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Jugendliche und neue Medien - Virtuelle Welten

Für Jugendliche sind Internet, Computerspiele und Social Media fixer Bestandteil ihres Lebens. Meist haben sie alles im Griff. Aber eben nicht immer.

Jeder fünfte 11- bis 14-Jährige spielt fast täglich Computer- oder Konsolenspiele. Das ergab eine Befragung von 880 Jugendlichen durch das Institut für Jugendkulturforschung im Jahr 2007. Fast ebenso viele Jugendliche spielen mehrmals pro Woche, wobei die Buben in beiden Fällen eher an den Hebeln und Tasten sitzen als die Mädchen. Klarer Favorit sind Actionspiele, dicht gefolgt von Renn- sowie Strategie- und Rollenspielen.

Zahlreiche Studien zeigen, dass Brutalospiele die Gewaltbereitschaft der Nutzer verändern. So ließ beispielsweise die Potsdamer Psychologin Ingrid Möller Berliner Schüler in regelmäßigen ­Abständen Fragebogen ausfüllen, in denen sie angeben mussten, welche Spiele sie spielen und welche Reaktion sie für angemessen halten, wenn ein anderes Kind ihnen un­absichtlich Cola über einen neuen Pullover schüttet. Resultat: Je öfter ein Heranwachsender brutale Computerspiele spielt, desto eher findet er es gerechtfertigt, den Ungeschickten zu verprügeln oder mit einem Messer auf ihn loszugehen.

Zeit- und Notenfresser

Die vielen virtuellen Räuber-und-Gendarm-Spiele können auch Ursache für Aufmerk­samkeitsdefizite sein. Die plausibel klingende These des Neurobiologen Manfred Spitzer: Wer sich in ständiger Gefahr wähnt, von ­irgendeiner Seite her bedroht und ange­griffen zu werden, verliert die Fähigkeit, sich auf einen Punkt zu konzentrieren – etwa aufs Vokabellernen.

Wissenschaftler des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wollten in einem Projekt mit der vierten Klasse einer Berliner Grundschule herausfinden, ob der Medienkonsum Einfluss auf die Schulnoten hat. Um die drei bis sechs Stunden zu reduzieren, die die Kinder täglich vor dem Fernseher oder dem Computer saßen, schlossen sie mit den Wissenschaftlern einen Medienvertrag.

Spannendere Aktivitäten

Gleichzeitig wurden die Schüler eingeladen, in einem Tagebuch festzuhalten, was sie mit der gewonnen Zeit anfingen und wie es ­ihnen dabei ging. Zwar fiel es den Kindern zu ­Anfang gar nicht leicht, sich ohne Fernsehen zu beschäftigen – es war ihnen schlicht ­langweilig –, doch bald fanden sie andere Aktivitäten, die sie zudem durchwegs als spannender, herausfordernder beschrieben. Und: Ein Jahr später waren fast alle Kinder um mindestens eine Note besser geworden.

"Gratis" ist nicht immer gratis

Ein weiteres Problem bei zahlreichen Onlinespielen ist der Kostenfaktor. Viele werden nämlich als „gratis“ angepriesen, sind es aber nicht. Betroffen sind vor allem aufwendige Spiele, die über einen längeren Zeitraum gespielt werden. Um größeren Spielspaß oder rascher Erfolg zu haben, muss man ­dafür öfter Zubehör kaufen oder eine Pre­mium-Mitgliedschaft abschließen. Dazu ­haben wir eine Studie im Auftrag der Arbeiterkammer Steiermark durchgeführt (siehe Kasten „Frei heißt nicht gratis“).

Virtuelle Treffpunkte

Virtuelle Treffpunkte

Das Internet zu nutzen, ist für Kinder und ­Jugendliche zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Zwei bis drei Stunden pro Tag sind die 11- bis 19-jährigen Österreicherinnen und Österreicher online, immer häufiger via Smartphone. Während die Burschen viel von ihrer Freizeit für Onlinespiele opfern, sind Mädchen oft in Chatrooms zu finden. Plattformen wie YouTube kennen keine Geschlechtergrenzen, auch das Herunterladen von Musik oder TV-Serien und selbst das ­Recherchieren für Hausaufgaben gehört für die jungen Leute zum Alltag.

