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Abgasmessung am Auspuff
VW-Skandal: Wie hoch soll der Schadenersatz für manipulierte Abgase sein? Bild: uleiber/Shutterstock

VW-Sammelklagen: niedriger Schadenersatz - Urteil in St.Pölten

Dieselskandal. Das Gericht hat Schadenersatz zugesprochen. Der ist aber zu niedrig. Er steht in Widerspruch zum Ergebnis von mehr als 100 Einzelverfahren und zum deutschen Höchstgericht. Wir gehen in die Berufung.

Seit 2015 hält der VW-Dieselskandal die Autobranche in Atem. Seit September 2018 beschäftigen unsere 16 Sammelklagen alle Landesgerichte Österreichs. Fest steht:

  • Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat im Mai 2020 die Haftung von VW wegen Arglist rechtskräftig festgestellt.
  • Der Europäische Gerichtshof (EuGH) signalisierte im Sommer 2022, dass das von VW verwendete Thermofenster unzulässig ist.

St.Pölten: nur 4% Schadenersatz

Nun liegt die erste Entscheidung des Landesgerichts (LG) St. Pölten in einer unserer 16 Sammelklagen vor. Das Gericht bejaht die Haftung von VW. Es spricht aber durchschnittlich nur 4 Prozent des Kaufpreises als Schadenersatz zu. Damit weicht das Gericht in St.Pölten massiv von zahlreichen weitaus höheren Schadenersatz-Quoten anderer österreichischer Gerichte in Einzelverfahren ab. Für einige Betroffene hat es gar keinen Schadenersatz vorgesehen. Damit berücksichtigt das LG St. Pölten auch die aktuelle Rechtsprechung des deutschen BGH zum Schadenersatz bei Thermofenstern nicht. Wir werden wegen des zu geringen Schadenersatzes gegen das Urteil Berufung erheben.

Thermofenster fast nie zulässig

Zum VW-Dieselskandal gibt es in Europa mittlerweile eine deutliche Anzahl an Urteilen. Urteile sowohl bei einfachen als auch bei Höchstgerichten - zuletzt mehrfach des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Zusammenhang mit dem sogenannten Thermofenster. Der EuGH hatte etwa in seinem Urteil vom 21. März 2023 bestätigt, dass ein Thermofenster nur unter unwahrscheinlichen Rahmenbedingungen zulässig sein könnte. Das hat die Konsequenz, dass den Betroffenen ein angemessener Schadenersatz zusteht. Seit Februar 2023 liegt auch die erste Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) zu einem österreichischen Fall vor. VW muss das betroffene Fahrzeug auf Wunsch zurücknehmen und den Kaufpreis zurückzahlen.

Streitwert insgesamt 60 Mio. Euro

Wir vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) haben diese Klagen im Auftrag des Sozialministeriums (BMSGPK) und der Bundesarbeitskammer (BAK) eingebracht. Die Finanzierung läuft über Omni Bridgeway. Insgesamt beträgt der Streitwert dieser Sammelklagsaktion 60 Millionen Euro. Insgesamt vertreten wir rund 10.000 Geschädigte vor Gericht. Im konkreten Verfahren beim LG St. Pölten sind es 700 Betroffene. Für sie machen wir einen Schaden von rund 4 Millionen Euro geltend. Eingeklagt wurden wie in allen Sammelklagen des VKI 20 Prozent des bezahlten Kaufpreises.

VW haftet

Positiv: Das LG St. Pölten weist in seinem aktuellen Urteil alle Einwendungen von VW zur angeblich nicht bestehenden Haftung zurück. Das Gericht bestätigt, dass es sich bei der ursprünglichen „Umschaltlogik“ um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt, ebenso beim Thermofenster. Der Schaden ist dem Gericht zufolge zum Ankaufszeitpunkt zu bestimmen und eine allfällige Vorteilsanrechnung findet nicht statt.

Oft nicht mehr als 200 Euro

Negativ: Grundlage für das Urteil des LG St.Pölten ist ein Sachverständigengutachten. Es spricht Betroffenen im Durchschnitt nur 4 Prozent des Kaufpreises als Schadenersatz zu. Der Ersatz geht in vielen Fällen nicht über 200 Euro hinaus. Damit weicht das Gutachten von zahlreichen anderen Einzelverfahren ab. Besitzer:innen mancher Skoda- und Seat-Modelle sollen keinen oder nur einen sehr geringen Schadenersatz bekommen.

Andere Gutachten, höherer Schadenersatz

Mag. Thomas Hirmke - Leiter des Bereichs Recht im VKI
Mag. Thomas Hirmke - Leiter des Bereichs Recht im VKI Bild: VKI/Konstantinoudi

„Ein so geringer Schadenersatz ist in vielerlei Hinsicht nicht nachvollziehbar“, kommentiert VKI-Chefjurist Mag. Thomas Hirmke das Urteil. „Das dem Urteil zugrunde liegende Sachverständigen-Gutachten weist einige Mängel auf“, so Hirmke. „Das Gericht hat wesentliche Punkte rund um die Datenbasis aus der sogenannten Eurotax-Liste nicht berücksichtigt. Nicht umsonst kommen Sachverständige in zumindest 100 österreichischen Einzelverfahren zu einem Schadenersatz zwischen 10 und 30 Prozent des bezahlten Kaufpreises. Das ist im Schnitt das Fünffache des vom LG St. Pölten zugesprochenen Betrages.“

Vorsatz oder Fahrlässigkeit?

Auch das Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) vom 26.6.2023 bleibt in der aktuellen Entscheidung des LG St. Pölten unberücksichtigt. Im deutschen VW-Urteil würde Betroffenen bereits bei fahrlässigem Einbau eines Thermofensters – auch wegen des nötigen Abschreckungseffekts – 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises zustehen. „Wenn schon bei fahrlässiger Schädigung durch das Thermofenster 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises als Schadenersatz zustehen, dann muss der Schadenersatz bei vorsätzlicher Schädigung im Zusammenhang mit der ursprünglichen Manipulation der Software insgesamt zwingend höher sein“, folgert Hirmke. „Man müsste daher von einem Schaden von zumindest 15 Prozent des Kaufpreises ausgehen können.“

In Deutschland rund 15 Prozent Schadenersatz

Schlussendlich passt der zugestandene Schadenersatz auch nicht zu dem von VW in Deutschland geschlossenen Massenvergleich mit 260.000 Fahrzeugbesitzern. Denn dort hat VW im Durchschnitt rund 15 Prozent Schadenersatz bezahlt. Offensichtlich ein Betrag, den VW selbst als angemessen erachtet.

„Schlechter gestellt als in Deutschland“

„Wir werden daher weiter um eine angemessene Entschädigung für die Betroffenen kämpfen“, erläutert Mag. Thomas Hirmke, Leiter des Bereichs Recht, die aktuelle Situation. „Es ist kein Grund ersichtlich, warum von VW geschädigte Kund:innen in Österreich schlechter gestellt werden sollten als in Deutschland“. Der VKI wird daher gegen das Urteil des LG St. Pölten Berufung erheben.

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