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Finanz-Strukturvertrieb - Hartes Brot

Wenn Frauen exzellente Verdienstchancen, gekoppelt mit einer kostenlosen Ausbildung in der Vermögensberatung, angeboten bekommen, sollten sie doch zugreifen. Oder?

Frauen in der Vermögensberatung – ein Erfolgsmodell?“ Der Titel der Podiumsdiskussion machte mich neugierig, ist doch die Finanzbranche eher von Männern dominiert. Und noch etwas reizte mich: Würde ich vielleicht für diese Tätigkeit geeignet sein? Eingeladen wurden Jungakademikerinnen, die Interesse am Beruf einer Vermögensberaterin auf selbstständiger Basis haben. Treffpunkt war ein Wiener Verein, der sich auf Frauenberatung auf dem Arbeitsmarkt spezialisiert hat.

Frauen: "Vertrauen erweckend" und "konsequent"

Ungefähr zwanzig Interessentinnen lauschten dem Vortrag des Direktors eines Allfinanzkonzerns. Wir erfuhren, dass das Finanzunternehmen in Deutschland gegründet wurde und bereits drei Millionen Kunden hätte. Seit einigen Jahren gibt es eine österreichische Tochter, die noch am Expandieren ist und deshalb Leute für die Vermögensberatung sucht. Gerade Frauen – so der Vortragende – hätten dafür gute Voraussetzungen, weil sie allgemein als „Vertrauen erweckend“ und „konsequent“ gelten. Zwei erfolgreiche Mitarbeiterinnen des Finanzdienstleisters erzählten daraufhin aus ihrem Berufsalltag, beide Mütter und noch in der Ausbildung. Neben den Fachseminaren haben sie auch Zeitmanagement-Techniken vermittelt bekommen, mittlerweile verdienten sie schon „gut“. Spezielle Vorkenntnisse hatten sie nicht. Dies ist im Karriereplan der Firma auch nicht vorgesehen. Dort kommen nur die weiter, die genügend Kunden oder Mitarbeiter akquiriert haben. Beide Damen machten einen zufriedenen Eindruck, auf ihr Finanz-Know-how waren sie sichtlich stolz.

Köder Karibik-Reise

So stieg auch mein Interesse im Verlauf der Veranstaltung – wirklich eine neue Perspektive für mich? Das Buffet bot Gelegenheit, mit den beiden erfolgreichen Damen direkt ins Plaudern zu kommen und meine Fragen loszuwerden, die sich inzwischen gestellt hatten: „Ist das Telefon-Marketing, um Kunden für eine Finanzanalyse zu suchen, nicht frustrierend?“ Nein, wurde ich beruhigt, es gäbe keine so genannten „kalten Kontakte“, grundsätzlich werde über Empfehlungen gearbeitet. Anders würden sie selbst nicht arbeiten wollen. Im Verwandten- und Bekanntenkreis fänden sich immer wieder Leute, die Bedarf an einer Vermögensberatung haben, und wenn sie sehen, wie seriös und gut die Betreuung ist, dann empfehlen sie einen gleich weiter, und so erweitert sich der Kundenkreis. Und: Wer neue Mitarbeiter für die Firma anwirbt, werde ebenfalls belohnt. Noch nie hätte sie in einer Firma so viel Anerkennung erfahren, versichert mir noch die ältere meiner beiden Gesprächspartnerinnen, eine ehemalige Teilzeitsekretärin. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe gibt es als Bonus eine Reise in die Karibik. Die habe sie bereits genossen.

Nach den tollen Reiseschilderungen wandte ich mich an den Direktor der Firma. „Warum werden eigentlich Akademikerinnen eingeladen, wo doch gar keine Vorkenntnisse für diese Karriere erforderlich sind?“, wollte ich wissen. Er erklärte mir, dass ihm Akademiker oft Leid täten, weil sie so schlecht verdienten. In der Vermögensberatung hätten sie hingegen großartige Einkommenschancen. Jetzt beschloss ich, sofort meine Anmeldung für das Berufsinformationsseminar (kostete das was?) auszufüllen.

Einsteiger verdienen wenig

Eine Woche später ging es dann los. Obwohl sich angeblich mehr angemeldet hatten, kamen außer mir nur zwei Damen. Ein freundlicher Tiroler stellte sich als unser Betreuer vor und präsentierte uns Details über den Allfinanzkonzern. Wir erfuhren, dass die Firma mit drei Banken und drei Versicherungen zusammenarbeitet und deren Produkte vertreibt. Nach der Darstellung der Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten war klar, dass es sich hier um einen Strukturvertrieb handelt. Alleiniger Maßstab sind „Einheiten“, die nur dann gutgeschrieben werden, wenn Abschlüsse für die Finanzprodukte getätigt werden. Für das Gewinnen neuer Mitarbeiter gibt es ebenfalls Erfolgseinheiten. Der Einstieg beginnt als „Vertrauensfrau“ mit nur 28 Schilling pro erreichter Einheit. Lukrativ wird es erst ab der Position eines „Agenturleiters“. Der bekommt schon 126 Schilling, der „Regionalgeschäftsstellenleiter“ sogar 140 Schilling pro Einheit. Bei einem Kunden sind im Durchschnitt an die 50 Einheiten zu erwarten. Das bedeutet, dass der Ranghöchste pro Abschluss mit 7000 Schilling rechnen kann, der Einsteiger nur mit 1400 Schilling. Nach dieser Darstellung der Verdienstchancen wurde noch das angenehme Betriebsklima gelobt. Bei einem Glas Sekt vereinbarten wir einen Einschulungstermin.

