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Ausrede-Typen nach Brudermann: Comic-Darstellungen
Dr. Brudermann hat sich Ausreden-Archetypen ausgedacht, heruntergebrochen auf Klimathemen: "Sie sollen den Leuten zwar den Spiegel vorhalten, kommen aber nicht mit erhobenem Zeigefinger daher." Bild: Screenshot: klimapsychologie.com

Den Klima-Ausreden auf der Spur

NACHHALTIGES INTERVIEW

Mit Sachkenntnis und Humor versucht Dr. Thomas Brudermann die psychologischen Fallstricke rund um die Klimakrise zu beschreiben – auch mit Comics und Selbstporträts.

Porträt Thomas Brudermann
Bild: Uni Graz/Tzivanopoulos

Dr. Thomas Brudermann (43) 
ist Nachhaltigkeitsforscher und Psychologe an der Uni Graz. Er geht den Mechanismen auf die Spur, wie die menschliche Entscheidungsfindung bei den kontroversiell diskutierten Themen Klima- und Umweltschutz funktioniert. 

Eines seiner Bücher trägt den Titel
„Die Kunst der Ausrede – Warum wir uns lieber selbst täuschen, statt klimafreundlich zu leben“. 


Weitere Klimaausreden und Illustrationen finden Sie auf klimapsychologie.com

Herr Brudermann, warum klaffen gerade bei Klimathemen unser Selbstbild und unser tatsächliches Handeln so weit auseinander?
Wir wollen uns bei dem, was wir tun, nicht schlecht fühlen. Deshalb ist unsere Selbstwahrnehmung möglichst immer positiv. Gleichzeitig leben wir in Strukturen, die es oft schwierig machen, klimafreundliche Entscheidungen zu treffen. Man ist z.B. aufs Auto angewiesen. Oder der Urlaubsflug, der Usus geworden ist. In Folge ergibt sich das Dilemma, dass man prinzipiell umweltfreundlich eingestellt wäre, aber mit den Taten nicht nachkommt. Und dieser Wiederspruch will aufgelöst, das Gewissen beruhigt werden. 

Da wären wir dann schon bei den Ausreden.
Genau, denn eine Verhaltensänderung ist oft schwierig. Die zweite Option wäre eine Einstellungsänderung: Dass ich mir eingestehe, dass ich doch nicht so ein Öko-Musterknabe bin. Auch schwierig. Also muss ich Gründe, in anderen Worten Ausreden finden, warum es so ist wie es ist. Und es leider auch nicht zu ändern ist. 

Das passiert vielfach unbewusst. Da kann man den Menschen doch keinen Vorwurf machen, sie nicht in die Verantwortung nehmen, oder?
Es sind zum Teil unbewusste Prozesse, die aber immer wieder auch ins Bewusstsein kommen. In der Psychologie gibt es einen Begriff dafür, die kognitive Dissonanz. Also das Auseinanderklaffen unterschiedlicher Einstellungen bzw. Verhaltensweisen. Natürlich kann man die Menschen auch in die Verantwortung nehmen. Aber es ist die Frage, wie man das macht. Ein Frontalangriff mit erhobenen Zeigefinger ist z.B. nicht sonderlich schlau, denn dann ist die erste intuitive Reaktion eine Abwehr bzw. ein Einigeln im eigenen positiven Selbstbild. Vielmehr sollte man die Menschen einladen, sich genauer mit den Dingen zu beschäftigen. Nicht, indem man genau erklärt, sondern indem man z.B. die Neugier weckt, Fragen stellt. 

Ein anderer Fachbegriff, den Sie oft verwenden, ist moralisches Lizensieren. Können Sie das bitte kurz erklären. 
Darunter versteht man das Abwägen unterschiedlicher Handlungsoptionen gegeneinander. Gewisse Dinge macht man bereitwillig, z.B. Mülltrennen oder Licht abdrehen. Das fühlt sich gut an. Gleichzeitig tun wir uns sehr schwer mit den großen Brocken, insbesondere in den Bereichen Mobilität und Ernährung. Das moralische Lizensieren ist dann das Rechtfertigen: „Ich tu ja eh schon etwas. Und deswegen darf ich mir ja wohl das Steak gönnen oder in den Urlaub fliegen.“ Das ist zwar eine völlig normale Reaktion, und dient wieder dem positiven Selbstbild. Aber ausgehen tut sich das meist nicht. Man kann z.B. 300 Jahre zu Hause das Licht eingeschalten lassen, und hat dann erst die gleiche Klimawirkung wie bei einem Flug nach Südamerika und zurück. 

Ein schönes Beispiel. Aber Fakten allein bringen die Leute nicht zwangsläufig zum Umdenken. 
Fakten allein reichen nicht, nein. Der Klimawandel als physikalisches Phänomen ist sehr gut erforscht. Wissenschafter:innen wissen: Er ist ein massives Problem und er ist menschgemacht. Dabei ist man sich ungefähr so sicher wie beim Thema Schwerkraft. Oder bei der Frage, ob die Erde rund ist. Die Fakten liegen am Tisch. 

Moralisches Lizensieren: Illustration nach Brudermann
Bild: Screenshot: klimapsychologie.com

Die Konsument:innen als handlungsmächtige Player im Kampf gegen die Klimakrise. Oder die Politik und Wirtschaft als diejenigen, die den Unterschied ausmachen. Wie ist da Ihre Position?

Diese Verantwortung wird immer wieder hin und her gespielt, was nicht sonderlich produktiv ist. In einer komplexen globalisierten Welt ist niemand allein verantwortlich. Es braucht sehr viele kleine Puzzleteilchen, die dann im Gesamtbild so etwas wie einen Pfad in Richtung Klimaneutralität und Nachhaltigkeit zeichnen. Als Einzelpersonen tun wir uns da sehr schwer. Weil mein einzelner Beitrag immer klein ist und man die unmittelbare Wirkung nicht sieht. 

Geht es auch um Desinformation?
Definitiv, und die war zuletzt leider sehr erfolgreich. Der Anteil derer, der in Österreich den menschgemachten Klimawandel leugnen bzw. anzweifeln, war schon unter zehn Prozent. Leider ist er wieder gestiegen, auf zuletzt 28 Prozent. Und da sind wir schon wieder beim Sich-Selbst-Gutfühlen-Wollen. Denn solche Desinformationen, wo auch immer sie gestreut werden, lenken ja von der eigenen Verantwortung und Mitverantwortung ab. Und verfangen sich auch bei denen, die Klimawandel als Herausforderung sehen, aber eben noch „hoffen“, dass es eh nicht so schlimm ist. 

Viele klimafreundliche Entscheidungen sind mit Gewinn verbunden. Weniger Fleisch essen ist z.B. nicht nur gut fürs Klima, sondern auch für die eigene Gesundheit. Warum nehmen wir diese Gewinne so selten wahr? 
Veränderungsaversion ist da das Stichwort. Wir sind tendenziell skeptisch, wenn es darum geht etwas zu verändern. Da kommen wir unserer evolutionsgeschichtlichen Prägung nicht ganz aus: Neue Wege zu gehen war in der Menschheitsgeschichte bisweilen lebensgefährlich, während uns das Altbekannte zumindest nicht umgebracht hat. Aber: Menschen sind neugierig, wollen Sachen ausprobieren. Das könnte man politisch stärker nutzen. Warum nicht z.B. ein Sommerfest oder den Adventmarkt in der Stadt in die Länge ziehen und so den Leuten zeigen, dass eine autofreie Straße etwas Schönes, positives ist. Dann ist die Bereitschaft, so etwas längerfristig umzusetzen, deutlich höher. 

