Zum Inhalt
Gesichtserkennung enthüllt Identität von 2 Männern und 2 Frauen
Flickr und IBM: massiver Bruch des Datenschutzes durch Gesichtserkennung Bild: Andrey_Popov/Shutterstock

Gesichtserkennung - Ich kenne dich!

Während Echtzeit-Überwachung weltweit immer häufiger zum Einsatz kommt, wird über die rechtlichen Rahmenbedingungen oft erst nachgedacht. 

Riesige Datenbank aufgebaut

Im Jänner 2020 ließ eine Meldung Datenschützer aufhorchen. Das Start-up Clearview AI hatte eine riesige Datenbank zur Gesichtserkennung aufgebaut. Klammheimlich hatte das Unternehmen aus dem Silicon Valley über drei Milliarden Fotos von Personen aus dem Netz gesaugt.

Es bediente sich (und tut dies noch immer) vornehmlich in Sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram oder YouTube. Über eine Smartphone-App konnten Nutzer die Bilder auch selbst hochladen. Der Algorithmus glich sie mit dem bestehenden Material ab – und spuckte dann aus, was er zu bieten hatte: weitere Bilder der Person und Informationen über sie.

Kundenliste: Regimes, Unternehmen, Private

Der Firmengründer Hoan Ton-That reagierte. Er machte die Datenbank für die Öffentlichkeit wieder unzugänglich und ließ ausrichten, dass der Dienst nur mehr amerikanischen Behörden zur Verbrechensbekämpfung zur Verfügung stünde.

Doch US-Medien deckten auf, dass der Australier es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte. Bald wurde bekannt, dass auf der Kundenliste auch Organisationen autokratischer Regimes im Nahen Osten und Unternehmen standen. Etlichen Privatleuten soll es dadurch möglich gewesen sein, die Datenbank zu nutzen.

Technisch ist vieles möglich

Ein Besitzer einer US-Handelskette etwa ­spionierte den neuen Freund seiner Tochter mithilfe von Clearview aus. Ein anderer vermögender Herr wiederum prahlte auf einer Party mit dem Programm. Er hielt anderen Gästen sein Handy vor die Nase und erklärte, dass er nun ganz einfach Dinge über sie ­herausfinden könne. Geschäftsleute wurden, offenbar in der Hoffnung auf eine Firmen­beteiligung, mit kostenlosen Testversionen geködert und nutzten sie zum Spionieren, Angeben und um Spaß zu haben.

Der Fall zeigt: Technisch gesehen ist die Überwachung von Personen durch künst­liche Intelligenz bereits möglich – zumal auch die Großen der Branche längst an vergleichbaren Technologien arbeiten. 


Dieser Artikel wurde aus den Mitteln des Verbraucherprogramms der Europäischen Union (2014-2020) gefördert.

Dieser Artikel wurde aus Mitteln des Verbraucherprogramms der Europäischen Union (2014-2020) gefördert.

Video: Google spioniert Dich aus

Deutschland rudert zurück

IBM: Flickr-Bilder ausgewertet

Amazon etwa hat eine Software namens Rekognition entwickelt. Ihre Stärke ist, dass sie Gesichter aus den unterschiedlichsten Winkeln erkennt. Viele Überwachungskameras liefern ja von oben aufgenommene Bilder. Auch Microsoft hat sein eigenes ­System. Von IBM wurde bekannt, dass das Unternehmen über 100 Millionen Bilder der privaten Datenbank Flickr ohne Zustimmung der Nutzer analysiert hatte – offenbar, um die Algorithmen zu trainieren. Im Sommer 2020 verlautbarte IBM allerdings, die Geschäftssparte aufzugeben.

Gesichtserkennung bei Facebook

Anders bei Facebook: Das Soziale Netzwerk unterhält schon seit Jahren eine Software zur ­automatischen Gesichtserkennung. In den USA musste Facebook deswegen bereits Strafen in Millionenhöhe bezahlen und liefert sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Behörden. Erst deaktiviert Zuckerbergs Netzwerk die Programme, dann setzt es sie wieder ein.

In der EU ließ sich Facebook den Einsatz der Technologie perfiderweise im Zuge des Inkrafttretens der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) erlauben. Damals wurden den Nutzern die neuen, der DSGVO angepassten Bedingungen zur Einwilligung vorgelegt – mit einer klitzekleinen Klausel im Text, die auf den Einsatz der Gesichtserkennung hinwies.

