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Hand mit Stop, im Hintergrund Frauenkopf unscharf
Wer hierzu­lande lebt und konsumiert, lässt ungefähr 50 bis 60 Sklaven für sich arbeiten – ob man’s will oder nicht. Bild: siam pukkato/Shutterstock

Moderne Sklaverei: Reden wir darüber

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ÖKO.LOGISCH

Es klingt wie aus einer längst vergangenen Zeit. Doch Sklaverei ist nach wie vor allgegenwärtig und findet sich auch in unseren Konsumgütern wieder. Was können wir tun?

Nicht nur Newsletter, aus Faulheit nicht abbestellt, können ein Quell ungeahnter Erkenntnisse sein (siehe Öko.Logisch „Winterurlaub in Grönland. Echt jetzt?). Auch wenn man zufällig auf Podcasts stößt, geht es einem manchmal so – wobei ich im kon­kreten Fall doch angestupst wurde, Dank geht raus! 

Worum geht’s? Um den Podcast „TU DUs“. Wenn ich den nicht gehört hätte, wüsste ich nicht, dass etwa 50 bis 60 Sklaven für mich arbeiten. Und nicht nur für mich. Wir alle sind betroffen. Total schräg. Total ver­störend. Aber der Reihe nach. 

Der Podcast „TU DUs“ beschäftigt sich mit den 17 Zielen für Nachhaltige Entwicklung (SDG – Sustainable Development Goals). Eine Folge trägt den Namen „Moderne Sklaverei im 21 Jahrhundert?!“ Zu Gast ist Dietmar Roller, Experte für internationale Entwicklung und Vorstand von „Internatio­nal Justice Mission Deutschland“, die sich der Bekämpfung von Menschenhandel und Sklaverei widmet. Roller sagt in den 45 Minuten des Podcasts einige heftige Dinge, erzählt aufrüttelnde Geschichten und un­termauert sie mit Zahlen und Fakten. 

Unter anderen zitiert er die Wirtschafts­wissenschafterin und Lieferketten-Exper­tin Evi Hartmann, die 2016 das Buch „Wie viele Sklaven halten Sie?“ geschrieben hat. Er zitiert sie mit ebenjener Zahl, die ich eingangs erwähnt habe: Wer hierzu­lande lebt und konsumiert, lässt ungefähr 50 bis 60 Sklaven für sich arbeiten – ob man’s will oder nicht. Smartphones und andere Elektronikartikel, Mode, Ernäh­rung, Autos etc. sei Dank. 

50 Millionen versklavt

Insgesamt, sagt Dietmar Roller, sind welt­weit wohl mehr als 50 Millionen Menschen per Definition versklavt. Wer es genau wis­sen will, kann die Definition im internatio­nalen Abkommen gegen Menschenhandel (Palermo-Protokoll) nachlesen. Es sind Männer, es sind Frauen. Und viele, viele Kinder. Zur Einordnung: Spanien hat rund 48 Millionen Einwohner. 

Warum ich Ihnen dieses hochgradig unan­genehme Thema zumute? Sind die aktu­ellen Polykrisen nicht schon Stimmungs­killer genug? Ja, ich gebe Ihnen recht. Das Thema gerade jetzt aufs Tapet zu bringen, ist eine Gratwanderung. Aber dennoch richtig getimed. Denn es gehen Lobbyisten um. Menschen, die das EU-Lieferketten­gesetz aushebeln möchten. Ein Gesetz, das unter anderem ebenjene inhumane Ausbeutung („Verkapitalisierung“ von Menschen nennt es Dietmar Roller) wenn schon nicht verhindern, dann doch er­schweren soll. 

Moderne Sklaverei habe etwas Chamäleonhaftes, sie nutze rechts­freie, dunkle Räume und verstecke sich in Geschäftsmodellen. Deshalb seien Rechtsmaterien wie das Lieferkettengesetz so wichtig. Denn solchen vergesse­nen Menschen Zugang zum Rechtsystem zu gewähren, sei laut Roller ein wichtiger Hebel im Kampf gegen Sklaverei und Men­schenhandel. Zudem bringe das Lieferkettengesetz das Thema ganz generell an die Oberfläche, weil darüber geredet wird, geredet werden muss. 

Das Schweigen brechen

Welche Rolle fällt uns Konsument:innen zu? Es kann nicht nur darum gehen, informierte Kauf­entscheidungen zu treffen. Die 50 bis 60 Sklaven schuften ja für uns, ob wir es wol­len oder nicht, aufgrund der ausbeuteri­schen Strukturen, in die sich die globali­sierte Welt hineinentwickelt hat. 

Wir Verbraucher:innen können, so emp­fiehlt es auch Dietmar Roller, lästig und laut sein. Darüber reden. Nicht weghören. Fragen stellen. Auf solche Entwicklungen reagiere dann auch die Politik in aller Re­gel rasch. Das Recht müsse im Lokalen wie im Globalen Gültigkeit haben, sagt Roller: „Ohne Freiheit und ohne Recht ist alles nichts.“

Markus Stingl - Redakteur: Nachhaltigkeit, Finanzthemen
Markus Stingl, Bakk. phil. | Redakteur: Nachhaltigkeit, Finanzthemen Bild: VKI

Im KONSUMENT-Magazin und -Blog schreibe ich über Themen im weiten Feld der Nachhaltigkeit. Die Kolumne nennt sich ÖKO.LOGISCH.

Markus Stingl, Redakteur

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