CO2-Kompensation: Fragen und Antworten
FAQ: Der CO2-Zertifikatehandel ist zuletzt massiv in die Kritik geraten. Lügen wir uns mit diesem Modell in die eigene Tasche? Hier die Antworten auf die brennendsten Fragen.
Wie funktioniert CO2-Kompensation?
Neben den Verpflichtungsmärkten auf staatlicher Ebene, von denen in der EU zum Beispiel rund 9.000 Anlagen der Energiewirtschaft und von energieintensiven Unternehmen betroffen sind, gibt es den freiwilligen Kompensationsmarkt, von dem im Folgenden die Rede ist. Dort können Unternehmen und Privatpersonen ihre Treibhausgasemissionen ausgleichen.
Das funktioniert so: Man kauft Klimaschutzzertifikate und bekommt damit bescheinigt, dass man unter dem Strich klimaneutral gehandelt hat („netto null“). Um den Flug von A nach B auszugleichen, müssen x Zertifikate gekauft werden. Für den produktionsbedingten Ausstoß von soundsoviel Tonnen CO 2 werden y Zertifikate benötigt.
Wie teuer ist CO2 -Kompensation?
Ein CO2-Zertifikat entspricht einer kompensierten Tonne CO2. Zum Vergleich: Eine in Österreich lebende Person hat einen durchschnittlichen Treibhausgasausstoß von rund acht Tonnen pro Jahr. Laut Rückmeldung der von uns befragten Anbieter kostet eine Tonne CO2 zwischen 22 und 28 Euro. Ab 176 Euro kann man sich also von seinem jährlichen CO2-Fußabdruck freikaufen: Mit einem Klick auf „Bezahlen“ lebt man wie von Zauberhand plötzlich klimaneutral.
Abgesehen davon, dass es auf dem Markt noch weitaus billigere CO2-Zertifikate zu ergattern gibt, zeigt dieses kleine Rechenbeispiel doch sehr deutlich, dass es mit einer solch grotesk niedrigen Summe nicht getan sein kann. Trotzdem oder gerade deshalb boomt der Markt seit einigen Jahren. Übrigens: Am Verpflichtungsmarkt kostet die Tonne derzeit rund 80 Euro.
Warum möchte man überhaupt CO2 ausgleichen?
Bei Privatpersonen ist es wahrscheinlich der Wunsch, das eigene Handeln möglichst klimaneutral zu gestalten. Wenn die Umstände dies nicht zulassen, wenn man etwa mit dem Flugzeug reist, dann möchte man die freigesetzten Emissionen wenigstens ausgleichen – mit CO2-Kompensation.
Unternehmen sind von diesem Wunsch indirekt betroffen. Durch den gesellschaftlichen Druck hin zu einer klimaneutralen Welt und die daraus resultierenden gesetzlichen Vorgaben muss auch die Wirtschaft aktiv werden. Idealerweise geschieht dies durch die Verbesserung interner Prozesse im Kerngeschäft.
Bisweilen ist dies aber (noch) nicht möglich – so zumindest die Argumentation mancher Unternehmen. Deshalb werden die „nicht vermeidbaren Emissionen“ kompensiert. Dieser Ansatz wäre noch vertretbar. Doch so manches Unternehmen zieht es vor, in erster Linie die Abkürzung über den Kompensationsmarkt zu nehmen. Und versucht, sich eine schöne Klimabilanz zu erkaufen.
Was ist ein CO2-Zertifikat eigentlich genau?
Am Anfang steht ein Klimaschutzprojekt. Die angenommene CO2-Einsparung wird mit Zertifikaten hinterlegt. Ein CO2-Zertifikat entspricht einer Tonne CO2. Die Projektliste ist lang: Von sauberen/energieeffizienten Kochöfen in Ghana über Windparks in Indien, Moorschutzprojekte in Deutschland bis hin zu Aufforstungs- oder Waldschutzprojekten in Uruguay ist alles denkbar.
