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Tauschen und teilen - Kaufen war gestern

Von Tauschkreisen bis zu Onlineplattformen bietet die sogenannte Sharing Economy zahlreiche Alternativen zum traditionellen Kaufverhalten.

Manche nennen es Tauschhandel, andere Tauschkreise oder Sharing Economy … Bloß weil sich zwei ein Werkzeug teilen, meint unser Cartoonist, Robert Scheifler heißt das noch lange nicht, dass sie gut zusammenarbeiten. – Lesen Sie mehr in unserem Artikel

Tausche Fernseher gegen Massage: Im ­Talente-Tauschkreis wechseln nicht nur Waren aller Art den Besitzer, sondern auch Dienstleistungen. "Viele Menschen besitzen bestimmte Fähigkeiten, von denen sie gar nichts wissen", erklärt Daniela Hödl, beim Wiener Talente-Tauschkreis zuständig für die Mitgliederbetreuung.

"Bei uns geht es auch darum, zu entdecken, was alles möglich ist." Da kann es passieren, dass jemand plötzlich sein Talent zum Fotografieren entdeckt und "gegen Stunden eintauscht", die Währungseinheit des Tauschkreises.

Nicht Profit, sondern Miteinander

"Wir haben ein eigenes Buchungssystem, das wie eine ­Onlinebank funktioniert. Fast wie richtiges Geld, aber ohne Zinsen." Im Buchungs­system können auch Inserate geschaltet werden, für weniger Internet-affine Mit­glieder gibt es eine Marktzeitung. "Ich biete etwa regelmäßig Gartenarbeit an und habe dafür zuletzt einen Pürierstab erworben", erzählt die 30-Jährige.

Beim Tauschkreis geht es demnach nicht um Profit, sondern um ein Miteinander. "Dinge werden nicht weggeworfen, sondern Leuten zur Ver­fügung gestellt, die sie brauchen können", so Hödl. "Ich selbst habe mir seit über sieben Jahren kein Kleidungsstück mehr gekauft." Der Tauschkreis unterstützt auch soziale Kontakte: Bei monatlichen Treffen können die Mitglieder einander persönlich kennenlernen. Und nicht nur in Wien wird getauscht: Der Tauschkreis-Verbund ist ein Zusammenschluss von mehreren Tauschkreisen im deutschsprachigen Raum.

Schonung von Ressourcen

Mit dem Konzept des Tauschens und Teilens liegt der Talente-Tauschkreis voll im Trend: Sharing Economy, Ko-Konsum oder Collaborative Consumption – viele Bezeichnungen stehen für dieselbe Idee, Dinge gemeinsam zu nutzen statt zu besitzen. Die Idee ist nicht ganz neu: Büchereien, Wohngemeinschaften oder Waschsalons gab es auch schon in ­früheren Zeiten, bereits in den 1970er-Jahren lautete das Motto der Ökologiebewegung "Nutzen statt besitzen".

Sharing-Modelle und soziale Netzwerke

Heute haben Sharing-Modelle dank Internet und sozialer Netzwerke eine neue Dimension erreicht. "Neu ist dabei, dass die Kosten der Koordination solcher Transaktionen durch die Digitalisierung enorm gesenkt werden", erklärt Niko Paech, deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Produktion und Umwelt an der Universität Oldenburg.

Einen Nachteil sieht Paech darin, dass Sharing-Modelle das Gegenteil des erwünschten ­Effekts hervorrufen können: "Carsharing ­etwa kann dazu führen, dass Menschen Auto fahren, die es nicht täten, wenn sie sich einen eigenen Pkw kaufen müssten – mit nega­tiven Auswirkungen auf den CO2-Ausstoß."


Lesen Sie außerdem: Reparaturanleitungen im Internet, unser KONSUMENT-Buch Nachhaltig leben oder weitere Tests und Berichte zum Thema Ethischer Konsum.

