Zum Inhalt
Hygge: Frau hält warme Tasse mit Kakao und sitzt mit Pulli vor Weihnachtsbaum
Hygge ist die dänische Art, gut zu leben Bild: Shutterstock/New Africa

Hygge: Anleitung zum Glücklichsein?

BLOG

Der dänische Lifestyle-Trend Hygge steht für Gemütlichkeit und Wohlbefinden. Wie man das dänische Glücksgefühl in den eigenen Alltag bringt und was die Schattenseiten sind.

Hygge was ist das?

Das Pfeifen des Teekessels hallt durch die Küche, die Holzscheite im Schwedenofen knistern und aus dem Backofen strömt der Duft warmer Zimtschnecken. Die Wohnung ist wohlig warm, Familie und Freunde sind zu Besuch, die Gespräche drehen sich um das Hier und Jetzt, fernab von vergangenen Miseren oder Zukunftssorgen. Das Leben findet im Moment statt. Das ist Hygge. Die dänische Art, gut zu leben, nennt es der Däne Meik Wiking. 

Hygge die dänische Glücksformel

Er hat sogar ein Buch über das dänische Lebensgefühl geschrieben. „Es geht um eine Atmosphäre und eine Erfahrung, nicht um Dinge. Es geht darum, mit den Menschen zusammen zu sein, die wir lieben. Ein Gefühl von Zuhause.“ Wiking sollte es wissen, leitet er doch seit vielen Jahren das Kopen­hagener Institut für Glücksforschung. Und das ­dänische Volk ist laut Weltglücksreport das zweitglücklichste Volk der Welt – hinter Finnland und vor Island. Liegt das vielleicht an der dänischen Glücksformel?

Österreich erreicht beim Glücksranking Platz 11. Im Vergleich mit dem skan­di­navischen Land haben auch wir einen funktionierenden Wohlfahrtsstaat mit einer öffentlichen Gesundheitsversorgung und kostenloser Bildung. Der ­Gini-Index, der anzeigt, wie groß die Einkommens­ungleichheit in einem Land ist, war im Vorjahr bei den beiden Län­dern fast ident. Unsere Kriminalitätsrate ist sogar niedriger. Dafür ist das Brutto-inlands­produkt pro Kopf in Dänemark um einiges höher – doch ­Island, das im Glück-Ranking hinter ­Dänemark liegt, würde einen noch ­höheren Wert aufweisen. Liegt es also an Hygge, dass die Dän:innen so ­zufrieden und glücklich sind?

Wie lebt man Hygge?

Laut Duden drückt Hygge die Heime­ligkeit als Lebensgefühl in Dänemark aus und stammt vom norwegischen Wort für Behaglichkeit. Im Dänischen tauchte der Begriff erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Seitdem ist er kontinuierlich zum Lebensgefühl avanciert. Um es sich hyggelig zu machen, benötigt man nichts Materielles. Wichtig ist, dass die Atmosphäre passt, etwa durch Lichterketten und Kerzen, dass man nicht abgelenkt ist, etwa durch Smartphones, und Freude verspürt – durch eine heiße Schokolade, Kekse oder einen guten Film. Weitere Parameter, die damit in Verbindung gebracht werden, sind Dankbarkeit, Harmonie, Komfort, Wärme, Gleichberechtigung, Beisammensein und Schutz.
 

Kleinkind, Mutter und Golden Retriever sitzen nebeinander auf Teppich, man sieht nur die Füße der Personen
Hygge steht auch für Beisammensein und Schutz Bild: Shutterstock/Prystai

Philosophie oder Marketinghype?

Natürlich hat sich auch die Werbung ­dieses positiv konnotierte Lebensgefühl zunutze gemacht. Sucht man auf Online-­Marktplätzen nach Büchern zum Thema, hat man die Auswahl aus Hunderten. Es gibt Hygge-Hotels, -Modelinien, -Rezepte und -Magazine. Ein Trend, der Menschen wie dem skandinavischen Buchautor Bernd Henningsen besonders aufstößt. Denn die dänische Gesellschaft habe ein paar Dinge aufzuweisen, die alles andere als gemütlich seien – etwa die Ausländerfeindlichkeit, Migrationspolitik oder Alkoholismus. „Hygge kann auch ganz schön ungemütlich sein. Aber der Zeitgeist weht, wo er will, manchmal um viele Ecken und ohne dass er gebraucht würde“, sagt er in einem Interview. 

Auch der dänische Philosoph Søren Kierkegaard konnte schon im 19. Jahrhundert wenig mit dem Begriff anfangen. Der Begriff war für ihn die Abwesenheit von Leidenschaft und Revolution. Dass nicht alles an der vermarkteten dänischen DNA aus Kerzenschein und Zimtaroma wunder- bar sei, meint auch Tine Damsholt, Profes­sorin für Ethnologie an der Uni­versität Kopenhagen. Laut ihr ist das dänische Lebensgefühl das ­Gegenteil von Konflikt, was aber auch dazu führe, dass Außenstehende schnell als Störer empfunden werden können. „Man hyggt nicht, um andere bewusst auszuschließen. Aber es kann der Effekt davon sein“, sagt sie in einem Interview.

