andere glaubt, es dürfe ja ruhig ein bisserl mehr sein. Und schon wäre man deutlich über den Schätzwerten einer angemessenen Zufuhr – und an der Schwelle zur Gesundheitsgefährdung. Als problematisch sehen wir dabei auch an, dass sich nicht exakt ausrechnen lässt, wie viel Selen man tatsächlich aufgenommen hat. Bei mehr als der Hälfte der Packungen stimmte der angegebene Selengehalt nicht, auf zweien fehlte er überhaupt. Davon abgesehen geht die Sache auch ganz schön ins Geld: Zwischen 29,90 und 478 Schilling kosten die Präparate – umgerechnet auf die empfohlene Tagesdosierung ergeben sich Preise von 0,70 bis 17,50 Schilling pro Tag. Im Jahr macht das – im teuersten Fall – mehr als 6300 Schilling aus.

Lassen Sie sich also nicht ins Bockshorn jagen. Unsere Nahrungsmittel bieten erfreulicherweise alles, was der Organismus braucht. Nährstoffmängel sind selten die Folge qualitativ schlechter Lebensmittel; das Hauptproblem in unseren Breiten ist nach wie vor: zu fett und zu süß. Nahrungsergänzungen sind laut unseren Ernährungswissenschaftern jedenfalls kein geeignetes Mittel, um diese Ernährungsfehler auszugleichen.

Lebensmittel

µg/100 g

Thunfisch

130

Paranüsse

100

Steinpilze

100

Eierteigwaren

65

Scholle

65

Erdnüsse geröstet

40

Reis

40

Makrele

35

Rinderfilet

35

Schweinekotelett

20-30

Bohnen weiß

22

Quelle: Die große GU-Nährwerttabelle

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