Sozialorientierung und Nachhaltigkeitsbewusstsein

Zwei Konsumtypen

Dennoch ist der Wunsch nach mehr Nach­haltigkeit laut einer Studie der Universität Lüneburg einer der Beweggründe für den neuen Trend. Darin werden zwei Konsum­typen der Sharing Economy unterschieden: Menschen mit ausgeprägter Sozialorientierung und grundlegendem Nachhaltigkeitsbewusstsein stehen die Konsumpragmatiker gegenüber, die sich in erster Linie aus rein praktischen Gründen wie Kostenersparnis dem Trend anschließen. Laut der deutschen Studie haben für 37 Prozent der Befragten alternative Besitz- und Konsumformen eine Bedeutung.

"Da es zwischen Deutschland und Österreich Ähnlichkeiten bezüglich Umweltbewusstsein der Bevölkerung und der sozioökonomischen Situation gibt, würden bei einer Vergleichsstudie ähnliche Werte herauskommen", meint Studienautor Prof. Dr. Harald Heinrichs, Professor für Nachhaltigkeit und Politik an der Uni Lüneburg.

Ressourcen verknappen

Der Hintergrund für die neu erstarkte Bewegung der Sharing Economy ist ein ernster: Unser Verlangen nach immer neuen Konsumgütern bringt die Erde aus dem Gleich­gewicht; die weltweiten Ressourcen in Form von Rohstoffen, Wasser oder Land drohen zu verknappen. Die Umweltschutzorganisation Global 2000 rechnet auf ihrer Website - reduse.org vor, dass sich der globale Ressourcenverbrauch in den letzten 30 Jahren verdoppelt hat – auf rund 60 Milliarden ­Tonnen jährlich. Einer der größten Netto-Importeure von natürlichen Ressourcen pro Kopf ist Europa. Der zunehmende Verbrauch führt nicht nur zu Umweltproblemen, er ist oft auch mit sozialen Missständen wie etwa Menschenrechtsverletzungen oder schlechten Arbeitsbedingungen verknüpft.

Kommerzielle und nicht-kommerzielle Modelle

Dank Internet sind dem Tauschen und Teilen kaum noch Grenzen gesetzt: Bücher ­wechseln beim Bookcrossing  ihren Besitzer, Wohnungen teilt man mit anderen beim Couchsurfing, Autos in Form von Carsharing. Sharing-Modelle erleben zurzeit einen Boom sondergleichen. "Zu unterscheiden sind kommerzielle und nicht-kommerzielle Modelle", erklärt Niko Paech. "Bei Ersteren ist der Dienstleister zugleich Eigentümer des Nutz­objektes, etwa bei kommerziellen Carsharing-Modellen. Im zweiten Fall ist eine Person ­Eigentümer eines Objektes und stellt dieses gegen andere nicht-kommerzielle Leistungen zur Verfügung."

Immer mehr Online-Tauschbörsen bieten Produkte wie Haushaltsgeräte, Lifestyle-Artikel oder Kleider zum Verleih oder Tausch an. Der Gedanke dahinter: Um ein Loch in die Wand zu bohren, brauche ich einen Bohrer – aber muss ich deshalb gleich einen neuen kaufen? Und wozu brauche ich ein eigenes Auto, wenn ich nur einmal pro Woche damit fahre?

Neue Initiative für Lebensmittel

Vergangenes Jahr wurde eine neue Initiative gegründet: Auf myfoodsharing.at können noch genießbare Lebensmittel abgegeben oder erworben werden. Der Hintergrund: In Österreich landen jährlich rund 160.000 ­Tonnen Lebensmittel im Müll.

Sharing Economy: weltweites Phänomen

Kostenersparnis und Beitrag zur Nachhaltigkeit

Die Vorteile dieser Modelle liegen auf der Hand, wie eine Studie der AK Steiermark bestätigt. Sie reichen von der Kostenersparnis über das gute Gefühl, einen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit zu leisten, bis zu einem neuen Gemeinschaftssinn. Denn man tauscht nicht nur Produkte oder Dienstleistungen, sondern oft auch Erfahrungen aus und lernt ­dabei Gleichgesinnte kennen. Gemeinschaftsgärten beispielsweise bieten nicht nur ein Forum für Hobbygärtner, sie regen auch ein Miteinander von Menschen verschiedenster sozialer Herkunft an. Und Tausch­börsen unter Nachbarn führen womöglich zu besseren nachbarschaftlichen Beziehungen.

