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Kinder und Medikamente - Riskante Gratwanderung

  • Wenige Arzneimittel sind für Kinder untersucht und zugelassen
  • Säuglinge und Kleinkinder nie eigenmächtig behandeln
  • Dosierungen, Altersbegrenzungen und Einnahmezeiten beachten

Schwierige Versorgungslage

 

Kinder sind Patienten wie Erwachsene, sie haben Wehwehchen und schwere Erkrankungen und sind bei der Behandlung auf Arzneimittel angewiesen. Doch nur ein geringer Teil aller Medikamente ist für die kleinen Patienten auch tatsächlich zugelassen, neben Impfstoffen sind es meist Mittel gegen harmlosere Erkrankungen. Je schwerer die Krankheit und je jünger die Patienten, desto schwieriger ist die Versorgungslage. Für fast 90 Prozent aller Medikamente, mit denen auf Neugeborenen-Intensivstationen die besonders gefährdeten „Frühchen“ behandelt werden, bestehen beispielsweise keine entsprechenden Zulassungen.

 

„Off-Label-Use“

 

Ärzte haben deshalb häufig gar keine andere Wahl, als Kinder mit Präparaten zu behandeln, die gar nicht für sie gedacht sind. „Off-Label-Use“ (zulassungsüberschreitende Anwendung) nennen Mediziner diese Praxis. Daran hat auch eine EU-Verordnung vom Januar 2007 nichts geändert, die die Pharmafirmen dazu auffordert, neue und für diese Altersgruppe bedeutsame Medikamente (was für die meisten Mittel gilt) auch für Kinder zu testen. Das Problem beim Off-Label-Use liegt darin, dass der Arzt in der Regel über keinerlei Informationen hinsichtlich richtiger Dosis, Darreichungsform oder möglicher Nebenwirkungen bzw. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten verfügt. Die Verantwortung für die Folgen der Anwendung trägt er dennoch.

 

Teure Medikamentenentwicklung

 

Mangelnde Rentabilität ist einer der Hauptgründe dafür, warum so wenig Medikamente für Kinder zugelassen sind. Die Entwicklung von kindgerechten Medikamenten ist aufgrund des vergleichsweise geringen Bedarfs sehr teuer, zumal wenn es um selten auftretende Krankheiten geht. Dies geben die Hersteller auch unumwunden zu: „Das Missverhältnis von weit überdurchschnittlichem Entwicklungsaufwand und weit unterdurchschnittlichen Einnahmemöglichkeiten erschwert den Weg zu mehr zugelassenen Arzneimitteln für Kinder“, heißt es in einer Stellungnahme des deutschen Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller aus dem Jahr 2006.

Je nach Alter große Unterschiede

Je nach Alter große Unterschiede

 

Um genaue Erkenntnisse über Wirkmechanismus, Wirksamkeit oder Unbedenklichkeit der Arzneien zu erhalten, müssten zahlreiche klinische Studien an Kindern verschiedener Altersgruppen erfolgen. Neugeborene haben einen anderen Stoffwechsel als Kleinkinder, die sich darin wiederum von älteren Kindern und Jugendlichen unterscheiden. Bei Säuglingen und Kleinkindern sind viele Organe noch nicht ausgereift. Der Wasseranteil am Organismus ist bei Neugeborenen größer, der Fettanteil geringer. Dies hat Konsequenzen für Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung der Medikamente und beeinflusst damit auch deren Wirkung.

 

Dosierung mathematisch nicht zu lösen

 

Die Methode, die Dosis für Kinder arithmetisch pro Kilogramm Körpergewicht auf Basis der Erwachsenendosis zu ermitteln, ist häufig unzureichend. Ein Kind mit 20 Kilogramm Körpergewicht benötigt keineswegs ein Viertel der Dosis eines 80 Kilogramm schweren Erwachsenen. Im Gegenteil: Manchmal müssen Kinder sogar mehr einnehmen als Erwachsene. Früh- und Neugeborene „wachsen“ zudem sehr rasch von einem Dosisbereich in den nächsten hinein. Doch nicht nur was die Dosierung angeht, wären klinische Studien dringend vonnöten. Frühgeborene erhalten bis zu zehn Medikamente gleichzeitig, über Wechselwirkungen ist jedoch wenig bekannt, nicht nur bei den kleinen Patienten. Ein weiteres Problem stellt die Darreichungsform von Medikamenten dar. Kinder bis zum Alter von fünf Jahren können meist keine Tabletten, Kapseln und Dragees schlucken.