Zentrale Grundvoraussetzung eines solchen Projektes muss (oder müsste) sein, dass es ohne die Zertifikatserlöse definitiv nicht zustande gekommen wäre („Zusätzlichkeit“). Nur dann kann überhaupt von einem positiven Klimaeffekt ausgegangen werden. In der Praxis ist diese Zusätzlichkeit mitunter schwierig zu überprüfen.
Wer stellt die Regeln für den CO2-Markt auf?
Ein Problem des freiwilligen Kompensationsmarktes ist, dass es praktisch keine gesetzlich verankerten Ziele und Regeln gibt. So kann buchstäblich jede:r ein Klimaschutzprojekt entwickeln – inklusive theoretisch frei erfundener CO2-Einsparungen. Man muss nur eine Zertifizierungsstelle davon „überzeugen“, dass alles seine Richtigkeit hat.
Auch wenn dies nicht die Regel ist, gibt es deshalb (immer noch) viele „Schrott-Zertifikate“. Als Reaktion darauf wurden Labels geschaffen, die die Qualität von Projekten bewerten. Aber auch diese Labels sind von unterschiedlicher Qualität und Glaubwürdigkeit.
Was ist der Gold Standard?
Mehr oder weniger unabhängige Institutionen prüfen den Nutzen und die Qualität von Klimaschutzprojekten und zertifizieren diese. Dadurch soll die Glaubwürdigkeit erhöht werden. Am weitesten verbreitet sind der Verified Carbon Standard (VCS) und der Gold Standard (GS). VCS ist zuletzt massiv in die Kritik geraten, GS gilt als der höchste Standard in der Branche. Er wurde 2003 vom WWF und anderen NGOs initiiert.
Was heißt Stilllegung von Zertifikaten bzw. Doppelzählung?
Stilllegung bedeutet, dass die gekaufte Tonne CO2 aus dem Markt genommen wird. Dies verhindert, dass die Zertifikate weitergehandelt werden können. Diese Stilllegung von CO2-Emissionen gilt als Minimum, damit CO2-Kompensation überhaupt glaubwürdig möglich ist. Der Gold Standard sieht diese Stilllegung beispielsweise vor. Der reine Kauf von Zertifikaten bedeutet nämlich, dass die eingesparten CO2-Tonnen von den Käufer:innen jederzeit weiterverkauft werden können.
Im schlimmsten Fall werden die eingesparten Tonnen mehrfach angerechnet (Doppelzählung). Die traurige Wahrheit ist, dass immer noch viele dieser „Schrottzertifikate“ im Umlauf sind: Zertifikate, die spottbillig sind, aber keinen Nutzen für das Klima haben – und mit denen man für wenig Geld Greenwashing betreiben kann.
Ist CO2-Kompensation Greenwashing?
Grundsätzlich gilt bei der Bewältigung der Klimakrise: Vermeidung vor Reduzierung vor Kompensation. Das gilt für Unternehmen wie für Privatpersonen. Wer den Weg des geringsten Widerstandes geht und nur oder hauptsächlich kompensiert, betreibt Greenwashing, ja. Dann dient CO2-Kompensation nur der Gewissensberuhigung und dem Marketing.
Insofern haftet der CO2-Kompensation – auch angesichts der bekannt gewordenen Skandale um Kompensationsprojekte und des Ausmaßes, das die Kompensation mittlerweile angenommen hat – durchaus der Nimbus des mittelalterlichen Ablasshandels an. CO2-Ausgleich wurde vom Ex-Umweltminister Panamas auch schon als „Betrug am Klimaschutz und am Verbraucher“ bezeichnet.
Was hat es mit den jüngst aufgedeckten Skandalen auf sich?
Nicht hinter jedem Zertifikat steht die versprochene Einsparung von einer Tonne CO2 – bei weitem nicht. Da der CO2-Kompensationsmarkt ein Riesengeschäft geworden ist, zieht er zwangsläufig auch Glücksritter an. So ist es beispielsweise zu Skandalen um sogenannte „Geisterzertifikate“ gekommen.
