Zum Inhalt

Fairphone - "Wir befinden uns auf einer langen Reise"

Das faire Smartphone aus den Niederlanden hat mehr erreicht, als man erwarten konnte. Die Fairphone-Chefin Eva Gouwens im Gespräch.

Fairphone, ein Non-Profit-Unternehmen aus den Niederlanden, ist seit 2013 auf dem Markt vertreten – durchaus erfolgreich. Mehr als 200.000 Mobiltelefone wurden verkauft, rund die Hälfte davon im deutschsprachigen Raum. Anspruch von Fairphone ist es, die äußerst komplexe Produktionskette der Smartphones möglichst ohne Ausbeutung von Menschen und ohne Schaden für die Umwelt zu gestalten.

Das soll durch Verwendung konfliktfreier Rohstoffe (abseits von kriegerischen Auseinandersetzungen oder krimineller Bandentätigkeit) sowie durch faire Arbeitsbedingungen und die Zahlung existenzsichernder Löhne gewährleistet werden. Zudem wird der geplanten Obsoleszenz der Kampf angesagt: Die Mobiltelefone sollen reparierbar und möglichst lange haltbar sein, am Ende ihrer Lebenszeit sollen die Teile möglichst vollständig wiederverwendet bzw. wiederverwertet werden können.

Fairphone: Modularer Aufbau

Gegen die Wegwerfmentalität: Beim Fairphone 3 können 7 Module ausgetauscht werden. Ohne Spezialwerkzeug – ein einfacher Schraubenzieher genügt.

Wir haben mit Eva Gouwens, seit Ende 2018 Vorstandsvorsitzende (CEO) von Fairphone, über Probleme und Perspektiven des Projekts gesprochen.

Eva Gouwens "Fairphone ist nicht wirklich fair, es unterscheidet sich gar nicht so sehr von anderen Mobiltelefonen." – "Es ist Mittelklasse, aber der Preis ist um 200 Euro höher." Diese Argumente kann man immer wieder hören. Was würden Sie einem Kritiker antworten?

Ja, solche Argumente habe ich auch schon oft gehört oder gelesen. Wir stehen zwar vor ähnlichen Herausforderungen wie die restliche Industrie, doch was den Unterschied ausmacht: Wir haben einen ganz anderen Zugang. So zum Beispiel das ressourcen- und materialschonende Produktdesign; die Art, wie wir mit Zulieferfirmen zusammenarbeiten, wie wir versuchen, bei der Beschaffung von Mineralien verantwortungsbewusst vorzugehen – also die Art und Weise, wie wir an die Aufgabenstellungen in dieser Industrie herangehen und versuchen, Lösungen zu finden. Das ist es, was Fairphone einzigartig macht.

Es mag schon sein, dass das Fairphone an die 200 Euro teurer ist als ein anderes Smartphone der Mittelklasse, aber das hat zwei Gründe: Erstens ist es das niedrigere Absatzvolumen, das uns von den Mitbewerbern unterscheidet; und dann, dass wir uns eben um Verbesserungen bemühen. Das ist es, wofür Sie bezahlen, wenn Sie ein Fairphone kaufen.


Neue Smartphone-Testergebnisse

Derzeit haben wir rund 300 Handys in unserem Produktvergleich. Darunter neuerdings auch das Fairphone 3. Wie es abgeschnitten hat, entnehmen registrierte Abonnenten unserem Produktfinder aufHandy: Tests, Netze, Know-how - Einstieg, Umstieg, Roaming, Testtabellen und Smartphones: Groß, fair, faltbar - Neues von Samsung, Fairphone & Co.

Wie fair ist Fairphone?

Wie fair ist Fairphone? Können Sie das in Prozenten ausdrücken?

Das ist eher eine philosophische Diskussion. Was wir sicher wissen: 100 Prozent sind es nicht. Wir befinden uns auf einer langen Reise, auf der wir uns Stück für Stück verbessern. Was wir messen können, ist der Prozentsatz an Mineralien aus verantwortlichen, konfliktfreien Quellen. Wir fokussieren auf acht Mineralien wie Kobalt, Wolfram oder Gold, die eine signifikante Rolle bei der Mobiltelefonherstellung spielen und bei denen der Hersteller einen wichtigen Einfluss ausüben kann. Da messen wir, wie hoch der Anteil aus verantwortlichen Quellen ist, und der beläuft sich aktuell auf 40 Prozent. Das ist aber nur ein Aspekt dessen, was wir als fair bezeichnen. Bei anderen Aspekten wie den Arbeitsbedingungen, wie viele Menschen von der Produktion profitieren usw. können wir nur versuchen, unseren Einfluss einzuschätzen.

Der Support, also die Kundenbetreuung des Fairphone 1 wurde nach vier Jahren eingestellt. Ähnlich beim Fairphone 2: Im März 2019 versprachen Sie noch, Ersatzteile würden für drei Jahre verfügbar bleiben, aber wenige Monate später stellte sich heraus, dass das Kamera-Modul nicht mehr erhältlich ist. Geht da nicht die Glaubwürdigkeit verloren?

Die einzige Antwort, die ich darauf geben kann ist, dass wir nicht perfekt sind. Unser Ziel ist, eine 5-Jahre-Verfügbarkeit zu garantieren. Wir werden in Hinkunft mehr Sorgfalt aufwenden, das ist unsere Lehre aus den Erfahrungen mit Fairphone 1. Was das Fairphone 2 betrifft, so sind Ersatzteile und Software weiterhin verfügbar, das Kamera-Modul nur mehr in Garantiefällen. Das ist in der Tat eine ärgerliche Situation. Wir suchen weiterhin nach einer Lösung. Das zeigt jedenfalls, wie komplex diese Industrie ist. Sie kalkuliert mit einem superschnellen Lebenszyklus. Die Folge ist, dass die Verfügbarkeit der Module sehr kurz ist. Damit müssen wir fertigwerden. Im Jahr 2017 hatten wir kurzfristig zu entscheiden, wie viele Kamera-Module wir in Zukunft brauchen werden, weil der Zulieferer die Produktion stilllegen wollte. Uns ist klar: Die Verfügbarkeit ist entscheidend, wenn du dein Fairphone länger nutzen willst. Wir visieren wie erwähnt 5 Jahre an und wir suchen nach Lösungen, wie wir die Situation weiter verbessern können.

Auf der Website oder in Ihrem Newsletter erzählen Sie immer wieder neue Erfolgsgeschichten. Überfordert das nicht Ihre Anhänger, die möglicherweise nichts anderes wollen, als ein halbwegs faires Produkt zu benutzen? Können die Nutzer sicher sein, dass ihr Telefon in einigen Monaten auch noch fair ist?

Ich denke, das hat sich im Lauf der Zeit geändert. Als Fairphone startete, waren wir so klein und unbekannt, dass unsere Follower alles erfahren wollten über Zustände in dieser Industrie. Heute mag es Leute geben, die nicht über alle Details informiert werden wollen, sondern einfach ein faires Produkt nutzen möchten. Wir streben daher ein ausgewogenes Verhältnis an. Wir bieten einerseits einfach verständliche Informationen an. Wer mehr herausfinden möchte, dem stellen wir umfangreiche Informationen zur Verfügung – über die kleinen Schritte vorwärts und die Verbesserungen, die wir zuwege bringen. Der Konsument kann also entscheiden, wie viel Information er von uns wünscht.

"Es geht um eine längere Nutzungsdauer"

Wenn bekannt wird, dass ein Zulieferer ernsthafte Defizite bei den Arbeitsbedingungen oder auf einem anderen Gebiet hat, sagt Fairphone, es sei besser, den Betrieb zu einer Verbesserung der Lage zu bewegen, als den Zulieferer zu wechseln. Ist das ein realistischer Zugang? Angesichts dessen, dass – etwa im Kongo – brutale Warlords das gesamte Geschäft kontrollieren?

Zunächst: Wir suchen immer nach Möglichkeiten, mit Partnern zusammenzuarbeiten. Bei allen Unternehmen in der gesamten Zulieferkette gibt es Leute, die bereit sind, Änderungen herbeizuführen; die Bescheid wissen über die gängigen Praktiken in der Industrie und über die Probleme, die es dabei gibt. Naiv wäre es, wenn wir von Amsterdam aus versuchen würden, die Dinge zu verändern. Wir suchen aber die aktive Partnerschaft vor Ort, suchen Leute, die mit der lokalen Situation vertraut sind.

Und was wichtig ist – etwa, was die Konfliktmineralien im Kongo betrifft: Wenn Sie sich zurückziehen aus diesen Bergwerken, weil die Arbeitsbedingungen schrecklich sind, dann würden Sie die lokale Wirtschaft zerstören. Das hilft niemandem. Ich finde, die Rolle von Fairphone muss sein, eine Nachfrage nach sauberen Mineralien zu erzeugen, um Anreize zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu schaffen. Daher denke ich, unser Zugang ist nicht naiv, er ist nur schwieriger; mit dem Ziel, die Situation vor Ort zu verbessern.

Sie sagen, Produkte zu verkaufen sei nicht der Weisheit letzter Schluss. Besser wäre es, die Hersteller würden ihre Produkte nur zur Benutzung anbieten. Dann hätten sie die Motivation, die Lebensdauer ihrer Produkte möglichst zu verlängern. Das kann ja bei Waschmaschinen gut funktionieren, aber bei Smartphones? Viele Menschen haben ein geradezu erotisches Verhältnis zu ihrem Handy, das wollen sie doch unbedingt besitzen.

Unser Ziel ist: Wir wollen, dass die Menschen ihr Telefon länger nutzen. Und dazu braucht es neue Business-Modelle. Derzeit ist es ja so, dass ein Unternehmen nur beim Verkauf eines Telefons Geld verdient. Wenn aber der Hersteller einen Service zur Benutzung des Telefons anbietet, bleibt er Eigentümer des Telefons und bleibt auch verantwortlich dafür. Dann wird er ein Interesse haben, dass das Telefon so lange wie möglich genutzt wird.

Auch jenen Personen, die eine besondere Beziehung zu ihrem Telefon haben, gilt es, einen Anreiz dafür zu geben. Wobei ich aber glaube, dass wir gerade einen Wechsel erleben – vom Eigentum zur Nutzung. Die jüngere Generation hat eine geänderte Haltung zum Eigentum, ist offener dafür, ein Produkt zu benutzen statt es tatsächlich zu besitzen. Aber so oder so: In beiden Fällen gilt es, die Leute zu motivieren, ihr Telefon so lange wie möglich zu behalten.

Wissen Sie, wie lange Fairphone-Kunden ihr Smartphone behalten? Länger als ein durchschnittlicher iPhone- oder Samsung-Nutzer?

Das kann ich nicht beantworten. Wir berechnen zwar unterschiedliche Unternehmenskennzahlen, aber um das zu messen, müssten wir individuelle Telefone nachverfolgen und das ist etwas, was wir nicht tun.

Trotz einiger Mängel kann man konstatieren, dass das Fairphone-Projekt alles in allem erfolgreich war. Weit mehr als man erwarten konnte. Was könnten Sie also jetzt noch erreichen?

Danke für das Kompliment. Aber es gibt eine Menge von Verbesserungen, die noch zu erreichen sind. Wir sind noch lange nicht fertig. Haben wir einmal Erfolg bei einem bestimmten Rohstoff erzielt oder die Arbeitsbedingungen in einem bestimmten Bereich verbessert, versuchen wir, uns mit anderen Unternehmen zusammenzutun, um dort die Situation zu verbessern. Es gibt mehr als genug andere Aufgabenstellungen, wo wir mit der Arbeit beginnen könnten. Wir haben mit dem Launch des Fairphone 3 einen großen Erfolg erzielt, und wir sind superstolz darauf. Aber unsere Mission ist hier nicht zu Ende. Es gibt mehr als genug Raum für Verbesserung und mehr als genug Ambition bei Fairphone, die Arbeit fortzuführen.

Wachstum und Vision

Was waren denn die schwersten Rückschläge?

Sie haben es bereits erwähnt – es war die mangelnde Verfügbarkeit von Ersatzteilen. Das war wirklich ein schmerzlicher Rückschlag. Wichtig ist für mich: Wir sollten daraus lernen und es von Neuem versuchen. Wenn du in dieser Branche versuchst, Dinge auf andere Weise zu tun, kann es sein, dass du gegen Mauern rennst und Rückschläge erlebst. Aber wenn der erste Versuch scheitert, müssen wir nach einer anderen Lösung suchen.

Was nervt Sie mehr: Ein Journalist, der überflüssige Fragen stellt? Ein Politiker, der viel verspricht und nichts hält? Oder ein Manager, der sagt, er hätte alles schon viel früher gewusst?

Ich bin nicht sicher, ob es wirklich überflüssige Fragen gibt. Ich schätze es, wenn Leute Fragen stellen. Also es ist sicher nicht Antwort eins. Was mich am meisten stört und was meinem Arbeitsumfeld viel näher liegt, ist die dritte Option. Ich arbeite ja mit Managern zusammen. Und ich hasse es, wenn Leute sagen, sie hätten es schon immer gewusst. Unsere Arbeit ist ja eine lange Reise, wir müssen schrittweise vorgehen. Man muss immer bereit sein, dazuzulernen und offen für Zusammenarbeit sein.

