Von 25. November bis 10. Dezember setzen unzählige Institutionen und Unternehmen auf die Farbe Orange. Und damit ein Zeichen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. „Orange the World“ ist eine internationale Kampagne der Vereinten Nationen, die Farbe soll ein sichtbares Zeichen der Solidarität mit Opfern von geschlechtsspezifischer Gewalt sein. Österreichweit waren im Jahr 2021 rund 250 Gebäude illuminiert – auch das Bundeskanzleramt.
Doch geschlechtsspezifische Gewalt sollte nicht nur an 16 Tagen im Jahr Thema sein, sondern an allen. Denn Österreich hält einen traurigen Rekord. Es war 2017 das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer ermordet wurden. Auch heuer reißen die Meldungen von mutmaßlichen Mordversuchen und Femiziden nicht ab. „Heimat bist du toter Töchter“ heißt das kürzlich erschienene Buch der Journalistin Yvonne Widler. Wie passend. Sie fordert, dass die Gesellschaft nicht fragen sollte, warum Frauen ihre gewalttätigen Männer nicht früher verlassen, sondern warum diese Männer gewalttätig sind. Denn beim größten Teil der Täter handelt es sich um den Partner oder jemanden aus dem engeren Umfeld der Frau.
Gewalt gegen Frauen ein strukturelles Problem
Gewalt gegen Frauen durchzieht alle gesellschaftlichen Schichten, sie macht keinen Unterschied zwischen Religion, Herkunft oder Hautfarbe. In einer patriarchal geprägten Gesellschaft ist Gewalt gegen Frauen Ausdruck ungleicher Machtverhältnisse. Solange frauenfeindliche Strukturen in der Gesellschaft verankert sind, ist es für Frauen und Mädchen schwierig, ein gewaltfreies Leben zu führen.
Formen der Gewalt gegen Frauen
Und Gewalt bezieht sich dabei nicht nur auf physische Gewalt. Sie kann auch psychisch, sexualisiert oder ökonomisch sein, analog oder digital stattfinden. „Gewalt beginnt nicht bei physischen Übergriffen – sondern bei Abwertung, Kontrolle, verbaler und psychischer Gewalt“, sagt etwa Beatrice Frasl, Autorin und Aktivistin für feministische Gesellschaftspolitik. Egal, ob körperliche oder geistige Gewalt, die Auswirkungen auf Frauen sind schwerwiegend, sie reichen von körperlichen Verletzungen über psychische Erkrankungen bis zu einem veränderten Sozialverhalten und können sozioökonomische Folgen haben.
Oft stilles Leiden
Gewalt in all ihren Formen ist eine Verletzung der Menschenwürde, das Gesetz garantiert die Strafbarkeit von Gewaltdelikten. Und dennoch meldeten laut einem Bericht der EU-Grundrechteagentur nur 17 Prozent der Frauen in Österreich Gewaltvorfälle bei der Polizei. Doch woran liegt es, dass Frauen still leiden und sich nicht an die Exekutive wenden? Ist es Scham, Angst? Eine Betroffene erzählt, dass die Einvernahme für sie so schlimm wie die Vergewaltigung selbst gewesen sei und sie ihre Unschuld regelrecht beweisen musste. Die Angst, nicht ernst genommen zu werden, hält viele Opfer davon ab, Anzeige zu erstatten, berichtet eine Anwältin. Dabei kann eine Meldung bei der Polizei die Täter auch abschrecken, wie eine Erhebung der Statistik Austria zeigt. Bei über drei Viertel der 2021 gemeldeten Stalking-Vorfälle hat das Stalking aufgehört oder ist zurückgegangen.
Codewörter können helfen
Neben der Polizei sind Opferschutzeinrichtungen die erste Anlaufstelle für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Bundesweite Unterstützung und Beratung finden Betroffene etwa bei der Frauenhelpline (0800 222 555). Diese bietet rund um die Uhr kostenlos und anonym telefonische Soforthilfe. Die autonomen Frauenhäuser haben Kontaktadressen zu allen Gewaltschutzzentren, ein Helpchat (haltdergewalt.at) bietet Onlineberatung. Die einzelnen Bundesländer weisen weiters eine Vielzahl an Unterstützungsmaßnahmen auf.
Sollte der Griff zum Telefon doch zu schwierig sein, gibt es noch niederschwelligere Angebote. Im Landeskrankenhaus Innsbruck können sich Betroffene, die sich akut bedroht fühlen, mit dem Satz „Ich muss zu Dr. Viola“ beim Portier oder Sicherheitspersonal melden. Dieser Satz fungiert wie ein Codewort und löst einen internen Notfallplan aus. Fühlt sich eine Frau in Bars, Clubs oder in Schwimmbädern sexuell belästigt, kann sie sich in Innsbruck, Graz und Salzburg mit der Frage „Ist Luisa hier?“ an das Personal der teilnehmenden Betriebe wenden, das darauf geschult ist, den Fragenden Hilfe zu leisten. Auch auf Kassabons und Milchpackungen sind immer wieder Notrufnummern gegen Gewalt zu finden. Und mit der App „DEC112“ können Betroffene einen „stillen Notruf“ aktivieren und so unauffällig die Polizei verständigen.
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