„Meine Umwelt ist niemals still. Es fühlt und hört sich an, als könnte ich sogar den Staub fallen hören“, sagt die Wiener Designerin Laura Karasinski in einem Interview. Sie geht offen mit ihrer Hochsensibilität um, hat schon in Vorträgen darüber gesprochen. Hochsensible Personen (HSP) sehen, hören und fühlen intensiver als normal sensible Personen, nehmen Reize eindrücklicher wahr und verarbeiten diese auch stärker. Was viele gar nicht bemerken, kann für HSP nervenraubend sein – etwa viele gleichzeitige Gespräche in einem Lokal oder laute Hintergrundmusik.
Bekannt wurde Hochsensibilität durch die US-amerikanische Psychologin Elaine Aron in den 90er-Jahren. Sie hat gemeinsam mit ihrem Ehemann Pionierarbeit auf diesem Gebiet geleistet und mit dem Handbuch „Sind Sie hochsensibel?“ ein Standardwerk veröffentlicht. Hochsensible Personen beschreiben die Arons als Menschen mit feiner Wahrnehmungsgabe, einem reichen Innenleben, sie seien gewissenhaft, reflektiert und kreativ. Aber auch schneller von Sinnesreizen überflutet.
In dem Buch ist auch ein Fragebogen zu finden, anhand dessen man herausfinden soll, ob man hochsensibel ist. Die Fragen drehen sich etwa darum, ob einen die Eltern bereits als Kind als schüchtern angesehen haben, ob man schreckhaft sei und auf Koffein heftiger reagiere als Mitmenschen. Einen psychologisch validen Test zu Hochsensibilität gibt es allerdings keinen.
Dünne Forschungslage
Eine Diagnose von Hochsensibilität ist nicht möglich, da die Weltgesundheitsorganisation WHO diese nicht als Krankheit, sondern als persönliche Eigenschaft sieht. Elaine Aron geht davon aus, dass die Sensitivität bei der Verarbeitung von Sinneswahrnehmungen angeboren und genetisch vererbt ist – wenn sie nicht durch Traumata verursacht wurde. Die Variation des neuronalen Systems betreffe etwa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung, unabhängig von Geschlecht, Kultur oder Ethnie. Auch bei allen höheren Tierarten gäbe es laut Aron einen ähnlichen Prozentsatz an Hochsensiblen. 2014 hat sie mithilfe eines fMRT die Gehirne von Proband:innen gescannt und konnte herausfinden, dass Achtsamkeit und Reaktionsfähigkeit grundlegende Merkmale von HSP sind.
Umgang mit Hochsensibilität
Arons wissenschaftliche Kollegschaft sieht Hochsensibilität teils kritisch, etwa als Unterklasse von Neurotizismus. Anders die deutsche Psychologin Sandra Konrad, die auf dem Gebiet der Hochsensibilität an der Universität Hamburg promoviert hat. Aber auch sie ist der Meinung, dass der Forschungsbedarf auf diesem Gebiet noch sehr groß ist. Laut Konrad seien viele Hochsensible seelisch belastet, da sie häufig wegen ihrer Besonderheiten stigmatisiert oder geringgeschätzt werden, was die Betroffenen als sehr kränkend auffassen würden. Und Hochsensible würden sich im Vergleich mit anderen oft als unzulänglich empfinden. Umso erleichterter seien Betroffene, wenn sie von ihrer Veranlagung erführen und durch die Auseinandersetzung mit Hochsensibilität Rückzugsräume für sich schaffen können. Gerade in unserer schnelllebigen Gesellschaft ist es für HSP oft schwierig, mit dem Tempo mitzuhalten und dabei genug Verschnaufpausen einzuhalten. Das kann zu Stress führen und sich in körperlichen Symptomen äußern.
Bewusstsein schaffen
Umso wichtiger ist es für HSP, im Alltag bewusste Pausen zu schaffen, um das Erlebte verarbeiten zu können: weniger Input, mehr Pause. „So können Betroffene auch die Vorteile ihrer Hochsensibilität besser leben, etwa ihre zumeist ausgeprägte Intuition und Empathiefähigkeit“, sagt Konrad. Das können auch nur ein paar Minuten Stille an einem ruhigen Ort sein. Generell raten Expert:innen, die Batterien durch Natur, Genuss und Ruhe wieder aufzuladen und stressige Situationen zu meiden. Störendes sollen Hochsensible offen ansprechen, Kritik nicht zu persönlich nehmen und Stress mit Sport oder Entspannungsübungen abbauen. Wobei zu betonen ist, dass nicht jeder Sinn gleich stark ausgeprägt sein muss.
Stille Superkraft
Hochsensibilität kann auch als Stärke genutzt werden. „Es werden häufig nur die Nachteile gesehen, weil es in unserer Gesellschaft nicht so hoch angesehen ist, sensibel zu sein“, sagt Robert Wechsberg, Facharzt für Psychiatrie, in einem Interview. Er betont, dass es sich vielmehr um eine Ressource handle, die man nutzen könne. Denn Hochsensible erfassen Feinheiten und Nuancen, viele seien besonders kreativ und intuitiv, können gut zuhören, sind loyal und gewissenhaft. Das kann auch im Arbeitsalltag von Vorteil sein, wenn Betroffene eine schnelle Auffassungsgabe und Lösungsorientiertheit haben.
Auch Designerin Laura Karasinski nutzt ihre Hochsensibilität für ihren Job, sieht sie als ihre Superpower. „Durch die Fähigkeit, Stimmungen, Schwingungen und Feinheiten zwischen den Zeilen zu fühlen, gelingt es mir umso besser, die Wünsche meiner Kunden herauszufühlen und das passende Produkt zu liefern“, sagt sie. Andere Hochsensible sprechen von einem sechsten Sinn, einer Gabe, die sie nicht abtrainieren können. Und betonen, dass es wichtig zu wissen sei, wie man mit dieser Gabe umgeht.
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