Schattenseiten beim Streaming
Streaming ist eine tolle Errungenschaft, gewisse Schattenseiten dieser immer massiver angewandten Technologie sollten aber nicht unerwähnt bleiben. In diesem Blogbeitrag möchte ich auf zwei Aspekte von Video-Streaming eingehen. Einerseits die scheinbar besondere Verbreitung von Betrugsfallen im deutschsprachigen Raum und andererseits der problematische Umweltaspekt.
Während des Höhepunkts der Corona-Krise boomte das Video- und Filmeschauen über Streams zusätzlich zum anhaltend starken Wachstum in dieser Medienbranche. Auch ohne Corona wiesen Netflix und Co in den letzten Jahren steile Zuwachszahlen bei Nutzern auf. Allein der Gewinn von Netflix stieg heuer um 25 % im Vergleichszeitraum zum Vorjahr. Die Entwicklung auf dem europäischen Streaming-Markt ähnelt immer mehr dem amerikanischen, wo bereits vier von fünf Haushalten mindestens einen internetfähigen Fernseher betreiben, um Videos auf Abruf zu streamen. Diese Zahl hat sich in den letzten vier Jahren verdoppelt. Drei Viertel des weltweiten Datenverkehrs werden heute durch Online-Videos verursacht. Dieser Anteil steigt immer noch von Jahr zu Jahr. Von den unter 16-Jährigen schauen heute rund 80 % Videos im Internet, ein Viertel davon täglich.
Mitte März erreichte die Auslastung der EU-Internetinfrastruktur wegen der Corona bedingten Ausgangsbeschränkungen und der entsprechend viel längeren Bildschirmzeiten der Europäer sogar eine kritische Phase. Die Übertragungskapazität war durch die Spitzenauslastung von Unterhaltungsangeboten per Stream bedroht. Systemkritische Dienste mussten sichergestellt werden, indem eine Einigung zwischen dem EU-Kommissar für den internen Markt, Thierry Breton, und der obersten Managementebene bei den führenden Unterhaltungsplattformen wie Netflix, YouTube und Amazon Prime erzielt wurde. Die Bildqualität der Unterhaltungsdienste wurde reduziert, um dadurch eine brauchbare Bandbreite für die neu hinzugekommenen Millionen von Home-Office-Arbeitern sicherzustellen. Denn in der „Stay@Home-Phase“ wollten die Unternehmen mit ihren Mitarbeitern weiterhin „face-to-face“ in Kontakt bleiben. Durch die Nutzung von Video-Streaming-Diensten wie Zoom, Jitsi usw. gelang es auch uns im VKI, regelmäßige Meetings weiterhin stattfinden zu lassen. Wir konnten sogar einen Test dazu veröffentlichen!
Besonders viele Fake-Dienste im deutschsprachigen Raum
Durch die Umstellungen und Verunsicherungen durch die COVID-19-Krise haben es Onlinebetrüger offensichtlich leichter. Dazu kommt, dass wegen der gewaltigen Nachfrage nach Streaming-Angeboten auch die Zahl derer zunahm, die in ausgelegte Fallen tappen. Aus diesem Grund initiierte das Europäische Verbraucherzentrum im VKI eine europaweite Aufklärungskampagne mit der Hilfe des ECC-Netzwerks und der Film & Music Austria, um im Juni auf Gefahren und Fallstricke beim Video-on-Demand–Streamen (VoD) aufmerksam zu machen.
Kernstück der Kampagne ist eine digitale Broschüre mit konkreten Tipps, worauf man vor einer Anmeldung bei weniger bekannten VoD-Anbietern achten sollte. Eine gedruckte Broschüre zum Thema Streaming findest du außerdem in der August-Ausgabe von KONSUMENT.
Aus unserem Beratungsalltag im EVZ wissen wir, dass Gratisversprechen Verbraucher regelmäßig zur Anmeldung auf täuschend echt aussehenden Streaming-Seiten führen. Diese Abzocker-Websites finanzieren sich durch Geldforderungen über angeblich abgeschlossene Jahresabonnements, aggressive Werbung und Schadsoftware. Ein Teil der irregeführten User gibt den Zahlungsaufforderungen von Betrügern leider nach, weil sie nicht abschätzen können, ob sie nun zahlen müssen oder nicht.
Da ich mich in letzter Zeit umfassend mit dem Thema beschäftigt habe, ist mir aufgefallen, dass die als gefährlich eingestuften Domains zum größten Teil deutsche Endungen (.de) haben. In nicht deutschsprachigen Ländern werden aber keine Warnlisten vor dubiosen VoD-Anbietern geführt und möglicherweise auch nicht als notwendig erachtet. Zudem machte es mich nachdenklich, dass einige EVZ-Kollegen aus anderen Ländern die Aufklärungskampagne zwar begrüßten, aber etwas über den Aufwand verwundert waren. Streaming-Fallen gibt es in Österreich, Deutschland, der Schweiz und Norditalien wohl häufiger als in anderen Ländern.
