Es ist wie ein tagtäglicher Sturm an schlechten Nachrichten, der über uns hereinbricht und uns in einen Sog aus Hilflosigkeit, Wut und Trauer zieht. Urwälder brennen, Gletscher schmelzen, Menschen sterben in Kriegen, müssen flüchten. Im Minutentakt prasseln die aufwühlenden Schlagzeilen auf uns herein, es gibt kaum Verschnaufpausen. Wir befinden uns im Dauer-Alarmismus. Das führt zu Stress, Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet. Auch, weil unser Gehirn darauf hin trainiert ist, auf Negatives schneller zu reagieren und uns so vor Gefahren zu schützen. Ein Überbleibsel aus der Steinzeit.
Die Nachrichtenportale machen sich diese Eigenschaft zunutze und setzen auf „Mord und Totschlag“, reißerische Titel bringen vor allem online mehr Klicks als positive Berichterstattung. Das Problem: Diese unseligen Artikel lösen etwas in uns aus. Eine US-amerikanische Studie hat herausgefunden, dass Menschen, die die Berichte nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon 2013 eine Woche lang genau verfolgten, gestresster waren als Menschen, die beim Anschlag vor Ort waren. Kein Wunder also, wenn es uns beim Blick in die Tageszeitung die Kehle zuschnürt und wir uns ob der Lage auf dieser Welt ohnmächtig fühlen, nicht wissen, wie man in solch einer Welt eine Zukunft aufbauen soll.
Schon lange bekannt
Bereits die Brüder Grimm kannten das Wort Weltschmerz und haben es als „tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt“ in ihrem Wörterbuch definiert. Geprägt hat ihn allerdings der deutsche Schriftsteller Jean Paul. Es geht um eine seelische Grundstimmung, um Schmerz, Traurigkeit, das Leiden an der Welt, auch im Hinblick auf die eigenen Wünsche und Erwartungen. Und das Schlimme daran: Unsere gewohnten Problemlösungsstrategien scheinen nicht zu greifen, Hilflosigkeit macht sich breit und bindet emotionale Ressourcen. Wir können uns von Weltschmerz nicht einfach lossagen, die Ungerechtigkeiten in der Welt als Individuum nicht auf einen Schlag verändern. Umso wichtiger ist es, Bewältigungsstrategien zu entwickeln, um mit ihnen umgehen zu können.
Maß an Mitgefühl
Prinzipiell ist es positiv zu sehen, wenn wir Weltschmerz empfinden. Denn es zeigt, dass wir empathische Lebewesen sind, denen es nicht egal ist, wie es unseren Mitmenschen geht. Dabei sollten wir allerdings auch nicht vergessen, Mitgefühl mit uns selbst zu haben, und uns nicht in einen negativen Strudel ziehen lassen. Dies gelingt etwa, wenn wir Informationen achtsam konsumieren. Es ist verlockend, den Liveticker zum Terroranschlag minutiös zu verfolgen, aktuelle Meldungen über Verkehrsunfälle als Push-Nachricht aufs Smartphone zu bekommen und in den sozialen Medien vor dem Schlafengehen noch Medien-Profile zu checken, um in unserer Wissensgesellschaft immer up to date zu sein.
Wenn wir auf all dies verzichten – oder es nur mehr in geringem Maße tun –, heißt das nicht automatisch, dass wir ignorant sind. Wir müssen keine Scheuklappen tragen, aber sind wir wirklich verpflichtet, uns rund um die Uhr mit Leid zu konfrontieren? Wobei zu bemerken ist, dass es ein Privileg unseres Wohlstandes ist, sich dieser Negativität überhaupt entziehen zu können.
Weltschmerz heilen
Wer nicht auf Nachrichten verzichten möchte, kann sich konstruktivem Journalismus widmen. Dieser zeigt Alternativen auf, möchte Probleme beheben. Ähnlich der Lösungsjournalismus: Seine Berichte beziehen Studien mit ein und antworten auf soziale Fragen. Die deutsche Plattform goodnews.eu ist ein Beispiel für ein Medium, das sich auf positive Berichterstattung fokussiert, manche Tages- und Wochenzeitungen haben bereits eigene „Gute-Nachrichten-Seiten“ etabliert.
Wenn auch reduzierter oder veränderter Medienkonsum den Weltschmerz nicht lindert, kann es helfen, selbst aktiv zu werden. Manchen Menschen gibt es ein besseres Gefühl, wenn sie Geld oder Hilfsgüter spenden, wenn sie vor Ort helfen – etwa in Erstaufnahmezentren von Geflüchteten – oder wenn sie an Demonstrationen teilnehmen und ihren Unmut kundtun. Alles, was hilft, die Zuversicht auf eine bessere Welt nicht zu verlieren, ist ein probates Mittel gegen den Schmerz. Und sind wir uns ehrlich: So schrecklich ist unsere Welt nicht. Ihre Lage ist viel besser, als die meisten vermuten würden – unsere Wahrnehmung driftet nur teilweise von Fakten weg.
Nicht alles so negativ, wie wir vermuten
Wussten Sie etwa, dass laut WHO 84 Prozent der einjährigen Kinder auf der Welt gegen Krankheiten geimpft sind? Dass sich laut Weltbank der Anteil der in extremer Armut lebenden Weltbevölkerung in den vergangenen 20 Jahren mehr als halbiert hat? Dass 85 Prozent der Bevölkerung einen Zugang zum jeweiligen nationalen Stromnetz haben? Und 70 Prozent Zugang zu sauberem Trinkwasser? Umfragen zeigen, dass ein Großteil von uns diese Fragen viel negativer beantwortet hätte. Der schwedische Professor Hans Rosling ging diesem Phänomen in seinem Buch „Factfulness“ nach und offenbart darin eine evidenzbasierte Welt, in der Dinge gar nicht so schaudernd sind, wie wir glauben. Im Wunsch nach Plakativität gehen laut ihm entscheidende Nuancen einer realitätsnahen Einschätzung verloren. Bevor der Weltschmerz also wieder einmal überhandnimmt: Halten Sie an den positiven Dingen im Leben fest – und mögen sie noch so klein sein. Es ist nicht alles schlecht auf unserem Planeten.
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