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Babynahrung: Hersteller im Ethik-Test - Vom Ideal weit entfernt

  • Die Vermarktungsmethoden werden heftig kritisiert
  • Teilerfolge der großen Anbieter in Umweltfragen

Kritik an "großen" Herstellern

Es gibt reine Produkttests (Konsument-Test " Baby-Anfangsnahrung - Vermessen", in Heft 2/2005) und Ethiktests. Hier in diesem Test geht es um Babynahrung und Ethik. Und da fällt einem zuallererst die jahrzehntelange Auseinandersetzung gegen künstliche Säuglingsnahrung ein, in deren Mittelpunkt der Nestlé-Konzern als Weltmarktführer stand. Dieser, aber auch die beiden anderen großen Hersteller, Milupa und Hipp, wurden und werden für ihre Vermarktungspraktiken in der Dritten Welt massiv kritisiert.

Höhere Sterberate bei nicht gestillten Babys

Verunreinigtes Wasser, mit dem das Milchpulver angerührt wird, und die Unmöglichkeit, Flaschen und Sauger steril zu halten, hätten häufig Durchfall zur Folge – die häufigste Todesursache für Kinder. Laut IBFAN (Internationales Aktionsnetzwerk Säuglingsnahrung) kommen jedes Jahr 1,5 Millionen Babys ums Leben, weil sie nicht gestillt werden. „Alle 30 Sekunden stirbt ein Baby an unsicherer Flaschenfütterung“.

In den ersten Monaten lebenswichtig

Die Bedeutung des Stillens und des Verzichts auf industrielle Babynahrung während der ersten Lebensmonate wurde im Lauf der Jahre von fast allen Staaten der Erde anerkannt. Im Jahr 1981 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Kodex verabschiedet, der Mindeststandards für die Marketingpraktiken von Babynahrungsherstellern aufstellt, wenn auch auf freiwilliger Basis.

WHO empfiehlt 6 Monate stillen

Heute, fast ein Vierteljahrhundert später, hat sich zwar vieles zum Besseren gewendet. Aber IBFAN hat auch im Jahr 2004 wieder einen Bericht vorgelegt, in denen tausende Kodexverletzungen penibel aufgelistet werden. Die Hersteller beteuern, sich ohnehin rechtskonform zu verhalten. „Es werden die einschlägigen Normen sowohl des Rechts der Europäischen Union als auch Österreichs eingehalten“ (aus einer Stellungnahme des Verbandes der Nährmittelindustrie). Anne-Marie Kern, Präsidentin des Verbandes der Still- und Laktationsberaterinnen Österreichs (VSLÖ), kritisiert, dass der WHO-Kodex von der EU nur in abgeschwächter Form übernommen wurde.

„Die WHO empfiehlt, Babys sechs Monate ausschließlich zu stillen. Verbunden damit wird die Aufforderung an alle Staaten, alles zu tun, um Frauen dabei zu unterstützen.“ Davon sei man weit entfernt. Teilweise würden sogar gesetzliche Verbote missachtet. „Informationsmaterial, das Müttern ausgehändigt wird, darf keine Bilder enthalten, mit denen die Verwendung von Säuglingsanfangsnahrung idealisiert wird. An diese Bestimmung halten sich die Hersteller nicht.“

Die Stärken der Großen

Die Marketingmethoden überstrahlen alle anderen Gesichtspunkte sozialen Verantwortungsbewusstseins von Babynahrungsherstellern. Wir haben sie daher ganz bewusst im vorliegenden Ethik-Test ausgeklammert – um zu dokumentieren, wie das Verhalten der Hersteller insgesamt beurteilt werden kann. Wie umweltfreundlich ist ihre Produktion, wie behandeln sie ihre Mitarbeiter, wie werden Anfragen von Verbrauchern behandelt? Über 50 derartige Fragen wurden in unserem Vergleich bewertet.

Viele schweigen

Von den 10 in Österreich relevanten Anbietern von Babynahrungsartikeln haben 5 nicht geantwortet und damit gleich selbst ein Urteil über den Stellenwert von Ethik in ihrem Unternehmen geliefert. Dazu zählen neben Bebivita, Holle und Humana auch die Bio-Marke des Rewe-Konzerns Ja! Natürlich und der Zulieferer von Schlecker, Milasan. Einmal mehr zeigt sich, dass die großen Markenfirmen mittlerweile begriffen haben, dass sie gesellschaftliche Verantwortung zu tragen und dies auch zu zeigen haben, das heißt, dass sie die Öffentlichkeit über ihre sozialen und ökologischen Leistungen entsprechend informieren müssen.