Warum konzentrieren sich also Betreiber von betrügerischen Streaming-Portalen auf den deutschsprachigen Raum? Sind die Leute hier etwa besonders naiv, um in solche Falle zu geraten? Es ist natürlich nur Mutmaßung, warum das Phänomen Streaming-Falle bei uns häufiger als anderswo in Europa vorkommt, ich will hier dennoch ein paar Hypothesen wagen.
Warum ausgerechnet bei uns?
⦁ Dr. Karl Gladt, Projektleiter beim Internet Ombudsmann, meinte auf meine Nachfrage dazu, dass das Bezahlen auf Rechnung einer der Hauptgründe dafür sein müsste. Das ist in vielen anderen europäischen Ländern unüblich.
⦁ Die Zahlungsbereitschaft ist in Österreich relativ hoch. Hierzulande wird schnell auch eine unliebsame oder zweifelhafte Rechnung beglichen. Viele Südeuropäer hingegen lassen es eher darauf ankommen und ignorieren eine als ungerecht empfundene Geldforderung konsequent. Bezahlen im Nachhinein hat sich in vielen anderen Ländern kaum durchsetzen können. Demzufolge hat dort auch die ungerechtfertigte Forderung nach einer nicht erbrachten Leistung weniger Aussicht auf Erfolg.
⦁ Sozioökonomische Gründe dürften ebenfalls eine Rolle spielen. In ärmeren Teilen Europas wird weniger leichtfertig Geld für digitale Dienste ausgegeben als im wohlhabenden deutschsprachigen Raum. Auch kaum internetaffine Bevölkerungsgruppen haben hierzulande weniger Hemmungen, bei digitalen Angeboten etwas Neues auszuprobieren oder unbekannte Applikationen am Smartphone zu installieren. Durch die wenigen Erfahrungen mit oft kostenlosen Internetdiensten halten viele User in Österreich Fake-Angebote für realistisch, da auch Netflix, Prime usw. mit kostenlosen Testabos werben.
⦁ Unser Sprachraum ist groß genug für einen gewinnbringenden Betrieb einer betrügerischen Webpräsenz auf Deutsch. Qualitative Übersetzungen von Betrugsportalen für kleinere Sprachräume sind vermutlich wirtschaftlich zu riskant. Damit die Betrüger überhaupt zu Barem kommen, benötigen sie hunderte E-Mail-Adressen, an welche sie Geldforderungen schicken. Einige Empfänger geben in der Regel dem Druck nach. Eine kontinuierliche Anzahl an Neuregistrierungen ist jedoch Voraussetzung, um das Abzocker-Business aufrechterhalten zu können.
⦁ Ein weiterer möglicher Grund dürfte ein aus dem Hintergrund agierender großer Betreiber sein, der am deutschsprachigen Markt von England aus die Abzocke auf vielen Domains in unterschiedlichen Namensvarianten ermöglicht. Es machtauf mich den Eindruck, dass diese austauschbaren Domains wie ein Franchiseunternehmen betrieben werden. Ihre Internetadressen enthalten zurzeit im Namen meist die Silben ...flix oder …play und enden mit der deutschen Domainkennung (.de), um lokale Nähe und Vertrauenswürdigkeit zu erwecken. Dabei handelt es sich immer um einen Klon derselben Plattform. Im jeweiligen Impressum sind variierende britische Ortsangaben mit anderen Geschäftsführern und unterschiedlichen Internetadressen eingetragen. Das Angebot in der Mediathek ist aber immer das gleiche. Egal bei welcher dieser Seiten man auf „Anmelden“ klickt, es wird immer zur gleichen Registrierungsplattform umgeleitet. Scheinbar ist das ein einträgliches Geschäft. Die Watchlist Internet warnt jeden Monat vor etwa einem Dutzend solch neuer Domains. Dieser Großanbieter von Abzocke-Plattformen hat sich aus meiner Sicht ganz klar auf den deutschsprachigen Markt eingeschossen.
Umweltfaktor Streaming als das neue Fliegen?
Der andere Umstand, der bei unserer Streaming-Kampagne nicht erwähnt wurde, ist das Thema Umweltbelastung. Wenn fünf Millionen Menschen eine Fernsehsendung schauen, dann geschieht das mit EINER Signalübertragung. Dieselbe Sendung über Streamen benötigt aber FÜNF Millionen Signalübertragungen und das verbraucht viel Strom. Das Borderstep Institut legte Zahlen vor, dass „Deutschlands Internet“ 2017 ungefähr den Jahresstromverbrauch von Berlin benötigte. Der im Institut tätige Wirtschaftswissenschaftler Ralph Hintermann schätzt, dass Internet-Surfen längst eine ebenso hohe CO2-Belastung erzeugt wie der gesamte weltweite Flugverkehr: „Die Prognosen sagen, dass wir in fünf oder sechs Jahren nochmals 25 % mehr [Strom] im Internet brauchen.“
Die Rechenzentren (inkl. aufwendiger Kühlung), die Netzinfrastruktur zur Datenübertragung und die Endgeräte zu Hause verbrauchen für cloudbasierte Dienste viel Energie. Dabei entstehen derzeit weltweit etwa 3 % der Treibhausgase.
