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Fußball-Manager und Bargeld
Milliardengeschäft Fußball: Wenige verdienen viel, viel zu viele verdienen viel zu wenig. Bild: vectorfusionart/Shutterstock

Fußball-WM boykottieren?

, aktualisiert am BLOG

Ein Fußball-Großereignis ist immer auch eine Möglichkeit, der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, welch´ traurige Schicksale sich hinter dem Milliarden-Spektakel verbergen. Die herannahende WM in Katar steht massiv in der Kritik. Soll sie boykottiert werden?

Vorsicht, hier sind zwei fürs Phrasen-Schwein:

Fußball ist ein Spiel, das verbindet.

Und:

Auf dem Platz sind alle gleich.

Nun gut, so falsch sind diese Floskeln gar nicht mal. Fußball bietet sozial Benachteiligten tatsächlich wie kaum ein anderes Spiel die Möglichkeit, sich in den Fokus zu dribbeln. In der reinen Lehre ist es ein schönes Spiel. Durchaus. Aber es gibt so viele Aspekte des modernen Fußballs, die unfair, dreckig, ja verabscheuenswürdig sind. Der Sport verkommt zur Nebensache. Hauptsache, der Rubel rollt.

Das fängt ganz oben, bei den dunklen Machenschaften des Weltfußballverbandes FIFA an, geht über skandalös hohe Ablösesummen und Gehälter der Profikicker (inklusive intransparenter, zwielichtiger Verträge; siehe dazu Football Leaks) bis hin zu Wettskandalen und Steuerhinterziehung.

Ein Fußball-Großereignis wie die WM, die ab 20. November in Katar über die Bühne geht, ist immer auch eine Möglichkeit, der Weltöffentlichkeit vor Augen zu führen, welch´ traurige Schicksale sich hinter dem Milliarden-Spektakel verbergen. Auch wir vom VKI haben diese Möglichkeit immer wieder zu nutzen versucht. Anlässlich der WM 2014 in Brasilien veröffentlichten wir beispielsweise einen Bericht über die Arbeitsbedingungen in der Fußballproduktion. Zwei Jahre später im Zuge der EM lenkten wir den Blick auf kambodschanische Textilfabriken, wo unter prekären Bedingungen u.a. Fußballtrikots hergestellt wurden und werden. Anlässlich der WM 2018 in Russland verfasste ich diesen Blog, den ich nun leicht adaptiert/aktualisiert habe. 

Textilarbeiterin hält Schild in Händen
Eine Kampagne der NGO Südwind. Bild: Südwind

Das frustrierende ist, dass sich, trotz jahrelangem, jahrzehntelangem Engagement von NGOs für Arbeits- und Menschenrechte in den Entwicklungs- und Schwellenländern viel zu wenig verbessert hat. Wenn Arbeitsrechte in einem Produktions-Land zu massiv eingefordert werden, dann zieht der Globalisierungstross ganz einfach weiter. War es vor ca. 10-15 Jahren noch hauptsächlich China, werden Sportartikel mittlerweile auch in Indonesien, Vietnam oder Kambodscha hergestellt – dort sind die Bestrebungen, Arbeitsrechte voranzutreiben noch nicht so weit gediehen wie in China; und auch die Löhne sind niedriger.

Foul Play

Der Bericht „Foul Play“ der Clean Clothes Kampagne aus 2018 zeigt Missstände einmal mehr auf: Vom Ladenpreis eines Paares Nike- oder Adidas-Schuhe entfallen rund 2,5 Prozent auf Lohnkosten. Lächerlich wenig, würde man meinen. 1995 bekamen die Fabrikarbeiter aber noch 4 Prozent vom Ladenpreis, ein Rückgang um mehr als ein Drittel.

Internationale Abkommen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen (80 Prozent der Beschäftigten des Sektors sind Frauen) sind bisweilen zahnlos oder nicht über den Greenwashing-Status hinausgekommen. 2011 unterschrieben die namhaften Sportartikelhersteller z.B. das „Freedom of Association Protocol” der Fair Play Alliance, um Arbeiterrechte zu fördern. In einem nächsten Schritt hätten Lohnsteigerungen umgesetzt werden sollen. Davon kann immer noch keine Rede sein. In vielen Produktionsländern verdienen viele Arbeiterinnen viel zu wenig, um für sich und geschweige denn für ihre Familien sorgen zu können.

Boykott der WM in Katar?

Sklavenähnliche Zustände sollen beim Bau der WM-Stadien in Katar geherrscht haben.
Bild: Photo-Play/Shutterstock

Die WM in Katar, die aufgrund der Sommerhitze im Wüstenemirat in den Winter verlegt worden ist (ein Endspiel am 4. Adventsonntag hat es in der Geschichte dieses Turniers noch nie gegeben), steht seit Jahren massiv in der Kritik. Angefangen bei der Vergabe, bei der wohl Millionen an Schmiergeldern geflossen sein dürften. Beim Bau der Stadien soll es zu sklavenähnlichen Zuständen auf den Baustellen gekommen sein. Je nachdem, wen man fragt, sollen eine Handvoll bis hin zu tausende Arbeitsmigranten auf den Baustellen des Landes umgekommen sein. Angeworben wurden sie mit zum Teil falschen Versprechungen aus Bangladesch, Nepal, Pakistan, etc.

Regiert wird Katar von einem Monarchen, dem Emir Tamim bin Hamad Al Thani, der de facto autokratisch agiert. Das Wüstenemirat hat nicht viel mit Meinungsfreiheit oder Menschenrechten am Hut. Frauen und Minderheiten werden systematisch unterdrückt. Der WM-Botschafter von Katar, Khalid Salman, ließ in einem TV-Interview tief blicken, als er Homosexualität als "geistigen Schaden" bezeichnete. In der ZDF-Dokumentation Geheimsache Katar, in der auch der WM-Botschafter zu Wort kam, wurden Frauen in einer Männerrunde mit verpackten bzw. unverpackten Süßigkeiten verglichen. Apropos: Ein Frauen-Nationalteam gibt es defacto nicht in Katar - obwohl es obligatorisch für WM-Bewerber ist, Mädchen- und Frauenfußball zu fördern. Nun gut, 2009 wurde ein Frauen-Nationalteam gegründet - parallel zur Bewerbung um die WM. Seit 2014 hat das Team allerdings kein offizielles Match mehr bestritten. 

Reicht das, um die WM zu boykottieren? Für die Sponsoren, für die Politik, für die Nationalmannschaften: nein. Gerade für die europäische Politik ist der Umgang mit Katar ein Tanz auf der Rasierklinge. Denn das Land verfügt über eine riesige Flüssiggas-Flotte und ist einer jener Gas-Lieferanten, die den Ausfall von russischem Gas kompensieren soll. Die Führung von Katar mit allzu klaren Aussagen rund um das Thema Menschenrechte verprellen? Eine heikle Angelegenheit.

Zurück zur Gretchenfrage: Wenn es bisher niemand getan hat, sollen wir Fußball-Fans ein Zeichen setzen? Und die TV-Geräte nicht einschalten? 

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