Was die Menschen hingegen nicht wollen, ist verzichten... 
Prinzipiell sind wir schon bereit zum Verzicht. Es müssen aber zwei Grundvoraussetzungen erfüllt sein. Die Menschen müssen einen Sinn in dem Verzicht sehen. Und er muss zeitlich begrenzt sein. Beim Klimathema kommen wir da nicht hin. Der Verzichts-Frame ist völlig ungeeignet. Denn da gibt es nichts, wo man sagen kann, „das machen wir jetzt mal zwei Monate und dann ist genug“. Es geht um eine langfristige Transformation, die auch einen anderen Zugang braucht. Mein Vorschlag ist, dass wir von Tausch sprechen, von einer Investition. Wir tauschen ein paar Aspekte unseres Lebensstils ein, bekommen dafür aber auch etwas. Wir gehen öfter zu Fuß, fahren mit dem Fahrrad statt mit dem Auto, und bekommen dafür eine bessere Kondition, eine bessere Gesundheit. Mit Tauschhandel können wir Menschen auch evolutionsgeschichtlich viel mehr anfangen als mit Verzicht. 

In Ihrem Buch haben Sie sich Ausreden-Archetypen ausgedacht, heruntergebrochen auf Klimathemen – z.B. die Gewohnheits-Hanna oder den Aber-Hans – und im Comic-Stil illustrieren lassen. Auch den Schwierigkeitsgrad und die Wirksamkeit klimafreundlicher Entscheidungen (siehe Bild weiter unten, Anm.). Welche Idee steckt dahinter? 
Ich bin grundsätzlich ein humorvoller Mensch. Vielleicht ist da auch ein stückweit Bewältigungsstrategie dahinter. Jedenfalls erreicht man Menschen auf Dauer mit Humor besser als mit Katastrophenmeldungen, die man irgendwann nicht mehr hören kann. Diese Ausreden-Typen sollen den Leuten zwar den Spiegel vorhalten, kommen aber nicht mit erhobenem Zeigefinger daher. Wir haben es z.B. bewusst so gemacht, dass sie aussehen wie ich bzw. die Illustratorin. Auch um zu zeigen, dass wir über uns selbst lachen können. Die Hoffnung ist, dass man mit Humor die Augen, die Ohren und die Herzen der Menschen öffnen kann. 

 

„Der Hausverstand ist leider ein Depp“

 

Noch so ein Archetyp: Der Hausverstand. Der ist einer, der immer wieder herhalten muss, wenn es um Argumente geht, wie Klima- und Umweltschutz gemacht gehört. Bei diesen Themen hat er aber eigentlich nicht das richtige Qualifikationsprofil, oder?
Beim Hausverstand geht es um Erfahrungswissen. Wenn wir uns in bekannten Situationen wiederfinden, dann ist er durchaus nützlich: Schon zehn Mal so gesehen, Hausverstand sagt mir „das mach ich jetzt so“. Funktioniert super. Bei komplexen Herausforderungen, wie der Klimakrise, ist der Hausverstand leider ein Depp. Weil da sind wir in einer völlig neuen Situation, es ist unsere erste Klimakatastrophe. Da kommt man mit Bauchgefühl und Hausverstand leider nicht weiter. Es braucht etwas anderes. Kollege Steurer (Klimapolitologe Prof. Reinhard Steurer, Anm.) spricht z.B. immer vom hier notwendigen Sachverstand, also wissenschaftlichen Methoden und Erkenntnissen. 

Ihr Ansatz ist, die Wissenschaft mit einem Augenzwinkern unter die Leute zu bringen?
Wir Menschen sind prinzipiell neugierig, wir wollen ja durchaus verstehen. Auch wir Wissenschafter:innen sind gefordert, entsprechend leichter verdauliche Angebote zu machen. 