Behandlung zu Hause

Akzeptanz

 

Medikamente sind oft bitter oder schmecken Kindern nicht. Bestimmte Mittel können deshalb gemischt mit Brei verabreicht werden. Die Einnahme von Tropfen oder andere Lösungen lässt sich häufig mit einem Stück Würfelzucker versüßen. Um Wirkungsverluste oder Wechselwirkungen auszuschließen, sollten Sie zuvor jedoch beim Arzt oder Apotheker rückfragen, ob diese Art der Verabreichung möglich ist. Bei starker Ablehnung kann der Arzt unter Umständen ein ebenfalls wirksames, aber besser schmeckendes Mittel verschreiben. Bei flüssigen Medikamenten den Löffel nicht zu voll machen, sondern die Menge auf zwei Portionen aufteilen.

 

Anwendung

 

Medikamente einem Säugling oder Kleinkind nie ohne vorherige Rücksprache mit dem Arzt verabreichen. Kinder ein Arzneimittel nie alleine einnehmen lassen. Altersbegrenzungen und verordnete Dosierungen einhalten, keine eigenmächtige Veränderung der Dosis vornehmen. Genau darauf achten, ob das Arzneimittel vor, mit oder nach einer Mahlzeit eingenommen werden soll.

 

Darreichungsform

 

Lösungen (Tropfen, Sirupe, Säfte, Suspensionen): Bei Säuglingen und Kleinkindern am besten mittels Pipette oder Spritze (ohne Nadel!) verabreichen. Das Kind so halten, als ob man es füttern wollte, und die Lösung in den Mund fließen lassen. Ältere Kinder können die Arzneimittel bereits mit einem Löffel einnehmen. Das Medikament nie direkt aus der Flasche geben.

 

Tabletten: Kinder unter fünf Jahren können meist keine Tabletten einnehmen. Es gibt allerdings lösliche Tabletten, diese (und nur diese) können in Wasser aufgelöst werden. Nur wenig Wasser verwenden, da sich der Wirkstoff ablagern kann und unter Umständen nicht vollständig eingenommen wird. Tabletten nicht in Softdrinks, Tee, Saft oder Milch lösen, da durch Inhaltstoffe des Lebensmittels die Wirksamkeit des Arzneimittels beeinträchtigt oder ungünstig verändert werden kann.

 

Aufbewahrung

 

Medikamente, egal ob für Kinder oder Erwachsene, müssen sicher aufbewahrt werden. Kindersichere Verschlüsse genügen dabei nicht. Vor allem ältere Kinder sind häufig in der Lage, auch diese Verschlüsse zu öffnen.

Homöopathika und Phytopharmaka

Homöopathische, anthroposophische Tropfen, Bachblüten. Diese Präparate (Ausnahme: Globuli) enthalten viel Alkohol und sind für Kinder nicht geeignet. Ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich nicht belegt und geht über den Placeboeffekt nicht hinaus. Bei ernsthaften Beschwerden und Erkrankungen ist eine ärztliche Untersuchung und die Einnahme wirksamer Pharmazeutika zur Behandlung unverzichtbar.

 

Pflanzliche Arzneimittel (Phytopharmaka). Diese bilden entgegen einer weitverbreiteten Meinung keine sanfte Alternative zu synthetischen Medikamenten. Viele Pflanzenauszüge (Tinkturen, Tropfen) enthalten Alkohol in hoher Konzentration, sie sind daher für Kinder ungeeignet. Sirupe mit hohem Zuckergehalt schmecken meist gut. Dies erhöht zwar die Akzeptanz, kann aber dazu führen, dass Kinder mehr als die vorgeschriebene Dosierung verlangen. Eltern dürfen hier keinesfalls nachgeben. Pflanzliche Mittel, die Korbblütler (Kamille, Ringelblume etc.) oder Propolis enthalten, können Allergien auslösen. Arnika ist bei Kindern strengstens kontraindiziert, da es zu lebensbedrohlichen Zuständen kommen kann. Es gibt allerdings auch pflanzliche Mittel, die eine positive Wirkung haben – etwa Fencheltee, der bei leichten Beschwerden im Bauchraum (z.B. Blähungen) verabreicht werden kann.

Geeignete und ungeeignete Medikamente

Asthma. Bei korrekter Anwendung von Antiasthmatika treten bei modernen Cortison-Inhalationspräparaten (Pulver- und Sprayinhalatoren) keine typischen Nebenwirkungen auf. Die Corticoide gelangen beim Inhalieren nämlich nur in die Bronchien und nicht in den Blutkreislauf. Zur Erweiterung der Bronchien sind Beta-Sympathomimetika mit kurzer Wirksamkeit (Fenterol, Salbutamol) zur Notfallbehandlung geeignet. Lang wirksame Wirkstoffe (etwa Salmeterol) sind zur Dauerbehandlung geeignet. Die verordnete Dosierung ist zu beachten (max. Hubanzahl), da es bei Überdosierung zu einer Überlastung des Herzens kommen kann. Antiallergische Wirkstoffe, etwa Cromoglycinsäure, schützen die Schleimhäute und sind gut verträglich.