Google dagegen hält sich auf dem Gebiet zurück. Es sei voller Risiken, erklärte Unternehmenschef Sundar Pinchai und forderte Regierungen auf, rasch Regeln zum Einsatz dieser Technologie aufzustellen.

EU: Entwurf gegen Massenüberwachung 

Die EU hat sich der Sache bereits ange­nommen. Die EU-Kommission prüft den Entwurf eines Arbeitspapieres über den Umgang mit künstlicher Intelligenz. Darin vorgesehen ist auch ein Verbot des Ein­satzes automatisierter Gesichtserkennung – sprich: Massenüberwachung im öffent­lichen Raum – für die nächsten drei bis fünf Jahre. Bis dahin, so heißt es, sollten die Auswirkungen der Technologie besser eingeschätzt werden können.

Österreich führt Gesichtserkennung ein

Einzelne Staaten testen derweil, wo und wie ihnen die sogenannte Face Recognition Technology nützlich sein kann. Die österreichische Polizei etwa hat mit 1. August 2020 still und leise eine Gesichtserkennungs-Software in den Regelbetrieb aufgenommen.

Nach einem Monat Probephase kommt nun das System der deutschen Firma Cognitec Systems in der EDV des Bundesministeriums für Inneres zur Anwendung, 2021 sollen auch die Landeskriminalämter Zugriff erhalten.

Konkret heißt das, dass die Polizei bei schweren Straftaten wie Banküberfällen Fotos aus Videos der Überwachungskameras generiert. Die neue Software misst bestimmte Merkmale in den Gesichtern und gleicht sie dann mit den Datenbanken der Polizei ab.

Deutschland rudert zurück 

In Deutschland gab es Anfang 2020 einen Gesetzesentwurf, der einen Schritt weiter Richtung Echtzeitüberwachung ging. Dieser sollte der Polizei eine automatisierte Gesichtserkennung an Orten wie Bahnhöfen oder Flughäfen ermöglichen. Ziel war es, Menschen zu fassen, die zur Fahndung oder polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben sind. Der Passus wurde jedoch wieder ­gestrichen. Es gäbe noch juristische Fragen und Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz, erklärte das Innenministerium dazu.

Echtzeit-Gesichtserkennung in London

Weniger zimperlich agieren die Sicherheitsverantwortlichen in London. Anfang 2020 gab die Metropolitan Police of London bekannt, dass sie Echtzeit-Gesichtserkennung einsetzt, um Kriminelle im öffentlichen Raum zu identifizieren. Damit preschten die Engländer in Gefilde vor, wie wir es sonst vorwiegend aus China kennen.

Totale Überwachung in China

Im Land der aufgehenden Sonne sind bereits Hunderte Millionen Kameras installiert. Die Technologie, mit der sie verbunden sind, soll bereits auf einem ziemlich akkuraten Level arbeiten und nicht nur für den polizeilichen Bereich vorgesehen sein. Vielmehr schwebt der Regierung vor, die Bevölkerung mittels Big Data möglichst genau zu rastern. 

Schleichende Einführung?

Inder finden die Technik cool 

In Indien herrscht offenbar ein ähnlicher Zugang zum Thema. Das Land, das nach China die zweithöchste Bevölkerungszahl aufweist, plant ebenfalls ein landesweites Gesichtserkennungs-System mit einer zen­tralen Datenbank für die Behörden.

Es soll Bilder von Videoaufnahmen automatisch abgleichen können und Alarm schlagen, wenn es eine gesuchte Person findet. Die Bevölkerung soll dem Vorhaben gegenüber vorwiegend positiv gestimmt sein. Eine Mehrheit findet derlei Systeme Berichten zufolge cool und trendy und freut sich über das dadurch steigende Sicherheitsgefühl.

Fleckerlteppich in den USA

Ein durchmischtes Bild zeigt sich in den USA. Während Behörden in zahlreichen Städten entsprechende Systeme einsetzen, haben einige Bundesstaaten und Städte den Einsatz von Gesichtserkennung per Gesetz verboten – darunter das Tech-Eldorado San Francisco.

Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird in der Sache wohlgemut experimentiert, wie sich etwa am Schulsektor zeigt. So haben im Südwesten der USA im Zuge von Corona Dutzende Schulen ihre Ein­gänge mit automatischen Fieberscannern ausgestattet.