Soziale Netzwerke um sich in die Gesellschaft einzuordnen

Seit wenigen Jahren macht sich noch ein ­anderes Phänomen breit. Erst seit dem Frühjahr 2008 gibt es Facebook, das soziale Netzwerk, das ursprünglich nur für die Studenten der US-amerikanischen Harvard-Universität gedacht war, auch auf Deutsch. An die 70 Prozent der heimischen 11- bis 19-Jährigen nutzen diese Art der Kommunikation mindestens ­einmal täglich, hat eine Untersuchung des ­Instituts für Jugendkulturforschung ergeben. Besonderes Faszinosum, vor allem für Einsteiger: Man findet eine Bühne, um auszupro­bieren, wie man auf andere wirkt. Genau das Richtige für Pubertierende, die auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft sind. ­Auffallen um jeden Preis, egal ob positiv oder negativ, das führt zu Netzruhm.

Realität und Schein

Dabei muss die gebotene Selbstdarstellung nicht unbedingt der Realität entsprechen. So berichtete Studienleiter Michael Schaefberger von der 14-jährigen Anna, die aus ­Langeweile während des IT-Unterrichts in der Schule das Porträt einer 30-jährigen ­Alleinerzieherin anlegte und daraufhin etliche Kontaktanfragen von männlichen Facebook-Usern bekam, die sich mit ihr treffen wollten.

Privates bleibt nicht privat

Privates bleibt nicht privat

Den wenigsten Jugendlichen ist bewusst, dass im Netz keineswegs immer nur harm­loses Geplauder und der Austausch von ­Neuigkeiten stattfindet. Zwar stehen die Portale zur weltweiten Kommunikation, aufgepeppt mit diversen anderen Angeboten wie interaktiven Spielen oder Tests, unentgeltlich zur Verfügung. Sie verlangen den Nutzern ­jedoch sehr wohl etwas ab, nämlich die Preisgabe der Privatsphäre – eine Tatsache, die selbst Erwachsenen nicht immer klar ist. ­Einmal getätigte Einträge sind nur äußerst schwer zu löschen. Und während im nor­malen Alltagsleben irgendwelche unerquicklichen Erlebnisse oder peinliche Situationen schnell wieder vergessen sind, bleiben sie im Netz an einem kleben wie Kaugummi.

Viele öffentlich einsehbare Profile

Digitale Communities wie Facebook wissen von ihren Nutzern alles, mehr als jede investigative Polizeibehörde. Und die Betreiber ­verkaufen diese Informationen, vor allem an die Werbewirtschaft, die jahrzehntelang von solchen Kundenprofilen zum punktgenauen Marketing nur träumen konnte. Von Privatsphäre kann also keine Rede sein, auch wenn viele junge User heute schon darauf verzichten, kompromittierende Fotos vom letzten Komasaufgelage ins Netz zu stellen. Allerdings macht laut Jugendkulturforschung-Studienleiter Michael Schaefberger nahezu die Hälfte der männlichen Community-Mitglieder ihre Profile öffentlich einsehbar. Und nur zehn Prozent aller 11- bis 19-jährigen User geben an, über die Sicherheitseinstellungen "sehr gut" Bescheid zu wissen.

Handys können die Jugendlichen zu Leichtsinn verleiten

Auch Handys sind längst nicht mehr bloß zum Telefonieren oder SMS-Schreiben da. Die Heranwachsenden fotografieren sich selber und andere in den unmöglichsten Situa­tionen. Fotos und Videos landen dann meist ohne Einwilligung der abgebildeten Personen im Internet. Das Pärchen, das nachts in einem Abteil der Wiener U-Bahn Sex hatte, fand sich, noch ehe die Hosen wieder hinaufgezogen waren, auf YouTube wieder – zur allgemeinen Gaudi oder zur Empörung über die sittenlose heutige Jugend.

"Kostenlos" als Einstiegsdroge

Spiele frei nach dem "Follow the Free"-Prinzip

Über 3.000 kostenlose Internetspiele listet die Seite www.mmofacts.com auf. Problematisch sind komplexere Spiele, die über längere Zeit gespielt werden: Viele davon werden zwar als kostenlos angepriesen, aber um länger spielen zu können oder leichter Erfolg zu haben, muss man entweder eine Premium-Mitgliedschaft erwerben oder Zubehör kaufen. Die auf­wendigen Grafiken, die Speicherkapazität, die Updates usw. kosten natürlich Geld, das irgendwo herkommen muss.

Spielewährung gegen "echte" Euros

Bei vielen Spielen gibt es eine eigene Währung, in die man seine "echten" Euros umtauschen kann. Vielen Spielern, speziell Jugendlichen, sind die mög­lichen Kostenfallen jedoch nicht klar. Und sehr oft wird auch nicht deutlich darauf hin­gewiesen. Ehe man sich auf ein solches Spiel einlässt, sollte man daher nach "Premium-" oder kostenpflichtigen Services suchen.