Betriebsgeheimnis!

Kleinere Firmen klammern sich noch immer ans Betriebsgeheimnis. So hat die Schweizer Firma Holle um Verständnis gebeten, „dass viele der gewünschten Angaben Unternehmensinterna betreffen und unseres Erachtens nicht allgemein veröffentlicht werden sollen“.

Hipp: Steigerungsfähig ist selbst das deutsche Unternehmen Hipp, das mit 71 Prozent dem Punktemaximum noch am nächsten kam. Als ambitioniert erweist es sich vor allem im Bereich Umweltschutz. Für das Stammwerk Pfaffenhofen, sowie für den österreichischen Standort in Gmunden und den ungarischen in Hanságliget liegen Umweltzertifizierungen vor, nicht dagegen für die Werke in Kroatien und der Ukraine. Die Öffentlichkeit wird bereitwillig informiert, für die drei genannten Standorte liegen Nachhaltigkeitsberichte vor, die im Internet abrufbar sind. Trotz Fehlen eines Betriebsrates sind auch die Ergebnisse im sozialen Bereich passabel – jedenfalls besser als die der Mitbewerber.

Nestlé: Auch der Schweizer Nahrungsmittelmulti hat den Umweltschutz in den Unternehmensgrundsätzen verankert. Für einen Teil der Standorte liegen Zertifizierungen vor. Es gibt einen Betriebsrat, dennoch erreicht die soziale Performance in Summe nicht einmal 50 Prozent. Die Informationsbereitschaft ist zwar gegeben, allerdings reagiert man erst auf direkte Anfrage. Im Internet sind keine Angaben über die soziale Verantwortung frei zugänglich.

Milupa: Die zum niederländischen Royal Numico Konzern gehörige Firma kann keine Umweltzertifizierungen vorweisen. Die Zulieferbetriebe erhalten keine ökologischen Vorgaben. Geschäftsberichte gibt es nur in englischer Sprache.

Alnatura: Es gibt keine Umweltzertifizierung, es werden aber ökologische Mindestanforderungen gestellt. Das deutsche Unternehmen fällt vor allem durch seinen hohen Frauenanteil unter Führungskräften auf: 71 Prozent.

Töpfer: Keine schriftliche Verpflichtung zum Umweltschutz, keine Mindestanforderungen. Betriebsrat ist vorhanden. Kein Geschäftsbericht.

Mystery mail

Allen 10 Unternehmen wurde auch eine anonyme Anfrage zugesandt (mystery mail). Eine besorgte Mutter wollte Informationen über Babynahrung. Dreimal warteten wir vergeblich auf Antwort. Neben Bebivita und Milasan kam auch vom Branchenriesen Milupa keine Reaktion. Nur in 3 Fällen war die Stellungnahme in Ordnung: Hipp, Nestlé und Alnatura.

Interview mit VSLÖ-Präsidentin Anna-Marie Kern

Babynahrung wird immer noch idealisiert

Die Babynahrungshersteller behaupten, dass sie den internationalen Kodex zur Beschränkung der Marketingaktivitäten für Babynahrung einhalten. Kritiker in aller Welt hingegen – allen voran das Aktionsnetzwerk IBFAN –sprechen von systematischen Verletzungen. Wer hat Recht?

Die Hersteller halten vielleicht die österreichische Verordnung ein, die auf einer Richtlinie der EU basiert. Darin wird Anfangsnahrung strenger reglementiert als Folgenahrung. Aber international ist das nie unterschieden worden. Der internationale Kodex bezieht sich auf Muttermilchersatzprodukte, darunter fallen alle Produkte, die für Säuglinge unter sechs Monaten angeboten werden. Die WHO empfiehlt, Kinder 6 Monate ausschließlich zu stillen. Verbunden damit wird die Aufforderung an alle Staaten, alles zu tun, um Frauen dabei zu unterstützen. Leider sind die Vorschläge in der EU nur in abgeschwächter Form übernommen worden.

Hat sich in den letzten Jahren etwas gebessert?

