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Barrierefreiheit dargestellt als Wort, jeder Buchstabe auf einem Würfel, Hand entfernt den Wortteil Frei, Barriere bleibt übrig
Barrierefreiheit: Haushaltsgeräte werden "smarter", gleichzeitig erschweren Touchscreens die Bedienung für sehbehinderte Menschen. Bild: FrankHH/Shutterstock.com

Barrierefreiheit: Smarte Haushaltsgeräte - erschwerte Bedienung 2/2022

Barrierefreiheit. Haushaltsgeräte werden immer „smarter“. Zugleich erschweren Anzeigen und Touchscreens sehbehinderten Menschen die Bedienung. Brauchbare Lösungen sind selten.

Susanne Buchner-Sabathy drückt auf den Einschaltknopf des Geschirrspülers: Das Gerät reagiert nicht, egal wie oft sie es ­versucht. Eine kleine rote Lampe am ­Display zeigt blinkend an, dass Salz nachgefüllt werden muss. Der Wienerin hilft das nicht, denn die Beraterin für digitale Barriere­freiheit ist blind. Auch die Programmwahl wird nur am Display angezeigt. „Ich kann die Auswahl nicht nutzen, weil sie beim ­zuletzt verwendeten Programm stehen bleibt.“ Würde die Auswahl auf die Start­einstellung springen, könnte Frau Buchner- Sabathy ­zumindest die meistbenutzten Programme anwählen.

Touchscreens und Sensortasten erschweren Bedienbarkeit

Ob Herd, Mikrowelle oder Waschmaschine: Anstelle von Dreh- und Kippschaltern kommen verstärkt Touchscreens und Sensortasten zum Einsatz. Die haptische Bedienbarkeit schwindet, das Visuelle dominiert, wodurch Geräte für viele Menschen eingeschränkt bedienbar werden.

Kein Testen im Geschäft

Anzeige am Display: Barriere für Menschen mit Sehbehinderung und blinde Personen

Eigentlich sollte es bei Margarete Waba nach frischem Kaffee duften. Doch ihr neuer Kaffeeautomat streikt. Mittels Ausschlussverfahren hat sie kontrolliert, ob genug Wasser im Tank ist. Auch der Abfallbehälter ist entleert. Wenn der Automat aber am Display anzeigt, dass eine Reinigung notwendig ist, sieht sie das als blinde Frau nicht: Beim Kauf konnte Waba – sie arbeitet in Projekten zum Thema Barrierefreiheit und Inklusion – keine Probleme feststellen: „Die Maschine hat tolle, fühlbare Tasten. Ich dachte, dass das funktioniert.“

Testen konnte sie das Gerät im Geschäft nicht. Viele Verkäufer wüssten zwar nicht genau über die Bedürfnisse von blinden und sehbehinderten Menschen Bescheid, seien aber durchaus offen dafür und deshalb unangenehm berührt, wenn sie nichts Passendes anbieten könnten.

Als Konsumentin fühle sie sich stark in der Wahl­freiheit eingeschränkt: „Man muss oft auf ­veraltete Geräte zurückgreifen.“ Bei neuen Modellen könne man weniger Funktionen nutzen, zahle aber denselben Preis. Selbst wenn Geräte mit Dreh-/Kippschaltern aus­gestattet sind, sind sie nicht barrierefrei, wenn Markierungen fehlen. Menschen mit einer Sehbehinderung, die auf starke farb­liche Kontraste angewiesen sind, markieren Einstellungen auf Herd oder Waschmaschine. „Menschen mit Behinderung sind in einer nicht barrierefreien Umwelt leider daran ­gewöhnt, adaptieren zu müssen“, sagt Buchner-Sabathy.

Lösungen

Inklusion in der Produktentwicklung

Einige Hersteller haben dieses Problem ­erkannt und arbeiten an Lösungen. Bei der Waschmaschine Guideline von Miele führen ertastbare Leitlinien zum Start-Stopp-Knopf und zu den Menüeinstellungen. Jede Ein­gabe wird von einem akustischen Signal begleitet, die Klänge sind je nach Einstellung verschieden. Die Anleitung gibt es zum ­Anhören, eine eigene Sprachausgabe aber nicht. Ideengeberin war eine blinde Mit­arbeiterin in Deutschland, die ihre Erfah­rungen in die Entwicklung einbrachte.

Beim Design wurde das Unternehmen vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, aber auch von hörbeeinträchtigten Menschen unterstützt. So können ­Gerätesignale des Geräts auf das Hörgerät übertragen werden. „Wir arbeiten daran, dass auch Geschirrspüler und Trockner mit dem Guide­line-Prinzip funktionieren“, sagt die Marketing-Leiterin von Miele Österreich, Elisabeth Leitner.

Menschen mit Behinderung in Zusammenarbeit mit Entwicklern

Auch bei Elektra Bregenz sollen Menschen mit Behinderung mehr in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Das Unternehmen nimmt am 2021 gestarteten „Make the Change with your Dreams“-­Programm des türkischen Mutterkonzerns Arçelik teil, wie Marketing-Direktor Wolfgang Lutzky erklärt. Dabei arbeiten junge Menschen mit Behinderung im Team mit Entwicklern zusammen und können im ­Gegenzug ein Praktikum starten.

