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Kinderfüße - Besser barfuß


Die ersten Lebensjahre sind eine sensible Phase. Der Kinderfuß muss sich noch ausbilden. Das kann er nur, wenn er ausreichend beansprucht wird – am besten beim Barfußlaufen.

In Strümpfe und Schuhe gesteckt führen Füße bei uns ein eher verdecktes und unbeach­tetes Dasein. Wenn sie auffallen, dann in der Regel ­negativ, etwa durch Schweiß­geruch. Sind sie kalt, empfinden wir das als höchst unangenehm. Genauso un­willkommen sind heiße oder bren­nende Fußsohlen.

Meisterwerk Fuß

In unserem Kulturkreis fällt der Fuß in den Zuständigkeitsbereich des Orthopäden. Für ihn ist er ein „Meisterwerk der Ingenieurkunst“, wie ihn schon Leonardo da Vinci beschrieben hatte. Ein Meis­terwerk, das uns ermöglicht, bergauf wie bergab zu gehen, auf Schotter wie auf Asphalt. Das uns in Balance hält und zu einem aufrechten Gang verhilft. Das Wirbelsäule und Kopf vor größeren Erschütterungen schützt, indem es zusammen mit den Knien und den Hüften die gewaltigen Kräfte abfedert, die auf­treten, wenn wir aus größerer Höhe auf den Boden springen.

Für den Orthopäden sind die Füße das Fundament unseres Stütz- und Bewegungsapparats. Der Mediziner achtet darauf, dass alle Teile dieses Systems optimal aufeinander abgestimmt sind und wie bei ­einem Uhrwerk ein Rädchen exakt in das andere greift. Alles soll wie geschmiert laufen, damit keine Fehlstellungen auftreten und es zu keinen Abnutzungserscheinungen kommt.

Mit gesunden Füßen auf die Welt

Wird ein Mensch geboren, ist mit seinem Fuß noch alles in Ordnung. Es gibt zwar ange­borene Fehlformen wie den Klumpfuß, doch die bewegen sich im Promillebereich. Der Klumpfuß ist heute bereits im Ultraschallbild der Schwangerschaftsuntersuchung erkennbar, eine Deformität, die als medizinische Indi­kation für einen Schwangerschaftsabbruch anerkannt wird. Flach wie ein Brett, so präsentiert sich der Fuß des Neugeborenen. Bei einem Erwachsenen würde diese Form Ärzte sofort in Alarmstimmung versetzen, doch bei einem Neugeborenen ist sie der Normalfall. Der kindliche Fuß muss sich erst entwickeln, wie auch die Beine nicht von Beginn an gerade sind, sondern zunächst eine Phase der O- und dann der X-Stellung durchlaufen.

Funktionelle Anpassung durch Ausübung der Funktion – das ist der Fachbegriff, mit dem Mediziner die allmähliche Reifung des Fußes umschreiben. Knorpel, Kapseln, Bänder, Sehnen, Muskeln – über all das verfügt das Kind von Anfang an. Doch ob es kräftige oder schwache Muskeln, lange oder kurze Sehnen ausbildet, das bestimmt es weitgehend selbst. Und damit auch die charakteristische Form seines Fußes.

Barfuß unterwegs

Barfuß unterwegs

Ein Fuß, der nie beansprucht und ­immer nur ruhig gehalten wird, kann sich kaum zu einem geschmeidigen Fuß entwickeln. Erst die Anforderungen, die an ihn gestellt werden, lassen den Fuß reifen. Und die Übung macht den Meister. Je abwechslungsreicher das Programm, desto differenzierter auch seine Ausbildung. Just aus diesem Grund propagieren fast alle Ärzte das Barfußlaufen. Das Kleinkind soll lernen, sich nicht nur auf glattem Boden zu bewegen, sondern auch im Sand und auf Kies. Eine gute Schule für die Fein­motorik.

Am Ende des ersten oder zu Beginn des zweiten Jahres richtet sich das Kind auf, aus dem „Vierfüßler“ wird ein „Zweifüßler“. Man sagt es richtig: Es lernt laufen. Am Anfang kann es noch nicht stehen oder gehen, sondern es läuft. Und das mit großer Lust, hin und her, vor und zurück. Bewegung ist gut und richtig, denn nur so gelingt die Feinabstimmung. Mediziner sprechen hier von einer „sensiblen Phase“. Sensibel deshalb, weil der Mensch in diesen ersten Jahren nicht nur seinen Fuß, sondern seinen gesamten Haltungs- und Bewegungsapparat ausbildet. Genau genommen handelt es sich um ein Wechselspiel zwischen genetischem Programm und Formung.

Erst Knorpel, dann Knochen

Der kindliche Fuß ist am Anfang noch weich, besteht aus Knorpel. Erst später bilden sich Knochen aus, eine Längs- und Querwölbung sowie eine deutliche Trennung von Groß­zehen- und Kleinzehenballen. Jedenfalls bei gesunder Entwicklung. Was in dieser frühen Phase versäumt wird, kann später kaum nachgeholt werden. Und was „verpfuscht“ wird, lässt sich genauso wenig oder nur mit großem Aufwand korrigieren. Ein Schuh hat im Kleinkindalter deshalb nur eine Funktion: Er soll vor Verletzungen schützen. Alles ­andere behindert nur die so wichtige „funktionelle Anpassung“ des Fußes.

Es scheint, dass das Kind innerhalb kurzer Zeit laufen lernt. Gewiss, es steht schon nach wenigen Monaten auf eigenen Beinen. Doch erst im Jugendalter ist die Feinabstimmung bezüglich Koordination und Bewegungs­genauigkeit, Schnelligkeit und Reaktions­fähigkeit abgeschlossen.

Normal oder krankhaft?

Schnelles Wachstum der Füße

Füße wachsen schneller als Hände, Arme und Beine. Im Kleinkindalter nehmen sie monatlich um 1,5 mm, später um 1 mm zu. Mädchenfüße erreichen ihre Endlänge meist mit 12 oder 13 Jahren, Bubenfüße mit 14 bis 16 Jahren.

Im Alter von etwa sechs Jahren beginnt der Fuß eines Kindes äußerlich dem eines Erwachsenen zu ähneln. Er zeigt sich von seiner gesunden Seite, wenn er mit Ferse, Groß­zehenballen und Kleinzehenballen Bodenkontakt hat, also quasi auf drei Punkten steht. Wechselnde Aufrichtung und Senkung des Rückfußes, freie Beugung und Streckung der Zehen und pronatorische Gegenbewegung (Einwärtsdrehung) des Vorfußes zum Rückfuß sind Merkmale des leistungsfähigen Menschenfußes.

Kranke Füße

Ein hochgesprengter Fuß weist eine hohe Wölbung und einen hohen Rist auf, Flachfüße eine geringe Wölbung. Beides gilt hierzu­lande als physiologisch normal, Formen wie der Hohlfuß (extreme Wölbung) oder der Platt­fuß (keine Wölbung) dagegen als krankhaft.

Noch normal oder schon krankhaft?

In der Theorie hört sich das eindeutig und einfach an, erst in der Praxis zeigen sich die Schwierigkeiten. Die Schwierigkeit vor allem, eine Grenze zwischen individueller Form und Fehlform zu ziehen. Wie schmal darf ein „normaler“ Fuß maximal sein? Die dritte Zehe ragt über die zweite hinaus: Ist das noch eine Normvariante oder schon ein behandlungsbedürftiger Fall? Fragen, auf die Experten unterschiedliche Antworten geben. Wo der eine Arzt eine sofortige medizinische Intervention einmahnt, winkt der andere ab: Da brauchen wir überhaupt nichts machen! Das ist der charakteristische und unverwechselbare Fuß dieses Menschen!

10 Orthopäden, 10 Antworten

Gehe zu 10 Orthopäden und du bekommst 10 unterschiedliche Antworten. Ein Dilemma, das nicht aus der Welt zu schaffen ist und mit dem wir leben müssen. Wo die Grenze zwischen gesund und krank verläuft, das steht nirgends in der Natur geschrieben, das legt der Mensch selber fest – und jede Gesellschaft und jede Zeit kommt wieder zu neuen Festlegungen. Können die Abweichungen von Arzt zu Arzt schon groß sein, so sind die von Kultur zu Kultur mitunter eklatant. Der spitz zulaufende, nach unten abgeknickte Fuß, der sogenannte Lotos- oder Lilienfuß, gilt hierzulande als krankhaft. In China war er dagegen über Jahrhunderte bei Frauen das Schönheitsideal schlechthin (bis im Jahr 1949 den chinesischen Frauen per Gesetz untersagt wurde, ihre Füße zu diesem Zweck abzuschnüren.)

