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Altersdiabetes - Früh erkennen und richtig behandeln

Viele Diabetiker wissen nichts von ihrem Leiden. Bei unzureichender Behandlung drohen schwere Folgekrankheiten. Grundvoraussetzung für eine wirksame Therapie ist Disziplin.

"Kerngesund hab ich mich gefühlt ..."

Kerngesund habe ich mich damals mit 43 gefühlt. Da fiel mir eine Wunde an der Ferse auf. Die habe ich geschmiert und geschmiert, doch die Ferse ist schwarz geworden: Blutzucker! Heute weiß ich, dass ich damals schon jahrelang Diabetes gehabt haben muss“, erzählt Doris Wiener, „trotzdem habe ich die Diagnose anfangs nicht ernst genommen.“ Dann war der Blutzucker über Jahre schlecht eingestellt, und so konnte die Krankheit ihr zerstörerisches Werk weitertreiben: „Ich habe Probleme mit den Augen bekommen, und es waren einige Laserbehandlungen nötig.

Herzinfarkt und Schlaganfall

Zwei Jahre später: ein Herzinfarkt, im vergangenen Sommer ein leichter Schlaganfall. Immer wieder Geschwüre auf den Fußsohlen, die schlecht verheilen.“ Schließlich kam Doris Wiener mit einem Lungeninfarkt ins Krankenhaus. Dort übernahm die Diabetologin ihre Versorgung. „Nun fühle ich mich gut betreut. Viermal täglich messe ich den Blutzucker, notiere die Werte und gebe sie der Diabetologin wöchentlich telefonisch durch.“

Krankheit bestimmt den Alltag

Frau Wiener kann nur noch halbtags arbeiten, die Krankheit bestimmt ihren Alltag: „Ich muss jede Woche zur chirurgischen Fußkontrolle, sechsmal im Jahr zur Augenkontrolle, zweimal zur Nierenkontrolle. Ich bedaure, dass die Ärzte früher viel zu selten eine Kontrollmessung durchgeführt und mich nie angeregt haben, ein Tagebuch zu führen.“

Kein Einzelfall

Doris Wiener ist kein Einzelfall. Der Diabetes-Typ II, auch Altersdiabetes genannt, ist zur Massenerkrankung geworden. In Österreich leiden 30 Prozent der Bevölkerung an Übergewicht, bereits mehr als eine halbe Million Menschen sind zuckerkrank. Doch vier von zehn wissen es gar nicht. „Diabetes tut nicht weh, wird nicht erkannt, nicht ernst genommen und vielfach unzureichend behandelt“, umreißt der bekannte Diabetologe Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner das weltweite Problem. „Die meisten wissen über die Krankheit zu wenig, auch Ärzte tragen viel dazu bei.“

Dramatische Folgen

Wird nicht oder unzureichend behandelt, kommt es zu gefährlichen Spätfolgen: Schäden an den Blutgefäßen führen gehäuft zu Durchblutungsstörungen, Impotenz, Herzerkrankungen und Schlaganfall. Es drohen Erblindung und Nierenversagen, Geschwüre und Wundliegen, Nekrose an den Füßen führt letztlich zur Amputation. Nervenschäden lösen an Händen und Füßen brennende Schmerzen aus, führen zu Bluthochdruck und Verdauungsstörungen.

Das Bindegewebe verdickt sich schmerzhaft – Lebensqualität und Lebenserwartung sinken. In Österreich ist bei acht von zehn Typ-II-Diabetikern der Blutzuckerspiegel zu hoch eingestellt. Die Folge: Jeder zweite überlebt die Diagnosestellung nur zehn Jahre. Im internationalen Vergleich ist hier zu Lande auch die Rate der Amputationen hoch: Drei von fünf Amputationen wären vermeidbar, würden Durchblutungsstörungen rechtzeitig behandelt.

Speck weg und Bewegung

Basis der Behandlung von Typ-II-Diabetes sind Gewichtsreduktion und Bewegung. Ein Drittel der Diabetiker bräuchten keine Medikamente, wenn sie einige Kilos abbauen und sich regelmäßig bewegen würden. Damit gewinnen die Muskelzellen ihre Insulin-Empfindlichkeit zurück, sodass das vorhandene Insulin ausreicht. Leider schaffen Zuckerkranke selten allein die notwendige Lebensstiländerung.

