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Steuervermeidung - Die Tricks der Multis

Wegen Schlupflöchern im internationalen Steuersystem entgehen den EU-Staaten jedes Jahr Milliarden an Unternehmenssteuern. Initiativen, diese Löcher zu stopfen, sind so zahlreich wie zahnlos. Die Lösung kann nur global erfolgen.

Was haben die Amerikanischen Jungfern­inseln, Guam und Samoa gemeinsam? Auf diesen Inseln lässt sich, mit dem nötigen Kleingeld, paradiesisch urlauben. Zweifelsohne. Aber ihnen gemein ist auch, dass sie, neben sechs weiteren Ländern bzw. Steuergebieten, auf der von der Europäischen Union definierten Schwarzen Liste der Steueroasen außerhalb der EU stehen. Es sind also Länder, denen gegenüber die EU, vorsichtig formuliert, steuerrechtliche Bedenken äußert. Freilich gibt es ferner auch Länder innerhalb der EU, die Konzerne mit steuerlichen Zuckerln locken.

20 % weniger Unternehmenssteuern

Laut Gabriel Zucman von der University of California/Berkeley verschieben multinationale Konzerne jährlich mehr als 600 Milliarden Euro in Steueroasen. Wobei mehr als die Hälfte davon in Steueroasen innerhalb der EU (Luxemburg, Irland, Holland, Belgien, Malta und Zypern) fließt. Zucman schätzt, dass Steueroasen den EU-Staaten rund ein Fünftel ihrer Unternehmenssteuereinnahmen entziehen. Das entspreche einem jährlichen Schaden von etwa 60 Milliarden Euro. Heruntergebrochen auf Österreich ist das eine Milliarde pro Jahr.

Solche Steueroasen sind aber nur der Gipfel des Eisbergs. Von Konzernen und wohl­habenden Mitbürgern werden bereits seit Jahrzehnten die unterschiedlichsten Steuervermeidungspraktiken kultiviert und optimiert. Mit der Veröffentlichung diverser sogenannter "Leaks" in den vergangenen Jahren – LuxLeaks, Panama Papers, Paradise Papers – gelangte dieses Thema, und vor allem auch die verschwiegene Legion an Steuerberatern und Rechtsanwälten dahinter, stärker in den Fokus der Debatte.

Steuervermeidung: ein modernes Phänomen

In Wahrheit ist das Thema Steuervermeidung bei Konzernen aber ein vergleichsweise neues. Denn in den meisten Ländern wurden explizite Unternehmenssteuern erst kurz vor bzw. während des Ersten Weltkriegs eingeführt. In den 1920er-Jahren de­finierte der Völkerbund Prinzipien eines internationalen Steuersystems, welche in ihren Grundzügen bis heute Gültigkeit haben. Unter anderem wurde damals klargestellt, dass Unternehmenssteuern in jenen Ländern einzuheben sind, wo die Unternehmen ihren Hauptsitz haben.

Wie die Minimierung funktioniert

Trendwende 1970er-Jahre

Experten orteten bereits damals Fehler in diesem System. Doch mit den nationalistischen Tendenzen, insbesondere in Europa, sowie den Folgen des New Yorker Börsencrashs 1929 trat die aufkommende Globalisierung schnell wieder in den Hintergrund. Unternehmensgewinne wurden über lange Jahre zum allergrößten Teil im Inland ­erwirtschaftet – bis in die 1960er-Jahre ­waren es etwa bei US-Konzernen rund 95 Prozent. Eine Trendwende vollzog sich erst in den 1970er-Jahren. Seit damals ­werden die internationalen Verflechtungen von Groß­konzernen von Jahr zu Jahr stärker.

Trendbeschleuniger Globalisierung

Befeuert wird dieser Trend von der voranschreitenden Digitalisierung. Mit der Globalisierung und Digitalisierung erweitern sich die Möglichkeiten der multinationalen Kon­zerne, Steuern zu vermeiden. Der hohe Anteil von im ­Ausland getätigten Geschäften macht die Verschiebung von Gewinnen wesentlich attraktiver als in der Vergangenheit. Laut aktuell verfügbaren Daten wurden 2013 rund 18 Prozent aller von US-Konzernen erwirtschafteten Gewinne in Steueroasen versteuert. Die Körperschaftssteuer betrug damals in den USA eigentlich 35 Prozent. Trotzdem zahlen die Top-US-Multis im Durchschnitt nur rund 19 Prozent Unternehmenssteuer. Manche weniger als 10 Prozent, manche kleiner-gleich Null.

