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Alpen Gewässer
Die Wasserkreisläufe in den Alpen ändern sich. Was bedeutet das und was müssen wir tun, um uns anzupassen? Bild: DaLiu / Shutterstock.com

Serie Unsere Alpen: Das alpine Wasser

Wie verändert der Klimawandel unsere Alpen? Dieser und anderen daraus abgeleiteten Fragen widmen wir uns in der vierteiligen Serie „Unsere Alpen“. Finden Sie alle Serienteile auf unserer Überblicksseite.

Teil 1. Alpine Wasserkreisläufe ändern sich. Wo führt das hin und wie können wir uns anpassen?

Die Alpen scheinen zeitlos und unveränderlich. Dennoch brennt die Klimakrise ihre Spuren in das Hochgebirge. Seltener sind die Alpen von Schnee ­bedeckt. Ihr ewiges Eis rinnt davon, der Permafrost taut, Felsen brechen, Tiere und Pflanzen wandern, sterben aus oder werden durch andere ersetzt.

Abhängig vom Nass der Alpen

Was bedeutet das für uns? Und wie können wir uns anpassen? Diesen Fragen nähern wir uns in der Serie "Unsere Alpen" Schritt für Schritt. Wir beginnen bei jener Ressource, die Reinhard Fendrich als "unwiderstehlich und so hell, fast wie die Tränen von einem Kind" besingt: dem alpinen Wasser.

Lebensmittel, Kraftwerke, Schifffahrt, ...

Stolze Ströme wie Donau, Rhein, Po und Rhone werden auch von dem gespeist, was sich in den Alpen sammelt. Dut­zende Millionen Menschen sind vom klaren Nass der Alpen abhängig. Es lässt Lebensmittel wachsen, Fabriken und Wasserkraftwerke arbeiten, ermöglicht die Flussschifffahrt. Angesichts dessen sind die aktuellen Veränderungen bedrohlich. Was passiert da gerade? Die Antwort ­finden wir dort, wo weiße Riesen noch Massen an Wasser und Eis zurückhalten.

Warum die Riesen verschwinden

2022 war ein dramatisches Jahr für alpine Gletscher. Nie seit Beginn der Messungen schmolzen sie so rasch. Warum, weiß Bernhard Zagel. Wir treffen ihn in seinem Büro an der Universität Salzburg. Als Student war der Geoinformatiker das erste Mal in den Hohen Tauern. Heute koordiniert er dort Messungen an 13 Gletschern. Sie alle schwinden vor seinen Augen.

"Wenn wir bis 2030 noch fünf solche Sommer wie 2022 erleben, wird ein Großteil der Gletscher auf ein Minimum reduziert", erklärt er ruhig. Den Alarmismus übernehmen die Daten, die er auf seinem Computerbildschirm zeigt. Über zwei Millionen Kubikmeter Masse verlor etwa das Stubacher Sonnblick­kees allein im vergangenen Messjahr – so viel wie nie zuvor. Die Gletscherzunge des angrenzenden Ödenwinkelkees ist seit 1960 um über 600 Meter geschmolzen.

Alpen erwärmen sich stärker

"Das größte Problem ist die überdurchschnittliche Erwärmung in höheren ­Lagen", sagt Zagel. Die Alpen erwärmen sich doppelt so schnell wie der Rest der nördlichen Hemisphäre. Juni und Novem­ber 2022 waren viel wärmer als normal, im Oktober in manchen alpinen Hoch­lagen um fünf Grad verglichen mit der Klimanormalperiode von 1991 bis 2020. Im September zeigte das ­Thermometer der auf 2.315 Meter gelegenen Rudolfshütte, von der Zagel und sein Team ihre Messungen starten, 19 Grad.

Veränderte Niederschläge & extremere Ausschläge

Es wird immer heißer. Niederschlagsmuster verschieben sich, Schnee bleibt kürzer liegen. Schwinden die Altschneeschichten, die das Gletschereis im Jahresverlauf schützen, hat die ­Sonne leichtes Spiel. Da die Klima­erwärmung Wetterextreme verstärkt, prognostiziert das Climate Change Center Austria (CCCA): "Wir werden in Österreich auch künftig extreme Winter erleben – sowohl sehr schneereiche als auch ungewöhnlich schneearme Winter." Ob der Hitze in den Höhen werden die Gletscher aber auch mit viel Schnee tendenziell weiter schwinden.

Das Stubacher Sonnblickkees 2018 und 1971
Das ewige Eis schmilzt. Das Stubacher Sonnblickkees 2018 (oben) und 1971. Bild: H. Wiesenegger

Gletscherschmelze und Folgen

Dadurch verändert sich auch die Landschaft, erklärt Hans Wiesenegger. Seit Jahrzehnten hat der Leiter des Hydrographischen Dienstes des Landes Salzburg dessen Wasserkreislauf genau im Blick. An der Wand seines Büros im Amt der Landesregierung hängt ein großes Bild des Stubacher Sonnblickkees. Links unten deutet der Hydrologe auf einen hellblauen Fleck. Es ist der untere Eisbodensee, der 1990 entstand und heute schon 400 Meter lang und 20 Meter tief ist. 165 Vertiefungen, aus denen solche Gletscherseen entstehen könnten, simulierten Forschende unter Österreichs Gletschern.