Leben ändern ist schwierig

„Das ist nicht leicht“, meint die Allgemeinmedizinerin Dr. Erika Trappl, „wenn man immer unsportlich war und gerne gegessen hat.“ Diabetiker verdrängen häufig die Diagnose, wehren notwendige Maßnahmen ab, versäumen Kontrolltermine. Ohne eine dauernde Begleitung und Kontrolle ist das Durchhalten schwierig.

Lückenhaftes Netz

Doch dieses enge Netz fehlt in unserem Gesundheitssystem. „Finanzielle Strukturen verhindern die optimale Versorgung der Typ-II-Diabetiker“, kritisiert Dr. Erich Wolfrum, Leiter der Selbsthilfeorganisation „Aktive Diabetiker“. „Altersdiabetes wird beim praktischen Arzt behandelt. Dieser ist aber meist nicht ausreichend versiert, und er bekommt nicht einen Cent mehr für die aufwendige Betreuung von Diabetikern.“

Wenig gute Schulungen

Vereinzelt gibt es Verbesserungsversuche: So fördern Gemeinde Wien und Gebietskrankenkasse den Plan, für interessierte praktische Ärzte eine Ausbildung in qualifizierter Diabetes-Behandlung anzubieten. Vorteil für den Arzt: Nach dem Abschluss kann er eine diabetische Schwerpunktpraxis führen. Der Vorteil für Patienten ist die Koppelung an eine Qualitätskontrolle. Für Zuckerkranke ist eine Schulung wichtig, bei der sie über die Krankheit und Therapien informiert werden und lernen, mit Medikamenten und Problemen richtig umzugehen. In Deutschland haben Diabetiker sogar ein Recht darauf. Doch hier zu Lande gibt es viel zu wenige Schulungen in ausreichender Qualität.

Monatelange Wartezeit

Meist werden Diabetiker ins Krankenhaus überwiesen: zehn Tage, an denen sonst durchaus Gesunde ein Spitalsbett belegen – die denkbar teuerste Lösung. Einige niedergelassene Diabetologen bieten Schulungen an, doch die Wartezeit beträgt bis zu sechs Monate. Im Ausland, zum Beispiel bei unseren deutschen Nachbarn, gibt es bereits vorbildliche Versorgungsmodelle: Sie bündeln die medizinischen Kräfte, sichern die Qualität und verpflichten Patienten zum Mittun. Die österreichische „Plattform Diabetes“ hat Leitlinien für gute Versorgung erarbeitet, aber eine politische Durchsetzung ist noch nicht in Sicht.

Selbst Spezialist werden

Für Diabetiker gilt deshalb, selbst zum Spezialisten für ihre Krankheit zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Neben der Beratung durch den Hausarzt sollten Erkrankte von Anfang an die Praxis eines Diabetologen oder eines Internisten mit Spezialausbildung aufsuchen. Selbsthilfeorganisationen geben Auskunft, wie man sie finden kann.

Erster Schritt ist stets eine Änderung des Lebensstils (siehe „Mit Altersdiabetes leben“). Reicht die Lebensstiländerung allein nicht aus, müssen Medikamente angewendet werden.

Behandlung

Ziel ist, die Blutzuckerwerte zu normalisieren: Sie sollten vor einer Mahlzeit bei 110 mg/dl (Milligramm pro Deziliter), nachher unter 140 mg/dl liegen. Je besser das gelingt, umso geringer ist die Gefahr von Komplikationen. Hauptproblem dabei ist die Gefahr, über das Ziel hinauszuschießen, sodass eine gefährliche Unterzuckerung (Hypoglykämie), ein „Hypo“, entsteht. Auch der Bluthochdruck muss gesenkt werden.

Für die Behandlung mit Medikamenten stehen verschiedene Mittel zur Verfügung: der Stoff Metformin, Sulfonylharnstoffe und Acarbose. Sie setzen an unterschiedlichen Stellen an.

Metformin (zum Beispiel in Diabetex, Glucophage, Meglucon, Metformin Arcana, Metforminhydrochlorid ratiopharm, Metformin Tyrol Pharma, Orabet) ist für Übergewichtige hinsichtlich Langzeitrisiken den Sulfonylharnstoffen und Insulin überlegen und gilt als Mittel der ersten Wahl. Es ist das einzige Mittel, das mit allen anderen kombiniert werden kann. Allerdings eignet es sich wegen einiger Ausschließungsgründe nicht für alle Diabetiker.

Eine genaue Planung und begleitende, strikte Kontrolle durch den Arzt, insbesondere der Nierenfunktion, ist wichtig. Die Tabletten werden über den Tag verteilt immer nach dem Essen eingenommen. Eine Blutzuckermessung ist mehrmals am Tag nötig. Häufig kommt es zu Magen-Darm-Problemen und zur Gewichtsabnahme. Bei Krankheit und Operation muss das Mittel abgesetzt werden. Selten aber gefährlich ist eine Anreicherung des Blutes mit Milchsäure (Laktatazetose).

Sulfonylharnstoffe (mit Glibenclamid, zum Beispiel in Daonil Aventis, Dia-Eptal, Euglucon Roche, Euglucon Hoechst, Glibenclamid Genericon, Glucobene, Glucostad, Normoglucon, Semi-Euglucon Hoechst sowie Glimepirid in Amaryl) regen die Bauchspeicheldrüse zur Insulinproduktion an. Weil der Körper den Stoff langsam ausscheidet, wird die Tagesdosis vor dem Frühstück eingenommen.

Die Zeitabstände für das Essen und die Blutzuckermessungen werden genau festgelegt. Bei ungewohnter körperlicher Anstrengung und fieberhaften Erkrankungen muss der Arzt die Dosis anpassen. Alkohol ist verboten. Häufig kommt es zur Gewichtszunahme, das Risiko einer Unterzuckerung ist erhöht. Der Blutzucker muss regelmäßig gemessen werden, um rechtzeitig zu erkennen, wann eine Umstellung auf Insulinspritzen nötig ist.

Umstritten ist der langfristige Nutzen der  anderen Medikamente in Tablettenform.

Therapie mit Insulin

Gelingt es nicht, den Blutzucker inerhalb von sechs Monaten mit Tabletten einzustellen, muss Insulin gespritzt werden. Es gibt rasch wirkendes Normalinsulin, verzögert wirksame Insuline (Basal-Insulin) und kurz oder lang wirkende Kunstinsuline (Insulinanaloga). Mit Insulintherapie ist ein weitgehend selbstbestimmtes Leben möglich: Kranke können entscheiden, wann und was sie essen wollen, können Sport betreiben und reisen.

Dazu lernen sie in Schulungen, welches Mittel sie allein oder in Kombination mit anderen – in Abstimmung auf die selbst gemessenen Blutzuckerwerte – spritzen müssen. Das kann bedeuten, vier bis fünf Mal täglich zu messen und zu spritzen. Wer ein eher gleichmäßiges Leben führen will, kann zu fixen Zeiten eine festgelegte Art und Menge des Insulins spritzen, muss aber die Essenszeiten sehr pünktlich und die vorgeschriebene Kohlenhydratmenge genau einhalten und den Blutzucker mit täglich bis zu vier Urintests kontrollieren.

Ins Bauchfett spritzen

Insulin kann man mit einer Spritze mit aufgeschweißter Kanüle, mit einem Injektionsgerät, dem Pen, oder durch eine Pumpe in den Körper einbringen. Die Krankenkassen bezahlen Geräte und Zubehör für die Behandlung daheim. Es ist von Vorteil, in das Fettgewebe am Bauch zu spritzen und die Einstichstelle nach einem festen Schema jedes Mal zu wechseln.

Weil der Insulinbedarf sehr variabel sein kann, sollten Diabetiker lernen, wie sie selbst auf unterschiedliche Situationen reagieren können, oder engen Kontakt mit dem betreuenden Arzt halten. Kontrollen der Einstellung sind jeden bis jeden zweiten Monat nötig. Insulin muss bis zum Lebensende gespritzt werden.

Zuckerkrankheit hat zwei Gesichter

Aus der Nahrung gewinnt der Körper Zucker, der ins Blut übergeht. Normalerweise schwankt der Blutzuckerspiegel im Lauf des Tages: Nach einer Mahlzeit steigt er an, zwei Stunden später sinkt er wieder. Das Hormon Insulin, das von der Bauchspeicheldrüse erzeugt wird, sorgt für den Transport des Zuckers in die Körperzellen, die daraus Energie gewinnen.

Typ I

Wenn die Bauchspeicheldrüse nicht genug Insulin produziert, weil das Immunsystem die Insulin produzierenden Zellen zerstört hat, spricht man vom Diabetes mellitus Typ I . Er ist meist genetisch bedingt und tritt vor dem 30. Lebensjahr auf. Um zu überleben, muss dem Körper Insulin zugeführt werden.

Typ II

Anders entsteht der Typ-II-Diabetes :  Im Körper wird zwar ausreichend Insulin produziert, aber die Zellen des Muskel- und Fettgewebes reagieren nicht mehr sensibel darauf, die Glukoseaufnahme ist gestört. Die größten Risiken sind neben Veranlagung offenbar Übergewicht und Bewegungsarmut. Altersdiabetes tritt meist erst nach dem 30. Lebensjahr auf, doch heutzutage sind immer öfter auch übergewichtige Kinder davon betroffen.

Jahrelang ohne Beschwerden

Betroffene spüren häufig jahrelang nichts. Meist wird Altersdiabetes zufällig bei einer Routineuntersuchung entdeckt. Je besser es dann gelingt, den Blutzuckerspiegel möglichst innerhalb des normalen Rahmens zu halten, umso geringer ist die Gefahr von Komplikationen.

Mit Altersdiabetes leben

Richtige Ernährung . Entgegen früheren Konzepten wird heute keine strenge Diät verordnet. Als optimal gelten die Grundsätze der vollwertigen, fettarmen und ballaststoffreichen Mischkost. Alle Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, pflanzliche Fette sowie magere Sorten von Fleisch und Fisch sind willkommen; schnell lösliche Kohlenhydrate wie Honig, Reis, Weißbrot, Kartoffelpüree, Cornflakes, Limonaden sollten gemieden werden. So genannte Diabetes-Produkte zu naschen, lohnt nicht: Sie schmecken meist schal, sind teuer und bringen keinen Vorteil. Grundsätzlich sollten Diabetiker wenig Süßes und kleine Mahlzeiten essen, damit der Blutzuckerspiegel im Tagesverlauf nicht extrem ausschlägt.

Motivation in Gruppe. Um die Ernährungsumstellung durchzuhalten, ist es sinnvoll, einen entsprechenden Kurs für Übergewichtige, zum Beispiel an einer Volkshochschule, mitzumachen – in der Gruppe ist man eher motiviert.

Bewegung ins Leben. Fitness wirkt nachweislich lebensverlängernd, insbesondere bei Diabetikern, die eine Gewichtsabnahme nicht schaffen. Am besten ist eine sportliche Aktivität, die Freude macht und in den Alltag integriert werden kann, wie Wandern, Gymnastik, Tanzen. 30 Minuten flottes Gehen an fünf Tagen der Woche genügen, um die Lebenserwartung auf das normale Niveau zu heben. Rauchen einstellen!

Regelmäßig messen . Zur Kontrolle der Blutzuckereinstellung sind regelmäßige Messungen wichtig – je höher der aktuelle Wert, umso häufiger. Die dazu nötigen Geräte und Teststreifen werden von den Krankenkassen bezahlt. Wie sie zu handhaben sind, erklärt der Arzt. Diabetiker sollten sich auch angewöhnen, ihren Bluthochdruck regelmäßig zu kontrollieren, alle Werte genau protokollieren und sie zum Arztbesuch mitbringen. Sie sollten immer ein Stück Traubenzucker dabei haben und auch immer ihren Diabetiker-Pass mit sich führen. So ist medizinisches Personal sofort im Bilde, um die lebensrettenden Maßnahmen einzuleiten.

Körper beobachten. Diabetiker sollten auf ihren Körper achten: die Haut regelmäßig auf Geschwüre untersuchen, durch gutes Schuhwerk Entzündungen an den Füßen vermeiden. Günstig ist eine professionelle Fußpflege.

Regelmäßig untersuchen. Einmal pro Vierteljahr sollten Blutuntersuchungen durchgeführt werden: Es wird der so genannte HbA1c-Wert ermittelt, der den Langzeit-Blutzuckerspiegel der letzten drei Monate angibt. Gut eingestellte Diabetiker erreichen Werte zwischen 6,7 und 7,5 Prozent. Zusätzlich werden Blutfett-, Nieren- und Harnwerte sowie Leberenzyme gemessen, und der Blutdruck wird kontrolliert. Einmal im Jahr sollten die Füße, die Sehkraft und die Funktion der Nieren ärztlich untersucht werden.

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