Nicht gegen den Fortschritt

Sprachausgabe übermittelt Infos vom Bildschirm

Dass moderne Technik und Barrierefreiheit Hand in Hand gehen können, zeigt die ­Entwicklung bei Smartphones, Tablets und Fernsehgeräten. Für Susanne Buchner-­Sabathy ist ihr iPhone ein wichtiger Alltagshelfer: Neben Apps wie Signal, Audible oder Kindle benutzt sie vor allem die im Betriebssystem integrierten Screenreader-­Funktionen: „Beim iPhone ist das ,Voice Over‘, bei Android ,Talk Back‘.“ Diese Funktionen erklären mittels Sprachaus­gabe, was am Bildschirm zu sehen ist. „Ich habe auf meinem Handy ein Foto von einem Baum. Da wird mir dann vorgelesen: Ahornbaum mit gelben Blättern.“ Die ­erweiterte Bild­analyse ist in der neuesten VoiceOver-Ver­sion verfügbar. Ältere Ver­sionen können auf in den Bilddateien hinterlegte Beschreibungen zugreifen.

Programmierung berücksichtigt Screenreader häufig gar nicht

Screenreader-Programme spielen bei der Barrierefreiheit von Apps eine wichtige ­Rolle. Dennoch werden sie bei der Programmierung oft nicht berücksichtigt. Es kann vorkommen, dass Funktionen nur ­verwendbar sind, wenn der Screenreader ­abgeschaltet wurde, was das Ganze ad ­absurdum führt.

Infos vom Bankomat per Ansage über Kopfhörer

Ein gutes Beispiel sind auch Bankomaten: Neben dem Kartenschlitz befindet sich eine Buchse für Kopfhörer. Menschen mit ­Seh- ­behinderung wird angesagt, was am Bildschirm abgebildet ist und welche ­Abläufe notwendig sind.

Barrierefrei mittels Digitalisierung

Auch Christoph Veigl ist davon überzeugt, dass digitale Technologien Menschen mit Behinderung bei einem selbstbestimmten Leben unterstützen können. Veigl arbeitet an der FH Technikum in Wien im Bereich „Smart Homes und Assistive Technologien“. Durch „smarte“ Geräte können ­Jalousien mittels Fernsteuerung, z.B. über Smart­phone und Tablet, betätigt, Heizung und Lüftung zentral gesteuert werden. Für ­weniger technikaffine Menschen kann das aber zur Herausforderung werden. Um ­ihnen sowie blinden und sehbehinderten Menschen eine barrierefreie Einstellung von Geräten zu ermöglichen, arbeitet das FH-Team an einem Bedienpanel, das mit Drehreglern und Schaltern funktioniert. ­Zuerst wird festgestellt, welche Funktionen die betroffene Person bedienen möchte. „Dann kommen wir vorbei und richten das Gerät ein“, so Veigl.

Hersteller an Barrierefreiheit erinnern

Mit dem Bedienelement lassen sich häufig verwendete Funktionen steuern. So können die wichtigsten Programme der Wasch­maschine auf eine Schalterstellung gelegt ­werden. Der Forscher betont, dass er mit seinen Prototypen Unternehmen keinesfalls eine Hintertür schaffen möchte. Vielmehr möchte er Alternativen erforschen und Hersteller daran erinnern, dass Geräte barrierefrei sein müssen: „Alles andere widerspricht der UN-Behindertenkonvention.“

Nutzerfreundlich für alle

Bewusst zu machen, welche Schwierig­keiten es mit modernen Haushaltsgeräten gibt und was sich ändern muss, ist Ziel der ­Arbeitsgruppe „Home for All“. Darin sind Blinden- und Sehbehindertenorganisationen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz vertreten. Sie fordern, dass bereits in der Entwicklung darauf geachtet wird, dass mehrere Sinne angesprochen werden. Beim „Design for all“ geht es darum, ­Produkte, Programme und Dienstleistungen so zu gestalten, dass diese von allen Menschen ohne irgendeine Art der Anpassung genutzt werden können. „Das sollte ein Kriterium für Warentests werden“, regt Margarete Waba an. Eine Sprachausgabe am Gerät sowie Displays mit anpassbarer Schriftgröße und anpassbaren Kontrasten können die Barrierefreiheit erhöhen. Das hilft auch älteren Menschen.

Geräte verständlich machen

Nicht außer Acht lassen darf man die Bedienungsanleitungen. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten, einer Demenzerkrankung oder geringen Deutschkenntnissen sind sie meist kaum zu verstehen. Dass Informa­tionen so vermittelt werden, dass sie für möglichst viele Menschen verständlich sind, bezeichnet Doris Becker-Machreich von capito Wien als „Menschenrecht“. Das müsse auch für Bedienungsanleitungen gelten. Anleitungen in einfacher Sprache könnten es mehr Menschen ermöglichen, Haushaltsgeräte selbst zu bedienen.

Einfache Sprache

Capito hat sich auf Texte in einfacher ­Sprache auf verschiedenen Sprachniveaus spezialisiert. Das Unternehmen arbeitet nach einem umfangreichen Kriterienkatalog, die Texte werden von Menschen aus der Zielgruppe gegengelesen. Es geht um mehr als nur Vereinfachung: „Es entstehen neue Texte. Oft müssen wir Erklärungen ein­fügen – etwa, was ein Induktionsherd ist“, so Becker-Machreich. Für sie ist klar: Barrierefreiheit kann ein Wettbewerbsvorteil sein. In der EU leben laut der jährlich erhobenen Gemeinschaftsstatistik zu ­Einkommen und Lebensbedingungen etwa 87 Millionen Menschen mit unterschied­lichen Arten von Behinderung. Dazu kommt die wachsende Zahl an älteren Menschen, die mit Touchscreens, Apps & Co ge- und teilweise ­überfordert sind. Viele Menschen würden sich freuen, wenn ihnen barrierefreie Haushaltsgeräte wieder nützliche ­Alltagshelfer wären.

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