Schmelzen Gletscher, kommt viel Wasser als Gletscherspende aus den Alpen. Rund 1,8 Millionen Kubikmeter spen­dete etwa das Stubacher Sonnblickkees im hydrologischen Jahr 2020/2021. Das sind umgerechnet 15 Millionen große Badewannen. „An heißen, trockenen Tagen kommt im Oberlauf der Salzach viel des Zuflusses vom Gletscher“, sagt Wiesenegger. Im Einzugsgebiet der Salzach der Gemeinde Mittersill, die nahe am Nationalpark Hohe Tauern liegt, kann dann fast die Hälfte des Zuflusses von der Gletscherspende stammen. In der Stadt Salzburg, wo das Einzugs­gebiet achtmal größer ist, sind es nur wenige Prozentpunkte.

Muren und Hochwasser

Sind die Gletscher in einigen Jahrzehnten verschwunden, spenden sie auch nichts mehr. Eine Folge davon? „In Zukunft wird der Niederschlag, der in den Alpen fällt, direkt abfließen, weil er auf den Felsen trifft“, erklärt der Hydrologe. Das kann Muren und Hochwasser verstärken. Denn Gletscher wirken langfristig wie Schwämme, die festen Niederschlag speichern und langsam abgeben.

Regen: im Winter mehr, im Sommer weniger

Der Großteil des Wassers aus den Alpen ist Schmelzwasser, das sich im Winter sammelt und im Frühling und Sommer abfließt. Messungen zeigen: In tieferen Lagen nahm der Niederschlag in den letzten Jahren regional signifikant ab. Oberhalb von 2.000 Metern ändert sich die Jahresniederschlagsmenge nicht. "Gravierend ist jedoch, dass sich die Verteilung verändert. Im Winter wird es mehr Niederschlag geben und in höhere Lagen hinauf regnen. Im Sommer ist mit weniger zu rechnen", erklärt der Hydrologe Wiesenegger.

Das sah man im Sommer 2022. Die Altschneedecke war dünn, die Schneefallgrenze lag mehrere hundert Meter ­höher als im Durchschnitt der letzten vier Jahrzehnte. Hitzewellen taten ihr Übriges. In den Südalpen etwa, deren Abfluss viele Nebenflüsse des Po speist, blieb das Wasser aus. In einem Gebiet maß man Ende Februar 40 Prozent ­weniger Abfluss als im Mittel.

Wasserbeschränkungen in Italien

Europaweit führten Flüsse Tiefstände, schwanden mancherorts auf Rinnsale. Norditalien trafen die Folgen besonders hart. Fünf Regionen mussten Dürre­notfälle ausrufen. Wein, Weizen, Reis und Olivenöl erlitten Produktionseinbrüche, es gab weniger Strom aus Wasserkraft. Mehr als 40 Prozent der italienischen ­Bevölkerung waren von Wasserbeschränkungen betroffen, durften etwa zeit­weise ihre Autos nicht mehr waschen.

Auch der Rhein litt. Als vergangenen Sommer seinen Nebenflüssen Wasser ausblieb, wurden Flusskreuzfahrten abgesagt und die Schifffahrt eingeschränkt. Weil Schiffe weniger Last aufnehmen konnten, stiegen Transportkosten an, worunter auch ­Industrien hunderte Kilometer fluss­abwärts litten. Fische und ­Muscheln starben und Silberweiden ächzten, als der Strom lokal auf die Hälfte seiner Breite schrumpfte.

Wo führt das hin?

Die internationale Kommission für die Hydrologie des Rheingebietes schreibt in einem Bericht, dass Folgen der Klimakrise die hydrologischen Änderungen weiter verstärken werden. Ab der Schwei­zer Stadt Basel rheinabwärts werden niedrige Abflüsse die Schifffahrt am Mittelrhein länger und häufiger stören. Der Hydrologe Helmut Habersack hält ähnliche Entwicklungen für die Donau für wahrscheinlich.

Mit weniger Wasser umgehen lernen

Wir müssen lernen, mit weniger Wasser im Sommer umzugehen. Das heißt auch, die Interessen, die an das alpine Wasser gestellt werden, noch genauer zu koordinieren – europaweit, national und lokal. Ein erster Schritt ist das ­"Alpine Drought Obser­vatory". Die neue Beobachtungsstelle verknüpft ­verfügbare Daten, die etwa Dürren im Alpenraum anzeigen könnten.

"Das kann Verantwortlichen helfen, politische Maßnahmen abzuleiten und für mehr Verständnis in der Bevölkerung zu sorgen", erklärt der Geoinformatiker Alexander Jacob von der privaten Forschungsinstitution Eurac Research, der das Projekt koordiniert. In Zukunft ­wollen er und seine Kolleg:innen damit auch Dürren vorhersagen.

Hans Wiesenegger und Bernhard Zagel sehen seit Jahrzehnten: Wie, wann und in welcher Menge Wasser aus den Alpen strömt, ändert sich immer rasanter. Höchste Zeit also, dass ihr Wissen bei allen ankommt.

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