Früher sind viele Stillprobleme mit dem Abstillen gelöst worden. Heute weiß man, dass beispielsweise wunde Brustwarzen bei richtiger Stillposition meist vermieden werden können, oder dass eine Frau bei einer Brustentzündung trotz Antibiotika-Abgabe weiterstillen kann. Dass Probepackungen mit Anfangsnahrung so einfach ausgeteilt werden, das gibt es heute auch nicht mehr.

Babynahrung immer noch idealisiert

Jedoch die Idealisierung von Babynahrung – die gibt es immer noch. „Das sichere Gefühl das Richtige zu tun, weil ich dich lieb hab`“(Nestle), “ Das Beste aus der Natur“ (Hipp), „Ihre Liebe. Unser Wissen“ (Milupa) –meiner Meinung nach sind solche Werbesprüche klare Verstöße gegen das Verbot der Idealisierung. Aber da kann man lange diskutieren...

Erfreulich ist, dass in den 14 von WHO/UNICEF ausgezeichneten „Stillfreundlichen Krankenhäusern“ in Österreich der internationale Kodex eingehalten wird und keine Werbung für Flaschennahrung gemacht wird.

Wie viele Babys werden eigentlich gestillt?

Die letzte österreichweite Datenerhebung dazu gab es 1998. Umfragen zufolge möchten über 90 Prozent der Frauen ihr Kind stillen. Das heißt, in Österreich ist die gesellschaftliche Stimmung relativ gut. Das sind sehr gute Voraussetzungen, wenn sie die nötige Anleitung und Unterstützung bekommen. Die Unterstützung in den Krankenhäusern ist sehr unterschiedlich, je nachdem,  wie viel Fortbildung das Personal hat.

Keine Daten über Zufütterung

Wir haben keine Daten dafür, wie viele Kinder aus den Krankenhäusern entlassen werden, die nichts zugefüttert bekommen haben. Je besser Frauen in den ersten Tagen beim Stillen angeleitet und unterstützt werden, desto weniger muss zugefüttert werden. Für Wien etwa kann man annehmen, dass maximal 30 % der Babys im Krankenhaus nicht zugefüttert werden.

Was ist denn das Haupthindernis dafür, dass sich das Stillen nicht stärker durchsetzt?

Prinzipiell sind alle fürs Stillen. Was vielerorts fehlt, ist eine fachgemäße Unterstützung der Frauen. Stillen spielt in der Ausbildung des Personals noch immer eine untergeordnete Rolle. Es sollten einheitliche Pflegestandards, „Evidence Based Care“, ausgearbeitet werden, an die sich alle halten können – von der Hebamme bis zum Kinderarzt. Eine weitere Schwierigkeit ist die, dass in Gesundheitseinrichtungen die Werbung für Flaschennahrung großteils weiterhin präsent ist.

Primarii verzichten nicht auf Geschenke

Viele Institutsvorstände möchten, angesichts der Einsparungen im Gesundheitswesen, auf die Zuwendungen der Hersteller nicht verzichten. Das kann von einer Kaffeemaschine oder einem Fernseher bis zu Einrichtungen der Schwesternzimmer oder medizinischen Geräten reichen. Firmen organisieren und finanzieren selbst Fortbildungen oder übernehmen für Ärzte die Kosten für Kongresse. Stationsschwestern werden zu einer Österreichrundreise in die tollsten Wellness-Hotels eingeladen, und beliebt sind auch die Weihnachtsfeiern, die von den Firmen finanziert werden.

Wichtig ist mir zu betonen, dass Flaschennahrung in manchen Fällen gebraucht wird, nicht alle Frauen können es sich aussuchen, ob sie stillen oder nicht. Es ist begrüßenswert, dass es Flaschennahrung in guter Qualität gibt. Das will ja niemand wirklich in Frage stellen. In Frage zu stellen sind aber bestimmte Marketingmaßnahmen, wie für Flaschennahrung geworben wird.

Wird Ihrer Ansicht nach nur der internationale Kodex verletzt oder werden auch Gesetze gebrochen?

Meiner Meinung nach wird auch die österreichische Verordnung nicht eingehalten, etwa wenn es um das Verbot von Werbegeschenken an Geburtskliniken geht.

Informationsmaterial, das Müttern ausgehändigt wird, darf keine Bilder enthalten, mit denen die Verwendung von Säuglingsanfangsnahrung idealisiert wird. An diese Bestimmung halten sich die Hersteller nicht.

Stillen Herstellern Verluste

Sie müssen sich vorstellen, was das für ein Markt ist. Es gibt rund 80.000 Geburten pro Jahr, die Kosten für Flaschennahrung belaufen sich auf 75 Euro monatlich. Wenn die Stillrate nur um einen Monat verlängert würde, gehen der Industrie sechs Millionen Euro verloren. Ein beliebtes Argument ist: „Wenn eine Mutter stillen will, dann lässt sie sich von der Werbung nicht davon abhalten.“ Aber glauben Sie wirklich, dass eine Firma Marketingmaßnahmen setzt, die sich nicht im Umsatzwachstum niederschlagen?

Welche Methoden sind aus Ihrer Sicht besonders zu verurteilen?

Es wird mir immer wieder berichtet, dass von den Vertretern der Herstellerfirmen ganz gezielt gegen die Initiative „Stillfreundliches Krankenhaus“ argumentiert wird und Falschmeldungen kolportiert werden.

Wie ist die Situation anderswo?

Die Auswirkungen von Flaschenernährung sind in den sogenannten Entwicklungsländern am dramatischsten. Dort gibt es kein sauberes Wasser und auch keine Möglichkeit, das Wasser abzukochen. Und gerade dort sind die Werbemaßnahmen am stärksten, weil die höchsten Geburtenraten locken. Da ist es ganz selbstverständlich, dass den Frauen bei der Entlassung ein Paket mit Flaschennahrung mitgegeben wird.

Indien: Werbung verboten

In Indien jedoch ist es gelungen, dank einer Gruppe engagierter Kinderärzte, die Werbung für Flaschennahrung gänzlich zu verbieten.

 

Anne-Marie Kern, Präsidentin des VSLÖ

VSLÖ – Verband der Still- und Laktationsberaterinnen Österreichs

So haben wir erhoben

Die Erhebung wurde vom VKI im Zeitraum August bis Dezember 2004 durchgeführt. Kern der Untersuchung ist eine Befragung der Unternehmen, ergänzt durch schriftliche Unterlagen des Unternehmens, Marktrecherchen, Gespräche mit Unternehmensvertretern und Interessensgruppen sowie mystery mails. Gegenstand der Untersuchung ist der Bereich Babynahrung des jeweiligen Unternehmens. Die Beantwortung erfolgte durch die Österreich-Vertretung bzw. durch die Muttergesellschaft (siehe dazu: Tabelle )

Die Kriterien sind in drei Bereiche gegliedert; bewertet wurde nach dem Grad der Erfüllung der Kriterien, maximal erreichbar wären 100 Prozent. Das Gesamturteil ergibt sich aus dem arithmetischen Mittel der drei Bereiche.

Folgende Bereiche wurden erhoben (beispielhaft):

Umwelt: Umweltmanagement, ISO-Zertifizierung, Auflagen an Zulieferer, umweltrelevante Prozesse (Reduktion des Verbrauchs von Wasser, Abwasser, Energie, Abfall, Reduktion der Emission von Schadstoffen, Verringerung des Verpackungsmülls).

Soziales: Betriebsrat, Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung, gesundheitsfördernde und familienfreundliche Angebote für die Beschäftigten, Lehrlingsausbildung, Frauenförderung, Behindertenförderung, Einhaltung internationaler Sozialstandards bei der Beschaffung von Waren oder Vorprodukten.

Informationsoffenheit: Veröffentlichung von Geschäftsbericht, Umweltbericht und Sozialbericht, Website-Analyse, Auskunftsbereitschaft bei Anfragen, Beteiligung am Unternehmenstest, Qualitätssicherung, Zugang zu Informationen.

Mehr zum Thema

  • Ein Interview mit VSLÖ -Präsidentin Anne-Marie Kern, Stellungnahmen von Herstellern sowie die Testkriterien finden unter Inhaltsverzeichnis: "Interview".
  • lBFAN-Report 2004 „Breaking the Rules, Stretching the Rules”: www.ibfan.org .
  • Wissenswertes zum Thema Stillen (siehe dazu: Weitere Artikel- " Stillen ").
  • Praktische Hinweise für junge Mütter bietet das Handbuch „Essen und Trinken im Säuglingsalter“ von Mag. Ingeborg Hanreich, 4. Auflage, Verlag I. Hanreich, Wien 2004,
    Preis € 15,– .

   

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