Zu Beginn der Einschulung herrschte trübe Stimmung: Eine Interessentin hatte sich die Sache offensichtlich anders überlegt und sich abgemeldet. Somit waren wir nur noch zwei Auszubildende. Aber unser Betreuer verstand es, uns wieder aufzubauen. Er verkündete, dass wir zwei Stufen überspringen und mit 84 statt 28 Schilling pro Einheit einsteigen dürfen. Durch diese Ausnahmeregelung fühlten wir uns geehrt. Wir konzentrierten uns auf die Erklärungen, wie eine Finanzanalyse beim Kunden durchgeführt wird. Anhand der Firmenbroschüren wurde uns gezeigt, wie ein professionelles Kundengespräch abzulaufen hat. Dieses bewährte Schema sollten wir auch einhalten: Vorstellung der Firma, Erfassung der Ist- Situation sowie der Ziele des Kunden, Auswertung der Daten mithilfe modernster Technik (die Firma stellt einen Laptop mit entsprechender Software zur Verfügung), Erstellung der Vermögensplanung, Beratung und Betreuung. Zu diesem Zweck gab es Rollenspiele, und an einem fiktiven Fall wurden Finanzstrategien aufgezeigt.

Meine Kollegin und ich waren ziemlich geschockt, als unser Betreuer sagte, dass wir nächste Woche schon zum Kunden gehen sollten. Bei den ersten Finanzanalyse-Gesprächen würde er noch dabei sein. Aber beim dritten Mal werde erwartet, dass wir bereits alleine agieren. Die nächsten Schritte, also Finanzstrategie und Beratung, würde er übernehmen. Wir hätten die erforderlichen Fachseminare ja noch nicht absolviert. Anschließend bekamen wir die Aufgabe, alle unsere Freunde, Verwandten und Bekannten aufzuschreiben. Je länger die Liste, desto besser. Für das nächste Mal stand das Kontaktgespräch auf dem Programm.

Frust am Telefon

Zu diesem Termin erschien meine neue Kollegin auch nicht mehr, also musste ich die Techniken eines erfolgreichen Kontaktgespräches alleine mit meinem Betreuer lernen. Für das telefonische Erstgespräch gab es auch Unterlagen, damit bei der Terminvereinbarung nichts schief ginge. Als Hausaufgabe wurde mir aufgetragen, diese Techniken zu üben und mir zu überlegen, wen ich als Ersten anrufen möchte. Ich begann in der Verwandtschaft und bekam gleich zwei Absagen. Erst als ich mich an die Liste der Bekannten machte, hatte ich Glück und konnte meinen ersten Termin vereinbaren, der allerdings umgehend wieder platzte.

Nach diesen Fehlschlägen leistete ich mir endlich eine Nachdenkpause. Ob dieser Job auch wirklich das Richtige für mich ist? Finanzdienstleistungen anbieten, von denen ich nicht viel weiß, geschult mehr in Verkaufstechniken als in Fachinhalten?

Ärgerlich auch die Firmenunterlagen. Unter „Teilnehmerbedingungen“ war zu lesen: „Gegebenenfalls kann ein Unkostenbeitrag für Arbeitsunterlagen oder, wenn nötig, für Verpflegung und Übernachtung je nach Seminarhotel eingehoben werden.“ Damit hatte ich ursprünglich nicht gerechnet.

Noch etwas störte: In dieser Firma ist keine unabhängige Vermögensberatung möglich. Sie empfiehlt nur die Produkte ihrer paar Partnerbanken und -versicherungen, arbeitet also nicht nach dem „best advice“-Prinzip. Zwar ist sie bei der Bundeswertpapieraufsicht als konzessioniertes Wertpapier-Dienstleistungsunternehmen registriert, aber dies allein dürfte noch keine Garantie für fundierte Beratung sein.

Typisches Frauenschicksal

Zufällig lief ich einer Bekannten über den Weg, die früher als Chemikerin tätig war. Nachdem ihre Kinder ins Schulalter gekommen waren, machte sie sich auf die Suche nach einem Teilzeitjob und landete ebenfalls in einem Finanz-Strukturvertrieb. Gut geschult, wollte sie mich gleich als Mitarbeiterin anwerben. Doch da hatte sie bei mir keine Chance. Mittlerweile war ich zu der Auffassung gekommen, dass Strukturvertriebe Ausbeuter sind. Ein paar Monate später traf ich sie wieder und erkundigte mich nach ihrer beruflichen Karriere. Sie erzählte, dass sie in acht Monaten nicht mehr als 40.000 Schilling verdient hätte. Sie musste viel unbezahlte Vorarbeit leisten, nur jeder dritte Kunde würde tatsächlich einen Vertrag abschließen, jammerte sie. Doch da ihr freie Zeiteinteilung als Mutter sehr wichtig ist und sie keine Alternative hat, wird sie sich mit ihrer „Karriere“ im Strukturvertrieb wohl noch einige Zeit abfinden müssen.

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