Nicht, dass es oft vorkäme. Aber es stimmt mich dennoch immer nachdenklich, ja traurig, wenn ich erfahre, dass ein KONSUMENT-Abo gekündigt wurde, weil wir zu „grün“ berichten.
In Begründungen ist dann bisweilen von der „sogenannten Klimakrise“ die Rede. Von nervigen Belehrungen. Oder noch bedauerlicher: Ein Leser gab unumwunden zu, dass er sich grundlegend verändert hat. Weil er sich nicht mehr mit den „Standardaussagen und -behauptungen“ zum Klimawandel zufriedengeben wollte, nachrecherchiert und seinen Standpunkt sodann revidiert habe. Natürlich, wer suchet, der findet. Im Internet gibt’s alles, was das Herz begehrt, gerade auch zum Thema Klimawandelleugnung.
Aber müssen wir das wirklich? 2023 noch immer den Grundsatz-Kampf ausfechten, auf wessen Kappe der aktuelle Klimawandel geht? Es ist zum Haareraufen absurd. Dass die Klimawandelleugner-Lobby noch immer so stark ist. Dass diesen Lobbyist:innen zugehört wird. Dass sie ungeschoren desinformieren. Obwohl es ihnen so offensichtlich nur darum geht, noch möglichst lange das machen zu können, von dem alle sagen, dass es das Weltklima aus den Angeln hebt. Deep Greenwashing fällt mir dabei ein – also der Versuch, durch Lobbyismus auf die Politik einzuwirken. Natürlich wird nicht nur die Politik mürbe gemacht. Auch die Bürger:innen werden einer fortwährenden Gehirnwäsche unterzogen.
60 Jahre der Desinformation
Der Klimawandel findet statt. Das merken wir alle. Und er ist menschgemacht. Das ist keine neue Erkenntnis. Mitnichten. Was glauben Sie? Seit wann ist es bekannt, dass das Verbrennen von fossilen Energieträgern das Weltklima verändert, es aufheizt? Seit wann wissen das die Menschen an den Schalthebeln der Macht? Schon verdammt lange.
Nehmen wir einen der führenden Konzerne der Öl-Branche, ExxonMobil. Seit wann wissen die CEOs dieses US-Konzerns, was sie da so anrichten? Seit Jahrzehnten. ExxonMobil wurde kürzlich der Desinformation (vulgo Lüge) überführt. Ironischerweise durch die Analyse unternehmenseigener Daten. Namhafte unabhängige Wissenschafter:innen konnten Prognosemodelle auswerten, die von ExxonMobil-Expert:innen ab den 1970ern verfasst wurden. Inhalt der Prognosen: Der Zusammenhang zwischen dem durch die Verbrennung von Öl, Gas & Co freigesetzten CO2 und der Klimaerwärmung. Diese ExxonMobil-Expert:innen waren verblüffend treffgenau in ihren Berechnungen.
Lebe lieber ungeniert
Mit anderen Worten: Die ExxonMobil-CEOs wussten schon vor Jahrzehnten darüber Bescheid, welche fatalen globalen Auswirkungen ihre Geschäftspraktiken haben werden. Und was taten sie? Zogen sie die Reißleine? Nein, warum auch? Man kann ja lügen, leugnen und Desinformationen verbreiten. Damit man sich keine neue Geschäftsidee ausdenken muss.
Freilich ist das keine auf dieses Unternehmen beschränkte Taktik. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die US-Ölbranche als Ganzes schon in den 1950ern Bescheid wusste. Aber auch, dass die Regierungen seit damals im Bilde waren.
Fassen wir zusammen: Es gibt also 50, 60 Jahre alte Berechnungen, die vorhersagten, dass ab den 2000er-Jahren die ersten ganz klaren Auswirkungen des menschgemachten Klimawandels zu bemerken sein werden. Und hey, das ist eingetreten! So viel zur gern zitierten Ungenauigkeit der Klimawandelforschung.
Packen wir es an
Die Gretchenfrage lautet also: Warum kann das Faktum, dass wir da massiv was verbocken, nicht als solches anerkannt werden? Wenn schon nicht von den Öl-Bossen, dann doch wenigstens von uns „kleinen“ Leuten? Haben wir wirklich so große Verlustängste? Es liegt doch auf der Hand, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher.
Nicht falsch verstehen, es geht hier nicht um die Kultivierung eines schlechten Gewissens. Es braucht vielmehr eine gesamtgesellschaftliche Vision des Guten! Auch auf die Gefahr hin, ins Phrasenschwein einzahlen zu müssen: „Leben ist Veränderung. Wer nichts verändert, wird auch das verlieren, was er bewahren will.“ In dem Sinn – packen wir es an!
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Update 19.09.23:
Der US-Bundesstaat Kalifornien hat Mitte September 2023 fünf große Ölkonzerne, neben Exxon auch BP, Shell, Chevron und Conoco Phillips, verklagt (zudem auch noch den Industrieverband American Petroleum Institute). Die Klagschrift argumentiert wie zuvor beschrieben: Die Ölmultis haben die durch den Einsatz fossiler Energieträger verbundenen Risiken „bewusst heruntergespielt“. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom: „Mehr als 50 Jahre lang haben uns die Ölgiganten belogen und die Tatsache verschleiert, dass sie schon seit Langem wissen, wie gefährlich die von ihnen produzierten fossilen Energieträger für unseren Planeten sind.“ Kalifornien will mit der Klage erreichen, dass ein Fonds eingerichtet wird, der die Kosten künftiger Schäden durch den Klimawandel im Bundesstaat - etwa durch Waldbrände und Überschwemmungen - decken soll.
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