Auf die Füße gestellt

In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) ist der Fuß ein Zentrum der Energiebahnen. Und auch für Pfarrer Sebastian Kneipp sind Füße der Schlüssel für unser physisches und psychisches Wohlbefinden. Vor mehr als 100 Jahren propagierte er „kleine Fußreisen“ zur Kräftigung des Geistes und des Körpers. Barfußgehen im taunassen Gras und Wassertreten gehören auch heute noch zum selbstverständlichen Repertoire vieler Kuranstalten.

Selbst Philosophen beschäftigen sich mit den Füßen: Nicht im Sitzen, sondern im Gehen kommen dem Menschen die wirklich tiefen Gedanken. Und nur wer die Füße bewegt, verleiht seinen Gedanken Flügel, so die Überzeugung der Peripatetiker.

Interview Univ.Prof. Dr. Herbert Kristen

Konsument im Gespräch mit Univ.Prof. Dr. Herbert Kristen. Er leitete viele Jahre die SKA (Sonderkrankenanstalt) Zicksee, war später Chefarzt der AUVA (Allgemeine Unfallversicherungsanstalt) und schließlich ärztlicher Leiter des Reha-Zentrums „Weißer Hof“ in Klosterneuburg. Von 1981 bis 2005 arbeitete er als wissenschaftlicher Leiter des Forschungsinstituts für Orthopädie-Technik.  

Bild: Univ.Prof. Dr. Herbert Kristen

Univ.Prof. Dr.
Herbert Kristen

Bei Kinderfüßen sagen die einen Orthopäden, die Natur renkt das ein. Andere meinen, je früher ein medizinischer  Eingriff erfolgt, desto eher können Schäden vermieden werden. Wer hat recht?

Beide haben recht. Wir wissen aus Studien, dass sich 80 Prozent der Kinderfüße, die zunächst krank erscheinen, doch noch zu gesunden Füßen entwickeln, ohne dass von medizinischer Seite eingegriffen wurde. 20 Prozent bleiben allerdings krankhaft. Nun weiß der Arzt bei der Untersuchung nicht, zu welcher Gruppe der betreffende Fuß gehört. Entweder er macht zu viel oder zu wenig.

Wie entscheiden Sie in diesem Fall? Lassen Sie die Natur gewähren oder verordnen Sie gleich Einlagen?

Ich persönlich habe dieses Dilemma für mich so gelöst: Ist die Untersuchung vor dem Sommer, so warte ich erst einmal ab, denn Einlagen in Sandalen machen ohnehin keinen Sinn. Bei der Kontrolluntersuchung im Herbst schaue ich dann, ob sich der Fuß in der Zwischenzeit zum Besseren hin entwickelt hat. Ist das der Fall, vertraue ich weiterhin auf die Natur. Kam es allerdings zu keiner Besserung, so schreite ich ein.

Wie schreiten Sie ein? Was unternehmen Sie?

Das kommt auf den jeweiligen Fall an. Liegt ein Haltungsfehler vor, so ist z.B. Gymnastik angesagt. Der kleine Patient kann aktiv etwas für die Gesundung seiner Füße tun. Bei einem Formfehler reicht das nicht mehr aus. Hier ist zusätzliche Unterstützung angezeigt, etwa durch Einlagen. Und bei einer Fehlform kann, wenn überhaupt, nur noch eine Operation helfen. Der Orthopäde muss darauf achten, dass sich ein Haltungs- nicht zu einem Formfehler entwickelt.

Zusammenfassung

  • Keine Panik. Ein platter Babyfuß ist vollkommen normal. Erst ab der Volksschulzeit ähneln Kinderfüße allmählich denen der Erwachsenen.
  • Am besten barfuß. Ziehen Sie Ihrem Kind die Schuhe aus, sooft es geht. Und zwar nicht nur daheim in der Wohnung, sondern auch, wann immer es die Witterung erlaubt, im Gelände.
  • Abwechslung bringt’s. Wiese, Sand, Schotter, Schlamm. Je unterschiedlicher die Böden sind, auf denen ein Kind barfuß unterwegs ist, desto besser wird der Fuß trainiert.
  • Aufmerksam bleiben. Behalten Sie die Füße Ihres Kindes im Auge. Vor allem bei Wachstumsschüben werden Schuhe schnell zu klein.

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