Nicht nur Newsletter, aus Faulheit nicht abbestellt, können ein Quell ungeahnter Erkenntnisse sein (siehe Öko.Logisch „Winterurlaub in Grönland. Echt jetzt?“). Auch wenn man zufällig auf Podcasts stößt, geht es einem manchmal so – wobei ich im konkreten Fall doch angestupst wurde, Dank geht raus!
Worum geht’s? Um den Podcast „TU DUs“. Wenn ich den nicht gehört hätte, wüsste ich nicht, dass etwa 50 bis 60 Sklaven für mich arbeiten. Und nicht nur für mich. Wir alle sind betroffen. Total schräg. Total verstörend. Aber der Reihe nach.
Der Podcast „TU DUs“ beschäftigt sich mit den 17 Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDG – Sustainable Development Goals). Eine Folge trägt den Namen „Moderne Sklaverei im 21 Jahrhundert?!“ Zu Gast ist Dietmar Roller, Experte für internationale Entwicklung und Vorstand von „International Justice Mission Deutschland“, die sich der Bekämpfung von Menschenhandel und Sklaverei widmet. Roller sagt in den 45 Minuten des Podcasts einige heftige Dinge, erzählt aufrüttelnde Geschichten und untermauert sie mit Zahlen und Fakten.
Unter anderen zitiert er die Wirtschaftswissenschafterin und Lieferketten-Expertin Evi Hartmann, die 2016 das Buch „Wie viele Sklaven halten Sie?“ geschrieben hat. Er zitiert sie mit ebenjener Zahl, die ich eingangs erwähnt habe: Wer hierzulande lebt und konsumiert, lässt ungefähr 50 bis 60 Sklaven für sich arbeiten – ob man’s will oder nicht. Smartphones und andere Elektronikartikel, Mode, Ernährung, Autos etc. sei Dank.
50 Millionen versklavt
Insgesamt, sagt Dietmar Roller, sind weltweit wohl mehr als 50 Millionen Menschen per Definition versklavt. Wer es genau wissen will, kann die Definition im internationalen Abkommen gegen Menschenhandel (Palermo-Protokoll) nachlesen. Es sind Männer, es sind Frauen. Und viele, viele Kinder. Zur Einordnung: Spanien hat rund 48 Millionen Einwohner.
Warum ich Ihnen dieses hochgradig unangenehme Thema zumute? Sind die aktuellen Polykrisen nicht schon Stimmungskiller genug? Ja, ich gebe Ihnen recht. Das Thema gerade jetzt aufs Tapet zu bringen, ist eine Gratwanderung. Aber dennoch richtig getimed. Denn es gehen Lobbyisten um. Menschen, die das EU-Lieferkettengesetz aushebeln möchten. Ein Gesetz, das unter anderem ebenjene inhumane Ausbeutung („Verkapitalisierung“ von Menschen nennt es Dietmar Roller) wenn schon nicht verhindern, dann doch erschweren soll.
Moderne Sklaverei habe etwas Chamäleonhaftes, sie nutze rechtsfreie, dunkle Räume und verstecke sich in Geschäftsmodellen. Deshalb seien Rechtsmaterien wie das Lieferkettengesetz so wichtig. Denn solchen vergessenen Menschen Zugang zum Rechtsystem zu gewähren, sei laut Roller ein wichtiger Hebel im Kampf gegen Sklaverei und Menschenhandel. Zudem bringe das Lieferkettengesetz das Thema ganz generell an die Oberfläche, weil darüber geredet wird, geredet werden muss.
Das Schweigen brechen
Welche Rolle fällt uns Konsument:innen zu? Es kann nicht nur darum gehen, informierte Kaufentscheidungen zu treffen. Die 50 bis 60 Sklaven schuften ja für uns, ob wir es wollen oder nicht, aufgrund der ausbeuterischen Strukturen, in die sich die globalisierte Welt hineinentwickelt hat.
Wir Verbraucher:innen können, so empfiehlt es auch Dietmar Roller, lästig und laut sein. Darüber reden. Nicht weghören. Fragen stellen. Auf solche Entwicklungen reagiere dann auch die Politik in aller Regel rasch. Das Recht müsse im Lokalen wie im Globalen Gültigkeit haben, sagt Roller: „Ohne Freiheit und ohne Recht ist alles nichts.“
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