Hygge vs Lagom

Dabei ist der dänische Lifestylebegriff bei Weitem nicht der einzige Trend, der sich auf den Web­seiten von Einrichtungshäusern breit macht. In Schweden verbindet der Begriff Lagom Achtsamkeit und Balance mit dem Lebens­glück. Es geht um das Nicht-zu-Viel und Nicht-zu-Wenig, den Zustand des Gleichgewichts. Wenn man satt ist, aber noch nicht zu voll. Wenn die Wohnung weder zu vollgeräumt noch zu leer ist. Wenn man ambitioniert, aber nicht ehrgeizig ist. All das ist Lagom. 

Der finnische Schlüssel zu Glück lautet hingegen Sisu. Der nicht übersetzbare Begriff steht für handlungsorientiertes Denken, für Willenskraft, Tapferkeit und Durchhaltevermögen. Die finnische Autorin Joanna Nylund beschreibt Sisu in ihrem Buch als Allzweckphilosophie des Lebens, die in Erscheinung tritt, wenn man Herausforderungen begegnet.

Das große Glück liegt in den kleinen Dingen

Rund um Weihnachten, wenn es draußen immer trüber und zu Hause immer gemütlicher wird, ist die Zeit, in der ­viele ihr Glück bei einer Tasse Tee, frisch gebackenen Keksen und Wollsocken suchen. Oft gar nicht so einfach, auf Knopfdruck die innere Balance zu finden, wenn man vom Gedränge auf dem ­Adventmarkt oder dem Ansturm im ­Einkaufscenter zurückkommt. Aber vielleicht ist die dänische Bevölkerung ja auch deswegen so glücklich, weil sie sich nicht nur zu Hause hyggelige Momente schafft, sondern ihr ganzes Leben danach richtet? Oder ist Hygge wohl doch eher eine gewinnbringende Marketingstrategie multinationaler Konzerne? So oder so – kommen Sie „hyggelig“ durch die Adventzeit, möglichst stressfrei, empathievoll und mit ganz vielen behaglichen Momenten.

Julia Gschmeidler - Redakteurin: Neue Medien, Gesellschaft
Mag.ª Julia Gschmeidler, BSc - Redakteurin: Neue Medien, Gesellschaft Bild: VKI

Im KONSUMENT-Magazin und -Blog schreibe ich über Themen, die bewegen, aufgezeigt gehören, die gesellschaftspolitisch wichtig sind. Und ich möchte konstruktive Vorschläge liefern, wie man selbst aktiv werden kann.

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

Ehrenamt: Ohne ginge nichts mehr BLOG

Ehrenamt: Ohne ginge nichts mehr

Welche Bedeutung Freiwilligenarbeit für die österreichische Gesellschaft hat, weshalb ehrenamtliche Tätigkeiten guttun und wie Sie selbst aktiv werden ­können.

Overthinking: Gefangen im Gedankenkarussell BLOG

Overthinking: Gefangen im Gedankenkarussell

Wer aus dem Grübeln nicht mehr rauskommt und wem kreisende Gedanken den Schlaf rauben, dem schadet das Denken mehr, als es nützt. Wie man dem Kreislauf entkommen kann.

Cyberchondrie: Achtung vor Dr. Google BLOG

Cyberchondrie: Achtung vor Dr. Google

Das Verlangen, Krankheitssymptome im Internet zu recherchieren, kann zu Ängsten und Depressionen führen. Wie sich Nutzer:innen dagegen wappnen können.

Freizeitkrankheit: Krankenstand statt Sandstrand BLOG

Freizeitkrankheit: Krankenstand statt Sandstrand

Wer genau dann krank wird, wenn der lang geplante Urlaub ansteht, denkt vielleicht an einen unglücklichen Zufall. Tatsächlich kann ein psychosomatisches Phänomen dahinterstecken.

Pinkwashing: Die dunkle Seite des Regenbogens BLOG

Pinkwashing: Die dunkle Seite des Regenbogens

Wenn Unternehmen mit vermeint­licher Toleranz die queere Gemeinschaft feiern, sind das Ziel oft ­Umsatzsteigerung und Imageaufbesserung. Wie man Pinkwashing durchschaut.

Kommentieren

Sie können den Text nach dem Abschicken nicht nachträglich bearbeiten, Länge: maximal 3000 Zeichen. Bitte beachten Sie auch unsere Netiquette-Regeln.

Neue Kommentare können nur von angemeldeten Benutzern veröffentlicht werden.

Anmelden

0 Kommentare

Keine Kommentare verfügbar.

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang