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Persönlichkeitsanalyse und Meinungsbeeinflussung - Soziale Medien im Wahlkampf

Der Facebook-Skandal hat gezeigt, mit welch fragwürdigen Methoden politische Parteien Wähler beeinflussen. Die Vorgehensweise ist so ausgeklügelt, dass wir in der Regel nichts davon bemerken.

Am 18. März 2018 wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft des US-Bundesstaats Massachusetts Ermittlungen gegen eine Firma namens Cambridge Analytica ein­geleitet hatte. Was danach folgte, war ein Riesenwirbel. Die an das damals weit­gehend unbekannte Unternehmen gerichteten Anschuldigungen gipfelten in einem der größten Datenskandale in der Geschichte der sozialen Medien.

Was war passiert? Whistleblower Christopher Wylie, ehemaliger Software-Architekt von Cambridge Analytica, berichtete, dass sein Arbeitgeber Daten von Millionen ­Facebook-Usern ausgewertet habe. An die 87 Millionen Nutzer weltweit waren betroffen – wie sich später herausstellte auch ­viele Europäer, darunter ca. 33.500 Österreicher.

Spionage-App mit falschen Vorzeichen

An die Daten kam Cambridge Analy­tica auf nicht ganz saubere Art und Weise. Die Firma installierte eine Dritt-App (also eine nicht von Facebook stammende App) namens "thisisyourdigitallife" auf Facebook. Die rund 270.000 User, die sie nutzten, taten dies im Glauben, einen Test zu machen und dabei der Wissenschaft zu helfen. Doch sie diente einem ganz anderen Zweck.

Digitale Psychometrie ...

Zuerst holte sich die App über die Testteilnehmer auch noch die Daten ihrer Facebook-Freunde. Dann wurden die Nutzer einer Analyse unterzogen. Dabei erstellt das Software-Programm profunde Persönlichkeitsprofile. Laut seinen Machern genügen schon zehn Facebook-Likes, um den Charakter eines Menschen besser einschätzen zu können, als dies ein Arbeitskollege könnte.

100 Likes reichen, um zutreffendere Antworten zu finden als ein Freund. Und 300 Likes benötigt das System, um einen Menschen besser einzuschätzen, als es der Ehepartner könnte. Das Verfahren, digitale Psychometrie genannt, basiert auf dem sogenannten Ocean-Modell. Es gilt nach dem derzeitigen Forschungsstand als universelles Standardmodell in der Persönlichkeitsforschung und basiert auf fünf Hauptmerkmalen einer Persönlichkeit: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Geselligkeit, Verträglichkeit (Rücksichtnahme, Kooperations­bereitschaft) und emotionale Labilität.

... führt zu maßgeschneiderten Nachrichten

Steht erst einmal fest, wie offen oder verklemmt, neurotisch oder ausgeglichen jemand ist, machen sich neue Algorithmen ans Werk. Sie suchen für die Zielperson maßgeschneiderte Informationen heraus und sorgen dafür, dass sie in der Facebook-Chronik eingeblendet werden. In der Regel sind es Nachrichten, die vom Inhalt her ihrem Weltbild am besten entsprechen und so formuliert sind, dass sie die Person punktgenau ansprechen.

Punktgenaue Entscheidungsbeeinflussung

Im US-Wahlkampf 2016 soll das Trump-Lager an nur einem Tag über 175.000 Mal die gleiche Botschaft über Facebook verteilt haben. Um den Empfängern optimal zu entsprechen, soll sie jedoch in winzigen Details abgeändert worden sein. Von bis zu 60 Versionen ein und derselben Message war die Rede. Die Ziele der Aktionen sollen je nach Empfänger unterschiedlich gewesen sein.

Während die einen grundsätzlich vom Wahlgang abgehalten werden sollten, wurden andere dazu gebracht, Hillary Clinton weniger wählbar zu finden. Menschen, die das Programm als möglicherweise dem ­Kandidaten Trump zugetan kategorisierte, bekamen andere Meldungen – etwa die Fake News, dass der Papst offiziell Trump unterstütze.


ECC: Co-funded by the European Union

Dieser Artikel wurde aus den Mitteln des Verbraucherprogramms der Europäischen Union (2014 – 2020) gefördert.

Politischer Prozess beeinflusst

Soziale Medien im Wahlkampf

Später wurde bekannt, dass Cambridge Analytica auch beim Brexit-Referendum seine Finger im Spiel gehabt hatte. Es ­wurde vom Flügel der Ausstiegswilligen ­genutzt. Auch in Asien, Afrika und Südamerika wurden die Dienste der Firma in Anspruch genommen.

Digitale Methoden in der Wahlwerbung werden mittlerweile von den meisten politischen Parteien eingesetzt, wenngleich nicht auf derart manipulative Art und Weise. Anlässlich der österreichischen ­Nationalratswahlen im Jahr 2017 war die Bevölkerung Zeuge einer unterhaltsamen Posse rund um Tal Silberstein und das Wahlkampfteam der SPÖ.