Tipp: In den Foren zu den Spielen werden viele ­Fragen erörtert, auch die möglichen Kosten.

"Kostenlos" als Einstiegsdroge

Nach Angaben des Magazins "Trend" haben rund ein Viertel aller Online-Spieler bereits mindestens einmal kostenpflichtigen Content gekauft. Abonnements oder Mitgliedschaften sind nicht anzuraten. Wenn man nicht oder nicht rechtzeitig kündigt, verlängern sie sich automatisch. Auf jeden Fall sollte man vorab ein fixes Budget (z.B. 20 Euro im Monat) fest­legen, um die Kosten in Grenzen zu halten.

4 Spiele-Kategorien

Die Spiele lassen sich in vier Kategorien einteilen:

Bei Rollenspielen, auch Abenteuerspiele (Adventures) genannt, schlüpft der Spieler in die Rolle einer virtuellen Person (Avatar), die Abenteuer erlebt, in manchen Spielen auch brutal kämpft und je nach Erfolg stärker oder schwächer wird. Eine gute Ausrüstung der Spielfigur steigert den Erfolg. Die kann man mühsam durch das erfolgreiche Bestehen von Abenteuern erwerben oder im Shop kaufen.

In Strategiespielen baut man ein Imperium auf, erweitert es und verteidigt es gegen Feinde. Auch hier kann man sich Vorteile verschaffen, wenn man nicht nur Spielfleiß, sondern auch „echtes“ Geld in Ausrüstung oder eine Pre­mium-Mitgliedschaft investiert.

Von der ­Struktur her ähnlich, aber weniger martialisch sind Wirtschaftssimulationen, in denen man als Generaldirektor einen Großkonzern (oder auch nur einen Bauernhof) leitet. Auch hier werden Premium-Mitgliedschaften eingesetzt, um schneller Erfolg (mehr Bauplätze, größerer Markt für die zu verkaufenden Produkte) zu haben.

Weniger zielgerichtet sind virtuelle Welten, in denen man andere Identitäten annehmen kann. Besucher können sich dort zwar kostenlos aufhalten und Mitspieler treffen; um aber selbst aktiv werden zu können, muss man Land mieten oder kaufen, um die Projekte darzustellen. Dieses "Land" benötigt Speicherplatz und kostet daher entsprechend. Monatlich können hohe Summen anfallen.

Beispiele: Abenteuer, Strategie, Simulation

Abenteuer, Strategie, Simulation

Einige Spiele haben wir uns stellvertretend für unterschiedliche Typen genauer angeschaut. Das Rollenspiel Herr der Ringe Online (www.lotro.com) informiert unter der Überschrift „wirklich kostenlos“ über kostenloses und kostenpflichtiges Spielen – allerdings in sehr allgemeiner Form. Das kostenlose Spiel dient nur als Köder. Nach einiger Zeit – wenn schon viel Zeit und Aufwand in die Entwicklung des virtuellen Charakters investiert wurde – stockt das Spiel. Und so schließt man eine VIP-Mitgliedschaft um 12,99 Euro monatlich oder 89,99 Euro im Jahr ab, um weiterspielen zu können. Zusätzliche Kosten können entstehen, wenn man weiteren Content wie eine bessere Ausrüstung kauft.

Juggernaut ist ein kleines Rollenspiel und informiert ebenfalls erst nach mehreren Klicks über kostenpflichtige Elemente. Allerdings ist Spielspaß hier auch ohne Zukäufe möglich, weil sich die käuflichen Spielvorteile in Grenzen halten.

Die Wirtschaftssimulation Industrie Tycoon 2 (www.itycoon2.de) erweckt auf der Start­seite den Eindruck, das Spiel sei völlig gratis. Genaueres erfährt man erst nach der Regis­trierung, also wenn man Benutzername, Password und E-Mail-Adresse angegeben und die Allgemeinen Geschäftsbedingungen anerkannt hat. Prinzipiell kann man kostenlos spielen, die Möglichkeiten sind jedoch eingeschränkt. Die Premium-Mitgliedschaft kostet 36,50 Euro jährlich, man kann aber weitere Features wie etwa die Baubeschleunigung kaufen. Bis zu 200 Euro können auf einmal in Spielwährung umgetauscht werden.

