Es gibt immer Gründe zu trinken. Wer aber bei einer Geburtstagsfeier das Glas Sekt oder beim Lokalbesuch das Krügerl Bier ablehnt, ist schnell als Spielverderber abgestempelt. Frauen werden nach einer möglichen Schwangerschaft gefragt, bei Männern wird das Argument, keinen Alkohol trinken zu wollen, oftmals gar nicht akzeptiert. Denn das Trinken von Alkohol ist in Österreich gesellschaftlich tief verankert, die Bevölkerung äußerst trinkfreudig.
Der aktuelle OECD-Bericht zählt Österreich mit einem Pro-Kopf-Konsum von 11,1 Litern pro Jahr zu den sechs Ländern mit dem höchsten Alkoholkonsum. Laut Handbuch Alkohol haben im Jahr 2022 alle über 15-Jährigen hierzulande 25,7 Gramm Alkohol pro Tag getrunken. Das ist mehr als eine Dose Bier (etwa 20 Gramm Alkohol). Apropos Bier: In Österreich wurden 2022 laut Brauereiverband „Brewers of Europe“ 102 Liter Bier pro Kopf getrunken – damit landen wir hinter Tschechien auf Platz 2 beim europäischen Bierkonsum.
Ein Stockerlplatz ohne Ruhm und Jubel. Denn übermäßiger Alkoholkonsum kann zu gravierenden gesundheitlichen Problemen führen, Lebensqualität und -erwartung drastisch verringern. Er begünstigt etwa eine Fettleber, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und fördert die Entstehung zahlreicher Krebsformen. Zudem ist Alkoholkonsum ein nicht zu vernachlässigender Faktor für Autounfälle, Tötungsdelikte und psychische Erkrankungen.
Ein Hoch aufs Nüchternsein
Die neue Nüchternheitsbewegung „Sober Curious“ hat ihren Ursprung in den USA und wurde von dem 2018 erschienenen gleichnamigen Buch von Ruby Warrington geprägt. Die Autorin fragt sich darin, wie anders unser Leben verlaufen würde, wenn wir aufhörten, auf Autopilot zu trinken. Und sie berichtet von gesünderem Schlaf und besserer Konzentration. Außerdem veranstaltet sie Partys und Workshops in New York, bei denen das eigene Verhältnis zum Alkohol reflektiert werden soll.
Auch in Österreich tut sich was: Erst kürzlich gab es das erste Treffen in Wien der „The Sober Hedonist“-Gruppe, also ein Zusammenkommen der nüchternen Hedonist:innen, die gesundheitsbewusst sind, aber nicht auf das abendliche Trinkvergnügen verzichten möchten.
Die Jungen rebellieren
Es ist aber vor allem die Generation Z – also zwischen Mitte 90er bis frühe 2010er Geborene –, die nun einen gesellschaftlichen Wandel einläutet. Sämtliche Umfragen ergeben, dass diese Gruppe keine Lust mehr auf Katerstimmung hat – etwa auch das Handbuch Alkohol. Der wissenschaftliche Bericht, der im Auftrag des Gesundheitsministeriums entstanden ist, bestätigt, dass hierzulande der Alkoholkonsum junger Menschen wie in den meisten westlichen Ländern in den vergangenen Jahren gesunken ist.
Die Jungen verzichten also bewusst auf Alkohol oder trinken mit Achtsamkeit statt bis zur Bewusstlosigkeit. Die Gründe dafür sind vielfältig: Die einen empfinden Alkohol als Geldverschwendung, andere haben einen hohen Anspruch an Leistungsfähigkeit oder einen gesunden Lebensstil, was mit Kater am Morgen nicht in Einklang zu bringen ist.
Auch soziale Medien spielen eine wesentliche Rolle. Auf TikTok gibt es über 200.000 Beiträge, die mit dem Hashtag #sobertok versehen sind, auf Instagram sind unter #sobercurious sogar 683.000 Beiträge zu finden. Dies hat einen großen Multiplikatoreffekt – wie auch Wolfgang Preinsperger, ärztlicher Leiter am Wiener Anton-Proksch-Institut, in einem Interview sagt. Laut ihm habe es einen großen Einfluss, wenn auf Instagram junge Menschen die Abstinenz und das Reduzieren anpreisen. Dazu kommt, dass sich die User:innen in den sozialen Medien mit Ernährungstrends gegenseitig inspirieren. Vor allem auch mit alkoholfreien Getränken. Auch dafür gibt es einen englischen Begriff: Liquid Evolution.
Kreativität im Glas
Über die sogenannte „flüssige Evolution“ schrieb die österreichische Essenstrendforscherin Hanni Rützler bereits im Foodreport 2021. Im Kommen sind demnach alkoholfreie Getränke, die das gewisse Etwas haben und ihren promillehaltigen Pendants um nichts nachstehen. Es geht um das Probieren und darum, etwas Neues zu wagen, wobei wir wieder bei der nüchternen Neugier wären.
Laut dem Verein forum.ernährung heute passt sich auch der Markt bereits an das bewusstere Trinkverhalten der vielen (jungen) Konsument:innen an. Der Alkoholgehalt der Getränke nehme den Verbraucherwünschen entsprechend ab. Händler in Deutschland würden Low-Alcohol- und No-Alcohol-Varianten sogar als den wichtigsten Kategorientrend bezeichnen. Im deutschsprachigen Raum eröffnen außerdem Shops und Bars mit alkoholfreien Spirituosen, Wein und Bier.
Am Weg in eine Gesellschaft, in der das Feierabend-Getränk auch alkoholfrei sein darf, können alle teilnehmen – dafür reicht auch schon eine Reduktion des Konsums. Ein paar Tipps: Führen Sie ein Genuss-Tagebuch oder tracken Sie in einer App den Alkoholkonsum, um diesen immer im Blick zu haben. Überreden Sie niemanden, Alkohol zu trinken. Verwenden Sie Alkohol nicht als Durstlöscher und stoßen Sie auch mit alkoholfreien Getränken an.
Und: Legen Sie auch mal eine Pause ein – für ein paar Tage die Woche oder einen ganzen Monat. Dafür bietet sich die Fastenzeit an, aber auch Monate wie der „Dry January“, also der „trockene Jänner“, oder der „Sober October“, der „nüchterne Oktober“. Es gibt mittlerweile unzählige – mal mehr, mal weniger ausgefallene – Rezepte für alkoholfreie Drinks, die einem Cocktail um nichts nachstehen. Prost!
Im KONSUMENT-Magazin und -Blog schreibe ich über Themen, die bewegen, aufgezeigt gehören, die gesellschaftspolitisch wichtig sind. Und ich möchte konstruktive Vorschläge liefern, wie man selbst aktiv werden kann.
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