Es war eine große Blamage für die Partei, als bekannt wurde, dass die anonymen Sebastian Kurz verhöhnenden Facebook-Seiten nicht wie anfangs angenommen aus dem Umfeld der FPÖ stammten, sondern von den Wahlkämpfern der SPÖ ins Netz gestellt worden waren.

Politischer Prozess beeinflusst

All das veranschaulicht die Tragweite, die eine passgenaue Zielgruppen-Ansprache im Netz haben kann. Wenn es nur darum geht, eine Kaffeemaschine zu verkaufen, dann mag der Einzelne diese Methoden in Kauf nehmen. Doch offenbar ist es Unternehmen wie Cambridge Analytica egal, ob sie Kaffeemaschinen oder Ausländerfeindlichkeit "verkaufen" müssen.

Sie nutzen ihre Instrumente, um politische Botschaften maßzuschneidern, um Wähler zu desinformieren und sie zu beeinflussen. Sie schüren Ängste und lenken Weltbilder oft in eine radikalere Richtung. Sie greifen manipulativ in politische Prozesse ein und gefährden demokratische Grundwerte.

Werbeanzeigen und Netzwerkeffekte

Facebook: Machtvolles Medium statt Plattform

Dass es so weit kommen konnte, liegt zum einen an den beauftragenden Parteien und Firmen wie Cambridge Analytica, zum anderen an Facebook. Warum ließ das soziale Netzwerk das zu? Warum lässt es Fake News, Hassmeldungen und all den anderen Unsinn auf seiner Seite verbreiten?

Eine Antwort ist der Grundsatz von Facebook, den der Firmenchef Mark Zuckerberg nicht müde wird zu betonen: Man sei eine neutrale Plattform und kein Medium, auch wenn immer mehr Menschen Nachrichten immer öfter hauptsächlich über Facebook beziehen.

Werbeanzeigen und Netzwerkeffekte

Weniger gern redet er über die zig Milliarden Umsatz, die Jahr für Jahr lukriert werden. Wobei in dem Belang dieselben Logiken greifen wie bei einem Medium: Je öfter und länger der Nutzer das Produkt konsumiert, desto mehr wird verdient. Je länger der User die Chronik hinunterscrollt, desto mehr Werbeanzeigen können eingeblendet werden.

Die zwischendurch angezeigten Nachrichten werden jedoch nicht von Redakteuren zusammengestellt, sondern von Algorithmen. Und deren alleiniges Ziel ist es, den Nutzer so lange bei der Stange zu halten wie möglich. Ob es sich dabei nun um bedenkliche Inhalte oder um Fake News handelt, erkennt die Maschine nicht. Eine Nachricht aus dem SPIEGEL oder von KONSUMENT stellt sie bis auf das jeweilige Logo gleich dar wie jene eines Trash-Mediums wie etwa heftig.de. Grob gesagt funktioniert der Mechanismus nach folgendem Prinzip: Einschaltungen, auf die viele Nutzer reagieren, indem sie sie länger ansehen oder anklicken, erkennt das System als Erfolg. Sie werden dann immer öfter angezeigt.

Emotion vor Sachlichkeit

Und offenbar mögen die meisten Nutzer zugespitzte, polarisierende und dramatisierende Sensationsmeldungen lieber als um Sachlichkeit und Ausgewogenheit bemühte Artikel. Das Hysterische, die Erregung wird auf Facebook zum Normalzustand. Dinge wie Wahrheitsgehalt, Objektivität, Einordnungen und Relativierungen treten in den Hintergrund. Die Folge ist eine sich selbst verstärkende Meinungsspirale, die polarisierend auf die Gesellschaften einwirkt.

Als Reaktion auf den Skandal hat Facebook seine Algorithmen dahin gehend geändert, dass Nutzer wieder mehr Postings von Freunden und etwas weniger bezahlte „Nachrichten-Einblendungen“ zu sehen ­bekommen. Cambridge Analytica ist nach der ganzen Negativ-Presse in die Pleite gerutscht. Das Europaparlament hat im Oktober 2018 eine Resolution verabschiedet, in der Facebook nahegelegt wird, Änderungen vorzunehmen und sicherzustellen, dass das Portal mit dem EU-Datenschutzrecht in Einklang steht.

Politisches Profiling soll verboten werden

Die EU-Datenschutzbeauftragten appellierten an Facebook, eine vollständige und unabhängige Prüfung seiner Plattform zu erlauben. Außerdem wurden alle EU-Stellen dazu aufgerufen, ihre Kommunikation über soziale Medien zu überprüfen. Personenbezogene Daten von Bürgern dürften keinesfalls gefährdet werden. Das Sammeln von Infos über poli­tische Vorlieben und ein Profiling zu politischen Zwecken soll verboten werden, so der Wunsch des Parlaments. Die britische Datenschutzbehörde ICO hat, ebenfalls im Oktober, wegen des Datenskandals gegen Facebook die Höchststrafe von umgerechnet 565.000 Euro verhängt.

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Aus dem Inhalt

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204 Seiten, 19,90 € + Versand

 

 

 

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