Das Strategiespiel League of Legends (http://na.leagueoflegends.com) ist ein Kampfspiel, das auf der Startseite ebenfalls prominent „kostenlos spielen“ anpreist. Man muss Champions sammeln und Gegner besiegen. Dabei spielt man in einem Team. Die Champions sind jedoch großteils nur gegen Geld erhältlich, als Gratisspieler muss man sie sich mühsam und zeitaufwendig erspielen. Dabei steigt der Zeitaufwand (gemessen in sogenannten Erfahrungs­punkten) für teurere Champions viel schneller als der Bargeldbetrag, was Spieler dazu verleitet, sich gute Champions zu kaufen.

Die virtuelle Welt Second Life (www. secondlife.com) bietet eine Plattform für unterschiedliche Aktivitäten. Man kann mit anderen kommunizieren, Phantasiewelten be­trachten, Gegenstände kaufen und verkaufen und sich über „echte“ Institutionen wie Museen oder Universitäten informieren. Dabei ist man als Avatar (virtuelle Persön­lichkeit) auch für andere Besucher von Second Life sichtbar. Dessen Standardausstattung ist eher bescheiden, sodass man versucht ist, sich ein schöneres Aussehen (Haut, Haar, Kleidung) zu kaufen. Danach erwirbt man vielleicht eine Landparzelle und ein Haus, wo man seine Gegenstände sicher herstellen und für alle sichtbar ausstellen kann. Dafür werden dann wöchentliche Gebühren fällig. Man kann sich in Second Life also kostenlos aufhalten, die Versuchung, auch echtes Geld zu investieren, ist allerdings groß. Der Umsatz durch die Second-Life-Händler betrug im 3. Quartal 2011 rund 4,7 Millionen US-Dollar.

Zusammenfassung

  • Diskretion. Eigene Daten wie Adresse und Telefonnummer nicht ins Netz stellen. In sozialen Netzwerken immer die Privatsphäre-Einstellung ankreuzen. Keine freizügigen oder peinlichen Fotos hochladen.
  • Löschen verlangen. Entdeckt man peinliche oder störende Fotos von sich selbst in einem anderen Profil, sollte man den Profilinhaber energisch auffordern, diese zu löschen
  • Onlinespiele oft nicht kostenlos. Gratis-Spielphase nur zu Beginn. Vorab über mögliche Kosten (Mitgliedschaft, Zukäufe) informieren. Mitgliedschaften haben häufig komplizierte Rücktritts- und Kündigungsbedingungen.

Buchtipp: "Pubertät"

Ratgeber Pubertät Der Umgang mit Jugendlichen ist nicht immer einfach. Der Grund dafür: Die Pubertät. Das Stadium in dem man nicht mehr Kind, aber auch noch nicht erwachsen ist, hält viele Überraschungen für Jugendliche und Eltern gleichermaßen bereit. 

Unser neues Buch "Pubertät"  gibt Anleitung zur Hilfe in einer stürmischen Zeit. Experten geben Anregungen und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse bieten einen Blickwinkel auf Geschehnisse, denen man als Elternteil mitunter fassungslos gegenübersteht.

 Aus dem Inhalt:

  • Pubertät ist, wenn das Gehirn spinnt
  • Nicht mehr Kind - noch nicht erwachsen
  • Zusammenleben in der Krise
  • Den Alltag meistern
  • Essstörungen erkennen
  • Rauchen, Alkohol, der erste Sex

 132 Seiten; 14,90 Euro (+ Versandspesen)

Leserreaktionen

Neue Schuldenfalle

Ich bin eine Mutter von 2 Söhnen (17, 15), die regelmäßig Computerspiele spielen. Sie haben mir Folgendes erzählt: Im Action-Fantasy-Computerspiel „Diablo III“ sammelt man in der virtuellen Welt unter anderem Goldmünzen, die man erhält, wenn man Gegner besiegt. Rasch kommt man an durchaus beachtliche Summen von Goldmünzen. In einem Auktionshaus konnte man bislang gesammelte virtuelle Ausrüstungsgegenstände verkaufen oder selbst Utensilien mithilfe der eigenen Goldmünzen erwerben.

Nun ergab sich eine wesentliche Erweiterung des Angebotes im Auktionshaus – jetzt ist der Handel mit Echtgeld möglich. Nach näherer Betrachtung wird man sogleich fündig. Bis zu 250 Euro kann ein wertvoller Gegenstand für die eigene virtuelle Spielfigur kosten. Mit der Einführung des Handels mit echtem Geld wurde eine neue Dimension erreicht. Es wird argumentiert, dass Spieler erst ab 18 Jahren handeln können. Andererseits verdient der Hersteller hier mit. Schafft man dadurch nicht noch viel mehr Probleme?

Bianca Haslinger
Linz
(aus KONSUMENT 8/2012)

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