"Dazu kommen weniger Sorgen", fügt Josef Kaufmann von der AK Steiermark hinzu. "Ein Lebensstil mit selbst gewählter Eigentums­beschränkung bedeutet, dass man sich um weniger Hab und Gut kümmern muss." Der Wachstumskritiker Niko Paech sieht das Ende unseres wachstumsorientierten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ohnehin gekommen. In seinem Buch "Befreiung vom Überfluss" erklärt er, wie man mit weniger Konsum und weniger Geld glücklich wird.

Weltweite Sharing Economy

Die Sharing Economy ist ein weltweites ­Phänomen: In Schweden setzt IKEA auf den Online-Wiederverkauf gebrauchter Einrichtungsgegenstände und in Deutschland vermieten Private auf nachbarschaftsauto.de ihr Auto an Nachbarn, wenn sie es selbst nicht brauchen. Unter dem Namen "Swap in the ­City" haben sich Tausch-Initiativen von den USA aus in andere Länder ausgebreitet und in Ländern wie den USA und Südkorea hat das Thema auch die Politik und Verwaltung erreicht: In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul werden im Zuge des von der Stadt geförderten Projektes "Sharing City Seoul" bereits existierende Sharing-Anbieter und Start-ups unterstützt. "Alle diese Initiativen sprechen für eine weitere Entwicklung der Sharing ­Economy", ist der deutsche Nachhaltigkeitsexperte Harald Heinrichs überzeugt.

Wenig genutzte und neuwertige Waren erhältlich

Auch die Anbieter gebrauchter Waren sind Teil der Sharing Economy: Zahlreiche Online-Anbieter wie eBay, willhaben.at oder flohmarkt.at offerieren Waren, die meist wenig benutzt oder sogar neuwertig sind. Auf Flohmärkten und in Secondhand-Läden ­findet der geübte Käufer Kleidung, Geschirr oder Gebrauchsgegenstände – meist in einwandfreiem Zustand – zu Spottpreisen. Und auch wohltätige Organisationen wie die ­Caritas verkaufen gesammelte Secondhand-Ware für einen guten Zweck. In einigen österreichischen Städten gibt es sogenannte Kostnix-Läden: Hier kann man funktionstüchtige Dinge abgeben, die man nicht mehr benötigt, und im Gegenzug Waren ­mitnehmen.

Ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft

Sepp Eisenriegler, Geschäftsführer des Wiener Reparatur und Service Zentrums R.U.S.Z in Wien Penzing, geht einen anderen Weg: Mit der Reparatur von hochwertigen Geräten setzt der Wiener ein Zeichen gegen die Wegwerfgesellschaft und bietet in den Räumlichkeiten des R.U.S.Z jeden Donnerstag ein Reparatur Café an. "Hier werden Interessierte unter fachlicher Anleitung beim selber Reparieren unterstützt", erklärt Eisenriegler. Zudem arbeitet der Social Entrepreneur an Finanzierungsmodellen wie dem Kauf- und Mietleasing für Haushaltsgeräte. Eisenrieglers Credo: "Man muss nicht alles besitzen."

Dass alternative Konsum- und Besitzformen zukunftsträchtig sind, steht fest. Das britische Wirtschafts- und Politikmagazin "The Economist" bezeichnete bereits 2011 die "Sharing Economy" als einen der zehn wichtigsten globalen Gesellschafts- und Wirtschafts­trends für das kommende Jahrzehnt.

Buchtipp: "Nachhaltig leben"

Durch das eigene Konsumverhalten einen Beitrag zu einer "besseren" Welt zu leisten, ist der Wunsch vieler Verbraucher. Doch welche Möglichkeiten hat der Einzelne, dies im Alltag umzusetzen? Unser Buch gibt Tipps und Anregungen für all jene, die ganz individuell zu einem verantwortungsvollen Lebensstil finden wollen.

www.konsument.at/nachhaltig-leben

Aus dem Inhalt

  • Lebensmittel: fair und natürlich
  • Lifestyle: modisch, aber ökologisch
  • Mobilität, Tourismus, Freizeit
  • Nachhaltigkeit im Haushalt
  • Abfall vermeiden, Ressourcen schonen
  • Trend: gemeinsam nutzen statt besitzen

160 Seiten, 14,90 € + Versand

KONSUMENT-Buch: Nachhaltig leben (Bild:VKI)

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