Legale Minimierung

Steuervermeidung, also die legale Verkleinerung der Steuerlast, passiert auf mannigfache Art; zum Beispiel durch Minimierung der Steuerbemessungsgrundlage – etwa durch die Verrechnung zu hoher Lizenz­gebühren oder Transferpreise zwischen Gesellschaften eines multinationalen Konzerns. Oder durch das Verschieben von ­Gewinnen in Steuerhoheitsgebiete mit niedrigeren Steuersätzen.

Beispiel Apple

Ein sehr prominentes Beispiel, anhand dessen man Steuervermeidungspraktiken recht anschaulich erklären kann, ist Apple (siehe Grafik unten). Der US-IT-Konzern zahlte über Jahre hinweg – gesetzeskonform – in Europa viel zu wenig Steuern. Der irische Steuervorbescheid, der es Apple ermöglichte, 13 Milliarden Euro Steuern zu sparen, wurde allerdings 2016 von der EU-Kommission als unzulässige Steuervergünstigung eingestuft. Irland wiederspricht dieser Einschätzung und will das Bußgeld nicht eintreiben. Nun soll das Geld auf einem Treuhandkonto geparkt werden, bis die Strafe eingehoben wird oder der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung trifft.

So sparte sich Apple zwischen 2003 und 2014 13 Milliarden Euro an Steuern in Europa:

So sparte sich Apple zwischen 2003 und 2014 13 Milliarden Euro. (Quelle: Europäische Komission, Infografik: Caroline Müllner)

Nur gemeinsam effektiv

Nur gemeinsam effektiv

Bei diesem Beispiel zeigt sich eines ganz klar: Wenn einzelne Staaten im Standortwettstreit Konzerne mit Niedrigzinsen ins Land zu locken versuchen, wenn es keinen globalen Schulterschluss im Kampf gegen Steuervermeidung gibt, bleiben nationale Bemühungen gegen Steuervermeidung zahnlos. Selbst die EU kann im globalen Spiel der Kräfte nur bedingt lenkend eingreifen. Trotzdem versucht sie es.

Nach Umsätzen besteuern?

Als Vorreiter innerhalb der EU kristallisiert sich immer mehr Frankreich heraus. So will Paris bis Ende des Jahres eine Lösung ausverhandelt haben, wie eine gesamteuropäische Besteuerung der sogenannten „Gafa“-Konzerne (Google, Apple, Facebook, Amazon) zukünftig ausgestaltet sein soll; jener IT-Giganten, die zwar in den EU-Staaten blendende Geschäfte machen, aber dort verhältnismäßig wenig Steuern zahlen – ihre Konzernzentralen befinden sich ja anderenorts.

"Jeder Würstelstand zahlt in Österreich mehr Steuern als ein multinationaler Konzern", sagte Österreichs Ex-Kanzler Christian Kern. Frankreich will die US-Konzerne künftig nach ihren Umsätzen besteuern. Andere Staaten präferieren es, die (niedrigeren) Werbeeinkommen als Bemessungsgrundlage heranzuziehen.

Strengere Meldepflichten

Dass Brüssel beim Thema Steuervermeidung aufs Gas steigt, ist erkennbar. Mitte März, nach neunmonatigen Verhandlungen (für EU-Verhältnisse fast Rekordtempo), einigten sich die EU-Finanzminister einstimmig auf striktere Transparenz- und Berichtspflichten für Anwälte, Banken und Steuerberater. Diese Berufsgruppen werden ab Juli 2020 fragwürdige Steuerkonstrukte ihrer Kunden mit Auslandsbezug an die Behörden melden müssen. Dies wird auch gelten, wenn etwa ein Schweizer Rechts­anwalt einen Klienten aus der EU betreut.

Mehr Transparenz bei Unternehmensdaten

Auch Österreich hätte heuer die Möglichkeit, gestalterisch maßgeblich einzugreifen: Im zweiten Halbjahr 2018 übernimmt Österreich den EU-Ratsvorsitz. Ein Punkt, der ­bereits länger auf der EU-Agenda steht, ist die Sammlung von sogenannten Country-by-Country-Reporting-Daten. Durch diese länderbezogene Berichterstattung könnten Konzerne gezwungen werden, relevante ­Daten wie den Umsatz, Gewinn vor Steuern oder die Mitarbeiterzahl je Land zu veröffentlichen – und vor allem auch die entrichteten Gewinnsteuern.

EU-weite Steuerbemessungsgrundlage

Diese Daten könnten eine bessere Evaluierung künftiger Initiativen wie der Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (kurz: GKKB) ermöglichen. Die GKKB soll die Steuerbemessungsgrundlage eines Konzerns innerhalb der EU zusammenfassen und anhand einer Formel, die zum Beispiel Umsätze, Vermögen und Mitarbeiter beinhalten, auf die EU-Mitgliedstaaten verteilen. Dadurch wäre auch die Besteuerung der Gewinne von digitalen Betriebsstätten wie etwa jenen der US-IT-Konzerne Google, Facebook & Co möglich. Doch schon im Vorfeld der Ratspräsidentschaft zeigt sich Österreich bei diesen Initiativen eher zurückhaltend.

Ernüchterndes Fazit

Die Steuerrechtsprofessorin Rita de la Feria sagte einmal: "Unternehmen werden immer einen Weg finden, um Steuern auszuweichen." Wohl wahr, zumindest, wenn es keine einheitlichen Regelungen – und zwar weltweit – gibt. Insofern bleibt nur die Hoffnung, dass es irgendwann zu einer Einigung über ein globales Steuersystem kommen wird. Denn ohne ein solches System werden mit den unterschiedlichen Initiativen lediglich ­Symptome bekämpft, aber das Problem wird nicht an der Wurzel gepackt.

Welchen Einfluss Ihre Kaufentscheidung hat

Der streitbare Ökonom Joseph Stiglitz hat eine klare Meinung zum Thema Steuervermeidung und dazu, wie man sie verhindern kann. "It´s only outrage that will stop the system", sagte er heuer beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Laut dem Wirtschaftsnobelpreisträger kann also nur eine empörte und aktiv werdende Zivilgesellschaft Abhilfe schaffen.

Lokale Firmen: Einen kleinen Betrag zu dieser "Empörung" kann jeder von uns leisten, indem er als mündiger Konsument bewusste Kaufentscheidungen trifft. Wie das funktioniert? Mit dem Griff im Geschäft (oder dem Bestell-Klick im Internet) zu Produkten oder Dienstleistungen von lokalen Unternehmen, die nur in Österreich tätig sind, kann man zum einen diesen Firmen den Rücken stärken. Da sie kaum Möglichkeiten zur Steuervermeidung haben, fließen zum anderen auch entsprechend hohe Steuereinnahmen ins Budget – was im Sozialstaat letztlich der Allgemeinheit zugutekommt.

Großkonzerne: Natürlich, Produkte von multinationalen Konzernen sind bisweilen die günstigsten im Sortiment. Aber warum ist das so? Schon allein wegen ihrer schieren Größe können sie günstiger produzieren (Skaleneffekte). Mit welchen Auswirkungen auf die Umwelt und unter welchen Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter, das steht auf einem anderen Blatt. Und was noch hinzukommt: Diese Multis zahlen bisweilen wenig bis praktisch gar keine Steuern auf ihre Gewinne in Österreich. Klar, dass sie ihre Produkte und Dienstleistungen dann billiger feilbieten können.

Preisdurchsetzung: Wenn man als Konsument nun sagt: "Mir egal, ob die Steuern zahlen oder nicht. Hauptsache, ich bekomme günstige Produkte", dann sei darauf hingewiesen, dass es nicht sicher ist, dass diese Produkte auf Dauer so günstig bleiben. Denn aufgrund des Verdrängungswettbewerbs bleiben lokale Anbieter womöglich auf der Strecke. Übrig bleibt dann der multinationale Konzern, der nicht nur relativ wenig ins Staatssäckel zahlt, sondern dann auch noch, aufgrund mangelnder Konkurrenz, die Preise bestimmen kann. In welche Richtung, das sollte jedem klar sein.

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