Einer pessimistischen Berechnung des Pariser Thinktanks The Shift Project zufolge könnten 2025 bereits 8 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen durch Video-Streaming verursacht werden. 1.250 Terawattstunden wurden 2019 weltweit für Streaming aufgewandt. Das sind etwa 5 % des weltweiten Elektrizitätsverbrauchs.
Die deutsche Bitkom e.V gab heuer ebenfalls eine Studie heraus, die Energiebedarf und CO2-Emissionen von Video-Streaming zusammenfasst. Darin ist zu lesen, dass ca. 30 Gramm CO2 für eine Stunde Streaming auf Smartphone oder Tablet (bei normaler Auflösung) anfallen. Bei einem 50-Zoll-Flachbild-TV sind es bei hoher Auflösung um die 850 Gramm, was in etwa einer Autofahrt mit Verbrennungsmotor über vier Kilometer entspricht. Bei geringerer Auflösung des gleichen TV-Geräts wäre es umgerechnet nur ein Kilometer. Die erforderliche Datenmenge spielt durch die Wahl der Bildschirm-Auflösung also eine ganz zentrale Rolle beim Stromverbrauch der involvierten Serverfarmen, Verteilernetze und Endgeräte.
Was kann getan werden?
Nutzer
Um selbst nachhaltiger zu streamen, können Nutzer auf ökologische Stromversorger wechseln. Beim persönlichen Nutzungsverhalten kann beim Musikhören auf das Streamen eines mitlaufenden Musikvideoclips verzichtet werden. Titel, die man immer wieder hört, kann man herunterladen, statt die Streams immer wieder neu zu starten. Ein anderer Tipp, den man oft vergisst, ist es, nebenbei laufende Streams, denen keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt wird, zu beenden. Die Second-Screen- und teilweise sogar Third-Screen-Nutzung (z.B. Handy, Tablet, TV) ist somit zu hinterfragen. Gleiches gilt für das automatische Abspielen von Folgetiteln. Am Handy kann man außerdem die Auflösung heruntersetzen. Auf der kleinen Bildfläche ist der Unterschied kaum merkbar.
Selbst wenn man die eigene Nutzung beeinflussen kann, die grob runtergebrochen etwa ein Drittel des Stromverbrauchers in der Streaming-Kette verursacht, so hat man nur beschränkten Einfluss auf die Energiebilanz der Rechenzentren, von denen man den laufenden Stream bezieht.
Anbieter
Die Provider versuchen die Energieausbeute zu verbessern, indem sie in Glasfaserkabel, das energieeffizientere 5G-Netz, in Kühltechnik und – auf Softwareseite – in verbesserte Datenkomprimierungsverfahren sowie schnellere Algorithmen investieren. Bei schnellerer Datenübertragung sinkt der Energieverlust trotz steigender Datenmenge. Vor zwei Jahren hätte die Übertragung desselben Films noch um ein Viertel mehr Energie benötigt. Trotzdem wird momentan die Ersparnis durch effektivere Technik durch das reine Wachstum bei Angebot und Nachfrage mehr als wettgemacht. Ein Beispiel, um sich das vorstellen zu können: Jede Minute nehmen die abrufbaren Videos auf YouTube um 400 bis 500 Stunden zu.
Wie geht’s weiter?
Auch wenn der aktuelle Aktienwert von Netflix nach dem coronabedingten Streaming-Boom im Frühling nun um 12 % eingesackt ist, ist absehbar, dass sich dies wieder ändern wird. Sobald die Menschen mehr Zeit zu Hause verbringen – sei es wegen schlechtem Wetter oder wegen einer Verschlechterung in der Pandemiesituation –, werden die Bildschirme wieder heißlaufen.
Ich selbst habe kein Abo bei kommerziellen Streaming-Anbietern; hauptsächlich wegen meines Bedenkens, dann bei den doch recht gut gemachten TV-Serien picken zu bleiben. Die Schwäche, vorgeschlagene Videoclips laufen zu lassen, kostet mich auf Facebook Watch und YouTube schon Zeit genug. Durch die Algorithmen hat der personalisierte Feed eine andere Qualität als früher die Berieselung durch ein vorgegebenes Programm vor der Glotze. Meine Musikplaylist auf YouTube ließ ich bisher ohne Bedenken mit Video laufen. Nun ist mein Vorsatz, stattdessen die YouTube-Musik-App zu nutzen, die auch ohne Video auskommt. Bisher war ich zu faul, diese zu installieren. Offensichtlich hat die ganze Streaming-Angelegenheit bei mir viel mit Bequemlichkeit zu tun und damit, wie bewusst ich mit dem Ganzen umgehe. Ich denke, anderen geht es ähnlich.
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