Illustration: Schwierigkeitsgrad und die Wirksamkeit klimafreundlicher Entscheidungen
Bild: Screenshot: klimapsychologie.com

Sie haben einmal gesagt, dass es im Abwägen, ob man etwas tun oder lassen soll, unterm Strich nur einen einzigen guten Grund braucht, der das Pendel Richtung „tun“ schwingen lässt. Das gelte auch für klimafreundliches Verhalten. Was sind das für Gründe?
Die Grundsatzfrage lautet: Was motiviert Menschen? Geld zum Beispiel, auch Anerkennung. Wenn allerdings diese externen Motivatoren wegfallen, dann fällt auch die Absicht zur Verhaltensänderung schnell weg. Intrinsische Motivatoren sind in aller Regel viel stärker. Es geht um den inneren Antrieb, der von außen schwer beeinflussbar ist. Ich mache etwas, weil ich es für das Richtige halte. Weil meine Kinder in einer guten Welt leben sollen. Weil Natur mir wichtig ist. Manche sind auch dadurch motiviert, weil sie zu etwas beitragen können, das größer ist als sie selbst. Diese Beitrags-Motivation kann sehr stark sein und sogar die anderen intrinsischen Motive in den Schatten stellen.

Was den Menschen schwerfällt: Weit in die Zukunft zu blicken. Selbst das eigene Ich in 10, 20 Jahren ist kaum greifbar, uns fast schon egal. Klimapolitisch ein ziemliches Desaster.
Mit dem Konzept Zukunft tun wir uns in der Tat schwer. Zukunft existiert nicht, sie ist immer eine Vorstellung. Und wenn sie dann da ist, dann ist es die Gegenwart. Allem, was mittel- bis langfristig weit weg ist, schreiben wir weniger Bedeutung zu. Gleichzeitig sind die Anreizstrukturen gesellschaftlich auf das Hier und Jetzt ausgelegt. Es geht immer darum, ein Bedürfnis im Hier und Jetzt zu befriedigen. Gerade in Klimafragen liegt der Nutzen aber oft in der abstrakten Zukunft, was schwierig für uns ist. Aber es funktioniert manchmal trotzdem, ein Beispiel sind Waldbesitzer. Die pflanzen die Bäume, die ihre Enkel oder Urenkel einmal ernten werden. Da schaffen wir Menschen es also, an die Nachfolgegenerationen zu denken. Von denen man gar kein Bild hat. Aber man machts. Weil man weiß, dass es das Richtige ist. Alle erfolgreichen Gesellschaften haben so gewirtschaftet, sonst hätten sie nicht überlebt. Problematisch wird es dann, wenn gewinnorientierte Konzerne ins Spiel kommen, die Zeithorizonte von ein paar wenigen Jahren haben, oder Shareholder-getrieben gar nur in Quartalen denken. 

Gibt es psychologische Kniffe, wie wir uns selbst austricksen können? Und die Ausreden dann auch mal bleiben lassen? Oder anders gefragt: Liegt in unserer Widersprüchlichkeit auch eine Chance?
Magische Tricks, die die gesamte Welt ändern, gibt es nicht. Aber natürlich kann man sich selbst ein stückweit austricksen, ein paar Sachen probieren. Zum Beispiel versuchen, sich bewusst den Versuchungen des fossilen Systems zu entziehen. Keine Werbung schauen, Newsletter abbestellen. Influencern, die ständig um die Welt fliegen, nicht mehr folgen. Man kann auch zu Hause das Fahrrad so parken, dass man sich damit den Weg zum Auto versperrt. Aber im Wesentlichen hängen viele unserer Alltags- und Konsumentscheidungen an den Rahmenbedingungen und Strukturen, die wir vorfinden. 

Und sind diese Strukturen zu starr, um sie zu ändern?
Wir haben schon einen gewissen Gestaltungsspielraum. Aber damit sich die Strukturen so ändern, dass sie Nachhaltigkeit ermöglichen, gehört natürlich sehr viel Politik dazu. Unsere Aufgabe ist es, diese Änderungen noch stärker einzufordern. Man kann sich in der Firmenkantine für gesundes Essen mit frischem Gemüse stark machen. Oder in der Gemeinde für neue Radwege. Sich nur an der Politik abzuputzen, ist aber auch nicht produktiv. Der konstruktivste Zugang ist sich zu fragen: Was kann ich im Rahmen meiner Möglichkeiten tun, und wie nehme ich andere dabei mit?

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