Werden Sie das Projekt Fairphone beenden, wenn sich herausstellt, dass Apple oder Samsung genauso fair sind wie Fairphone?

Wenn wir tatsächlich einmal mit einem Wettbewerb konfrontiert werden, wäre das sehr positiv. Ich denke, es ist unwahrscheinlich, dass uns die Themenstellungen ausgehen werden. Es gibt so viele Bereiche in diesem Sektor, die verbesserungswürdig sind. Daher: Sollten wir Konkurrenz von anderen Playern bekommen, würden wir das sehr begrüßen und die Messlatte höher legen für neue Zielsetzungen.

Welches Mobiltelefon verwenden eigentlich Ihre Kinder?

Also eines ist zu jung dafür. Die beiden anderen haben ein Secondhand-iPhone. Ich bekomme diese Frage öfter gestellt und ich gebe das offen zu. Natürlich freuen wir uns, wenn Leute ein Fairphone kaufen, wenn ihr Telefon nicht mehr länger genutzt werden kann. Aber bis dahin ist das nachhaltigste Telefon jenes, das sie gerade besitzen.

Sie sind zuständig für das Wachstum des Unternehmens, während Unternehmensgründer Bas van Abel für die strategische Vision verantwortlich zeichnet. Wer hat das letzte Wort, wenn es einen Konflikt zwischen Wachstum und Vision gibt?

Ich muss das ein bisschen korrigieren. Ich bin für beides verantwortlich, für unsere Vision und für das Wachstum des Unternehmens. Als Firmenchefin kann ich nicht isoliert arbeiten, wir sind ein Team. Wachstum ist wichtig, um unsere Vision zu erreichen. Je mehr Telefone wir verkaufen, desto mehr Menschen kommen unsere Initiativen zugute, desto mehr werden Menschen darüber sprechen usw. Ich mache in der alltäglichen Arbeit manchmal die Erfahrung, wie schwer es für ein sozial orientiertes Unternehmen ist, Ethik und Business miteinander zu vereinbaren. Da gerät man häufig in ein Dilemma. Wir versuchen laufend, daraus zu lernen. Aber Wachstum und Vision sind beides wichtige Elemente für den Erfolg des Unternehmens. Und ich denke, das kann Hand in Hand gehen.

Führungswechsel: Wir fragen Bas van Abel (Co-Gründer)

Bas van Abel ist Co-Gründer von Fairphone. Er hat die Führung an Eva Gouwens abgegeben und kümmert sich nunmehr im Aufsichtsrat um die strategische Ausrichtung.

Von ihm wollten wir die Gründe für sein Ausscheiden aus dem Management wissen. Ist es Resignation? Oder hat er bereits erreicht, was er wollte?

Bas van Abel"Ich sehe das gar nicht als Rückzug, sondern als logischen Schritt. Da unser Unternehmen von der Start-up in die Scale-up-(Expansions-)Phase übergegangen ist, musste sich auch unsere Führung entsprechend umstellen. Die Art der Führung, die erforderlich ist, um ein Unternehmen zu gründen, ist nicht die gleiche wie jene, um einem Unternehmen beim Ausreifen zu helfen.

Eva war die richtige Person, um dies zu tun. Ich bin als Gründer und als Aufsichtsratsmitglied immer noch eng mit Fairphone verbunden, aber ich bin nicht mehr derjenige, der im Alltagsgeschäft das Sagen hat. Das ermöglicht mir, mehr für die Kontinuität in der kreativen und strategischen Vision von Fairphone zu sorgen."

Links zum Thema

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

ePrämie: Eine Prämie fürs Stromtanken premium

ePrämie: Eine Prämie fürs Stromtanken

Besitzer:innen von Elektroautos können für ihre umweltfreundliche Art der Fortbewegung eine jährliche Prämie kassieren. Aber was ist der Sinn und Zweck dieses Anreizsystems?

Was ist eine Energiegemeinschaft?

Was ist eine Energiegemeinschaft?

Energiegemeinschaften sind eine Möglichkeit, sich direkt an der Energiewende zu beteiligen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.

Gefördert aus Mitteln des Sozialministeriums 

Sozialministerium

Zum Seitenanfang