Beim Kauf der Geräte wurden sie vom Anbieter darauf hingewiesen, dass diese nach dem Ende der Pandemie kei­neswegs nutzlos seien. Denn dank der eingebauten Gesichtserkennungstechnologie könne man die Gebäude künftig vor unerwünschten Eindringlingen schützen oder die An- und Abwesenheit der Schüler erheben.

Schleichende Einführung? 

Wegen Fällen wie diesen befürchten Datenschützer, dass Corona wie ein Booster wirken könnte, der solchen Systemen zu einem schleichenden Eingang in unseren Alltag verhilft. Der chinesische Anbieter Shenzhen Weiguan Views Technology etwa wirbt ­aktuell für Lösungen an Toren und Zugangskontrollen. Die Geräte sollen binnen einer Sekunde Temperatur und Identität einer Person erkennen.

Sie eigneten sich optimal für Gemeinden, Bürohäuser, Hotels, Schulen, landschaftlich reizvolle Orte oder Verkehrs­knotenpunkte, schwärmt das Unternehmen in einer Werbebroschüre. Und wer glaubt, dass die derzeit allgegenwärtigen Gesichtsmasken eine Identifikation erschweren, der unterschätzt die Schnelligkeit, mit der sich solche Systeme anpassen. So sollen die führenden Algorithmen bereits gelernt haben, sich auf die Analyse der Augen zu fokussieren, und auch dann Trefferquoten von über 95 Prozent erzielen.

Fehleranfällig, ungenau, rassistisch?

Wobei 95 Prozent eben nur 95 Prozent sind. In den restlichen fünf Prozentpunkten liegt eines der großen Probleme der Gesichts­erkennung. Denn auch wenn es sich auf den ersten Blick nur um einen kleinen Restwert handeln mag – im Fall einer Massenüberwachung sind es viele, die nicht oder fälschlicherweise erkannt werden. Außerdem haben Tests ergeben, dass die Algorithmen Frauen und dunkelhäutige Menschen weniger leicht erkennen als den "weißen Mann".

Sucht die Software etwa nach einer schwarzen Frau, dann kommt es sehr wahrscheinlich zu einer höheren Zahl an sogenannten False Alarms, also zu mehreren Identifika­tionen von weiblichen Personen, die nicht die gesuchte sind. Bürgerrechtler prangern den systemischen Rassismus in der Technik an. Er soll auch einer der Gründe sein, warum IBM die Sparte ganz aufgegeben hat und Amazon und Microsoft die Zusammen­arbeit mit polizeilichen Behörden vorerst ausgesetzt haben. 

Buchtipp: Handbuch Datenschutz

Buch: Handbuch Datenschutz
Bild: VKI

Ob das Bezahlen im Supermarkt, die Benutzung eines Smartphones oder das Surfen im Web: Vieles im Alltag ist mit dem Austausch von Daten verbunden. Sogenannte "Gratisdienste“ bezahlen Sie mit Ihren persönlichen Daten. Die großen Player wie Google, Facebook und Apple sind bekannt, doch im Hintergrund agiert eine große Zahl an Unternehmen, die Daten sammeln, auswerten und zu Geld machen. Dieses Buch gibt nicht nur Einblick in das Big-Data-Business, sondern motiviert zu einem möglichst sparsamen Umgang mit den eigenen Daten. Wo greifen die Datenkraken in unseren Alltag ein? Was können Sie tun, um Privatsphäre möglichst zu bewahren?

Aus dem Inhalt

  • Der Wert der Daten

  • Das große Geschäft

  • Die Datafizierung aller Lebensbereiche

  • Altbekannte Forschungsinstrumente

  • Die Vernetzung der Welt

  • Psychographische Segmentierung

  • Die neue Datenschutz-Grundverordnung

  • Lexikon der Datensammler

Leseprobe im Shop: https://konsument.at/hb-datenschutz

204 Seiten, 19,90 € + Versand

Links zum Thema

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

Das könnte auch interessant sein:

Pelzankauf mit Gold: Vorsicht vor Betrugsfalle

Pelzankauf mit Gold: Vorsicht vor Betrugsfalle

Fahrende Händler werben österreichweit auf Flugblättern mit Pelz- und Schmuckankauf. Die Überraschung lauert im Kleingedruckten: Pelz und Leder verkaufen kann nur, wer auch bereit ist, Gold zu veräußern.

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang