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CO2-Kompensation - Moderner Ablasshandel?

Fliegen schadet dem Klima. Das ist spätestens seit dem Aufkommen der „Fridays for Future“-Bewegung auch der breiten Öffentlichkeit bekannt. Sind CO2-Kompensationszahlungen sinnvoll oder nur ein grünes Feigenblatt?

Seit Greta Thunberg mit ihren wöchentlichen Klimastreiks die „Fridays for Future“-Bewegung gründete, ist der Begriff „Flugscham“ in aller Munde. Er steht für das zunehmende Bewusstsein für die klimaschädlichen Auswirkungen des Fliegens.

Klimaschaden ermitteln

Wer nicht aufs Fliegen verzichten kann oder möchte, hat die Möglichkeit, zumindest die Treibhausgasemissionen zu kompensieren: Zahlreiche Unternehmen bieten Kompensationsprojekte an. Auf der Website des jeweiligen Anbieters kann der Klimaschaden und der daraus resultierende Kompensationsbetrag ermittelt werden. Einige Fluglinien bieten diesen Service auch direkt auf ihrer Homepage an. Austrian Airlines etwa kooperiert mit Climate Austria, dem neben Myclimate und der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) größten österreichischen Anbieter.

Den Schaden kompensieren

Gibt man z.B. beim deutschen Anbieter Atmosfair den Direktflug Wien–New York und retour ein, wird ein CO2-Ausstoß von 2,9 Tonnen berechnet, die Kompensation dafür beträgt 68 Euro. Gleich darunter bekommt der interessierte Konsument einen CO2-Vergleich präsentiert: die Jahresemission eines Inders (1,6 t), ein Jahr Autofahren im Mittelklassewagen (2 t) und das klimaverträgliche Jahresbudget eines Menschen (2,3 t). Das Geld wird je nach Anbieter unterschiedlich investiert, meist in weltweite Klimaschutzprojekte. Atmosfair baut vor allem erneuerbare Energien in Entwicklungsländern aus, Climate Austria setzt seine Projekte hauptsächlich in Österreich um.

Wachsendes Bewusstsein

Das Bewusstsein für die Möglichkeit der CO2-Kompensation wächst, sagt Dominik Schmitz vom Zentrum für globalen Wandel und Nachhaltigkeit an der BOKU: „Der weltweite freiwillige CO2-Markt hatte 2018 ein Volumen von etwa 300 Millionen US-Dollar. 2017 waren es noch 150 Millionen Dollar.“ Laut Schmitz werden rund fünf Prozent aller Flüge kompensiert.

Wer kompensiert?

Wer kompensiert?

Der Anbieter Climate Austria führt das starke Wachstum insbesondere auf das steigende Interesse von Unternehmen und öffentlichen Stellen zurück (z.B. CO2-Kompensation bei Dienstreisen). Und Privatpersonen? Laut einer Studie des Interuniversitären Forschungszentrums in Klagenfurt handelt es sich bei privaten Nachfragern von CO2-Kompensation um „eine kleine Gruppe sehr interessierter und umweltbewusster Konsumenten, die neben Kompensationsmaßnahmen auch andere Aktivitäten im Bereich des Umwelt- und Klimaschutzes setzen“. Die Studie spricht von einer „älteren Personengruppe mit guter Ausbildung und wahrscheinlich auch dementsprechend gutem Einkommen“.

Untersuchung der Stiftung Warentest

Die Stiftung Warentest untersuchte im Jahr 2018 die sechs größten Anbieter für CO2-Kompensation hinsichtlich Qualität der Kompensation, Transparenz sowie Leitung und Kontrolle. Bewertet wurde auch, ob die Anbieter auf ihrer Internetseite deutlich machen, dass es besser ist, CO2 zu sparen als den Ausstoß zu kompensieren. In anderen Worten: besser weniger fliegen als sich durch Ausgleichszahlungen ein gutes Gewissen kaufen. Drei Anbieter erhielten die Note „sehr gut“: Atmosfair, Klima-Kollekte und Primaklima (siehe "So werden die Gelder eingesetzt – hier einige Beispiele"). Myclimate schnitt gut ab, Klimamanufaktur und Arktik waren weniger zufriedenstellend.

Verschiedene Methoden

Was auffällt: Ein und derselbe Flug wird von verschiedenen Anbietern als unterschiedlich schädlich eingestuft. Für die Strecke Frankfurt–New York liegt die Klimabelastung demnach zwischen 2,3 und 3,8 Tonnen CO2. Der Grund dafür sind verschiedene Rechenmethoden und der RFI (Radiative Forcing Index). Er bezieht ein, dass der Treibhauseffekt von Flugemissionen in großen Höhen besonders stark ist. Der Weltklimarat hält einen Faktor von 2,7 für sinnvoll, in der Praxis reicht die Bandbreite von 1 bis 3. Die Stiftung Warentest gab sich in ihrem Test mit einem RFI-Faktor größer 1,8 zufrieden. Die Preise für die Kompensation reichen von 5 bis 23 Euro pro Tonne CO2; sie hängen unter anderem von der Art der Projekte ab.

Fehlende Wirksamkeit

Kritische Stimmen

Zurück zu Greta Thunberg: Die schwedische Klimaaktivistin kritisiert den „Klimakompensations-Bluff“. Sie bezieht sich auf eine Artikelserie in der schwedischen Tageszeitung „Dagens Nyheter“. Dort war unter anderem über Missstände bei Kompensationsprojekten berichtet worden, etwa in Uganda: Bei einem Aufforstungsprojekt wurden lokale Bauern von Polizei und Militär gewaltsam vertrieben. Kritisiert wurde auch die Zusammenarbeit der schwedischen Regierung mit Kompensationsfirmen, die Muttergesellschaften in Steueroasen haben und die Kompensationen zum Teil nicht nachweisen konnten.

Fehlende Wirksamkeit

Ein weiterer Kritikpunkt ist die oft fehlende Wirksamkeit der Klimakompensation: Eine Studie des deutschen Öko-Instituts belegt, dass ein großer Teil der Projekte auch ohne das Kompensationsgeld umgesetzt worden wäre.

Ein Beispiel: Durch Kompensationsgeld wird ein Wasserkraftwerk mitfinanziert. Gebaut worden wäre es aber auch ohne dieses Geld. Da sich dies nicht immer eindeutig nachweisen lässt, hat etwa Atmosfair dafür eigene Kriterien entwickelt. „Dabei geht es unter anderem darum, dass ein technologieabhängiger fester Mindestanteil der Projektkosten über die Kompensationsgelder getragen werden muss“, so ein Atmosfair-Sprecher.

Kritisch wird auch CORSIA (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) gesehen, ein System zur Regelung der globalen Flugverkehr-Emissionen. Ziel des neuen Emissionshandelssystems: Ab 2021 soll der Flugverkehr zwar weiter wachsen, aber seine CO2-Emissionen sollen gleich bleiben. Möglich machen soll das ein System der Klimakompensation, das bei der UNO angesiedelt ist. Kritik kommt u.a. vom Verkehrsclub Österreich (VCÖ): „Mit CORSIA wird bloß CO2-neutrales Wachstum angepeilt. Das reicht nicht. Nötig ist, den ganzen Flugverkehr CO2-neutral zu machen.“

Fazit

Zusammengefasst kann man sagen: Bei jedem Flug sollte man überlegen, ob er unbedingt nötig ist oder ob es eine klimafreundlichere Alternative gibt. Eine CO22-Kompensation sollte immer die zweite Wahl bleiben.

CO2-Bilanz hebt ab

In Österreich haben die CO2-Emissionen des Pkw-Verkehrs seit dem Jahr 1990 um 60 Prozent zugenommen. Schlimm genug. Im Flugverkehr sind die klimaschädlichen Emissionen aber sogar um 155 Prozent gestiegen: von 0,9 Millionen Tonnen CO2 auf 2,3 Millionen Tonnen (2017). Das entspricht laut Verkehrsclub Österreich (VCÖ) dem jährlichen CO2-Ausstoß von 1,5 Millionen benzinbetriebenen Pkw.