 

Durchfallerkrankungen. Durchfälle führen zu einem mitunter gefährlichen Wasserverlust! In diesem Fall sind Kombinationspräparate mit Glucose und Mineralstoffen die Mittel der Wahl. Darmlähmende Medikamente wie Loperamid dürfen Kindern nicht gegeben werden. Arzneimittel mit Mikroorganismen, z.B. Lactobazillen, können eventuell die Krankheitsdauer verkürzen. Ihre Wirksamkeit ist allerdings nicht abschließend belegt.

 

Erkältungskrankheiten. Der am weitesten verbreitete und wirksamste Hustenreizstiller ist der rezeptpflichtige Wirkstoff Codein. Dextrometorphan hat eine ähnliche, aber schwächere Wirkung. Beide Wirkstoffe haben den Nachteil, in hoher Dosierung die Atmung zu beeinträchtigen. Beim ebenfalls verschreibungspflichtigen, nicht von der Krankenkasse bezahlten Wirkstoff Noscapin (Präparat Tuscalman) tritt diese Nebenwirkung nicht auf.

 

Schleimlösende Hustenmittel sind Hustenstillern möglichst vorzuziehen. Der am besten geeignete Wirkstoff ist Ambroxol (Saft oder Tropfen). Ebenfalls zur Verfügung stehen Acetylcysteinpräparate. Pflanzliche Schleimlöser wie Thymian, Spitzwegerich und Efeu können eventuell hilfreich sein, manche Präparate haben allerdings einen hohen Zuckergehalt. Alkoholische Pflanzenauszüge sind für Kinder prinzipiell nicht geeignet.

 

Kombinationspräparate mit Paracetamol, Acetylsalicylsäure und Coffein sind für Kinder ungeeignet.

Einreibemittel mit ätherischen Ölen wie Minzöl, Kampfer und Menthol sind für Säuglinge und Kleinkinder nicht geeignet. Es besteht das Risiko eines Atemstillstands.

 

Abschwellende Nasentropfen sind bei fließendem Schnupfen unnötig. Bei verstopfter Nase sollte die Anwendung 3 bis 4 Tage und 3 Einzeldosen pro Tag nicht überschreiten, da es zur Abhängigkeit kommen und die Nasenschleimhaut ernsthaft geschädigt werden kann. Wenn überhaupt, dann konservierungsmittelfreie Nasensprays einsetzen. Häufig sind Nasenspülungen mit physiologischer Kochsalzlösung oder Meersalzsprays ausreichend.

 

Ohrentropfen werden gelegentlich bei Gehörgangsentzündungen verordnet. Vor der Anwendung mit der Hand oder in lauwarmem Wasser anwärmen, sonst empfindet das Kind sie als unangenehm.

 

Inhalation: Babys dürfen nur indirekt inhalieren. Dazu gibt es milde Inhalationstropfen, die auf Kleidung oder Kissen getropft werden können. Inhalieren mit warmen Kräuterdämpfen ist erst nach dem ersten Lebensjahr unter Aufsicht möglich. Dabei ein standfestes Inhaliergerät aus der Apotheke verwenden. Schüssel und Tuch sind zu gefährlich (Verbrühungsgefahr!).

 

Neurodermitis. Es stehen für Kinder geeignete entzündungshemmende Cortisonpräparate (Salben oder Cremen) zur Verfügung. Mögliche Nebenwirkungen sind Hautveränderungen. Tacrolimushaltige Hautpräparate haben diese Nebenwirkung nicht, dafür besteht ein Wechselwirkungsrisiko, z.B. bei gleichzeitiger Verabreichung von Impfstoffen. Welcher Wirkstoff im Einzelfall am sinnvollsten ist, entscheidet der Arzt.

 

Schmerzen und Fieber. Mittel der Wahl sind Präparate mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen. Paracetamol wird bei Kindern schon lange eingesetzt und kann bei genauer Einhaltung der Dosierung als sicher eingestuft werden. Lösungen und Zäpfchen sind die für Kinder geeigneten Darreichungsformen. Die Präparate dürfen auf keinen Fall überdosiert werden, da Paracetamol ein starkes Lebergift ist. Ibuprofen wird deshalb von vielen Kinderärzten bevorzugt, auch wegen seiner zuverlässigen Wirkung bei Schmerzen. Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin) darf Kindern unter 12 Jahren nicht verabreicht werden, da das lebensbedrohliche Reye-Syndrom bzw. Leberschäden auftreten können.

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