Verra und Southpole
Ein aktueller Skandal betrifft die weitverbreiteten VCS-Zertifikate. Deren Herausgeber, die Firma Verra, soll in Zusammenarbeit mit dem CO2-Händler Southpole fragwürdige Methoden bei der Bewertung zum Schutz von Tropenwaldprojekten angewandt haben. Die CO2-Kompensation der Projekte sei stark überbewertet worden. Die Folge: Millionen von Zertifikaten wurden ausgegeben, die es nie hätte geben dürfen. Käuferschaft dieser „Geisterzertifikate“, die keinen Nutzen für das Klima haben: so namhafte Unternehmen wie Shell, Bayer, SAP, Boeing, Disney oder Gucci, die sich auf diese Weise ihre Klimabilanz schöngerechnet haben.
Waldprojekte stehen insbesondere in der Kritik, warum?
Bäume als Kohlenstoffspeicher sollen Emissionen an anderer Stelle ausgleichen. Doch das ist mehr als heikel. Ein Beispiel: Ein Flug verursacht Emissionen, die zum Teil Jahrhunderte in der Atmosphäre bleiben. Es ist schlichtweg unmöglich, dies durch CO2-Kompensation auszugleichen. Wie soll das zum Beispiel ein Baumprojekt leisten, das vielleicht für 30 Jahre „garantiert“ ist („Permanenz“).
Viele Aufforstungsprojekte sind in der Vergangenheit total in die Hose gegangen. Die jungen Bäume sind nicht angewachsen, sie wurden schlecht gepflegt, von Schädlingen zerstört oder es waren einfach die falschen Bäume für den jeweiligen Standort. Ein zunehmendes Problem sind auch Waldbrände. Die Folge: Der in den Bäumen gespeicherte Kohlenstoff gelangt wieder in die Atmosphäre. Dürren (inklusive Zunahme von Schädlingen) und Waldbrände werden in Zukunft eher zu- als abnehmen.
Aufforstung ist also eine Wette auf die Zukunft, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aufgehen wird. Es gibt den Ansatz, bei Waldprojekten mehr Aufforstung einzuplanen, als für die angestrebte CO2-Reduktion notwendig wäre, quasi als Puffer. Prinzipiell begrüßenswert. Aber nicht ausreichend. Wenn es ein Feuer gibt, dann brennt trotzdem alles ab.
Wann ist CO2-Kompensation sinnvoll?
Wenn alle technischen Möglichkeiten zur Vermeidung und Reduktion ausgeschöpft sind, kann eine Kompensation sinnvoll sein. Auch als „letztes Mittel“, zum Beispiel in der produzierenden Industrie, ist Kompensation manchmal geboten. Leider gibt es zu viele Unternehmen, die nur behaupten, derzeit wirklich alles getan zu haben, um zu reduzieren. Zugegeben: Die Frage, was nicht vermeidbare Emissionen sind, ist oft alles andere als trivial zu klären.
Schadet CO2-Ausgleich mehr, als er nutzt?
So, wie das System derzeit funktioniert, ja. Denn zum einen verleitet es Unternehmen (und auch Privatpersonen) dazu, weniger Anstrengungen in die zentralen Punkte Vermeidung und Reduktion zu stecken und stattdessen einfach das (schmutzige) Kerngeschäft weiterzuführen. Und zum anderen sind die Zertifikate bildlich gesprochen oft nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind – zu viele dubiose Machenschaften erschüttern diesen unregulierten Milliardenmarkt.
Was bringt es wirklich, einen Flug zu kompensieren?
Wenn sich ein Flug wirklich nicht vermeiden lässt, ist es durchaus empfehlenswert, ihn zu kompensieren. Zweimal im Jahr eine Fernreise mit dem Flugzeug zu unternehmen und diese dann zu kompensieren, ist Greenwashing und dient nur dazu, das eigene Gewissen zu beruhigen.
CO2-Kompensation: Anbieter auf dem Prüfstand
https://konsument.at/co2-kompensation-anbieter-auf-dem-pruefstand
CO2-Kompensation: Moderner Ablasshandel? 4/2020
https://konsument.at/auto-transport/co2-kompensation
Alles zum Thema Greenwashing
https://konsument.at/search-index?search_api_fulltext=greenwashing&field_domain_access=1
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