VCÖ fordert Kerosin-Besteuerung

Da Fliegen oft billiger ist, als mit der Bahn zu fahren, fordert der VCÖ eine Besteuerung von Kerosin. „Wird die Mineralölsteuer für Eurosuper in der Höhe von 48,2 Cent pro Liter als Grundlage genommen, dann betrug im Jahr 2018 in Österreich die Steuerbegünstigung für Kerosin rund 490 Millionen Euro“, rechnet Christian Gratzer vom VCÖ vor. „Seit dem Jahr 2010 summiert sich die indirekte Förderung durch die fehlende Kerosinsteuer auf bereits rund vier Milliarden Euro.“ Immerhin wurde die „gerechte Kerosinbesteuerung“ nun ins Regierungsprogramm aufgenommen.

Ausstoß klimaschädlicher Substanzen

Laut VCÖ verursacht der Flugverkehr pro Personenkilometer mit 426 Gramm doppelt so viel CO2-Äquivalente wie ein Pkw und beinahe 30 Mal so viel wie die Bahn. Beim Fliegen ist es jedoch nicht allein der Ausstoß von CO2, der sich klimaschädlich auswirkt. Auch Substanzen wie Stickoxide, Aerosole und Wasserdampf, die bei der Verbrennung von Kerosin entstehen, tragen zur Erderwärmung bei. Zudem wirken sich die ausgestoßenen Stoffe in großer Höhe um bis zu drei Mal stärker auf den Treibhauseffekt aus, als wenn sie auf dem Boden freigesetzt würden.

So werden die Gelder eingesetzt: Beispiele

Atmosfair. Der deutsche Anbieter baut erneuerbare Energien vor allem in Entwicklungsländern aus und engagiert sich bei allen Projekten selbst. Nach den Erdbeben im April und Mai 2015 in Nepal unterstützte das Unternehmen etwa den Wiederaufbau von Schulen, Krankenstationen oder privaten Haushalten mit erneuerbaren Energien. Je nach Bedarf vor Ort sollen dabei Solarpanels für Strom, Biogasanlagen oder solare Warmwasseranlagen zum Einsatz kommen. Aktuell erbringt der Anbieter 90 Prozent der CO2-Einsparungen nach dem Gold Standard CER, dem strengsten verfügbaren Standard für Klimaschutzprojekte.

Der deutsche Anbieter Atmosfair baut erneuerbare Energien in Entwicklungsländern aus. (Bild: atmosfair.de)

 

Klima-Kollekte. Die Klima-Kollekte ist ein CO2-Kompensationsfonds christlicher Kirchen mit Sitz in Deutschland und Österreich. Hier können Emissionen aus Strom- und Wärmenergie, Reisen sowie Papier- und Druckerzeugnissen kompensiert werden. Die Ausgleichszahlungen werden in Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern investiert, die Frauen stärken, die Gesundheit schützen und Perspektiven bieten sollen – und dazu das Klima schützen.

Die Klima-Kollekte ist ein Kompensationsfonds christlicher Kirchen und hat ihren Sitz in Österreich und Deutschland. (Bild: Klima-Kollekte)

Primaklima. Der gemeinnützige Verein verfolgt ein Konzept „ganzheitlicher Nachhaltigkeit“. Ziel ist, Wälder zu pflanzen und zu schützen und dabei lokale Gemeinschaften einzubinden. So betreibt Primaklima Wiederaufforstungsprojekte im Kibale-Nationalpark in Uganda und in Bolivien. 14 Millionen Bäume wurden weltweit bereits gepflanzt.

Primaklima ist ein gemeinnütziger Verein mit dem Ziel, Wälder zu pflanzen und zu schützen. (Bild: Primaklima)

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